Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die Durchführung des gesetzlichen Unterbringungsverfahrens aufgetragen.
Text
Begründung
Der Patient Willibald W***** wurde am 30. 11. 2006 an der Neurochirurgie der C***** aufgenommen. Infolge einer Gehirnblutung wurde eine Kopfoperation durchgeführt. Am 18. 12. 2006 wurde er auf die Intensivstation der Neurologie und am 23. 12. 2006 auf die Station 1A der Geriatrie I verlegt. Von wurde er am 29. 12. 2006 auf die Geriatrie II verlegt und am 8. 1. 2007 auf die Geriatrie I/1a. Am 3. 2. 2007 wurde er nach Hause entlassen.
Mit der Behauptung, der Patient sei während seines Aufenthaltes auf der Station 1A mehrfach in seiner Freiheit beschränkt worden, wobei im Pflegebericht der Geriatrie Beschränkungen dokumentiert seien (Fixierungen durch Gurte und durch einen Therapietisch sowie durch Festbinden des Patienten im Rollstuhl mit Hilfe eines Leintuches), beantragte der Patientenanwalt am 5. 4. 2007 die Einleitung eines Unterbringungsverfahrens sowie die Unzulässigerklärung der Unterbringung auf der Station 1A der Universitätsklinik für Geriatrie.
Hinsichtlich seiner Vertretungsbefugnis berief sich der Patientenanwalt auf eine „Verordnung" des Vorstehers des Erstgerichtes vom 1. 3. 2007 sowie auf die persönliche Vollmacht des Patienten vom 19. 2./21. 2. 2007.
Das Erstgericht wies den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung zurück, die Universitätsklinik für Geriatrie sei nicht als eine Abteilung für Psychiatrie iSd UbG anzusehen. Auf (akut-)geriatrische Abteilungen sei nicht das Unterbringungsgesetz, sondern das Heimaufenthaltsgesetz anzuwenden.
Aus dem Verfahren 36 Ub 808/06m (siehe 6 Ob 46/07v) setzte es sachverhaltsmäßig folgende Umstände als bekannt voraus:
Die Universitätsklinik für Geriatrie der PMU/SALK/CDK, an der der Patient stationär aufhältig war, übt geriatrische Medizin aus und bietet diese an. Die dort behandelte Patientengruppe zeichnet sich durch Polymorbidität (mehrere Erkrankungen, meist aus verschiedenen Gesundheitsdimensionen), Polypathie (mehrere Diagnosen) und Polypharmazie (Einnahme mehrerer Medikamente) aus. Für ihre Behandlung ist eine spezifische geriatrische Teamarbeit erforderlich, um völlig unterschiedliche Krankheitsprozesse, die in gemeinsamen Endstrecken kumulieren, zu erfassen. Ein wesentliches Merkmal geriatrischer Arbeit ist dabei nicht primär auf die Ebene der organischen Schädigung zu fokussieren, sondern auf die Ebene der Fähigkeitsstörung, also auf die funktionellen Krankheitsfolgen. Geriatrische Arbeit erfordert daher ein multiprofessionelles Team aus verschiedenen Fachdisziplinen (Innere Medizin, Neurologie, gelegentlich auch Psychiatrie) sowie ein hohes Ausmaß an Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie sowie entsprechend geschultes Pflegepersonal.
Zu den häufigsten Diagnosen der Universitätsklinik für Geriatrie an der C*****-Klinik gehören: Hypertonie essenziell, hirnorganisches Psychosyndrom, koronare Herzkrankheit, Multiinfarktsyndrom cerebral, Depression reaktiv, Vorhofflimmern, Multiinfarktdemenz, Lumbago, Spätfolge Hirnkrankheit, Diab mell tablettenpflichtig, Herzinsuffizienz chronisch, Lumboischialgie, Parkinsonsyndrom, Epilepsie symptomatisch, Harnwegsinfekt, Niereninsuffizienz mit kompensierter Retention, Diab mell insulinpflichtig, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Altersosteoporose, Exsikkose, Hypothyreose, Demenz senil vom Alzheimer-Typ, Hypercholesterinämie, cerebraler Insult, Gonarthrose, Polyarthrose, Schwindel atherosklerotisch und Hyperthyreose.
Das Personal der Universitätsklinik für Geriatrie besteht aus einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (Neurologische Intensivmedizin), drei Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie, einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und zehn Ärzten für Allgemeinmedizin (davon drei halbtags) sowie aus acht Physiotherapeuten, sieben Ergotherapeuten und zwei Logopädinnen. Verschlossene Türen gibt es in Universitätsklinik für Geriatrie an der Christian-Doppler-Klinik nicht.
Aus der Entscheidung 6 Ob 46/07v geht weiters hervor, dass die Universitätsklinik für Geriatrie an der C*****-Klinik über mehrere Stationen verfügt, darunter die „Bettenstation A Männer (inklusive Psychogeriatrie)" und die „Bettenstation C Psychogeriatrie Frauen" sowie die „Bettenstation B Frauen", die „Station D Klassestation Männer/Frauen", die „Geriatrie II A Männer" und die „Geriatrie II B Frauen".
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Patientenanwalts nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte näher aus, dass eine einzelne Station schon begrifflich keine Abteilung für Psychiatrie darstellen könne, sondern lediglich eine untergeordnete Organisationseinheit. Die psychogeriatrischen Stationen dienten offensichtlich dem Zweck, Patienten zusammenzufassen, bei denen neben somatischen Grunderkrankungen auch psychoorganische Erkrankungen hinzutreten würden. Der (maßgebliche) Schwerpunkt der Universitätsklinik für Geriatrie an der C*****-Klinik liege nicht in der medizinisch-psychiatrischen Versorgung; daran könne auch eine direkte „Transferierung" des Patienten auf eine „psychogeriatrische" Station der Universitätsklinik für Geriatrie nichts ändern. Sofern die eigenständig zu beurteilenden Anwendungsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 HeimAufG erfüllt seien liege ein Anwendungsfall des HeimAufG vor, nicht aber des UbG.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die zu beurteilenden Rechtsfragen in ihrer Bedeutung über den Anlassfall hinausgingen. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Patientenanwalts aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im antragsstattgebenden Sinn.
Der Abteilungsleiter beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs des Patientenanwalts ist zulässig; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Abteilungsleiter bestreitet vorerst die Rechtsmittellegitimation des Patientenanwalts. Diesem komme kein selbständiges Antragsrecht im Verfahren zu; der bevollmächtigte Rechtsanwalt berufe sich nicht auf eine Bevollmächtigung durch den Patienten.
1.1. Gemäß § 14 Abs 1 UbG wird der Patientenanwalt mit der Aufnahme des Patienten kraft Gesetzes dessen Vertreter für das Unterbringungsverfahren. Wer dabei im Einzelfall Patientenvertreter ist, bestimmt sich nach der Bestellung des Vorstehers des zuständigen Bezirksgerichtes gemäß § 13 Abs 1 UbG. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen (5 Ob 503/95), dass der Patientenanwalt ein aus Zweckmäßigkeitsgründen vorgesehener Vertreter des Patienten kraft Gesetzes mit einem durch das Unterbringungsgesetz umschriebenen Wirkungskreis ist. Sein Rechtsmittel kann daher immer nur Rechtsmittel des von ihm Vertretenen sein, auch wenn es sein Recht ist, Rechtsmittel unabhängig vom Willen des Patienten zu erheben (siehe auch zuletzt 6 Ob 46/07v).
1.2. Ob nun der Patientenanwalt im maßgeblichen Zeitraum wirksam in seiner Funktion als Patientenanwalt für den Patienten auftreten konnte, kann schon im Hinblick auf die ihm zusätzlich vom Patienten erteilte Bevollmächtigung dahingestellt bleiben.
Würde keine wirksame Bevollmächtigung des nunmehr namens des Patientenanwalts einschreitenden Rechtsanwalts vorliegen, wie offenbar der Abteilungsleiter meint, wäre jedenfalls die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts aufrecht geblieben (§ 16 Abs 2 UbG), sodass insgesamt kein Zweifel an der wirksamen Vertretung des Patienten durch den Patientenanwalt im Revisionsrekursverfahren besteht; dass sich dieser durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen kann ist nicht in Zweifel zu ziehen.
2.1. In der Sache beruft sich der Patientenanwalt in seinem Rechtsmittel auf die zu einer völlig gleich gelagerten Fragestellung ergangene Entscheidung 6 Ob 46/07v (zwischenzeitig teilweise veröffentlicht in EF-Z 2007/112, 183 und iFamZ 2007/127, 246); demnach sei das Unterbringungsgesetz auf die psychogeriatrischen Stationen der C*****-Klinik anzuwenden.
2.2. Demgegenüber verneint der Abteilungsleiter eine Übertragbarkeit der Grundsätze der Entscheidung 6 Ob 46/07v, „da diese Entscheidung des OGH die Station 1C der C*****-Klinik" betroffen habe; im nunmehrigen Verfahren sei „jedoch die Einstufung der Station 1A der CDK von rechtlicher Bedeutung". In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass das Erstgericht im vorliegenden Fall - anders als in dem zu 6 Ob 46/07v entschiedenen Parallelfall - „exakte Feststellungen zum Tätigkeitsbereich des medizinischen Personals getroffen" habe. Aus der Zusammensetzung des ärztlichen Personals sowie des weiteren nicht ärztlichen medizinischen Personals sei der überwiegende nicht-psychiatrische Charakter der Station 1A abzuleiten; vielmehr handle es sich um eine „normale" geriatrische Abteilung.
2.3. Dabei lässt der Abteilungsleiter außer Betracht, dass die Feststellungen des Erstgerichtes aus dem Parallelverfahren übernommen wurden und genau denen entsprechen, die der Entscheidung 6 Ob 46/07v zugrunde liegen; eine nähere Differenzierung des behandelnden Personals nach den einzelnen Stationen ist nicht vorgenommen.
2.4. Der Oberste Gerichtshof sieht keinen Anlass, von der zu 6 Ob 46/07v ausführlich begründeten Rechtsansicht abzugehen, wonach als „Abteilung" iSd § 2 UbG auch eine als „Station" bezeichnete Organisationseinheit gelten kann. Die Frage, ob eine Krankenanstalt oder eine Abteilung „psychiatrischen Charakter" hat, ist anhand einer Durchschnittsbetrachtung der versorgten Patientengruppen (Art der Krankheitsbilder), der erbrachten Leistungen (Art und Fachzugehörigkeit der medizinischen Tätigkeiten) und der internen Organisationsstrukturen (insbesondere fachliche Qualifikation des Personals) zu beurteilen; es kommt somit auf die materielle Beurteilung an, ob der Schwerpunkt der ärztlichen Tätigkeit bzw der behandelten Krankheiten in der fraglichen Krankenanstalt oder Abteilung bei objektiver Betrachtung ins Fachgebiet der Psychiatrie fällt und daher die medizinisch-psychiatrische Versorgung im Vordergrund steht (Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts² [2005] Rz 35), was auch im vorliegenden Fall zu bejahen ist. So wie in dem zu 6 Ob 46/07v entschiedenen Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Universitätsklinik für Geriatrie selbst die Station, auf der der Patient aufgenommen war, (auch) als psychogeriatrische Station bezeichnet. Sie unterliegt den Bestimmungen des Unterbringungsgesetzes.
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Patient „untergebracht" im Sinn des Unterbringungsgesetzes, wenn er Bewegungseinschränkungen unterliegt, und zwar unabhängig davon, ob er sich in einem geschlossenen Bereich befindet oder nicht und ob eine besondere „Erheblichkeitsschwelle" hinsichtlich Dauer und Ausmaß der Beschränkung überschritten wird oder nicht (RIS-Justiz RS0075831).
3. Damit haben die Vorinstanzen dem Patienten zu Unrecht die Durchführung eines Unterbringungsverfahren verweigert. Dies wird das Erstgericht nunmehr nachzuholen haben.
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