OGH 10Ob67/24m

OGH10Ob67/24m14.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl, Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj T*, vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Rechtsvertretung Bezirke 12, 13, 1230 Wien, Rößlergasse 15), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. Juli 2024, GZ 45 R 235/24b‑105, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 27. November 2023, GZ 21 Pu 73/22t‑83, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00067.24M.0114.001

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der unter Trisomie 21 leidende, einkommens- und vermögenslose Minderjährige wird im Haushalt der Mutter betreut.

[2] Der Minderjährige begehrte mit beim Erstgericht am 10. Jänner 2023 eingebrachten Antrag vom 3. Jänner 2023 (ON 62, eingeschränkt mit ON 70) vom Vater die Zahlung von existenznotwendigem Sonderbedarf von 5.101,43 EUR für das Jahr 2019 und von 4.145 EUR für das Jahr 2020, der vom laufenden Unterhalt nicht bestritten werden könne. Darunter finden sich im Jahr 2019 angefallene Kosten für von der Mutter besuchte Seminare, Workshops und Familiennetzwerktreffen (einschließlich Kosten für Übernachtung und Verpflegung der Mutter) in Höhe von insgesamt 2.084,60 EUR.

[3] Das Erstgericht verpflichtete den Vater zur Leistung eines im Jahr 2019 angefallenen Sonderbedarfs in Höhe von 1.461,34 EUR und wies das Mehrbegehren, das die im Jahr 2019 angefallenen Kosten für von der Mutter besuchte Seminare, Workshops und Familiennetzwerktreffen in Höhe von insgesamt 2.084,60 EUR beinhaltet, ab. Die Abweisung dieses Sonderbedarfs begründete es damit, dass diese Kosten keinen dem Minderjährigen zuzurechnenden Sonderbedarf darstellten, zumal sich dabei die Eltern informierten/fortbildeten.

[4] Das Rekursgericht gab dem in Höhe von 2.084,60 EUR dagegen erhobenen Rekurs des Minderjährigen nicht Folge. In diesen Kosten liege kein Sonderbedarf des Minderjährigen, weil der besondere Bedarf nach Erweiterung der Kompetenzen der betreuenden Mutter nicht beim Minderjährigen, sondern bei der Mutter eintrete, auch wenn der Besuch der Seminare durch die besonderen Bedürfnisse des Minderjährigen motiviert gewesen sei und indirekt auch diesem zugute komme. Dazu verwies es auf eine Entscheidung des Rekursgerichts, in der Kosten einer Psychotherapie des Vaters zur Verbesserung seiner Erziehungs‑ und Betreuungsfähigkeit nicht als Sonderbedarf anerkannt wurden.

[5] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich zu, weil zum hier zu beurteilenden Sachverhalt keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs existiere und darüber hinaus auch das Vorliegen einer korrekturbedürftigen Fehlentscheidung denkbar sei.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs des Minderjährigen, dessen Argumentation sich auf den Hinweis beschränkt, dass die in der angefochtenen Entscheidung zitierte Entscheidung des Rekursgerichts nicht vergleichbar sei, weil die Motivation der Mutter zum Besuch der Seminare (zum Zweck der Anleitung zum Umgang mit dem behinderten Minderjährigen) nicht in ihrer eigenen Person begründet sei, zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf und ist deshalb als nicht zulässig zurückzuweisen. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 71 Abs 3 AußStrG):

[7] 1.1. Sonderbedarf ist jener Mehrbedarf eines unterhaltsberechtigten Kindes, der sich aus der Berücksichtigung der beim Regelbedarf (allgemeiner Durchschnittsbedarf) bewusst außer Acht gelassenen Umstände des Einzelfalls ergibt (RS0117791; RS0047564). Generell kann gesagt werden, dass ein Sonderbedarf durch Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität bestimmt wird (RS0047539), also nicht mit weitgehender Regelmäßigkeit für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder zusteht (RS0047539 [T3]). Darunter fallen hauptsächlich Aufwendungen für die Erhaltung der (gefährdeten) Gesundheit und die Persönlichkeitsentwicklung, insbesondere Kosten der Ausbildung, Talentförderung und Erziehung (RS0107180).

[8] 1.2. Der Oberste Gerichtshof qualifiziert daher regelmäßig Mehraufwendungen, die der Befriedigung der individuellen, aus einer Behinderung resultierenden, nicht nur vorübergehenden Bedürfnisse eines Minderjährigen entsprechen, als Sonderbedarf (3 Ob 243/19k [behinderungsbedingt nötige Nachhilfe zur Erzielung eines Schulabschlusses]; 10 Ob 51/19a [aufgrund einer Behinderung notwendige Drittbetreuung]; 8 Ob 3/18a [behinderungsbedingt erforderlicher diätischer Mehraufwand]; 6 Ob 175/18f [aufgrund einer Behinderung notwendige dauernde Betreuung und Beaufsichtigung durch externe Pflegepersonen]).

[9] 2. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Sonderbedarf vom Unterhaltspflichtigen zu decken ist, sind immer die Umstände des Einzelfalls (RS0047560 [T12]; RS0107179 [T1]). Die Behauptungs‑ und Beweispflicht für die den Sonderbedarf begründenden Umstände trifft den Unterhaltsberechtigten (RS0111406; RS0109908 [T8]).

[10] 3. Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, die das Vorbringen des Minderjährigen, der durch den Kinder- und Jugendhilfeträger vertreten ist (und daher gemäß § 6 Abs 3 AußStrG einer durch einen Rechtsanwalt vertretenen Partei gleichzuhalten ist), dahin beurteilten, dass sich daraus kein vom geldunterhaltspflichtigen Vater zu tragender Sonderbedarf ergebe, weicht von der dargestellten Rechtsprechung nicht ab.

[11] Mit der im Revisionsrekurs ausschließlich enthaltenen Ausführung, dass die Seminarkosten zwecks Anleitung zum Umgang mit dem behinderten Minderjährigen nicht in der Person der Mutter begründet seien, sondern in den Defiziten des Minderjährigen ihren Ursprung fänden, wird lediglich behauptet, dass die Mutter diese Seminare aufgrund der Behinderung des Minderjährigen besuchte, nicht aber, dass und aus welchen Gründen die Behinderung des Minderjährigen eine solche Erweiterung der Betreuungskompetenz der Mutter notwendig machte, weil ein konkreter und anders (ohne den Aufwand der begehrten Kosten) nicht zu deckender Bedarf des Minderjährigen (etwa zur Erhaltung seiner Gesundheit, zur Entwicklung seiner Persönlichkeit oder zur Förderung seiner Talente) danach bestand.

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