OGH 10ObS20/00i

OGH10ObS20/00i22.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Heinrich Lahounik (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir Winfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Nikola B*****, vertreten durch Dr. Ferdinand Unterkircher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Juli 1999, GZ 7 Rs 202/99y-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2. Dezember 1998, GZ 11 Cgs 183/97z-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 1. 10. 1941 geborene Kläger, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 6. 1996) im Staatsgebiet des ehemaligen Jugoslawien 116 Beitragsmonate als selbständiger Erwerbstätiger (Maurer-Fassader) erworben. Der Kläger hat in Österreich im Zeitraum von Mai 1966 bis November 1974 insgesamt 62 Monate der Pflichtversicherung erworben. Im Zeitraum zwischen 1. 10. 1974 und 1. 7. 1981 liegen noch weitere im Staatsgebiet des ehemaligen Jugoslawien erworbene 88 Versicherungsmonate. Seit 20. 5. 1991 bezieht der Kläger in Jugoslawien eine Invaliditätspension.

Der Kläger war auf Grund der festgestellten Leidenszustände vom Zeitpunkt der Antragstellung (20. 5. 1996) bis zum 30. 6. 1997 in der Lage, leichte Arbeiten, nicht überwiegend im Gehen, in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen zu verrichten, wobei ständige Nässe und Kälte, exponierte Stellen und ständiger besonderer Zeitdruck auszuschließen waren. Eine Verständigung in der Umgangssprache war bis zu einer Entfernung von vier Meter möglich. Der Kläger war unterweisbar, die Fingerfertigkeit war außer für Feinarbeiten rechts erhalten. Für den Zeitraum zwischen 1. 7. 1997 und 31. 5. 1998 galt das gleiche Leistungskalkül mit der weiteren Einschränkung, dass ab diesem Zeitpunkt das Heben und Tragen von Lasten über drei Kilogramm ausgeschlossen war. Für den Zeitraum ab 1. 6. 1998 kommt zu diesem Kalkül noch die weitere Einschränkung hinzu, dass eine Tätigkeit, die eine ständige Überkopfarbeit mit dem rechten Arm erfordert, auszuschließen ist.

Der Kläger wäre im Zeitraum von der Antragstellung bis 30. 6. 1997 noch in der Lage gewesen, als Tischarbeiter in der Kartonagenerzeugung, Entgrater, Verpacker von Kleinmaterial und Anleimer tätig zu sein. Ab 1. 7. 1997 kann der Kläger in Anbetracht der Einschränkung der Hebe- oder Tragetätigkeit mit drei Kilogramm nicht mehr auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden, weil auch bei einfachen leichten Arbeiten, die im Sitzen oder Stehen verrichtet werden können, eine Hebe- oder Tragetätigkeit in diesem Ausmaß nicht auszuschließen ist. Der Kläger ist daher seit 1. 7. 1997 nicht in der Lage, einer Beschäftigung nachzugehen.

Gegen die Ablehnung seines Antrages vom 20. 5. 1996 auf Gewährung einer Invaliditätspension richtet sich die vorliegende Klage.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag keine unselbständige Tätigkeit ausgeübt habe, erübrige sich eine Überprüfung des Berufsschutzes, weil die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 6. 1996) liegenden Versicherungsmonate keine Beitragsmonate nach dem ASVG darstellten. Der Kläger hätte in der Zeit zwischen dem Stichtag und dem 30. 6. 1997 durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet werde, zumindest die Hälfte des Entgeltes verdienen können, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine Tätigkeit zu erzielen pflege. Ab dem Stichtag 1. 7. 1997 sei der Kläger zwar arbeitsunfähig, es mangle jedoch an der Erfüllung der Wartezeit, weil ab 1. 10. 1996 das ehemalige zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien geschlossene Abkommen über soziale Sicherheit nicht mehr in Kraft gestanden sei. Es seien daher ab diesem Stichtag die im ehemaligen Jugoslawien erworbenen Versicherungsmonate nicht mehr zur Erfüllung der Wartezeit heranzuziehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Die vom Kläger dagegen erhobene, unbeantwortet gebliebene Revision wegen Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unter dem Anfechtungsgrund nach § 503 Z 1 ZPO macht der Kläger eine angebliche Verletzung seines rechtlichen Gehörs (§ 477 Abs 1 Z 4 ZPO) durch das Erstgericht geltend und führt aus, er sei vom Erstgericht nicht über die Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf Verfahrenshilfe inklusive der Kosten für die Reise samt einer Begleitperson zur Verhandlung belehrt worden. Bei entsprechender Belehrung wäre der Kläger mit einer Begleitperson zu der Verhandlung vor dem Erstgericht angereist und er hätte dabei von den bestellten medizinischen Sachverständigen selbst untersucht werden können.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liegt dann vor, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde. Die Pflicht des Gerichtes zur Gewährung des rechtlichen Gehörs besteht in der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Zustellung aller wesentlichen Schriftstücke des Gegners und der gerichtlichen Verfügungen und Entscheidungen, in der Ladung zur Tagsatzung und zur mündlichen Verhandlung und in der Anhörung bei der mündlichen Verhandlung (Fasching, ZPR2 Rz 700).

Im vorliegenden Fall wurde dem Kläger nicht durch einen ungesetzlichen Vorgang die Möglichkeit entzogen, vor Gericht zu verhandeln. Der Kläger erhielt die Einwendungen der beklagten Partei zugestellt. Die Aufnahme der Anamnesen und Befunde erfolgte durch Vertrauensärzte der österreichischen Botschaft in Belgrad, wobei der Kläger alle für die Beurteilung seines körperlichen und geistigen Zustandes erforderlichen Angaben vorbringen konnte. Die von den bestellten Sachverständigen erstellten Gutachten sowie die Ladung zu der für den 2. 12. 1998 anberaumten Tagsatzung wurden dem Kläger zugestellt. Der Kläger hat in seiner schriftlichen Eingabe (ON 21a) zu diesen Gutachten Stellung genommen und gleichzeitig bekannt gegeben, dass er aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht zur mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht kommen könne. Dieses Schreiben des Klägers wurde zu Beginn der Verhandlung vom 2. 12. 1998 verlesen. Der Kläger ist damit nicht durch einen ungesetzlichen Vorgang des Erstgerichtes an der Möglichkeit, persönlich vor Gericht zu verhandeln, verhindert gewesen. Die mit dem Revisionsgrund der Nichtigkeit gerügte Verletzung der Anleitungspflicht könnte einen Verfahrensmangel darstellen, allenfalls auch eine unrichtige rechtliche Beurteilung (Kuderna, ASGG2 Anm 5 zu § 39), aber keine Nichtigkeit. Die geltend gemachte Nichtigkeit liegt daher nicht vor.

Der weiters geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) ist ebenfalls nicht gegeben; diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner Begründung. Soweit der Kläger einen Mangel des Verfahrens erster Instanz in der Unterlassung seiner Belehrung und Anleitung über die Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf Verfahrenshilfe inklusive der Kosten für die Reise samt einer Begleitperson zur Verhandlung sowie zur Bekanntgabe, ob er im Zuge seiner festgestellten selbständigen Tätigkeit als Maurer und Fasssader nicht doch als unselbständiger Angestellter bzw als Hilfskraft tätig gewesen sei, erblickt, ist ihm zu entgegnen, dass Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die in der Berufung entweder nicht geltend gemacht wurden oder trotz Geltendmachung vom Berufungsgericht verneint wurden, nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates auch in einer Sozialrechtssache in der Revision nicht mit Erfolg geltend gemacht werden können (SSV-NF 9/40; 7/74; 1/68 uva; Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 3 zu § 503 mwN). Die vom Kläger bekämpfte Rechtsansicht des Berufungsgerichtes über die sich aus der Kündigung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit ergebenden Rechtsfolgen betrifft den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Soweit der Kläger schließlich noch geltend macht, es bestehe ein eklatanter Widerspruch zwischen den Ergebnissen der eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten und den diesen Gutachten zugrunde liegenden ärztlichen Befundcn der Klinik und des Krankenhauses in Belgrad, betrifft dieses Vorbringen ausschließlich Fragen der Beweiswürdigung. So gehört insbesondere die Frage, ob ein gerichtliches Sachverständigengutachten die getroffenen Feststellungen rechtfertigt, ebenso wie jene, ob ein Gutachten erschöpfend ist, in das Gebiet irrevisiblen Beweiswürdigung (SSV-NF 3/160 ua).

Auch die Ausführungen zum Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sind nicht berechtigt. Zutreffend haben die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass für die Prüfung eines Pensionsanspruches wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, was die Frage des Berufsschutzes im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG betrifft, nur die im Rahmen der unselbständigen Erwerbstätigkeit nach dem ASVG erworbenen Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind (SSV-NF 9/10 ua). Da der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag keine unselbständige Tätigkeit ausgeübt hat, kommt ein Berufsschutz im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG nicht in Betracht. Es wird auch in der Revision nicht in Zweifel gezogen, dass der somit gemäß § 255 Abs 3 ASVG auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Kläger im Zeitraum bis 30. 6. 1997 noch die vom Erstgericht angeführten Verweisungstätigkeiten zu verrichten imstande war.

Nach den Feststellungen war der Kläger infolge Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ab 1. 7. 1997 nicht mehr imstande, durch eine auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewertete Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (§ 255 Abs 3 ASVG). Durch diese Änderung des Gesundheitszustandes wurde ein neuer Stichtag im Sinn des § 223 Abs 2 ASVG ausgelöst (SSV-NF 7/92; 3/134 ua). Zutreffend haben jedoch bereits die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass der Kläger zum Stichtag 1. 7. 1997 die Wartezeit für die begehrte Invaliditätspension nicht erfüllt. Es wurde das nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien vorerst weiter angewendete Abkommen über soziale Sicherheit vom 19. November 1965 in der Fassung des Zusatzabkommens vom 19. März 1979 und des zweiten Zusatzabkommens vom 11. Mai 1988 gemäß seinem Art 48 zum 30. September 1996 gekündigt (BGBl 1996/345). Dies hatte zur Folge, dass das Abkommen durch Kündigung seitens der Republik Österreich außer Kraft getreten ist und im Verhältnis zur Bundesrepublik Jugoslawien seit 1. 10. 1996 im Bereich der sozialen Sicherheit keine bilateralen Beziehungen mehr bestehen. Ein neues Abkommen über soziale Sicherheit mit der Bundesrepublik Jugoslawien wurde bisher noch nicht ratifiziert. Die Frage, ob und in welcher Fassung ein Sozialversicherungsabkommen auf einen konkreten Fall Anwendung zu finden hat, ist ausgehend von der Rechtslage am Stichtag zu prüfen (SSV-NF 7/46 ua; RIS-Justiz RS0076166). Da der für einen Leistungsanspruch des Klägers frühestmöglich in Betracht kommende Stichtag (1. 7. 1997) bereits nach dem Außerkrafttreten des AbkSozSi-Jugoslawien liegt, kann sich der Kläger zur Erfüllung der Wartezeit nicht mit Erfolg auf die Bestimmungen dieses Abkommes berufen (vgl 10 ObS 20/99k; 10 ObS 302/98d).

Soweit der Kläger demgegenüber von einer Weitergeltung des Abkommens nach seinem Außerkrafttreten mit 30. 9. 1996 durch "Lückenschließung" im Wege der Analogie usw ausgeht, ist ihm entgegenzuhalten, dass die von ihm angestrebte Zusammenrechnung der von ihm in Österreich und in Jugoslawien erworbenen Versicherungszeiten eine entsprechende positiv-rechtliche Regelung zur Voraussetzung hat. Eine solche Regelung fehlt derzeit jedoch im Verhältnis zur Bundesrepublik Jugoslawien. Bei den mit der Bundesrepublik Jugoslawien geführten Regierungsverhandlungen wurde aber Einvernehmen darüber erzielt, dass - mit Ausnahme der Familienbeihilfe - durch den umgehenden Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens ein lückenloser sozialversicherungsrechtlicher Schutz der Versicherten zu gewährleisten ist. Es wird daher durch eine positiv-rechtliche Norm in einem neuen Abkommen sicherzustellen sein, dass dieses Abkommen rückwirkend ab 1. Oktober 1996 in Kraft tritt (vgl Linka, Kündigung einiger Abkommen über soziale Sicherheit durch die Republik Österreich in SozSi 1996, 763; BMAS 24.930/3-4/97 vom 4. 3. 1997 in ARD 4825/9/97; SozSi 1999, 635 f). Zur Sicherstellung dieser rückwirkenden Anwendung wurde allen in Betracht kommenden Versicherungsträgern die praktische Anwendung des bisherigen Abkommens (ohne den Bereich der Familienbeihilfe) empfohlen (vgl Linka/Siedl, Österreich-Mazedonisches Abkommen über soziale Sicherheit, SozSi 1998, 430 ff [431]). Offenbar in diesem Sinne ist auch die von der beklagten Partei in der Berufungsbeantwortung erklärte Bereitschaft zur Überprüfung der Möglichkeit der Zahlung einer vorläufigen Leistung an den Kläger ab 1. 7. 1997 zu verstehen.

Auf Grund der dargelegten Erwägungen musste die Revision ausgehend von der derzeit bestehenden Rechtslage erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit liegen nicht vor und wurden auch nicht dargetan.

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