Spruch:
Dem Revisionsrekurs des Vaters wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:
Der am 31. 12. 2008 eingebrachte Antrag der mj Shoshana Rae B***** auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich 218,02 EUR wird abgewiesen.
Ein Ersatz der Kosten des Rekurses des Vaters findet nicht statt.
Text
Begründung
Die am 16. Jänner 1992 geborene Shoshana Rae B***** ist die Tochter von Shelley S***** und John L. B*****. Das Kind und seine Mutter sind Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika, der Vater ist Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs. Das Kind und die Mutter haben ihren Wohnsitz in Wien. Der Vater hat im Februar 2006 Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt aus der Bundesrepublik Deutschland nach Australien verlegt.
Mit rechtskräftigem Beschluss vom 26. Juli 2004 wurde der Minderjährigen auf den Geldunterhaltsanspruch gegenüber ihrem Vater für die Zeit vom 1. 7. 2004 bis 30. 6. 2007 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 218,02 EUR gewährt. Die Weitergewährung der Titelvorschüsse für die Zeit über den 30. 6. 2007 hinaus wurde im Hinblick auf die Wohnsitzverlegung des Vaters nach Australien abgelehnt (siehe 10 Ob 44/08f).
Am 31. Dezember 2008 brachte das Kind einen (neuen) Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Höhe von 218,02 EUR monatlich ein (ON U-65). Mit Beschluss vom 29. 1. 2009 gewährte das Erstgericht die begehrten Titelvorschüsse für den Zeitraum vom 1. 12. 2008 bis 31. 1. 2010.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und bestätigte den Beschluss des Erstgerichts mit einer (im Revisionsrekursverfahren nicht mehr relevanten) Maßgabe. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz und vertrat unter Zitierung der Entscheidung 10 Ob 44/08f die Rechtsansicht, dass es für den Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse in Österreich darauf ankomme, dass der Geldunterhaltsschuldner an einem Beschäftigungsort im EU- bzw EWR-Raum beschäftigt sei. Diese Voraussetzung sei zu bejahen, weil der Vater laufend bei einer Firma F***** GmbH in Würzburg als unselbständiger Arbeitnehmer beschäftigt und zudem als Referent (Vortragender und Seminarleiter) in ganz Deutschland tätig sei. So habe er für den Zeitraum von Jänner bis November 2009 insgesamt 31 von ihm veranstaltete Seminare bzw Schulungen in Deutschland angekündigt.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Entscheidung zur Frage vorliege, welcher Umfang einer ausgeübten Beschäftigung als Selbständiger oder Unselbständiger das Kriterium des Vorliegens eines Beschäftigungsortes im EU- bzw EWR-Raum erfülle. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im antragsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Das Kind beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben. Der Bund und die Mutter haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, weil das Berufungsgericht unrichtige Schlüsse aus der Entscheidung 10 Ob 44/08f zieht; er ist auch berechtigt.
In seinem Revisionsrekurs weist der Vater darauf hin, dass die VO 1408/71 hinsichtlich der Familienleistungen dem Beschäftigungslandprinzip folge und bei abhängiger Beschäftigung der Beschäftigungsort zum grundsätzlichen Anknüpfungspunkt erklärt werde. Der vom Rekursgericht angenommene Beschäftigungsort in Deutschland existiere jedoch nicht. Eine gelegentliche (Seminar-)Tätigkeit im EUbzw EWR-Raum reiche keinesfalls aus, um entsprechende Anknüpfungspunkte zu begründen.
Dazu wurde erwogen:
1. Die vom Rekursgericht zitierte Entscheidung 10 Ob 44/09f ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass es um die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen ging. Der Oberste Gerichtshof hat unter Punkt 2. dieser Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der in Rechtskraft erwachsene ursprüngliche Gewährungsbeschluss anlässlich der Weitergewährung nicht überprüft werden dürfe; bei einem im Vergleich zur Erstgewährung identen Sachverhalt sei eine abweichende rechtliche Beurteilung im Weitergewährungsverfahren ausgeschlossen. Dementsprechend konnte in der Entscheidung 10 Ob 44/09f weder aufgegriffen werden, dass das Kind nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft (§ 2 Abs 1 UVG) verfügte noch dass der Vater nicht in Österreich beschäftigt war, sondern (möglicherweise) in einem anderen EU- bzw EWR-Staat (Deutschland). Da aber kein Beschäftigungsort im EU- bzw EWR-Raum mehr vorliege, sei eine Anspruchsvoraussetzung für die Vorschüsse weggefallen, sodass die Weitergewährung verhindert werde.
Im Gegensatz zur Ansicht des Rekursgerichts wurde in der Entscheidung nicht ausgesprochen, dass eine Beschäftigung des Geldunterhaltsschuldners im EU- bzw EWR-Raum generell einen Anspruch auf österreichische Unterhaltsvorschüsse begründe.
2. Im nunmehr zu entscheidenden Fall liegt ein Neuantrag auf Unterhaltsvorschüsse vor. Das Kind begründet den behaupteten Anspruch auf Titelvorschüsse im Wesentlichen damit, dass der Vater in Deutschland beschäftigt sei.
3. Entscheidend ist im vorliegenden Fall, ob auf die Antragstellerin nach den Koordinierungsregeln der VO 1408/71 das österreichische Unterhaltsvorschussgesetz anzuwenden ist. Im Hinblick auf den behaupteten Beschäftigungsort des Geldunterhaltsschuldners in Deutschland kommt auch deutsches Unterhaltsvorschussrecht in Betracht.
Abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen unterliegen Personen, für die die VO 1408/71 gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Art 13 Abs 1 der VO); dieser ist nach Titel II der VO zu bestimmen. Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staats (Beschäftigungslandprinzip, Art 13 Abs 2 lit a der VO). Für den vorliegenden Fall ist daraus abzuleiten, dass für den Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung einer von ihrem Vater vermittelten Familienleistung nach der VO 1408/71 jedenfalls nicht die Leistungszuständigkeit Österreichs nach Art 13 der VO 1408/71 begründet ist, sondern - bei Zutreffen der Antragsbehauptungen - allenfalls die Leistungszuständigkeit Deutschlands, wo der behauptete Beschäftigungsort gelegen ist.
Dem Revisionsrekurs des Vaters ist daher Folge zu geben; die Beschlüsse der Vorinstanzen sind im antragsabweisenden Sinn abzuändern.
4. Der Vater hat Rekurskosten geltend gemacht. Diese sind jedoch nicht zu ersetzen, weil es im Unterhaltsvorschussverfahren auch nach dem neuen Außerstreitrecht keinen Kostenersatz gibt (2 Ob 48/06g; Fucik, Kostenersatz im Verfahren außer Streitsachen, ÖJZ 2007, 669 [674]).
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