OGH 10ObS14/94

OGH10ObS14/948.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar A. Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Erich Reichelt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Gerda S*****, Hausfrau, ***** gesetzlich vertreten durch ihren Sachwalter Dr. Leo Kaltenbäck, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef Pongratz-Platz 1, vertreten durch Dr. Helmut Destaller, Dr. Gerald Mader und Dr. Walter Niederbichler, Rechtsanwälte in Graz, wegen Gewährung der Anstaltspflege infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. September 1993, GZ 8 Rs 38/93-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27. Jänner 1993, GZ 32 Cgs 218/92-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 15. Oktober 1990 lehnte die Beklagte den Antrag des Sachwalters der Klägerin auf Übernahme der Pflegegebühren im Landes-Sonderkrankenhaus Graz ab 1. September 1989 mit der Begründung ab, daß es sich seither nicht mehr um einen Behandlungs-, sondern um einen Asylierungsfall handle, weshalb iS des § 144 Abs 3 ASVG vom Chefarzt die Asylierung verfügt worden sei.

Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten nach Einschränkung die Übernahme der Kosten der Pflegegebühren für die Zeit vom 1. September 1989 bis 23. Mai 1990, weil kein Asylierungsfall vorliege.

Die Beklagte beantragte festzustellen, daß sie nicht verpflichtet sei, die Kosten der Anstaltspflege der Klägerin über den 31. August 1989 hinaus zu tragen, weil seit 1. September 1989 eine Asylierung iS des § 144 Abs 3 ASVG vorgelegen sei.

Das Erstgericht wies die Klage im ersten Rechtsgang ab. Bei der Klägerin liege eine Defektschizophrenie vor. Eine tatsächliche Heilbarkeit sei nicht möglich; die Behandlung müsse sich auf die Symptome beschränken. Seit 1. September 1989 sei die Behandlung nicht mehr medizinisch notwendig gewesen. Die Klägerin sei seither von akut produktiv psychotischen Symptomen frei gewesen und hätte entlassen werden können. Die Entlassung sei jedoch aus hygienischen Gründen und wegen der Nichteinhaltung der Zuckerdiät nicht vorgenommen worden, zumal die diesbezügliche Versorgung in der Außenwelt gefehlt habe. Es sei der Ersatz der fehlenden häuslichen Pflege und Obsorge vor einer notwendigen Behandlung in den Vordergrund getreten. Deshalb liege seit 1. September 1989 ein Asylierungsfall iS des § 144 Abs 3 ASVG vor.

Das Berufungsgericht gab im ersten Rechtsgang der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, mangelhafter und unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen als vollständig und richtig und teilte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Seit 1. September 1989 sei der Anstaltsaufenthalt nur an die Stelle der fehlenden häuslichen Obsorge und Pflege getreten. Eine gelegentliche Medikamentenverabreichung während des stationären Aufenthaltes könne die Gewährung der Anstaltspflege iS des § 144 Abs 3 ASVG nicht rechtfertigen.

Mit Beschluß vom 15. September 1992, 10 ObS 49/92 gab der Oberste Gerichtshof der Revision der Klägerin Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Er verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit, erachtete aber die Rechtsrüge im Ergebnis als berechtigt. Das Revisionsgericht billigte zwar die Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß die Unterbringung der Klägerin im Sonder-Landeskrankenhaus Graz während der Zeit vom 1. September 1989 bis zur Entlassung am 23. Mai 1990 als Asylierung iS des § 144 Abs 3 ASVG anzusehen sei. Daraus folge, daß die Anstaltspflege insoweit nicht mehr auf Kosten der Beklagten zu gewähren war. Der erkennende Senat führte jedoch unter Bezugnahme u. a. auf seine zu SSV-NF 5/134 veröffentliche Entscheidung (zust. Flemmich in DRdA 1992, 392 f) aus: Der Krankenversicherungsträger ist unabhängig davon, ob der Anspruch auf Gewährung der Anstaltspflege schon nach § 100 Abs 1 lit a iVm § 144 Abs 3 ASVG erloschen ist, weil die Anstaltspflege nicht mehr durch die Notwendigkeit der ärztlichen Behandlung bedingt ist, verpflichtet, die Pflegegebühren zu entrichten, wenn die Voraussetzungen für die Rückforderung bereits entstandener Aufwendungen iS des § 107 ASVG nicht gegeben wären. Von den im Abs 1 dieser Gesetzesstelle festgelegten Voraussetzungen würde am ehesten in Betracht kommen, daß der Leistungsempfänger oder sein gesetzlicher Vertreter - im vorliegenden Fall der jeweilige Sachwalter der Klägerin, deren Vertretungsumfang noch festzustellen wäre -, erkennen mußte, daß die Anstaltspflege nicht (mehr) gebührt. Das werde jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Fall sein, in dem der Versicherungsträger die Weitergewährung der Anstaltspflege ablehne, wobei nicht ein Bescheid erforderlich sei, sondern auch eine andere eindeutige Form der Mitteilung genüge. Bei einer laufenden Leistung müsse es genügen, wenn der Leistungsempfänger oder sein gesetzlicher Vertreter die Möglichkeit ernstlich in Betracht ziehen mußte, daß die Leistung zu Unrecht gewährt wird. Dies sei der Fall, wenn ihm in eindeutiger Form mitgeteilt werde, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Anstaltspflege nicht mehr vorliegen, und zwar auch dann, wenn ihm abweichende ärztliche Meinungen bekannt seien. Das Recht des Versicherungsträgers auf Rückforderung nach § 107 Abs 1 ASVG würde nach Abs 2 lit a leg cit allerdings nicht bestehen, wenn er zum Zeitpunkt, in dem er erkennen mußte, daß die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist unterlassen hätte. Da diese Rechtsansichten von den Vorinstanzen und den Parteien noch nicht erörtert worden waren, die damit nicht überrascht werden und Gelegenheit zu einem der dargestellten Rechtslage entsprechenden Vorbringen und zu allenfalls erforderlichen Beweisanträgen haben sollten, wurden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und wurde die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im fortgesetzten Verfahren brachte die Beklagte vor, dem damaligen Sachwalter der Klägerin sei mit Schreiben vom 21. November 1989 durch das Landes-Sonderkrankenhaus Graz der Ausspruch der Asylierung mitgeteilt worden, legte eine Photokopie dieses Schreibens vor und beantragte die Beischaffung des Handaktes des damaligen Sachwalters, des Sachwalterschaftsaktes bzw. des Verlassenschaftsaktes nach dem ehemaligen Sachwalter. Da der Sachwalter der Klägerin das ergänzende Vorbringen der Beklagten bestritt, beschloß das Erstgericht, über den Zeitpunkt des Zugehens der Asylierungsmitteilung die genannten Akten beizuschaffen, deren wesentlicher Inhalt dargetan wurden.

Im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht die Beklagte schuldig, die Kosten der Pflegegebühren der Klägerin für den Zeitraum vom 1. September bis 22. November 1989 zu übernehmen, und wies das auf Übernahme der Kosten der Pflegegebühren auch für den Zeitraum vom 23. November 1989 bis 23. Mai 1990 ab.

Hinsichtlich des Krankheitsverlaufes einschließlich der Notwendigkeit stationärer Aufenthalte im Landes-Sonderkrankenhaus Graz verwies das Erstgericht auf die Feststellungen und rechtlichen Ausführungen seines Urteils im ersten Rechtsgang. Weiters stellte es fest, daß der mit der Besorgung aller Angelegenheiten der behinderten Klägerin betraute damalige Sachwalter ein mit 21. November 1989 datiertes Schreiben der genannten Krankenanstalt erhielt. Darin wurde u.a. mitgeteilt, daß die Steiermärkische Gebietskrankenkasse eine weitere Kostenübernahme für die Klägerin ab 28. Juli 1989 wegen Vorliegens eines Asylierungsfalles abgelehnt habe, und um Überweisung von 22.528 S (80 % der Pension und des Hilflosenzuschusses) für die Monate August bis November 1989 ersucht. Der Sachwalter beantragte am 27. November 1989 beim (Sachwalterschafts)Gericht u.a., die Überweisung dieses Betrages zu genehmigen. Der Handakt des verstorbenen früheren Sachwalters enthält keine Aufzeichnungen darüber, zu welchem Zeitpunkt der Sachwalter über das Vorliegen eines Asylierungsfalles bei der Klägerin informiert wurde. Aus dem Datum des Schreibens des Landes-Sonderkrankenhauses, des üblichen eintägigen Postweges in Graz und dem Umstand, daß der mit dem Schreiben zusammenhängende Antrag des damaligen Sachwalters am 27. November 1989 beim Sachwalterschaftsgericht einlangte, schloß das Erstgericht, daß dem damaligen Sachwalter am 22. November 1989 das Vorliegen eines Asylierungsfalles bekannt wurde.

Unter Bedachtnahme an die im Aufhebungsbeschluß des Revisionsgerichtes überbundene Rechtsansicht erachtete das Erstgericht das Klagebegehren nur für den Zeitraum vom 1. September bis 22. November 1989 als berechtigt.

Gegen den abweisenden Teil des erstgerichtlichen Urteils erhob die Klägerin Berufung. Darin machte sie Mangelhaftigkeit des Verfahrens, mangelhafte und unrichtige Tatsachenfeststellung auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Diese Berufungsgründe bezogen sich ausschließlich darauf, daß die Unterbringung der Rechtsmittelwerberin im Sonder-Landeskrankenhaus Graz ihrer Meinung nach auch im Zeitraum vom 1. September 1989 bis zur Entlassung am 23. Mai 1990 keine Asylierung gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteigt.

Die Berufungsgründe bezögen sich nur auf die vom Obersten Gerichtshof im ersten Rechtsgang abschließend beantwortete Asylierungsfrage, nicht aber auf die im zweiten Rechtsgang zu klärenden Fragen des Wirkungsbereiches des Sachwalters und des Zeitpunktes seiner Kenntnis vom Asylierungsfall.

In der sachwalterschaftsgerichtlich genehmigten Revision macht die Klägerin Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben oder iS einer völligen Klagestattgebung abzuändern.

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 2 und Z 3 ZPO) liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit).

Die Revision verkennt nicht nur, daß das Erstgericht, an das die Sache zurückverwiesen wurde, und das Berufungsgericht mangels Feststellung eines geänderten Sachwalters (Fasching, Komm IV 226 Anm 5 und 367 Anm 1; ders., ZPR**2 Rz 1821 mwN) nach dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 511 Abs 1 ZPO bei der weiteren Behandlung und Entscheidung des Rechtsfalles an die rechtliche Beurteilung gebunden waren, welche das Revisionsgericht seinem aufhebenden Beschlusse zu Grunde gelegt hat. Auch der Oberste Gerichtshof selbst ist an seine im Aufhebungsbeschluß ausgesprochene Rechtsansicht gebunden, soweit sich nicht der zu beurteilende Sachverhalt geändert hat und die diesbezüglichen Feststellungen im fortgesetzten Verfahren ausdrücklich getroffen worden sind, oder die Rechtslage sich geändert hat (Fasching, Komm IV 227 Anm 7 und 367 Anm 2 mwN; ders, ZPR**2 Rz 1599; SZ 50/97).

Wird das berufungs- und das erstgerichtliche Urteil - wie im vorliegenden Rechtsstreit - wegen Feststellungsmängeln gemäß oder in sinngemäßer Anwendung des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO aufgehoben, so tritt das Verfahren zwar in der Regel in den Stand vor Schluß der Verhandlung erster Instanz zurück. Die Parteien können daher wieder grundsätzlich alle ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bis dahin zustehenden Befugnisse wahrnehmen, vor allem also neue Tatsachen vorbringen und neue Beweismittel anbieten. Sie können auch Behauptungen des Gegners, zu welchen sie sich bisher nicht geäußert hatten, bestreiten und nicht zuletzt auch das Begehren ergänzen oder ändern. Diese Befugnisse sind jedoch nach ständiger Rechtsprechung (SZ 55/164; RZ 1986/45 uva) beschränkt: Die Beantwortung jener Fragen, die vom Rechtsmittelgericht, das die Aufhebung verfügt hat, auf der Grundlage des gegebenen Sachverhaltes bereits abschließend entschieden wurden, kann auf Grund neuer Tatsachen nicht mehr in Zweifel gezogen werden.

Abschließend erledigte Streitpunkte können im fortgesetzten Verfahren daher nicht mehr aufgerollt werden (SZ 28/96; SZ 46/16; SZ 55/164; RZ 1986/45; MietSlg. 39.774; zuletzt 11. Mai 1993, 1 Ob 547, 548/93).

Dies gilt auch für die von der Klägerin in der Berufung, und zwar auch in deren Rechtsrüge, ausschließlich aufgeworfene Frage ihrer Asylierung im Zeitraum vom 1. September 1989 bis 23. Mai 1990, die vom erkennenden Senat im den ersten Rechtsgang abschließenden Aufhebungsbeschluß unmißverständlich im bejahenden Sinn unter Bindung aller Instanzen abschließend entschieden wurde.

Die im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der überbundenen Rechtsansicht vorgenommene rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht, der damalige Sachwalter der Klägerin habe seit der ihm am 22. November 1989 zugekommenen Mitteilung, daß der Versicherungsträger die Weitergewährung der Anstaltspflege wegen Annahme eines Asylierungsfalles ablehne, ernstlich in Betracht ziehen müssen, daß der Klägerin die Leistung der Anstaltspflege nicht mehr gebühre, wurde in der Berufung nicht bekämpft; sie kann daher auch in der Revision nicht mehr bekämpft werden.

Damit versagt auch die Rechtsrüge, die übrigens teilweise gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO) verstößt und teilweise nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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