OGH 10ObS147/94

OGH10ObS147/9428.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Prohaska (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alois W*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.Albert M. Sauer-Nordendorf, Rechtsanwalt in Pöllau, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Jänner 1994, GZ 7 Rs 95/93-36, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23.Juli 1993, GZ 30 Cgs 238/92-30, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Hinsichtlich des ersten Rechtsganges wird auf die Begründung des Beschlusses des Revisionsgerichtes vom 15.9.1992, 10 Ob S 222/92-21 verwiesen, mit dem die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben wurden und die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde. Der Oberste Gerichtshof führte damals ua aus, der Kläger habe den Anschein für sich, daß die geltend gemachte Körperschädigung (Riß der langen Bizepssehne rechts) durch einen Arbeitsunfall wesentlich mitverursacht worden sei. Sie gehe nämlich auf ein als Unfall zu wertendes Ereignis zurück, das sich während der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet habe. Auf Grund des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts lasse sich jedoch nicht verläßlich beurteilen, ob es zumindest gleich wahrscheinlich sei, daß die - nicht näher festgestellten - degenerativen Veränderungen der Bizepssehne die wesentliche Ursache der Körperbeschädigung gewesen seien. Hiebei komme es nämlich nicht darauf an, ob wegen dieser degenerativen Veränderungen jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis dieselbe Schädigung hätte herbeiführen können, sondern darauf, ob es zumindest gleich wahrscheinlich sei, daß ein solches Ereignis in naher Zukunft tatsächlich vorgekommen wäre und dieselbe Schädigung ausgelöst hätte. Ein Unfall sei jedenfalls dann eine wesentliche Bedingung für einen Körperschaden, wenn dieser mehr als ein Jahr früher als ohne dieses Ereignis eintrete. Zur Widerlegung des vom Kläger erbrachten Anscheinsbeweises genüge nicht der Beweis einer abstrakten Möglichkeit. Es müsse vielmehr die konkrete, zumindest gleich hohe Wahrscheinlichkeit bewiesen werden. Daher seien Feststellungen darüber erforderlich, welche konkreten anderen Ereignisse dieselbe Schädigung ausgelöst hätten. Nur dann könne beurteilt werden, ob derartige Ereignisse in naher Zukunft tatsächlich eingetreten wären, wobei eine hohe Wahrscheinlichkeit genügen würde. Für die Annahme, der Riß der langen Bizepssehne rechts wäre auf Grund der altersmäßigen Abnützungserscheinungen und Degeneration aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb kurzer Zeit in ähnlicher Schwere entstanden und sei nur auf das degenerative innere Geschehen zurückzuführen, jedes ähnliche äußere Ereignis hätte den gleichen Schaden herbeigeführt, fehlten ausreichende Feststellungen, ua auch über den Zustand der langen Bizepssehne rechts vor dem Unfall vom 16.8.1989 und über den genauen Ablauf des Unfallsgeschehens.

Auch im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das auf "Leistungen aus dem Unfallereignis vom 16.8.1989 nach dem Gesetze" gerichtete Klagebegehren ab.

Es traf im wesentlichen folgende Tatsachenfeststellungen:

Der (am 1.8.1935 geborene) Kläger arbeitete am 16.8.1989 im Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung bei einem Dienstgeber an der Errichtung eines Hauses. Er bearbeitete mit einem Helfer mehrere etwa 8,5 m lange und 70 bis 80 kg schwere Dachsparren mit einem Querschnitt von 10 x 16 cm, die auf zwei Blöcke aufgelegt waren. Als der Kläger die Sparren an der einen Seite anriß, um sie später absägen zu können, rutschte ein Sparren zur Seite hinunter. Der Kläger fing ihn mit dem mehr oder weniger gestreckten (rechten) Arm auf, wodurch es zur Verletzung kam. Der erstbehandelnde Arzt vermutete einen Muskel- oder Sehnenriß und überwies den Kläger ins Krankenhaus, wo ein Riß der langen Bizepssehne am rechten Oberarm festgestellt wurde. Die medizinische Lehrmeinung gehe dahin, daß die lange Bizepssehne, wenn sie gesund ist, nicht reißt. Daher lag zum Unfallszeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine hochgradige degenerative Veränderung der Bizepssehne vor. Wie groß diese Veränderung vor dem Unfall war, kann nicht gesagt werden. Auch die Röntgenbefunde vom 23.9.1991 zeigen deutlich degenerative Veränderungen im Bereich des rechten Schultergelenks. Solche degenerative Veränderungen treten nicht in einem kurzen Zeitraum auf, sondern entwickeln sich im Laufe von Jahren. Sie müssen keine klinische Beschwerdesymptomatik verursachen und werden daher vorher oft nicht festgestellt. Eine hochgradig degenerativ veränderte Bizepssehne kann oft auf Grund eines Bagatelltraumas reißen. Es läßt sich weder mit an Sicherheit grenzender noch mit Wahrscheinlichkeit sagen, daß es beim Kläger auch ohne (den) Unfall (vom 16.8.1989), bei dem es sich nicht um ein Bagatelltrauma handelte, innerhalb eines Jahres zum Riß der hochgradig degenerativ veränderten Bizepssehne gekommen wäre. Es ist aber hochwahrscheinlich, daß es auch durch ein Bagatelltrauma, zB beim Anheben einer gefüllten Schüssel vom Tisch mit mehr oder weniger gestrecktem Arm oder beim Anheben eines mit Wasser gefüllten Kübels, zum Riß der Bizepssehne gekommen wäre, möglicherweise aber erst nach einigen Jahren.

Da die Hauptursache des Risses der Bizepssehne deren degenerative Veränderungen gewesen seien, nicht aber das Trauma am 16.8.1989, sei letzteres nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes für die Folgen des Unfalls nicht kausal.

Das Berufungsgericht gab der ua wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf, trug dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung auf und sprach dabei aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Da nicht bewiesen sei, daß es ohne die völlig außergewöhnliche und extrem hohe Belastung des Muskels und der Sehne am 16.8.1989 mit zumindest gleich hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres zum Riß der degenerierten langen rechten Bizepssehne gekommen wäre, sei das Ereignis vom 16.8.1989 nach der im Aufhebungsbeschluß des Revisionsgerichtes vom 15.9.1992, 10 Ob S 222/92-21 ausgesprochenen bindenden Rechtsansicht als eine wesentliche Bedingung für diese Körperschädigung und als Arbeitsunfall anzusehen. Da erheblich scheinende Tatsachen, nämlich das Ausmaß der durch die Folgen des Arbeitsunfalls herbeigeführten Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers, nicht geklärt worden seien, sei die Sache nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Gegen den Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO iVm § 45 Abs 4 ASGG zulässige Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Der Kläger beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin verkennt, daß das Erstgericht, an das die Sache zurückverwiesen wurde, und das Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang mangels Feststellung eines geänderten Sachverhaltes (Fasching, Komm IV 226 Anm 5 und 367 Anm 1; ders, ZPR2 Rz 1821 mwN) nach dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 511 Abs 1 ZPO bei der weiteren Behandlung und Entscheidung des Rechtsfalles an die rechtliche Beurteilung gebunden waren, welche das Revisionsgericht seinem aufhebenden Beschluß vom 15.9.1992, 10 Ob S 222/92-21 zu Grunde gelegt hat. Auch der Oberste Gerichtshof selbst ist an seine im Aufhebungsbeschluß ausgesprochene Rechtsansicht gebunden, soweit sich nicht der zu beurteilende Sachverhalt geändert hat und die diesbezüglichen Feststellungen im fortgesetzten Verfahren ausdrücklich getroffen worden sind, oder sich die Rechtslage geändert hat (Fasching, Komm IV 227 Anm 7 und 367 Anm 2 mwN; ders, ZPR2 Rz 1599; SZ 50/97; 8.2.1994, 10 Ob S 14/94).

Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt entspricht dem der rechtlichen Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof bereits unterstellten Beweisergebnis. Er wurde vom Berufungsgericht iS der dem Aufhebungsbeschluß vom 15.9.1992, 10 Ob S 222/92-21 zu Grunde gelegten, bindenden Rechtsansicht des Revisionsgerichtes beurteilt. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist daher richtig (§ 48 ASGG).

Nur nebenbei sei bemerkt, daß die überbundene Rechtsansicht - entgegen der Meinung der Rekurswerberin - nach wie vor der stRsp des erkennenden Senates entspricht (zB SSV-NF 7/10, aber auch die im Rekurs zit E 22.3.1994, 10 Ob S 50/94).

Soweit die Rechtsrüge nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen ausgeht, nach denen sich weder mit an Sicherheit grenzender noch überhaupt mit Wahrscheinlichkeit sagen läßt, daß es innerhalb eines Jahres nach dem Unfall durch ein Bagatelltrauma zu einem Riß der degenerierten langen Bizepssehne gekommen wäre, ist sie nicht gesetzgemäß ausgeführt.

Der angefochtene Aufhebungsbeschluß ist daher zu bestätigen.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte