European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130662
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst mit Urteil zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Entscheidungsgründe:
[1] Strittig im Verfahren ist die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten im Zeitraum von 1. 7. 2012 bis 31. 5. 2013 (11 Monate) für die Berechnung der Kontoerstgutschrift zum 1. 1. 2014. Für diesen Zeitraum stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt bereits durchgehend Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit (freier Dienstvertrag gemäß § 4 Abs 4 ASVG) fest (s dazu näher das Vorverfahren 10 ObS 159/17f). Davon ging die Beklagte auch bei der Berechnung der Kontoerstgutschrift aus. Nach dem Standpunkt der Klägerin seien jedoch diese Monate der Pflege eines Krisenpflegekindes für die Berechnung der Kontoerstgutschrift mit der erhöhten Bemessungsgrundlage von Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen.
[2] Die nach dem 31. 12. 1954 geborene Klägerin erwarb – beginnend ab Oktober 1982 – zum Stichtag 1. 1. 2014 gesamt 299 Versicherungsmonate. Diese umfassen 215 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aus einer Erwerbstätigkeit nach dem ASVG, 76 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aus einer Erwerbstätigkeit nach dem BSVG und acht Monate einer Ersatzzeit.
[3] Vom 18. 7. 2012 bis zum 8. 5. 2013 war bei der Klägerin ein am 21. 8. 2009 geborenes Kind als Krisenpflegekind untergebracht. Die Klägerin bezog in diesem Zeitraum gemäß § 28 des (damals geltenden) Steiermärkischen Jugendwohlfahrtsgesetzes LGBl 1990/93 (stmk JWG 1991) ein monatliches Pflegeelterngeld von 411 EUR (in den Monaten Juni und November gebührte die Leistung in doppelter Höhe).
[4] Am 18. 7. 2012 schloss die Klägerin mit dem Pflegeelternverein Steiermarkeinen als „Freier Dienstvertrag – Krisenunterbringung“ bezeichneten Vertrag (Blg ./E), der ua folgenden unstrittigen Inhalt hat:
„1. Der Pflegeelternverein Steiermark wurde mit Erlass vom 2. 7. 2008, GZ …, mit der 'Krisenunterbringung im Rahmen familienpädagogischer Pflegeplätze' (KUB) beauftragt.
Die gegenständliche Tätigkeitsvereinbarung (hier für den/die Minderjährige/n …) wird im Rahmen der Erfüllung dieses Angebotes für die Dauer der Krisenunterbringung abgeschlossen.
Das Vertragsverhältnis beginnt mit 18. 7. 2012 und endet mit Beendigung der Krisenunterbringung.
2. Der Tätigkeitsbereich der [Klägerin] umfasst dabei auf Grundlage des bewilligten Konzepts 'Krisenunterbringung im Rahmen familienpädagogischer Pflegeplätze' folgende Aufgaben:
Führung entsprechender Aufzeichungen (Dokumentation);
Teilnahme an Fallverlaufsbesprechungen zu vereinbarten Terminen;
erforderlichenfalls Unterstützung von Kontakten der untergebrachten Kinder zu den leiblichen Eltern bzw Unterstützung von erforderlichen therapeutischen Maßnahmen;
Qualitätssicherung durch Inanspruchnahme von Beratungsangeboten sowie durch regelmäßige Reflexion der Tätigkeit.
…
3. [Die Klägerin] hat die vorbezeichneten Aufgaben im wesentlichen persönlich zu erbringen. …
4. [Die Klägerin] erhält für diese Tätigkeit ein Entgelt in der Höhe von monatlich brutto 460 EUR. …
…“
[5] Seit 1. 8. 2006 hatte diese Tätigkeit eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung zur Folge.
[6] Mit Bescheid vom 31. 8. 2018 ermittelte die Beklagte die Kontoerstgutschrift der Klägerin zum 1. 1. 2014 mit 8.073,66 EUR.
[7] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. 9. 2019 gab die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 31. 8. 2018 nicht statt und sprach aus, dass zum 1. 1. 2014 die Kontoerstgutschrift 8.073,66 EUR betrage.
[8] Die Klägerin begehrt mit ihrer gegen den Widerspruchsbescheid erhobenen Klage die Neuberechnung der Kontoerstgutschrift unter Einbeziehung der Kindererziehungszeiten von 1. 7. 2012 bis 31. 5. 2013. Es sei nicht maßgeblich, dass sich diese Zeiten mit anderen Versicherungszeiten zeitlich decken. Die Klägerin habe das am 21. 8. 2009 geborene Krisenpflegekind innerhalb der ersten 48 Monate nach seiner Geburt in Pflege genommen, sodass im hier zu beurteilenden Zeitraum gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG eine Teilversicherungspflicht in der Pensionsversicherung bestehe. Das Kind sei sowohl ein Pflegekind im Sinn des § 227a Abs 2 Z 6 ASVG als auch im Sinn des § 21 stmk JWG 1991. In den mehr als neun Monaten der Pflege sei eine der echten Eltern‑Kind‑Beziehung nahekommende emotionale Bindung entstanden. Die Pflege sei unentgeltlich erfolgt. Pflegeelterngeld decke den Unterhalt des Kindes ab und sei kein Einkommen der Mutter. Mit dem Entgelt aus dem freien Dienstvertrag würde nur der sozialpädagogische Mehraufwand abgedeckt.
[9] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass ein Krisenpflegekind kein Pflegekind im Sinn des § 227a Abs 2 Z 6 ASVG sei, denn es sei von vornherein klar gewesen, dass das Kind entweder zurück zur leiblichen Mutter oder auf einen Dauerpflegeplatz kommen müsse. Es fehle daher an einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommenden Beziehung im Sinn des § 184 ABGB. Die Klägerin habe das Kind auch nicht unentgeltlich gepflegt. Zwar werde mit dem Pflegekindergeld der altersgemäße Betreuungsaufwand abgedeckt. Aus dem freien Dienstvertrag mit dem Pflegeverein habe die Klägerin jedoch ein Entgelt im Sinn der §§ 49, 91 ASVG bezogen, das auch eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung, der Unfallversicherung und der Pensionsversicherung begründet habe.
[10] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte den angefochtenen Bescheid wieder her. Es folgte der Rechtsansicht der Beklagten.
[11] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil über Berufung der Klägerin auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Ein Krisenpflegekind sei ein Pflegekind im Sinn des § 227a Abs 2 Z 6 ASVG. Die Pflegeelternschaft des ABGB könne nicht ohne weiteres auf sozialversicherungsrechtliche Angelegenheiten übertragen werden. Auch die Voraussetzung der Unentgeltlichkeit der Pflege sei erfüllt. Der zwischen dem Jugendwohlfahrtsträger und der Klägerin abgeschlossene Pflegevertrag sehe nur den Bezug von Pflegeelterngeld vor, schließe Unentgeltlichkeit daher nicht aus. Aus dem freien Dienstvertrag habe die Klägerin hingegen Entgelt – und nicht bloß einen Aufwandersatz – bezogen. Mit diesem Entgelt sei aber nur der von der Klägerin vertraglich zu erbringende sozialpädagogische Mehraufwand abgegolten worden, nicht die eigentliche Pflege und Erziehung des Kindes. Die Ergänzung des Verfahrens sei zur Klärung der Berechnung der Kontoerstgutschrift unter Berücksichtigung der Bemessungsgrundlage für die Kindererziehungszeiten im hier strittigen Zeitraum erforderlich. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zu den hier zu lösenden Rechtsfragen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
[12] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Pensionsversicherungsanstalt, mit dem sie die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts begehrt.
[13] Die Klägerin beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
[14] Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und berechtigt.
[15] Die Rekurswerberin hält auch im Rekurs an ihrem Standpunkt fest, dass der Begriff des Pflegekindes gemäß § 227a Abs 2 Z 6 ASVG nicht die bloß vorübergehende, kurzfristige Krisenpflege umfasse. Darüber hinaus habe die Klägerin Entgelt aus dem freien Dienstvertrag bezogen, sodass auch die weitere Voraussetzung der Unentgeltlichkeit der Pflege nicht vorliege.
[16] 1.1 Die Kontoerstgutschrift wird gemäß § 15 APG ermittelt.
[17] 1.2 Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass zur Ermittlung des Ausgangsbetrags (§ 15 Abs 2 APG) unter anderem auch Versicherungszeiten aufgrund einer Pflichtversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG wie die entsprechenden Ersatzzeiten nach § 227a ASVG unter Anwendung des § 243 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASVG in der am 31. 12. 2004 geltenden Fassung zu behandeln sind (§ 15 Abs 2 Z 3 APG). Auch für Zeiten der Kindererziehung ist die Bemessungsgrundlage nach § 15 Abs 2 Z 1 APG zu ermitteln, jedoch ist dafür gemäß § 15 Abs 2 Z 4 APG mindestens der um 22 % erhöhte und höchstens der um 70 % erhöhte Ausgleichszulagenrichtsatz heranzuziehen. Überschneiden sich Zeiten der Kindererziehung mit anderen Versicherungsmonaten, werden für diese sich überschneidenden Zeiten die Bemessungsgrundlage gemäß den §§ 238–241 ASVG und die Bemessungsgrundlage gemäß § 239 Abs 1 ASVG zusammengezählt (§ 239 Abs 3 ASVG).
[18] 1.3 Für die nach dem 31. 12. 1954 geborene Klägerin ist für die hier strittigen, nach dem 31. 12. 2004 liegenden Zeiten zur Beurteilung der Qualifikation als Kindererziehungszeiten § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG anzuwenden (Panhölzl in SV‑Komm [205. Lfg] § 227a ASVG Rz 23). Diese Bestimmung lautet:
„ Sonstige Teilversicherung
§ 8. (1) Nur in den nachstehend angeführten Versicherungen sind überdies auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (teilversichert):
…
2. in der Pensionsversicherung
…
g) Personen, die ihr Kind (§ 227a Abs. 2) in den ersten 48 Kalendermonaten nach der Geburt oder im Fall einer Mehrlingsgeburt ihre Kinder in den ersten 60 Kalendermonaten nach der Geburt tatsächlich und überwiegend im Sinne des § 227a Abs. 4 bis 6 im Inland erziehen, wenn sie zuletzt nach diesem Bundesgesetz pensionsversichert oder noch nicht pensionsversichert waren;
…“
[19] Ebenso wie für die als Ersatzzeiten nach § 227a Abs 2 Z 6 ASVG angerechneten Kindererziehungszeiten (§ 227a Abs 8 ASVG) wird auch die Beitragslast für die gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG anzurechnenden Kindererziehungszeiten vom Bund und von öffentlichen Fonds getragen (§ 3 Abs 1 Z 2 APG; Rainer/Pöltner in SV‑Komm [165. Lfg] § 3 APG Rz 23 mwH; 10 ObS 122/09b).
[20] 1.4 Als Kind im Sinn des § 227a Abs 2 ASVG gelten neben den leiblichen Kindern der versicherten Person (Z 1) unter anderem die Stiefkinder (Z 4), die Wahlkinder (Z 5) und, gemäß § 227a Abs 2 Z 6 ASVG, „die Pflegekinder, sofern die Übernahme der unentgeltlichen Pflege nach dem 31. Dezember 1987 erfolgte“.
[21] § 227a Abs 2 Z 6 ASVG, auf den § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG zur Definition des Begriffs des „Kindes“ verweist, wurde in seiner auch heute noch geltenden Gestalt mit der 52. ASVG‑Novelle, BGBl 1994/20, geschaffen. Vorgängerin dieser Bestimmung war § 227 Abs 1 Z 4 lit b ASVG idF der 48. Novelle zum ASVG, BGBl 1989/642. Mit dieser Bestimmung sollten Frauen, die ein Kind zum Zweck der späteren Adoption in unentgeltliche Pflege nahmen (und die daher gemäß § 26 Abs 1 Z 3 AlVG in der damals geltenden Fassung BGBl 1987/615 berechtigt waren, Karenzurlaubsgeld in Anspruch zu nehmen), in den Personenkreis aufgenommen werden, für den eine Ersatzzeitenanrechnung wegen Kinderbetreuung in Frage kam (ausführlich 10 ObS 300/02v SSV‑NF 16/118; ErläutRV 1098 BlgNR 17. GP 14). Mit der 52. Novelle zum ASVG stellte der Gesetzgeber in der Frage der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten die Adoptivkinder den ehelichen bzw unehelichen Kindern gleich; hingegen blieb die Anrechnung von Ersatzzeiten für Zeiten der Erziehung von Pflegekindern auf nach dem 31. 12. 1987 erfolgte Übernahmen der unentgeltlichen Pflege beschränkt (ErläutRV 1375 BlgNR 18. GP 38).
[22] 1.5 Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch setzt also voraus,
[23] - erstens, dass das von ihr in die Krisenpflege übernommene Kind ein Pflegekind im Sinn des § 227a Abs 2 Z 6 ASVG ist und
[24] - zweitens, dass die Pflege dieses Kindes (nach dem 31. 12. 1987 übernommen wurde und) unentgeltlich erfolgte.
[25] 2.1 Im vorliegenden Fall fehlt es am erforderlichen Merkmal der Unentgeltlichkeit der Pflege:
[26] 2.2 Nach dem dargestellten historischen Verständnis des Gesetzgebers der 48. Novelle zum ASVG bezog sich die Übernahme von Kindern in unentgeltliche Pflege (nur) auf solche Kinder, die Frauen (allein, oder mit ihrem Ehegatten) in der Absicht in unentgeltliche Pflege nahmen, diese Kinder zu adoptieren (10 ObS 300/02v). Die Einschränkung der Begünstigung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf die unentgeltliche Pflege liegt innerhalb der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers. Sie ist wegen der mit der beitragsfreien Anrechnung von Ersatzzeiten verbundenen besonderen finanziellen Belastung der Versichertengemeinschaft sachgerecht, sodass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 227a Abs 2 Z 6 ASVG bestehen (RS0083750; 10 ObS 300/02v). Daran ist im Hinblick darauf, dass die Beitragslast für Versicherungszeiten gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG – wie ausgeführt – von der öffentlichen Hand getragen wird, auch für die mit dem APG geschaffene Rechtslage („Pensionsharmonisierungsgesetz“, BGBl I 2004/142) festzuhalten.
[27] 3.1 Das Pflegeelterngeld gebührte gemäß § 28 Abs 1 stmk JWG 1991 (in der damals geltenden Fassung LGBl 2011/63) zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Aufgaben. Seine Höhe war gemäß § 28 Abs 5 stmk JWG 1991 so festzusetzen, dass insbesondere der angemessene Bedarf des Pflegekindes an Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Wäschereinigung, Schulartikeln, anteiligen Wohnungs- und Energiekosten sowie für die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und eine altersgemäß gestaltete Freizeit gedeckt ist. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich die Entgeltlichkeit der von der Klägerin übernommenen Pflege vor diesem Hintergrund noch nicht aus ihrem mit dem (damaligen) Jugendwohlfahrtsträger geschlossenen Pflegevertrag ergibt, stellt die Rekurswerberin nicht in Frage, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
[28] 3.2 Dies gilt auch für die weitere rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das von der Klägerin aus dem freien Dienstvertrag bezogene Entgelt für die Bereitstellung ihrer Arbeitskraft geleistet wurde, sodass es als Entgelt zu qualifizieren ist und nicht bloßer Aufwandersatz vorliegt.
[29] 4.1 Das Berufungsgericht stützt sich für seine Rechtsansicht, dass ungeachtet des Abschlusses eines freien Dienstvertrags unentgeltliche Pflege vorliege, auf den Forschungsbericht Nr 16/2015 des Österreichischen Instituts für Familienforschung an der Universität Wien (Geserick/Mazal/Petric, Die rechtliche und soziale Situation von Pflegeeltern in Österreich, Juristische Expertise und empirische Erhebung, im Internet abrufbar unter https://www.oif.ac.at/publikationen/forschungsberichte ).
[30] 4.2 Die genannten Autoren weisen darauf hin, dass § 20 Abs 3 des Bundesgesetzes über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche (Bundes‑Kinder‑ und Jugendhilfegesetz 2013, BGBl I 2013/69, B‑KJHG) bestimme, dass Pflegepersonen die Möglichkeit zur sozialversicherungsrechtlichen Absicherung geboten werden solle. Vor der Einführung des B‑KJHG (Inkrafttreten: 1. 5. 2013, § 47 Abs 1 B‑KJHG) habe eine vergleichbare Regelung gefehlt (Geserick/Mazal/Petric, Pflegeeltern in Österreich 70). Da ein Pflegevertrag nicht als freier Dienstvertrag qualifiziert werden könne und auch keine Entgeltlichkeit gegeben sei, könne sein Abschluss keine Pflichtversicherung im Sinn des § 4 Abs 4 ASVG begründen.
[31] 4.3 Die soziale Absicherung von Pflegepersonen könne auf unterschiedliche Art gegeben sein. So besteht etwa die Möglichkeit der Selbstversicherung einer Krisenpflegeperson gemäß § 19a ASVG bei geringfügiger Beschäftigung in der Pensionsversicherung und Krankenversicherung, oder – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – der Weiterversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 17 ASVG. In der Krankenversicherung besteht etwa auch die Möglichkeit der Mitversicherung als Angehöriger (vgl zu all dem näher Geserick/Mazal/Petric, Pflegeeltern 72 f). Bei Abschluss eines freien Dienstvertrags über die Erbringung des „sozialpädagogischen Mehraufwands“ seien Pflegepersonen als freie Dienstnehmerinnen gemäß § 4 Abs 4 ASVG zu qualifizieren, die bei Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze dem Versicherungsschutz in der Kranken‑, Unfall‑, Pensions‑ und Arbeitslosenversicherung unterliegen (Geserick/Mazal/Petric, Pflegeeltern 75). Da das Entgelt aus einem solchen freien Dienstvertrag jedoch nicht für die Besorgung der Pflege und Erziehung, sondern für die Erbringung des sozialpädagogischen Mehraufwands geleistet werde, liege dennoch das Merkmal der unentgeltlichen Pflege vor, sodass ein solcher freier Dienstvertrag nicht die Anrechnung von Kindererziehungszeiten gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG hindere (Geserick/Mazal/Petric, Pflegeeltern 74).
[32] 5. Dem ist jedoch, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, entgegenzuhalten, dass die im Rahmen des freien Dienstvertrags vereinbarten Tätigkeiten der Klägerin untrennbar mit dem Pflegeverhältnis verbunden sind. Dies ergibt sich schon aus Punkt 1 des freien Dienstvertrags, wonach dieser für die Dauer der Krisenunterbringung des Krisenpflegekindes abgeschlossen wird und mit ihrer Beendigung endet. Die Aufwendungen für das Pflegekind werden mit dem – neben dem Entgelt aus dem freien Dienstvertrag bezogenen – Pflegeelterngeld abgegolten. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer Unentgeltlichkeit der Tätigkeit der Klägerin – insbesondere auch nicht im dargestellten vom Gesetzgeber ursprünglich gemeinten Sinn für die Zwecke der Anrechnung von Ersatzzeiten für die Kindererziehung – gesprochen werden.
[33] 6. Für die von der Klägerin gewünschte Berücksichtigung der Zeiten von 1. 7. 2012 bis 31. 5. 2013 als Kindererziehungszeiten für die Berechnung der Kontoerstgutschrift gemäß § 15 APG fehlt es daher im konkreten Fall an der Voraussetzung einer unentgeltlichen Pflege des Krisenpflegekindes im Sinn der §§ 227a Abs 2 Z 6 und 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG. Einer Auseinandersetzung mit der weiteren Frage, ob das in die Krisenpflege übernommene Kind ein Pflegekind im Sinn des § 227a Abs 2 Z 6 ASVG sei, bedarf es daher hier nicht.
[34] Ausgehend davon erweist sich die Rechtssache im klageabweisenden Sinn bereits als entscheidungsreif, sodass dem Rekurs der Beklagten im Sinn der Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils stattzugeben war.
[35] Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, weil Kosten nicht verzeichnet wurden.
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