Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Urteil vom 5. 1. 2006 hat das Erstgericht den Beklagten zur Zahlung des (nach Fällung eines Teilanerkenntnisurteils) verbliebenen restlichen Klagsbetrages von EUR 1.757,31 s.A. an die klagende Partei verpflichtet. Das Urteil wurde dem in erster Instanz unvertretenen Beklagten durch Hinterlegung (Beginn der Abholfrist 13. 1. 2006) zugestellt.
Am 27. 1. 2006 langte beim Erstgericht ein Antrag des Beklagten auf Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe ein; diesen Antrag bewilligte das Erstgericht am 30. 1. 2006 (ON 16). Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer für Kärnten bestellte mit Bescheid vom 21. 2. 2006 RA Mag. Dr. Bernhard F***** als Verfahrenshelfer. diesem wurde der Bestellungsbescheid am 24. 2. 2006 zugestellt. Über Ersuchen von RA Mag. Dr. F***** erfolgte mit Bescheid vom 27. 2. 2006 eine Umbestellung auf den nunmehrigen Verfahrenshelfer RA Mag. Gunter Huainigg. dem das Umbestellungsdekret am 1. 3. 2006 zugestellt wurde. RA Mag. Gunter Huainigg brachte am 29. 3. 2006 beim Erstgericht eine Berufung gegen das Ersturteil ein.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. 5. 2006 wies das Berufungsgericht die Berufung als verspätet zurück. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes werde bei einem durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer vorgenommenen Wechsel in der Person des Verfahrenshilfevertreters die Rechtsmittelfrist dann vom Tag der Zustellung des Umbestellungsbeschlusses (und der anzufechtenden Entscheidung) an den neuen Verfahrenshelfer (neuerlich) in Gang gesetzt, wenn die Umbestellung noch während der Rechtsmittelfrist erfolge. Diese Auffassung werde vom Berufungsgericht im Hinblick auf verfassungsrechtliche Erwägungen nicht geteilt, weil sich daraus (im Fall eines Vollmachtswechsels innerhalb der Rechtsmittelfrist) eine Ungleichbehandlung gegenüber Verfahrensparteien ergebe, die durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertreten seien. Auch im Fall einer Umbestellung des Verfahrenshilfevertreters sei der ursprünglich bestellte Verfahrenshelfer bis zur Umbestellung berechtigt und verpflichtet, für die Partei zu handeln, soweit dies nötig sei.
Die vierwöchige, durch die Verfahrenshelferumbestellung nicht unterbrochene Berufungsfrist habe daher mit Ablauf des 24. 3. 2006 geendet, weshalb die am 29. 3. 2006 beim Erstgericht überreichte Berufung verspätet sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss abzuändern und auszusprechen, dass die Berufung rechtzeitig eingebracht worden sei, weiters dem Berufungsgericht die Entscheidung in der Sache aufzutragen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die klagende Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist im Hinblick auf die Bestimmung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig; er ist auch berechtigt.
Wie bereits das Berufungsgericht dargestellt hat, wird nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Rechtsmittelfrist bei einem durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer während der offenen Frist vorgenommenen Wechsel in der Person des Verfahrenshilfevertreters mit dem Tag der Zustellung des Umbestellungsbeschlusses (und der anzufechtenden Entscheidung) an den
neuen Verfahrenshelfer in Gang gesetzt (1 Ob 332/99a = RS0041698
[T4]; 10 Ob 104/05z = RIS-Justiz RS0116897 [T1]). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass dem neuen Verfahrenshelfer die volle Rechtsmittelfrist für die Informationsaufnahme und die Ausarbeitung des Rechtsmittels zur Verfügung steht. Außerdem würde es einen Wertungswiderspruch darstellen, würde zwar dem erstmals bestellten Verfahrenshelfer die volle Rechtsmittelfrist zur Verfügung gestellt, nicht aber auch dem durch Umbestellung zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt.
Richtig ist, dass ein Vollmachtswechsel den Fortlauf des Rechtsstreits in keiner Weise berührt (4 Ob 102/04k = RdW 2004, 600). Eine Verschiedenbehandlung des Vollmachtswechsels und der Umbestellung der Person des Verfahrenshilfevertreters ist aber sachlich gerechtfertigt: Der Verfahrenshilfevertreter wird im Regelfall erstmals mit der Zustellung des Bestellungsbescheides mit einer Rechtssache konfrontiert; eine vorherige Einholung von Informationen sowie eine Kontaktaufnahme mit dem Mandanten ist nicht möglich. Auch etwaige Interessenkollisionen werden erst mit der Zustellung des Bestellungsbescheides erkennbar. Demgegenüber geht dem Vollmachtswechsel typischerweise eine vorherige Kontakt- und Informationsaufnahme mit dem neu gewählten Vertreter voraus, der beispielweise schon vor der Bekanntgabe des Vollmachtswechsels das Mandat aufgrund einer Kollision ablehnen kann.
Es hat daher im Sinne der bisherigen Judikatur dabei zu bleiben, dass auch nach einer Umbestellung während offener Rechtsmittelfrist dem neu bestellten Verfahrenshilfevertreter die gesamte Rechtsmittelfrist zur Verfügung stehen muss.
Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss ist ersatzlos aufzuheben; dem Berufungsgericht ist die Behandlung des Rechtsmittels unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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