OGH 10Ob43/19z

OGH10Ob43/19z21.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Nitsch Pajor Zöllner Rechtsanwälte OG in Mödling, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde *****, vertreten durch Krist Bubits Rechtsanwälte OG in Mödling, wegen 1.) 21.216,92 EUR sA und 2.) Feststellung (Streitwert: 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Februar 2019, GZ 12 R 96/18b‑36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 31. August 2018, GZ 20 Cg 86/17h‑31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00043.19Z.0121.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.489,86 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 248,31 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin besuchte am 6. 1. 2016 den von der beklagten Stadtgemeinde betriebenen Eislaufplatz.

Nachdem die Klägerin eine nicht näher bestimmte Zeit am Eis gelaufen war, verließ sie mit den Eislaufschuhen den Platz, um das Damen‑WC aufzusuchen. Auf dem Rückweg vom WC stürzte sie auf dem zur Eislauffläche führenden Weg und verletzte sich dabei.

Der Weg, auf dem die Klägerin stürzte, ist mit schlittschuhfesten, die Rutschgefahr mindernden („rutschmindernden“) Gummimatten ausgelegt, die den ÖISS „Richtlinien für den Sportstättenbau“ entsprechen. Solche Matten können im Freien nicht bei allen Witterungsbedingungen völlig eisfrei bzw „rutschfrei“ gehalten werden.

Das Damen‑WC ist nur über diesen Weg zu erreichen und zu verlassen. Der Weg weist im Bereich des Damen‑WC eine leichte Neigung von etwa 10 cm auf 3 Meter zur Eislauffläche auf. Ein Handlauf ist an der Unfallstelle nicht vorhanden.

Den Weg zum und vom Damen‑WC quert die Eisbearbeitungsmaschine (Zamboni), wenn sie von ihrer Garage auf den Eislaufplatz und zurück gefahren wird. Bei dieser Querung kann das Fahrzeug geringe Mengen Eisabrieb oder Wasser verlieren. Dies entspricht den Richtlinien für den Sportstättenbau.

Am Tag des Unfalls fiel kein Schnee. Schneefall gab es vor dem Unfall zuletzt vom 4. 1. 2016 auf den 5. 1. 2016. Diesen Schnee entfernten die dafür zuständigen „Eismeister“ des Eislaufplatzes vor dem Unfall der Klägerin mit mechanischen Mitteln von den Gummimatten.

Zum Unfallszeitpunkt hatte sich auf den Gummimatten eine dünne Schicht „Schneeglätte“ gebildet (das ist eine durch Kompression entstandene dünne, glatte Schneefläche). Diese ist aufgrund ihrer geringen Ausprägung mechanisch nicht zur Gänze entfernbar, es verbleiben Stellen mit dünnem Eis (sogenannte „Eislinsen“). Eis lösende Mittel wurden nicht eingesetzt: Die Verwendung von Eis lösenden Mitteln ist nicht möglich, weil diese von den Besucherinnen und Besuchern des Eislaufplatzes mit den Eislaufschuhen auf die Eisfläche verfrachtet würden, was zu Eismatsch auf dieser führen würde. Eine maschinelle Reinigung ist aufgrund der Platzverhältnisse ebenfalls nicht möglich. Das Zurückbleiben von „Eislinsen“ auf den Gummimatten war daher bei der gegebenen Witterungslage nicht vermeidbar.

Auf dem mit Gummimatten ausgelegten Areal rund um den Eislaufplatz sind mehrere gut sichtbare Warnschilder mit der Warnung vor der Rutschgefahr in Bild und Sprache angebracht. Beim Damen‑WC gab es kein solches Warnschild.

Die Klägerin begehrt Schadenersatz für die Folgen des Unfalls und die Feststellung der Haftung der Beklagten auch für sämtliche Spät‑ und Dauerfolgen daraus. Sie brachte vor, dass die Gummimatten, die auf den an die Eisfläche angrenzenden Gehwegen ausgelegt waren am Unfalltag mit einer dicken Eisschicht bedeckt gewesen seien, weshalb sie gestürzt sei. Die Beklagte habe davon Kenntnis gehabt, jedoch keine Abhilfe geschaffen. Sie habe nicht dafür Sorge getragen, dass die Klägerin die Gehwege gefahrlos benützen könne. Die Beklagte habe ihren Räum‑ , Streu‑ und Überwachungspflichten nicht entsprochen. Warnschilder seien nicht angebracht gewesen. Die Klägerin habe an der Unfallstelle keine Möglichkeit gehabt, sich abzustützen.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass sie kein Verschulden am Sturz der Klägerin treffe. Gummimatten müssten zur Vermeidung von Beschädigungen der Eislaufschuhe ausgelegt werden, sie würden von den „Eismeistern“ überwacht und gereinigt. Das Aufbringen von Salz oder Kies auf den Matten sei nicht möglich. Vor einer Rutschgefahr werde mit Warnschildern gewarnt. Die Sicherstellung von ständiger Eisfreiheit der Gummimatten sei der Beklagten nicht zumutbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Verkehrssicherungspflichten dürften nicht überspannt werden. Die von der Beklagten getroffenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. Um die Gummimatten verlässlich eisfrei zu halten, wäre eine Bodenheizung erforderlich, die der Beklagten weder aus ökonomischer noch aus ökologischer Sicht zumutbar sei.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Durch das Auflegen von rutschfesten, den Vorschriften entsprechenden Gummimatten, von denen der Schnee mit mechanischen Mitteln wie vorgesehen entfernt worden sei, und durch das Anbringen von Schildern mit Warnungen vor der Rutschgefahr sei die Beklagte ihren Verkehrssicherungspflichten ausreichend nachgekommen.

Das Berufungsgericht ließ die Revision über Antrag der Klägerin nachträglich zu, weil sich die Notwendigkeit der Anbringung eines Geländers zur Vermeidung der Rutschgefahr aus der Entscheidung 2 Ob 2288/96a ergeben könnte.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin, mit der diese die Stattgebung ihres Klagebegehrens beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

Die Revisionswerberin hält an ihrem Standpunkt fest, dass die beklagte Stadtgemeinde ihren Verkehrssicherungspflichten nicht in ausreichender Weise nachgekommen sei. Die Klägerin sei gezwungen gewesen, den Weg, auf dem sie gestürzt sei, zu verwenden, um vom Damen‑WC wieder auf den Eislaufplatz zurück zu gelangen. Dieser Weg sei nicht gestreut gewesen, er habe eine Neigung aufgewiesen. Ein Handlauf – wie ihn der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 2288/96a für erforderlich halte – habe jedoch gefehlt. Durch die Querung des Weges verursache die Eisbearbeitungsmaschine auf dem Weg Eisflächen. Aus allen diesen Gründen wäre, was sich auch aus der Entscheidung 4 Ob 120/18b ergebe, ein besonderer Warnhinweis vor der Rutschgefahr auch im Bereich des Damen‑WC erforderlich gewesen, der jedoch nicht vorhanden gewesen sei. Die Eisschicht sei nicht für jedermann objektiv erkennbar gewesen.

Damit zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze der Rechtsprechung zu Grundlagen und Grenzen von – sich hier aus dem Vertragsverhältnis der Streitteile ergebenden – Schutz‑ und Sorgfaltspflichten zutreffend dargestellt (vgl nur 4 Ob 120/18b mzwH). Daraus ist hervorzuheben, dass diese Pflichten einerseits in der Erkennbarkeit der Gefahr (RS0023801; RS0023442), andererseits in der Zumutbarkeit ihrer Abwendung ihre Grenze finden (RS0023397). Umfang und Intensität der Pflichten richten sich vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (RS0023726; vgl auch RS0023950). Welche Sicherheitsvorkehrungen erforderlich sind, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0111380 ua), sodass eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO in der Regel nicht vorliegt. Eine die Revision dennoch rechtfertigende korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht (RS00111380 [T1]) zeigt die Revisionswerberin nicht auf.

2. Wenn die Klägerin auch in der Revision daran festhält, dass das Aufbringen von Salz oder Eis lösenden Mitteln an der Unfallstelle das Eis und damit die Rutschgefahr beseitigt hätte, weicht sie in unzulässiger Weise von den Feststellungen ab, wonach eine Verwendung von Eis lösenden Mitteln auf den ausgelegten Gummimatten nicht möglich ist.

3. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 2 Ob 2288/96a entgegen den Ausführungen der Revisionswerberin keineswegs die Aussage getroffen, dass die Beseitigung von Eisflächen auf Gummimatten im unmittelbaren Umgebungsareal eines Eislaufplatzes oder die Anbringung von geeigneten Geländern generell keine Überspannung von Verkehrssicherungspflichten sei. Er traf diese Aussage vielmehr nur auf Grundlage der – allerdings vom Berufungsgericht im damaligen Fall nicht geteilten – Feststellungen des Erstgerichts, wonach die spiegelglatte Eisfläche von 1 m Durchmesser, auf der die Klägerin stürzte, schon längere Zeit dort bestanden habe, also nicht erst unmittelbar vor dem Sturz der Klägerin entstanden sei. Nur in diesem Fall sei nicht von einer Überspannung der Verkehrssicherungspflichten auszugehen und könne von der damals Beklagten verlangt werden, eine Eisfläche, die sich schon seit längerer Zeit gebildet habe, zu entfernen. Gehe man jedoch von der Ansicht des Berufungsgerichts aus, dass sich die Eisfläche erst unmittelbar vor dem Sturz der damaligen Klägerin gebildet habe und die Bildung derartiger Eisflächen (auf Gummimatten) praktisch unvermeidbar sei, dann wäre der Beklagten eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nicht anzulasten. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht daher nicht in dem von der Klägerin behaupteten Widerspruch zur Entscheidung 2 Ob 2288/96a, weil die Bildung sogenannter „Eislinsen“ im vorliegenden Fall trotz mechanischer Räumung ebenfalls unvermeidbar ist.

4. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der von der Revisionswerberin für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung 4 Ob 120/18b kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liegt. In dieser Entscheidung wurde eine nur geringfügig aufgebogene Metallleiste auf einer Tanzfläche im Hinblick auf die besonderen Fußbewegungen beim Tanzen („Schleifschritte“) und die bei Tanzveranstaltungen in der Regel schlechten Lichtverhältnisse als besondere Gefahrenquelle angesehen. Demgegenüber stellt die – unvermeidbare – Bildung dünner Flächen von Schneeglätte auf Gummimatten im unmittelbaren Nahebereich eines Eislaufplatzes eine Gefahr dar, die für die Benützerinnen und Benützer des Eislaufplatzes schon aufgrund der deutlich sichtbaren Warnhinweise im gesamten Areal gut erkennbar sein musste.

5. Der Behauptung der Revisionswerberin, die Eisschicht an der Unfallstelle sei nicht für jedermann objektiv leicht erkennbar gewesen, sind auch die Feststellungen des Erstgerichts entgegenzuhalten, wonach die Klägerin die Gefahr ohnedies erkannt hatte und ihr durch besondere Schritte („Treppenschritte“) zu entgehen versuchte.

6. Die zweitinstanzliche Kostenentscheidung ist jedenfalls unanfechtbar (RS0044228; RS0044233 [T11]; RS0053407 [T16]), sodass auf die diesbezüglichen – nicht näher substantiierten – Ausführungen der Revision nicht einzugehen ist.

Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Zur Revisionsbeantwortung gebührt nur der einfache Einheitssatz in Höhe von hier 50 % (§ 23 Abs 1 und 3 RATG).

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