OGH 10Nc20/19a

OGH10Nc20/19a9.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und durch die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z*****, vertreten durch Heinke . Skribe + Partner Rechtsanwaelte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Air S*****, wegen 600 EUR sA, über den Ordinationsantrag nach § 28 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100NC00020.19A.0709.000

 

Spruch:

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt die Zahlung von 600 EUR durch das beklagte Flugunternehmen mit Sitz in B*****, Serbien. Er stützt sich auf die Verordnung (EG) 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (EU‑FluggastrechteVO). Der Kläger habe für 22. 12. 2017 bei der Beklagten einen Flug von Wien nach Belgrad gebucht. Er sei jedoch gegen seinen Willen von der Beklagten mit diesem Flug nicht befördert worden, sodass ihm der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zustehe.

Das Bezirksgericht Schwechat wies die Klage mit – vom Landesgericht Korneuburg als Rekursgericht bestätigtem – rechtskräftigem Beschluss vom 3. 1. 2019 mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Der Kläger könne sich zur Begründung eines Gerichtsstands nicht auf § 88 JN berufen.

Verbunden mit seinem Rekurs beantragte der Kläger am 21. 1. 2019 beim Obersten Gerichtshof gemäß § 28 JN die Ordination des Rechtsstreits an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind nicht gegeben.

1. Die bereits erfolgte Zurückweisung der Klage wegen (internationaler) örtlicher Unzuständigkeit steht dem Ordinationsantrag nicht grundsätzlich entgegen, weil im Fall seiner Stattgebung die Klage neu beim ordinierten Gericht einzubringen wäre (RS0046568 [T4]).

2. Die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 1 JN (Verpflichtung Österreichs zur Ausübung der Gerichtsbarkeit) sind hier nicht gegeben. Insbesondere ergibt sich aus der EU‑FluggastrechteVO keine Verpflichtung zur Ausübung der österreichischen Gerichtsbarkeit (näher dazu 5 Nc 25/16w ZVR 2017/185, 339 [P. Mayr]). Der Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 ist im vorliegenden Fall nicht eröffnet (Art 6 Nr 1 EuGVVO 2012; Art 18 Nr 1 EuGVVO 2012 ist nach dem Vorbringen des Klägers wegen Art 17 Nr 4 EuGVVO 2012 nicht anwendbar). Darüber hinaus würde sich im Fall der Anwendbarkeit der EuGVVO 2012 die internationale örtliche Zuständigkeit unmittelbar aus dieser ergeben (Art 7 Nr 1 lit b zweiter Spiegelstrich EuGVVO 2012), sodass kein Anwendungsfall des § 28 Abs 1 Z 1 JN vorläge (5 Nc 25/16w).

3.1 Der Kläger stützt den Ordinationsantrag inhaltlich (nur) auf § 28 Abs 1 Z 2 JN, also auf den Fall der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland. Durch diese Bestimmung wird die internationale Zuständigkeit Österreichs erweitert, indem eine Notkompetenz für den Fall eröffnet wird, dass die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist (Garber in Fasching/Konecny I³ § 28 JN Rz 22).

3.2 Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland wird in Lehre und Rechtsprechung insbesondere dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozessführung im Ausland eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder äußerst kostspielig wäre (2 Nc 12/19s; RS0046148).

3.3 Der Kläger macht dazu lediglich geltend, dass nationale österreichische Verfahrensregeln nach dem Grundsatz der Effektivität die Verfolgung der sich aus der EU‑FluggastrechteVO ergebenden Rechte nicht praktisch unmöglich machen dürften. Serbische Gerichte würden diese Verordnung aber nicht anwenden. Serbische Gerichte würden vielmehr das serbische „Gesetz über Obligationsverhältnisse und Grundlagen der eigentumsrechtlichen Verhältnisse im Luftverkehr“ anwenden. Dieses Gesetz sei zwar der EU‑FluggastrechteVO nachempfunden, weise aber auch erhebliche Unterschiede auf. Insbesondere werde nach serbischem Recht – „soweit bekannt“ – eine Ausgleichszahlung nur im Fall der Überbuchung gewährt, nicht aber in anderen Fällen der Beförderungsverweigerung. Selbst wenn serbische Gerichte die EU‑FluggastrechteVO „aus welchen Gründen immer“ anwenden sollten, wäre von einer übermäßigen Erschwernis für Verbraucher auszugehen, wenn diese ihre Rechte nur in einem Drittstaat wahrnehmen könnten.

3.4 Damit legt der Kläger gar nicht dar, dass eine Klagsführung in Serbien unmöglich und ein dort erwirkter Titel nicht vollstreckbar wäre. Die von ihm kritisierte unterschiedliche Ausgestaltung der materiellen Rechtslage kann allein für eine Ordination nicht ausreichen (5 Nc 25/16w; RS0117751). Insbesondere darf die Ordination nicht dazu dienen, dass der Antragsteller einer bestimmten materiellen Rechtslage zu entrinnen vermag, die er subjektiv als Härte oder als ungerecht empfindet (RS0117751 [T1]).

3.5 Die EU‑FluggastrechteVO, auf die der Kläger seinen Anspruch stützt, ist Bestandteil des Unionsrechts. Die zu dessen Durchsetzung dienenden innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dürfen daher nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (für viele zB EuGH 28. 3. 2019 C‑637/17, Cogeco, Rn 43 mwH). Dazu hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Nc 1/19b ausgeführt, dass dieser Grundsatz des Unionsrechts dafür spreche, (jedenfalls) Fluggästen, die aufgrund eines Beförderungsvertrags mit einem Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat von einem in der Europäischen Union liegenden Flughafen abfliegen, die Geltendmachung und Durchsetzung von in der Verordnung begründeten Ansprüchen nicht zu erschweren. Dass der vom Kläger im Verfahren geltend gemachte Gerichtsstand des Erfüllungsorts gemäß § 88 JN diesen Anforderungen möglicherweise nicht entspricht (vgl dazu die Anregung an den Gesetzgeber im Tätigkeitsbericht des Obersten Gerichtshofs für das Jahr 2018, S 38 f, abrufbar über https://www.ogh.gv.at/media/ ogh_taetigkeitsbericht_2018.pdf; Plavec, Schwechat, Luton oder Newark? Zur internationalen Zuständigkeit iZm der Fluggastrechte‑VO, ecolex 2017, 607 [608]), ist im Verfahren gemäß § 28 JN nicht zu prüfen.

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN ist vielmehr in jedem einzelnen Fall zu beurteilen. Diese Bestimmung bietet keine Grundlage dafür, eine allenfalls fehlende (generelle) Zuständigkeitsvorschrift des Verfahrensrechts nur aus dem Grund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (generell und) unabhängig vom Einzelfall zu ersetzen: denn es können durchaus Fälle denkbar sein, in denen die Rechtsverfolgung auch von Rechten aus der EU‑FluggastVO in einem Drittstaat weder unmöglich noch unzumutbar ist. Es hat daher der Oberste Gerichtshof in dem insofern vergleichbaren Fall 6 Nc 1/19b die Ordination vor allem damit begründet, dass zwischen Österreich und Serbien kein Abkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen nach der EU‑FluggastVO bestehe, wobei die damaligen Kläger ausreichend behauptet und bescheinigt haben, dass die beklagte Fluglinie in Österreich Vermögen habe und daher hier gegen sie Exekution geführt werden solle. Vergleichbare Behauptungen hat der Kläger im vorliegenden Antrag jedoch nicht aufgestellt.

4. Ein Fall des § 28 Abs 1 Z 3 JN (Vereinbarung der inländischen Gerichtsbarkeit) liegt offenkundig nicht vor und wird vom Kläger auch nicht behauptet.

Der Ordinationsantrag ist im konkreten Fall daher nicht berechtigt.

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