European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1997:E45194
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Nach der im außerordentlichen Rechtsmittel vertretenen Ansicht liege die erhebliche Rechtsfrage vor, ob es zur Aufsichtspflicht eines sorgfältigen Elternteiles (einer sorgfältigen Kindergärtnerin) gehöre, bei Benützung von Spielgeräten der vorliegenden Art, nämlich einer Schaukel, durch ein vierjähriges Kind dicht neben der Schaukel zu stehen oder das Schaukeln zu verbieten. Zu dieser Rechtsfrage bestehe keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs.
Dazu hat der Senat erwogen:
Eine durch entsprechende Befähigungsnachweise (Kindergartenprüfung) als fachkundig im Sinne des § 1299 ABGB anzusehende Kindergärtnerin muß bei Beaufsichtigung einer Gruppe von Kindern grundsätzlich dafür Vorsorge treffen, daß die an verschiedenen Spielgeräten in einem Hof oder Garten spielenden Kindergruppen ihrer Aufsicht nicht entgleiten. Bei Kindergruppen im Kindergartenalter können besonders dann spieldisziplinäre Schwierigkeiten entstehen, wenn mehrere Spielvarianten möglich sind und keine Spielanleitung herrscht. In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß bei einer von gleichzeitig sechs bis acht Kindern durch Aufsteigen zu einer Rutsche, Abrutschen und Wiederanstellen zum Aufstieg gepflogenen Spielweise die Beaufsichtigung entweder die Beobachtung der Einhaltung der Spielordnung oder eine unmittelbare Nachbarschaft zum Spielgerät mit der Möglichkeit, bei Ordnungsstörungen zumindest durch Zuruf eingreifen zu können, erfordert (1 Ob 8/91 ‑ nicht veröffentlicht). In dieser Entscheidung wurde wörtlich ausgeführt: "Wird die einzige Aufsichtsperson durch andere Vorfälle (andere Spielgerätüberwachungen, Befassen mit einem oder mehreren anderen Kindern wegen deren Einzelproblemen, Abgang zum Telefon usw) in Anspruch genommen, darf sie die in mehreren Gruppen an Spielgeräten (Turngeräten) spielenden Kindern nicht unbeaufsichtigt an diesen Geräten zurücklassen. Vielmehr muß sie die Spiele an gefahrenträchtigen Geräten (das sind sowohl eine Rutsche wie eine Schaukel oder ein Karussell) vorübergehend unterbinden, weil vorher unter Aufsicht stehende Kinder im Kindergartenalter bei auch nur vorübergehender Abwesenheit der Aufsichtsperson erfahrungsgemäß schnell zu abweichendem Verhalten neigen können. Diesen Sorgfaltsmaßstab hat die Kindergärtnerin im Sinne des § 1299 ABGB zu vertreten."
Die dargelegten Grundsätze sind aber im vorliegenden Fall zufolge anders gelagerten Sachverhaltes nicht anwendbar.
Ganz allgemein bestimmt sich das Maß der Aufsichtspflicht über Kinder danach, was angesichts des Alters, der Eigenschaft und der Entwicklung des Aufsichtsbedürftigen vom Aufsichtsführenden vernünftigerweise verlangt werden kann. Die Möglichkeit zum Aufenthalt und Spielen im Freien muß, wenn es mit den Verkehrsverhältnissen vereinbar ist, auch Kindern im Alter von vier Jahren erhalten bleiben. Es trifft zwar zu, daß zu den durch die gesetzlichen Anstellungserfordernisse von Kindergärtnerinnen geschützten Interessen auch die Wahrung der körperlichen Sicherheit der in einem Kindergarten untergebrachten Kleinkinder gehört (SZ 53/12 = JBl 1981, 268 = EvBl 1980/200), doch sind hinsichtlich des Ausmaßes der Aufsichtspflicht immer die besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles maßgeblich (ZVR 1991/156; 1 Ob 550/90 ua).
Zutreffend hat das Berufungsgericht allein in der Tatsache, daß die beiden Kindergärtnerinnen einem vierjährigen Kind das Spielen auf einer Wippschaukel gestattet haben, keinen Sorgfaltsverstoß erblickt. Dieses Spielgerät ist an sich harmlos und insbesondere für die Benützung durch Kinder gedacht, zumal diese selbst auf die Schaukel klettern können und die Schaukel auch keine besondere Höhe erreicht. Für die beiden Kindergärtnerinnen bestand daher kein Anlaß, an der Gefahrlosigkeit der Benützung dieser Wippschaukel durch den Kläger zu zweifeln. Sie standen nach den Feststellungen am Rand der Spielfläche in einer Entfernung von 7 oder 8 m zum Kläger. Seine Verletzung entstand dadurch, daß das auf der anderen Seite befindliche Kind plötzlich absprang, wodurch er zu Boden stürzte. Selbst wenn eine der beiden Kindergärtnerinnen dicht neben der Schaukel gestanden wäre, hätte sie den Unfall mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht verhindern können. Nicht erwartet werden konnte von den Kindergärtnerinnen, allen ihnen anvertrauten Kindern die Benützung der Spielgeräte auf dem Kinderspielplatz überhaupt zu verbieten. Die Benützung von Kinderspielplätzen und der dort aufgestellten Spielgeräte birgt immer ein gewisses Risiko in sich, das auch durch sorgfältigste Beaufsichtigung nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann (5 Ob 540/94 zur Verantwortung für die Ausstattung und den Erhaltungszustand von Spielgeräten, die dem Bewegungsdrang und der Abenteuerlust von Kindern Raum geben). Das Berufungsgericht ist von diesen in der Judikatur herausgearbeiteten Grundsätzen ausgegangen; in seiner Ablehnung der Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen ist keine Fehlbeurteilung zu erblicken, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müßte. Die außerordentliche Revision zeigt insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Daraus folgt aber die Unzulässigkeit des außerordentlichen Rechtsmittels.
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