European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00186.21G.0420.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Tochter der Klägerin wurde am 15. 11. 2015 geboren. Die Klägerin ist Geschäftsführerin einer Steuerberatungs GmbH und hielt im Jahr 2015 26 % der Gesellschaftsanteile. Sie arbeitete bis Oktober 2015 in Vollzeit und bezog von Jänner bis Oktober Geschäftsführerbezüge von 4.900 EUR brutto monatlich. Ab November 2015 arbeitete die Klägerin nur wenig und bezog im November und Dezember 2015 Geschäftsführerbezüge von lediglich 500 EUR netto monatlich. Aus der Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnung der Klägerin für Dezember 2015 ergibt sich ein Geschäftsführerbezug von 500 EUR, wovon 6 % Betriebsausgabenpauschale in der Höhe von 30 EUR, ein Krankenversicherungsbeitrag von 204,55 EUR und ein Grundfreibetrag von 34,51 EUR abzuziehen sind, sodass sich ein Einnahmenüberschuss von 230,94 EUR ergibt. Die Klägerin schloss dazu eine Vereinbarung „innerhalb der Gesellschaft“. Sie legte die Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnung für den relevanten Zeitraum Dezember 2015 der Beklagten aufgrund deren Schreibens vom 3. 12. 2019 mit E‑Mail vom 6. 12. 2019 vor. Aus dem Einkommensteuerbescheid der Klägerin für das Jahr 2015 ergibt sich, dass die Klägerin in diesem Jahr 28.218,20 EUR an Einkünften aus selbständiger Arbeit bezog.
[2] Mit Bescheid vom 3. 3. 2020 widerrief die beklagte Österreichische Gesundheitskasse die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgelds als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von 15. 11. 2015 bis 31. 12. 2015 in Höhe der Überschreitung der Zuverdienstgrenze und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz von 648,60 EUR.
[3] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Anspruch der Beklagten auf Rückersatz des im Zeitraum von 15. 11. 2015 bis 31. 12. 2015 bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 648,60 EUR nicht zu Recht bestehe.
[4] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Klägerin im Jahr 2015 Einkünfte in Höhe von 36.683,66 EUR erzielt habe. Eine Änderung der Gewinnverteilung im Jahr 2015 respektive ein Verzicht der Klägerin auf ihre Geschäftsführerbezüge seien dem Finanzamt nicht bekanntgegeben worden und könnten daher von der Beklagten nicht anerkannt werden. Der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte sei anhand der vom Bundesrechenzentrum übermittelten Daten zu berechnen.
[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Klägerin sei die Anspruchsabgrenzung für den Anspruchszeitraum Dezember 2015 durch Vorlage einer Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnung in einer den steuerlichen Bestimmungen entsprechenden Form gelungen. Eine allfällige Änderung der Gewinnverteilung sei nicht von Belang, weil Gewinnanteile und sonstige Bezüge aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 27 EStG und daher nicht zu berücksichtigen seien. Da der Klägerin der Nachweis ihrer Einkünfte gelungen sei, sei auch ein allfälliger – teilweiser – Verzicht auf Geschäftsführerbezüge nicht von Relevanz. Ausgehend von den maßgeblichen Einkünften in Höhe von 230,94 EUR im Dezember 2015 sei die Zuverdienstgrenze bei Hochrechnung auf den Jahresbetrag und Erhöhung um den Zuschlag von 30 % nicht überschritten worden.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Eine Bindung der Gerichte an den rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid bestehe nur hinsichtlich der Höhe, nicht aber hinsichtlich der Beachtlichkeit der Einkünfte im Hinblick auf die Zuverdienstgrenze. Diese Frage müssten die Gerichte selbst klären. Die Abgrenzung ihrer Einkünfte während des Anspruchszeitraums im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG sei der Klägerin im vorliegenden Fall durch Vorlage einer Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnung gelungen. Dass allfällige steuerrechtliche Vorgaben von der Klägerin nicht eingehalten worden seien, sei nicht relevant: Maßgeblich sei, dass der Nachweis den steuerrechtlichen Bestimmungen entsprechen müsse, und dies sei hier der Fall. Den Bestimmungen des KBGG lasse sich nicht entnehmen, dass die Reduktion des Geschäftsführerbezugs vorweg dem Finanzamt bekanntgegeben werden müsse.
Rechtliche Beurteilung
[7] In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[8] 1. Die Revisionswerberin macht geltend, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, wann und unter welchen Bedingungen ein Abgrenzungsnachweis den steuerrechtlichen Bestimmungen und damit den Anforderungen des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG entspreche. Der Nachweis der Abgrenzung der Einkünfte habe den steuerrechtlichen Bestimmungen zu entsprechen, sodass dafür eine Zwischenbilanz bzw eine Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnung vorzulegen sei, die auch den steuerrechtlichen Vorgaben des EStG und der diesbezüglichen Rechtsprechung entsprechen müsse. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts widerspreche der Rechtsprechung des VwGH, wonach gesellschaftsinterne Vereinbarungen ausreichend nach außen zum Ausdruck kommen und einem Fremdvergleich standhalten müssten. Werde die Vereinbarung dem Finanzamt mitgeteilt, sei die Publizitätswirkung erfüllt. Werde ein Rechtsgeschäft nicht im Vorhinein publik gemacht, gelte es als rückwirkendes Rechtsgeschäft und sei steuerlich unwirksam. Die Kriterien für die Anerkennung derartiger Rechtsgeschäfte habe der VwGH aus dem Grund entwickelt, dass es sich dabei oftmals um Vereinbarungen zwischen nahen Angehörigen handle. Hier sei die erforderliche Publikmachung der Vereinbarung gegenüber dem Finanzamt nicht erfolgt. Die nachträgliche, erst im Jahr 2019 von der Klägerin bekanntgegebene Vereinbarung habe als rückwirkendes Rechtsgeschäft unberücksichtigt zu bleiben.
[9] 2.1 Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt dann keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor, wenn das Gesetz selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Das ist hier in Bezug auf § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 und 4 KBGG idF BGBl I 2011/139 (§ 50 Abs 2 KBGG) der Fall. Diese Bestimmungen lauten: „Wird bis zum Ablauf des zweiten auf das betreffende Kalenderjahr folgenden Kalenderjahres dem Krankenversicherungsträger nachgewiesen, in welchem Ausmaß Einkünfte vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraumes (Z 1) angefallen sind, sind nur jene Einkünfte zu berücksichtigen, die während des Anspruchszeitraumes angefallen sind. Im Falle eines derartigen Nachweises, der den steuerrechtlichen Bestimmungen zu entsprechen hat, sind die während des Anspruchszeitraumes angefallenen Einkünfte auf einen Jahresbetrag umzurechnen.“
[10] 2.2 In den Gesetzesmaterialien heißt es dazu auszugsweise (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 4 f): „Derzeit grenzen manche selbständig tätige Eltern ihre Einkünfte – trotz Aufforderung – nicht ab, sodass der Krankenversicherungsträger schließlich die Zuverdienstberechnung anhand der Jahreseinkünfte vornehmen und bei Überschreitung einen Rückforderungsbescheid erlassen muss. Gegen diesen Bescheid wird dann von den Eltern Klage erhoben. Im Gerichtsverfahren werden schließlich doch die Einkünfte mittels Nachweisen (Zwischen‑Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnungen oder Zwischenbilanzen, die den steuerrechtlichen Vorschriften entsprechen müssen und daher von der Finanzbehörde im Rahmen der Betriebsprüfungen mitgeprüft werden) abgegrenzt.“
[11] 2.3 Im vorliegenden Fall gelangt darüber hinaus § 50 Abs 24 KBGG zur Anwendung. Diese Bestimmung lautet auszugsweise: „Für Geburten von 1. Jänner 2012 bis 28. Februar 2017 kann der Nachweis der Abgrenzung der Einkünfte nach § 8 Abs. 1 Z 2 des Elternteils, der das pauschale Kinderbetreuungsgeld, das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens und die Beihilfe zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld bezogen hat, bis zum 31. Dezember 2025 erbracht werden. …“ Diese Bestimmung richtet sich an die im Verwaltungsverfahren tätig werdenden Krankenversicherungsträger. Sie hindert selbständig erwerbstätige Kinderbetreuungsgeldbezieher nicht, den Zuordnungsnachweis im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG auch noch im gerichtlichen Verfahren zu erbringen (10 ObS 119/21d).
[12] 3.1 Die Beklagte geht in ihrem Rechtsmittel selbst davon aus, dass eine Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnung, wie sie die Klägerin unstrittig fristgerecht vorgelegt hat, grundsätzlich ein den steuerrechtlichen Bestimmungen entsprechender Zuordnungsnachweis im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG ist. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch zur Rechtslage vor der Novelle BGBl I 2011/139 (10 ObS 4/19i).
[13] 3.2 Mit ihren weiteren Argumenten spricht die Beklagte ausschließlich steuerrechtliche Aspekte an. Abgesehen davon, dass dem Obersten Gerichtshof in steuerrechtlichen Fragen keine Leitfunktion zukommt (RS0116438 [T13]), geht es im vorliegenden Verfahren nicht um die steuerrechtliche Beurteilung der von der Klägerin getroffenen Vereinbarungen. Zwar setzen die Erläuterungen erkennbar voraus, dass eine Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnung oder eine Zwischenbilanz von den Finanzbehörden im Rahmen der Betriebsprüfung „mitgeprüft“ werden. Eine solche Voraussetzung für den Zuordnungsnachweis enthält jedoch, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, das KBGG nicht. Mit ihrem zentralen Argument, ein rückwirkendes Geschäft sei ungeachtet seiner zivil‑ oder unternehmensrechtlichen Zulässigkeit für den Bereich des Steuerrechts in der Regel nicht anzuerkennen (vgl nur VwGH Ra 2019/13/008 ua), zeigt die Revisionswerberin daher keine die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens betreffende Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[14] 3.3 Der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Überprüfung der Richtigkeit des bekämpften Bescheids beschränkt. Es hat vielmehr selbständig und unabhängig vom Verfahren vor dem Versicherungsträger auf Basis der Sach‑ und Rechtslage zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz den durch die Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch zu überprüfen (RS0085839; RS0106394). Gegenstand dieses Verfahrens ist die Beurteilung der Frage, ob der von der Beklagten geltend gemachte Rückforderungsanspruch wegen Überschreitens der Zuverdienstgrenze zu Recht besteht. Aus den von der Revisionswerberin nicht bekämpften Feststellungen ergibt sich, dass die von der Klägerin im maßgeblichen Monat Dezember 2015 erzielten Einkünfte die (damals maßgebliche) Zuverdienstgrenze des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG nicht überschritten haben. Eine inhaltlich unrichtige Beurteilung dieser Rechtsfrage zeigt die Revision nicht auf.
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