OGH 10ObS236/00d

OGH10ObS236/00d24.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter MR DI Gustav Poinstingl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir Winfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Peter P*****, Zugführer, *****, vertreten durch Dr. Norbert Scherbaum und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Mai 2000, GZ 8 Rs 21/00w-39, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. November 1999, GZ 41 Cgs 143/99f-34, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 676,48 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26. 5. 1941 geborene und daher zum Stichtag 1. 6. 1996 55 Jahre alte Kläger hat den Beruf eines Bäckers erlernt und ist seit dem Jahr 1970 bei der G*****-K*****-E*****- und Bergbaugesellschaft mbH zunächst als Bahnhelfer, Kesselwärter, Lokheizer, Schaffner und seit dem Jahr 1984 als Zugführer beschäftigt. In den letzten 15 Jahren vor der Antragstellung arbeitete der Kläger überwiegend als Zugführer, Personenzug-, Güterzug- und Gepäckschaffner bei einer Lokalbahn, wobei er diese Tätigkeit nach wie vor ausübt. Zugbegleiter sind in der Funktion eines Zugführers oder Zugschaffners tätig. Zugführer leiten grundsätzlich den zugbegleitenden Fahrdienst und tragen dabei die Verantwortung für den reibungslosen Fahrtablauf. Sofern es sich um Zugführer bei Lokalbahnen oder auf Nebenstrecken handelt, üben diese in der Regel zusätzlich die Tätigkeiten von Personenzug-, Güterzug- oder Gepäckschaffner aus. Eine reine Zugführertätigkeit oder eine solche in Kombination mit einer Personenzugschaffnertätigkeit (auf Hauptstrecken) ist nur mit einer leichten muskulären Beanspruchung verbunden; eine solche in Kombination mit einer Güterzugschaffnertätigkeit (auf Nebenstrecken) ist auch mit einer mittelschweren muskulären Beanspruchung und eine solche in Kombination mit einer Gepäckschaffnertätigkeit allenfalls auch mit einer schweren muskulären Beanspruchung (Heben, Tragen und Schieben schwerer Lasten) verbunden. Durch die Mithilfe einer zweiten Person kann die schwere Arbeit jedoch auf ein mittelschweres Ausmaß gesenkt werden.

Bei seiner Tätigkeit als Zugführer mit Reisezugobliegenheiten war der Kläger für die rechtzeitige Abfahrt des Zuges, die Durchführung der Bremsprobe, die Sicherstellung der Betriebssicherheit und Funktionstüchtigkeit des Zuges, die Versorgung und Abgabe der Frachtpapiere und des Reisegepäcks am Ende der Zugfahrt und für die Durchführung von Postmanipulationen verantwortlich. Diese Tätigkeit umfasste auch die Auskunftserteilung an Reisende, eine Hilfestellung beim Ein- und Aussteigen, die Annahme und Auslieferung von Reisegepäckbeförderungen, die Verladung von Kinderwägen, Fahrrädern und anderer schwerer Gepäckstücke sowie von Behinderten- und Rollstuhlfahrern, wobei es etwa bei solchen Verladungen auch zu einem psychischen Druck kommen konnte, da der Zugführer auch auf die Abfahrtszeiten zu achten und die Anschlussmöglichkeiten sicherzustellen hatte. Der Kläger war auch im Bereich der Zugbegleitung von Güterzügen eingesetzt, wobei es zu seinen Aufgaben gehörte, in Bahnhöfen wies Wies oder Köflach die Güterwagen abzuhängen bzw zu sichern. In den Jahren 1980 bis etwa zum Jahr 1993 oder 1995 hatte der Kläger für die Durchführung dieser Arbeiten drei bis sechs Mitarbeiter zur Verfügung, welche auch beim Verschub geholfen und Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Gepäckmanipulation durchgeführt haben. Ein Zugführer übte zu diesen Zeiten eine reine Zugführertätigkeit aus (Überprüfung der Betriebssicherheit vor Antritt der Fahrt, Vornahme von Bremsberechnungen für die einzelnen Personenzüge, Ausübung der Aufsicht während der Fahrt). In den Jahren vor 1995 wurde turnusmäßig Dienst gemacht, wobei von den einzelnen Mitarbeitern einmal Zugführertätigkeiten, dann wieder nur Schaffnertätigkeiten durchgeführt wurden. Die sich turnusmäßig abwechselnden Mitarbeiter waren teilweise auch beim Verschub eingesetzt. Beim Be- und Entladen der Gepäckwagen war es in jener Zeit möglich, Bahnhelfer zum Ausladen des Bahngepäcks einzusetzen. Solche sind heute nur mehr in den Endbahnhöfen Wies und Köflach tätig. Etwa seit dem Jahr 1993 oder 1995 hat jeder Mitarbeiter auch die Zugführertätigkeiten zu übernehmen und durchzuführen sowie auch sämtliche Tätigkeiten allein durchzuführen, für welche vorher andere Mitarbeiter vorhanden waren.

Der Kläger kann auf Grund der bei ihm bestehenden Leidenszustände noch ganztägig leichte und bis zur Hälfte eines Arbeitstages auch mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, Gehen und Stehen verrichten, wobei auch Tätigkeiten mit Fingergeschicklichkeit eingeschlossen sind. Das Heben und Tragen leichter Lasten ist im vollen Umfang möglich, jenes mittelschwerer Lasten bei gerechter Verteilung nur für ein Drittel des Arbeitstages. Arbeiten an exponierten Stellen sowie auf Leitern und Gerüsten sind dem Kläger nicht zumutbar; Verschubarbeiten im Sinne des An- und Abkuppelns von Waggons sind ihm aber noch zumutbar. Ebenso ist dem Kläger die Benützung von Steighilfen im Sinne eines fallweisen Besteigens von Leitern möglich. Tätigkeiten, die mit einer überdurchschnittlichen Gewandtheit verbunden sind, sind für den Kläger ausgeschlossen; das Abspringen von einem stehenden Waggon, welches nur eine allgemeine körperliche Gewandtheit erfordert, ist ihm aber noch möglich.

Im Hinblick auf dieses medizinische Leistungskalkül konnte der Kläger die erwähnten Berufsaufgaben eines Zugführers einer Lokalbahn ohne Gefährdung seiner Gesundheit durch das Vorhandensein entprechenden Personals bis 1993 oder 1995 ohne negative Überschneidung mit seinem medizinischen Restleistungsvermögen ausüben.

Mit Bescheid vom 25. 11. 1996 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers vom 17. 5. 1996 auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab.

Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt. Es sprach aus, dass das Klagebegehren auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit in gesetzlicher Höhe ab dem 1. 6. 1996 dem Grunde nach zu Recht bestehe. Der Kläger sei nach dem medizinischen Leistungskalkül nicht mehr in der Lage, den Anforderungen des von ihm zuletzt überwiegend ausgeübten Berufes zu entsprechen. Seit dem Jahr 1993 oder 1995 sei er nicht mehr in der Lage, die von ihm bisher ausgeübten Tätigkeiten bzw seinen angestammten Arbeitsbereich zu erledigen, da damit berufstypisch regelmäßig auch schwere körperliche Arbeiten anfallen, die der Kläger nicht mehr erbringen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es aussprach, dass die zuerkannte Pension - im Hinblick auf die vom Kläger weiterhin ausgeübte Erwerbstätigkeit - ab 1. 6. 1996 wegfalle. Der Kläger habe im Beobachtungszeitraum eine im Wesentlichen gleiche oder gleichartige Tätigkeit als Zugführer verbunden mit einer Güterzug- und Gepäckschaffnertätigkeit ausgeübt. Geändert habe sich nur - dies offensichtlich aus Gründen der Kosteneinsparungen bei den Personalkosten - die Anzahl des dem Kläger als Zugführer zur Verfügung stehenden weiteren Zugpersonals, auf das er kalkülüberschreitende Tätigkeiten fallweise habe übertragen können. Diese Personaleinsparungen könnten aber an der grundsätzlichen Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als gleiche oder gleichartige Tätigkeit im Sinn des § 253d Abs 1 Z 3 ASVG für den gesamten Beobachtungszeitraum nichts ändern. Die Bestimmung des § 253d ASVG habe den Zweck, dass Versicherte, die längere Zeit vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit verrichtet haben und diese Tätigkeit nun auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr verrichten können, nicht wenige Jahre vor der Pensionierung verhalten sein sollen, sich auf eine völlig neue Tätigkeit umzustellen. Der Kläger sei jedenfalls seit dem Jahr 1993 oder 1995 nach seinem medizinischen Leistungskalkül nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit des Zugführers einer Lokalbahn, insbesondere der GKB, in der zumindest seit dem Jahr 1995 geforderten Form zu verrichten. Damit sei er nicht mehr in der Lage, durch die geschützte Tätigkeit die sogenannte Lohnhälfte ins Verdienen zu bringen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d Abs 1 ASVG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novellierung durch Art 7 des ASRÄG 1997 BGBl 139) hat der Versicherte unter anderem dann, wenn er in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat (Z 3) und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit (Z 3) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (Z 4). Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist es für die Beurteilung der Frage, ob der Versicherte die überwiegend ausgeübte Tätigkeit im Sinn des § 253d Abs 1 Z 3 ASVG weiter ausüben kann, zulässig, den Versicherten auf Arbeiten zu verweisen, die zwar im Kernbereich völlig mit der bisher geleisteten Tätigkeit übereinstimmen, bei denen jedoch Nebentätigkeiten wegfallen, die am Arbeitsmarkt mit der Haupttätigkeit nicht typischerweise verbunden sind. Der Kernbereich einer Tätigkeit ergibt sich dabei aus den Umständen, die ihr Wesen ausmachen und die sie von anderen Tätigkeiten unterscheiden. Die Unfähigkeit, eine mit oder neben der Haupttätigkeit verrichtete Nebentätigkeit auszuüben, führt daher nur dann zum Versicherungsfall der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, wenn die Nebentätigkeit mit der Haupttätigkeit typischerweise so verbunden ist, dass beide nur gemeinsam auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind (SSV-NF 12/4; 12/121; 11/110 mwN uva; RIS-Justiz RS0102466; RS0085108).

Im Fall des Klägers ist nach den Feststellungen des Erstgerichtes davon auszugehen, dass er im maßgeblichen Zeitraum als Zugführer, Personenzug-, Güterzug- und Gepäckschaffner im Turnusdienst bei einer Lokalbahn beschäftigt war. Mit dieser Tätigkeit waren regelmäßig auch schwere körperliche Arbeiten (Verladung von schweren Gepäckstücken usw) verbunden, die der Kläger nicht mehr leisten kann. Bei diesen schweren körperlichen Arbeiten handelt es sich nach den Feststellungen des Erstgerichtes um berufstypische Arbeiten eines Zugführers einer Lokalbahn mit dem beschriebenen umfassenden Aufgabenbereich. Dies bedeutet, dass für die Tätigkeit eines Zugführers einer Lokalbahn ganz allgemein die Fähigkeit zur Leistung auch schwerer Arbeiten vorausgesetzt wird und die fallweise vorkommende Manipulation schwerer Gegenstände daher entgegen der Ansicht der beklagten Partei keine Nebentätigkeit darstellt, welche am Arbeitsmarkt mit der Haupttätigkeit nicht typischerweise verbunden wäre. Da der Gesetzgeber im Fall des § 253d Abs 1 Z 4 ASVG wie schon in den früheren Fällen der §§ 255 Abs 4 und 273 Abs 3 ASVG nicht nur von einem Berufsschutz im Sinne einer Verweisbarkeit innerhalb der Berufsgruppe, sondern von einem "Tätigkeitsschutz" ausgeht (vgl SSV-NF 12/4 mwN uva) ist es demgegenüber nicht entscheidend, dass am Arbeitsmarkt auch eine Gruppe von Zugführern (auf Hauptstrecken) ohne den bei Zugführern einer Lokalbahn bestehenden zusätzlichen Aufgabenbereich existiert.

Die beklagte Partei verweist in ihren Revisionsausführungen schließlich noch darauf, dass der Kläger die ihm nicht mehr zumutbaren schweren körperlichen Arbeiten bis zum Jahr 1993 oder 1995 auf Grund des damals noch höheren Personalstandes im Betrieb seines Dienstgebers an Mitarbeiter delegieren konnte und erst seit diesem Zeitpunkt eine Delegierung dieser Arbeiten praktisch nicht mehr möglich ist, sodass der Kläger auch diese schweren körperlichen Arbeiten nunmehr selbst verrichten muss. Der Kläger könnte daher die von ihm während des Beobachtungszeitraumes ausgeübte Tätigkeit in der von ihm in diesem Zeitraum überwiegend ausgeübten konkreten Ausgestaltung weiterhin verrichten, weshalb die Voraussetzungen des § 253d Abs 1 Z 4 ASVG nicht erfüllt seien.

Diesen Ausführungen ist entgegegenzuhalten, dass die Voraussetzung des § 253d Abs 1 Z 4 ASVG darauf abstellt, ob der Versicherte infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes noch imstande ist, durch die von ihm im Beobachtungszeitraum überwiegend ausgeübte Tätigkeit (Z 3) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Der Versicherte muss somit außerstande sein, durch diese in den letzten 15 Jahren überwiegend ausgeübte Tätigkeit die sogenannte Lohnhälfte zu verdienen. Diese Voraussetzung erfüllt aber der Kläger. Da er nach seinem medizinischen Leistungskalkül die für die Tätigkeit eines Zugführers, Personzenzug-, Güterzug- und Gepäckschaffners auch ganz allgemein vorausgesetzten schweren Arbeiten nicht mehr verrichten kann, ist er infolge seines körperlichen Zustandes nicht mehr imstande, durch diese Tätigkeit die Lohnhälfte zu erzielen. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger die Voraussetzungen für die von ihm begehrte Pensionsleistung erfüllt.

Der Revision musste somit ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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