Spruch:
1. Das Verfahren wird unterbrochen, bis über die Frage der Nachversicherung des Klägers in der Zeit vom 1.5.1941 bis 31.10.1944 im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist, dies einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofverfahrens.
2. Bei der beklagten Partei wird angeregt, das Verfahren zur Entscheidung dieser Frage einzuleiten.
Text
Begründung
Der am 4.8.1926 geborene Kläger erwarb Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich. Der zuständige Versicherungsträger der Bundesrepublik Deutschland teilte hiezu der beklagten Partei mit, daß aus der Zeit vom 4.8.1942 bis 18.3.1946 gemäß § 1259 Abs 1 Nr. 4 bzw. § 1251 Abs 1 Nr. 1 RVO insgesamt 44 Monate zu berücksichtigen seien. Dieser Versicherungsträger gewährte dem Kläger ab 1.2.1985 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die beklagte Partei anerkannte mit Bescheid vom 5.6.1986 den Anspruch des Klägers auf eine Berufsunfähigkeitspension gemäß § 271 ASVG, setzte diese Pension einschließlich des Kinderzuschusses für ein Kind für die Zeit vom 1.8. bis 31.12.1984 mit 16.327,50 S, für Jänner 1985 mit 16.844,90 S, für die Zeit vom 1.2. bis 31.12.1985 mit 15.901,60 S und ab 1.1.1986 mit 16.435,50 S fest und sprach aus, daß sie gemäß § 90 ASVG in der Zeit vom 1.8.1984 bis 7.1.1985 mit einem bestimmten, im Bescheid angeführten Betrag ruht. Bei der Festsetzung der Pensionshöhe für die Zeit vom 1.8.1984 bis 31.1.1985 wurden dem Steigerungsbetrag, der dem Kläger gemäß § 270 iVm § 261 Abs 3 ASVG in der hier anzuwendenden Stammfassung ( also vor der 40.ASVGNov. BGBl. 1984/484) gebührt, 481 nach den inländischen Rechtsvorschriften erworbene Versicherungsmonate zugrundegelegt. Für die Zeit ab 1.2.1985 wurde die Höhe der Pension unter Berücksichtigung von 44 in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungsmonaten gemäß § 26 des AbkSozSi.-BRD berechnet.
Diesen Bescheid der beklagten Partei bekämpfte der Kläger mit einem an das damals zuständige Schiedsgericht der Sozialversicherung gerichteten "Einspruch", in dem er unter anderem geltend machte, daß in der "deutschen Rentenberechnung" die Zeit vom 21.4.1941 bis 4.8.1942 fehle. Es seien daher 60 statt 44 Versicherungsmonate zu berücksichtigen. Dies machte er auch zum Gegenstand eines Widerspruchs und in der Folge einer Klage bei den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Die Klage zog er am 15.6.1987 unter der Voraussetzung zurück, daß der Versicherungsträger der Bundesrepublik Deutschland seine Erklärung einhalte, die Zeit vom 21.4.1941 bis 3.8.1942 als Ersatzzeit gemäß § 251 Abs 1 (gemeint wohl: § 1251 Abs 1) RVO anzuerkennen. Das Schiedsgericht der Sozialversicherung unterbrach am 25.8.1986 das Verfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidungen der deutschen Behörden. In seinem am 12.1.1988 beim Erstgericht eingebrachten Fortsetzungsantrag stellte der Kläger das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm für die Zeit von August bis Dezember 1984 unter Gewährung eines Steigerungsbetrages für 525 Monate eine Pension von 16.812 S monatlich und für Jänner 1985 eine Pension von 17.366,80 S zu bezahlen. Er brachte vor, daß die beklagte Partei zu Unrecht 42 Versicherungsmonate aus der Zeit vom 1.5.1941 bis 31.10.1944 nicht berücksichtigt habe. Er habe in dieser Zeit bei den "Askania-Werken" eine Lehrzeit absolviert, wobei er in deren Werkstatt gelernt und in der angeschlossenen Schule die Berufschule besucht habe. Die Zeit sei daher gemäß § 228 Abs 1 Z 9 ASVG als Ersatzzeit anzuerkennen.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger für die Zeit vom 1.8.1984 bis 31.1.1985 die Berufsunfähigkeitspension in der im Bescheid vom 5.6.1986 genannten Höhe zu bezahlen, sprach aus, daß die Pension in der Zeit vom 1.8.1984 bis 7.1.1985 mit den im Bescheid angeführten Beträgen ruht und wies das auf Bezahlung einer höheren Pension gerichtete Mehrbegehren ab. Es folgerte aus dem wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich, daß die strittigen Monate weder gemäß der Z 1 noch gemäß der Z 9 des § 228 Abs 1 ASVG als Ersatzzeiten berücksichtigt werden könnten, weil dies voraussetze, daß unmittelbar danach Beitrags- oder Ersatzzeiten nach dem ASVG erworben wurden. Die Versicherungszeiten, die der Kläger unmittelbar nach dem strittigen Zeitraum erworben habe, seien jedoch nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden.
In der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung brachte der Kläger vor, daß er nach Absolvierung der Schule ab 1.5.1941 die Fliegertechnische Vorschule (auch Technische Vorschule der Luftwaffe genannt) in München bei den Askania-Werken besucht habe. Bedingung für den Eintritt sei gewesen, daß er sich für 12 Jahre für den Dienst in der Luftwaffe verpflichte. Die Vorschule habe die Aufgabe gehabt, vierzehn- bis fünfzehnjährige Jugendliche als Militärschüler durch eine technische und vormilitärische Ausbildung zu Soldaten der Luftwaffe heranzuführen. Der "Militärdienst" in der Luftwaffenschule sei in Erfüllung einer Wehrpflicht gemäß § 228 Abs 1 Z 1 lit. c ASVG zurückgelegt worden.
Das Berufungsgericht verwies mit einem Rechtskraftvorbehalt die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es waren unter Hinweis auf seine Entscheidungen SSV 23/133 und 26/1 der Meinung, daß der Besuch einer Unteroffiziersvorschule gemäß § 531 ASVG zum Erwerb von Beitragszeiten habe führen können. Die Schüler seien zwar keine Soldaten gewesen, seien jedoch gemäß dem sinngemäß anzuwendenden § 1235 Abs 1 Z 2 RVO (in der damals geltenden Fassung) versicherungsfrei gewesen, weil die Aufnahme in die Unteroffiziersvorschule im Hinblick auf die Verpflichtung zum Besuch der Schule und zu einer zwölfjährigen Dienstleistung in der Wehrmacht eine Anwartschaft auf die weitere Beschäftigung als Berufssoldat begründet habe. Es seien daher Feststellungen darüber notwendig, wie lange der Kläger die Fliegertechnische Vorschule besuchte.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat aus Anlaß des von der beklagten Partei gegen diesen Beschluß des Berufungsgerichtes erhobenen Rekurs erwogen:
Die Vorinstanzen gingen richtig davon aus, daß für die den Gegenstand des Klagebegehrens bildende Zeit vom 1.8.1984 bis 31.1.1985 nur die nach den österreichischen Rechtsvorschriften erworbenen Versicherungszeiten berücksichtigt werden können. Gemäß Art. 30 Abs 1 des AbkSozSi.-BRD BGBl. 1969/382 können nämlich die Bestimmungen dieses Abkommens, die die Berücksichtigung auch der nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten vorsehen, erst angewendet werden, wenn nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten ein Leistungsanspruch besteht (vgl. Fürböck-Teschner, MGA Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Lfg. 21 Anm 3 zu Art. 30 AbkSozSi.-BRD). Dies war hier aber erst ab 1.2.1985 der Fall, weil der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland erst ab diesem Tag Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hatte. Aufgrund der vom Kläger im Verfahren erster Instanz behaupteten Tätigkeit kämen nur Ersatzzeiten gemäß § 228 Abs 1 Z 9 ASVG in Betracht. Der Kläger stützt den Erwerb dieser Zeiten auf eine Tätigkeit, die er in einem Gebiet ausgeübt hat, das nunmehr in der Bundesrepublik Deutschland liegt. Hiezu bestimmt Art. 23 Z 2 lit. a des Ersten AbkSozSi.-BRD BGBl. 1953/8, daß die Versicherungsträger in der Bundesrepublik Deutschland in den Rentenversicherungen von den Leistungsansprüchen und den Anwartschaften, die vor dem 1.5.1945 in der deutschen Unfallversicherung und in den deutschen Rentenversicherungen entstanden oder vor diesem Zeitpunkt in diese Versicherungen aus Versicherungen anderer Staaten übernommen worden sind, die Ansprüche und die Anwartschaften aus Versicherungszeiten übernehmen, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden sind. Diese Bestimmung ist so zu verstehen, daß durch eine Tätigkeit, die vor dem 1.5.1945 in einem Gebiet ausgeübt wurde, das nunmehr in der Bundesrepublik Deutschland liegt, aufgrund der österreichischen Sozialversicherungsgesetze ein Anspruch grundsätzlich nicht entstehen kann. Ob etwas anderes gilt, wenn einer der im § 3 Abs 2 ASVG angeführten oder diesem gleichzuhaltenden Tatbestände vorliegt, ist hier nicht zu erörtern, weil sich hiefür keine Anhaltspunkte ergeben haben. Art. 23 des Ersten AbkSozSi.-BRD wurde in der Z 19 lit. b Z 1 a des Schlußprotokolls zum Zweiten AbkSozSi.-BRD BGBl. 1969/382 - mit einer hier nicht in Betracht kommenden Einschränkung - aufrecht erhalten. Der Oberste Gerichtshof hat unter Hinweis auf diese Rechtslage in seiner Entscheidung SSV-NF 1/52 schon ausgesprochen, daß aufgrund einer Tätigkeit, die mit der vom Kläger behaupteten vergleichbar ist, Ersatzzeiten nach § 228 Abs 1 Z 9 ASVG nicht erworben wurden. Dies gilt auch für den Kläger.
Entgegen der vom Kläger in der Berufung vertretenen Ansicht können die strittigen Zeiten nicht als Ersatzzeiten gemäß § 228 Abs 1 Z 1 lit. c ASVG gelten, weil hiefür eine in den gesetzlichen Vorschriften begründete Dienstpflicht Voraussetzung wäre (SSV-NF 1/18). Nach seinem eigenen Vorbringen lag aber höchstens eine vertragliche Verpflichtung zur Erbringung von Arbeitsleistungen vor.
Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob der Kläger für die strittige Zeit Versicherungszeiten erwarb, weil sie als Zeiten eines rentenversicherungsfreien Dienstverhältnisses, für die nach den bisher in Geltung gestandenen Vorschriften eine Nachversicherung durchzuführen gewesen wäre, gemäß § 531 Abs 1 ASVG als nachversichert gelten und weil gemäß dem nachfolgenden Abs 2 der Überweisungsbetrag als geleistet gilt. Es hat dabei allerdings das Neuerungsverbot verletzt. Der Kläger brachte nämlich im Verfahren erster Instanz nichts vor, aus dem abgeleitet werden könnte, daß nach den Vorschriften, die vor dem ASVG in Geltung standen, eine Nachversicherung durchzuführen gewesen wäre. Eine Grundlage hiefür ergibt sich erst aus dem in der Berufung erstatteten Vorbringen. Die dem Berufungsgericht unterlaufene Verletzung des Neuerungsverbotes, die an sich mit dem Rekurs hätte bekämpft werden können (SZ 27/65; JBl 1976, 59; ZVR 1979/169 ua), führt hier aber deshalb nicht zu einer Änderung seiner Entscheidung, weil die beklagte Partei diesen Gesetzesverstoß im Rekurs nicht geltend machte.
Die Entscheidung über das Klagebegehren hängt daher auch davon ab, ob die strittigen Zeiten gemäß § 531 Abs 1 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung der 29.ASVGNov. BGBl. 1973/31 als nachversichert gelten und der Überweisungsbetrag gemäß dem nachfolgenden Abs 2 als geleistet gilt. Sie wären dann gemäß § 226 Abs 2 lit. e ASVG Beitragszeiten.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt zu § 531 ASVG sowohl für die Stammfassung als auch für die Fassung der 29.ASVGNov. die Ansicht, daß die Versicherungsträger im Streitfall mit deklarativem Bescheid darüber zu entscheiden hätten, ob nachentrichtete Beiträge "als wirksam entrichtet" (Fassung vor der Novelle) oder ob bestimmte Zeiten "als nachversichert" gelten, wobei ein solcher Bescheid in beiden Fällen eine Entscheidung über die Versicherungspflicht im Sinn des § 415 ASVG darstelle (VwSlg. 9624/A mwN; vgl. auch VwSlg. 2085/A für die Rechtslage vor dem ASVG). Der Oberste Gerichtshof schließt sich dieser Auffassung mit der Maßgabe an, daß ein Streit der angeführten Art auch als Streit über die Versicherungspflicht im Sinne des § 74 Abs 1 ASGG anzusehen ist. Die Entscheidung dieses Streites hängt nämlich gemäß § 531 Abs 1 ASVG davon ab, ob nach den Vorschriften, die vor dem ASVG in Geltung standen, eine Nachversicherung durchzuführen gewesen wäre. Als solche Vorschriften kommen § 1242 a RVO und § 18 RAVG in Betracht (vgl. Gehrmann-Rudolph-Teschner-Fürböck, MGA ASVG 38.ErgLfg Anm. 2 zu § 531, wobei dort allerdings unrichtig § 1242 RVO angeführt wird). Nach diesen Bestimmungen kommt es aber darauf an, ob die betroffenen Personen "sonst versicherungspflichtig" gewesen wären. Die Entscheidung über die Nachversicherung hängt daher (auch) von der Versicherungspflicht der betroffenen Personen ab und ist daher eine Entscheidung über diese Versicherungspflicht. Daran ändert nichts, daß nach der geltenden Fassung des § 531 ASVG ein Nachversicherungsverfahren nicht mehr durchzuführen ist, sondern die entsprechenden Zeiten als nachversichert gelten. Die Beantwortung der Frage, welche Zeiten als nachversichert gelten, hängt ebenfalls (auch) von der Entscheidung über die Versicherungspflicht der betroffenen Personen ab.
Hier ist ein Rechtsstreit nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG zu entscheiden. Ist in einem solchen Rechtsstreit die Versicherungspflicht als Vorfrage strittig, so ist das Verfahren gemäß § 74 Abs 1 ASGG zu unterbrechen, bis über diese Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist, dies einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofverfahrens. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung sind nach dem Gesagten gegeben. Darauf ist ohne Einfluß, daß die bezogene Regelung des Art. 23 des Ersten AbkSozSi.-BRD möglicherweise dazu führt, daß die strittigen Zeiten nicht in der österreichischen Pensionsversicherung als nachversichert gelten können, weil dies eine Vorfrage für die Anwendung des § 531 ASVG, worüber als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen zu entscheiden ist, und damit eine Vorfrage zu der in diesem Verfahren zu entscheidenden Hauptfrage bildet. Auch die Lösung dieser Vorfrage muß daher dem Verfahren in Verwaltungssachen überlassen bleiben.
Die demnach notwendige Unterbrechung des Verfahrens, deren Anordnung von den Vorinstanzen unterlassen wurde, ist auch im Verfahren dritter Instanz noch anzuordnen (SSV-NF 2/22).
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