Spruch:
Die Verletzung des Novenverbotes durch das Berufungsgericht kann mit Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluß angefochten werden.
Entscheidung vom 10. März 1954, 3 Ob 106/54.
I. Instanz: Bezirksgericht St. Veit a. d. Glan; II. Instanz:
Landesgericht Klagenfurt.
Text
Das Gericht erster Instanz hat die Beklagten verurteilt, jedes weitere Betreten einer zur Liegenschaft des Klägers gehörigen Parzelle zu Unterlassen.
Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückgewiesen.
Gegen den Aufhebungsbeschluß führt der Kläger ins Treffen, das Berufungsgericht habe das Neuerungsverbot überschritten, da die Beklagten erst in der Berufung behauptet haben, der Weg werde seit Jahrzehnten von Ortsbewohnern benützt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Frage, ob der Oberste Gerichtshof im Rekursverfahren berechtigt ist, die Verletzung des Novenverbotes durch die zweite Instanz wahrzunehmen, ist in der älteren Lehre und Rechtsprechung einstimmig bejaht worden (Bul in Dovolani (Revision) S. 14; Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechtes, 2. Auflage, 351; Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 7. Mai 1918, ZBl. 1918, Nr. 277). Dagegen hat Novak, JBl. 1950, S. 471, die Auffassung vertreten, daß der Revisionsrekurs nie in weiterem Ausmaß zulässig sein könne als die Revision und daß daher wegen Verletzung des Neuerungsverbotes durch die zweite Instanz nie ein Rekurs an den Obersten Gerichtshof erhoben werden könne. Diese Auffassung hat die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, JBl. 1954, 19, übernommen. Eine Begründung enthält diese Entscheidung nicht, sondern nur die Behauptung, daß wegen Verletzung des Neuerungsverbotes weder revidiert noch rekuriert werden darf.
Der dritte Senat kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Der Rekurs ist in der Zivilprozeßordnung einheitlich geregelt, ohne zu unterscheiden, ob ein erstinstanzlicher oder ein zweitinstanzlicher Beschluß angefochten wird, das Gesetz kennt nicht einmal das Wort "Revisionsrekurs". Der Inhalt des Rekurses ist in allen Fällen der gleiche; er kann wegen jeder Gesetzes- oder Verfahrensverletzung erhoben werden - sofern er überhaupt vom Gesetz zugelassen ist. Er gleicht in diesem Punkt der Berufung, während die Revision nur wegen taxativ aufgezählter Verletzungen erhoben werden kann. Es fehlt jeder Anhaltspunkt im Gesetz, hier zu unterscheiden und, je nachdem ob ein erst- oder zweitinstanzlicher Beschluß angefochten wird, den Rekurs in weiterem oder engerem Ausmaß zuzulassen. Die Auffassung, daß die Rekursgrunde, wenn ein zweitinstanzlicher Beschluß angefochten wird, auf die Revisionsgrunde zu beschränken seien, widerspricht demnach dem Gesetz.
Es fehlt infolgedessen jede Möglichkeit, die Anfechtbarkeit eines Beschlusses der zweiten Instanz, der das Novenverbot verletzt, zu verneinen, da die Rekursgrunde nicht taxativ aufgezählt sind, und daher die Erwägung des Obersten Gerichtshofes rücksichtlich der Revision, daß die Verletzung des Novenverbotes nicht mit Revision angefochten werden kann, weil es unter keinem der gesetzlichen Revisionsgrunde subsumiert werden kann, hier ausscheidet.
Es würde auch den Grundsätzen der Prozeßökonomie widersprechen, die Anfechtbarkeit eines Aufhebungsbeschlusses, der das Novenverbot verletzt, auszuschließen. Wenn das Berufungsgericht meritorisch, wenn auch unter Verletzung des Novenverbotes entschieden hat, so kann gewiß nicht gesagt werden, daß das Verfahren an einem Mangel leidet, der die grundliche Beurteilung der Sache hindert, weil die Beweisergebnisse nun einmal vorliegen und vom Berufungsgericht gewürdigt worden sind. Hier aufzuheben und das Berufungsgericht zu zwingen, nur aus formalrechtlichen Gründen eine offenbar sachlich unrichtige Entscheidung zu fällen, wäre ein überspitzter Formalismus, der dem Grundsatz widerstreitet, daß die Prozeßnormen die Richtigkeit der Entscheidung garantieren sollen, aber nicht dazu mißbraucht werden dürfen, sachlich richtige Entscheidungen aus der Welt zu schaffen.
Ganz anders ist aber die Sachlage dann, wenn die neue in den Prozeß im zweitinstanzlichen Verfahren eingeführte Tatsache noch gar nicht erhoben wurde, also noch nicht gesagt werden kann, daß sie tatsächlich für das Prozeßergebnis relevant ist. Hier kann nicht eingewendet werden, daß eine richtige Entscheidung aus formalrechtlichen Gründen beseitigt wird, weil die Frage der Richtigkeit der Entscheidung noch strittig ist und erst erhoben werden soll. In diesem Falle muß daher der Grundsatz unseres Prozeßrechtes durchgreifen, daß über neue Tatsachen in der zweiten Instanz keine Beweise zuzulassen sind. Der Oberste Gerichtshof ist deshalb nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, in solchen Fällen der Rüge des Novenverbotes stattzugeben.
Nichtsdestoweniger mußte im vorliegenden Fall der angefochtene Beschluß bestätigt werden, da die Aufhebung aus anderen Erwägungen begrundet ist.
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