European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00040.15B.0630.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Nach der Extraktion eines Zahnes versorgte der Beklagte als Zahnarzt die Klägerin mit einem Implantat. Dieses drang in den Nervenkanal ein, sodass es wegen anhaltender Beschwerden der Klägerin wieder entfernt wurde. Vor der Behandlung erfolgte eine Darstellung der Behandlung anhand eines Modells und eine Aufklärung über die Risiken des geplanten Eingriffs, insbesondere auch einer Nervenschädigung, anhand des schriftlichen Einverständniserklärungsformulars.
Die Klägerin behauptete eine ärztliche Fehlbehandlung und die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Sie begehrt Schmerzengeld und Heilungskosten sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Bei einer Aufklärung über das Risiko einer Nervenschädigung ‑ mit welcher Wahrscheinlichkeit auch immer ‑ hätte sie dem Eingriff nicht zugestimmt.
Der Beklagte bestritt und wendete ein, er habe die Klägerin lege artis behandelt und sie über mögliche Behandlungsalternativen und Risiken, insbesondere Taubheitsgefühl und Nervenläsionen, eingehend aufgeklärt.
Das Erstgericht wies die Klage ab, wobei es von einer lege artis durchgeführten Behandlung und einer hinreichenden Aufklärung der Klägerin ausging.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Durch die festgestellte Aufklärung sei die Klägerin hinreichend in die Lage versetzt worden, die Tragweite ihrer Einwilligungserklärung zu überschauen. Die Forderung nach einer Aufklärung auch über die mögliche Eintrittswahrscheinlichkeit der Risiken würde die Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht überspannen.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin im Wesentlichen mit dem Argument, mangels Aufklärung über die konkrete Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Komplikationen liege keine hinreichende Aufklärung vor.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten (RIS‑Justiz RS0038176). Für die nachteiligen Folgen einer ohne ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ kein Kunstfehler unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0026783), es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RIS‑Justiz RS0038485). Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, zu überschauen (RIS‑Justiz RS0026413). Der Patient kann nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RIS‑Justiz RS0026499).
2. Nach ständiger Judikatur reicht die ärztliche Aufklärungspflicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist (RIS‑Justiz RS0026375). Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (RIS‑Justiz RS0026313 [T1]). Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist eine umfassende Aufklärung notwendig (RIS‑Justiz RS0026772 [T6]). Grundsätzlich muss der Arzt aber nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen (RIS‑Justiz RS0026529). Bei Vorliegen sogenannter typischer Gefahren ist die ärztliche Aufklärungspflicht verschärft (RIS‑Justiz RS0026340; RS0026581 [T2]). Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist; der uninformierte Patient wird überrascht, weil er nicht mit der aufgetretenen Komplikation rechnete (RIS‑Justiz RS0026340 [T5]). Diese typischen Risiken müssen erhebliche Risiken sein, die geeignet sind, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen, ohne dass dabei nur auf die Häufigkeit der Verwirklichung dieses Risikos abzustellen wäre (RIS‑Justiz RS0026581 [T6]). Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Komplikation ist daher nur ein Faktor bei der Beurteilung der Frage, ob grundsätzlich über ein Risiko aufzuklären ist. Ist aber nicht zu erwarten, dass diese zusätzliche Information für die Entscheidungsfindung des Patienten von Relevanz sein kann, ist eine gesonderte Aufklärung darüber nicht zu fordern.
3. Die Rechtsfrage, in welchem Umfang der Arzt den Patienten aufzuklären hat, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten und daher im Allgemeinen nicht revisibel (RIS‑Justiz RS0026763), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste.
4. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass kein Aufklärungsfehler darin liegt, dass der Beklagte die Klägerin nicht (auch) darüber informierte, dass bei Setzen eines Implantats die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen allgemein bei 3‑6 % liegt, wobei er ihr aber zugleich die möglichen Komplikationen im Einzelnen erläuterte, stellt keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Auch die weitere Ansicht des Berufungsgerichts, eine verpflichtende Angabe von genauen Prozentzahlen über die Eintrittswahrscheinlichkeit der einzelnen mit dem Eingriff verbundenen Risiken würde eine Überspannung der ärztlichen Aufklärungspflicht darstellen, ist jedenfalls vertretbar.
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