Spruch:
Art. 10 EMRK - Bezeichnung eines Professors als "Spesenritter und Abzocker".
Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).
Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK (einstimmig).
Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Die Bf. ist Medieninhaberin der Tageszeitung „Neue Kronenzeitung". 1996 gründeten die Firma T. und eine weitere Gesellschaft die Techno-Z FH Forschungs- und Entwicklungs-GmbH (im Folgenden: Techno-Z FH). Die Aufgabe dieser nicht gewinnorientierten Gesellschaft bestand in der Förderung und Unterstützung der Entwicklung der Informationsgesellschaft. Dieses Ziel sollte unter anderem durch die Durchführung von Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Studien sowie die Herausgabe von Publikationen erreicht werden. Die Techno-Z FH wurde unter anderem vom Land Salzburg gefördert. Im Mai 1999 wurde der Vorsitzende der Firma T. entlassen. Bei einer damals veranstalteten Pressekonferenz lobte die Firma T. die Entwicklung der Techno-Z FH. In der „Neuen Kronenzeitung" erschien daraufhin eine Serie von Artikeln über Herrn Bruck, den Geschäftsführer der Techno-Z FH.
In einem am 27.5.1999 unter der Überschrift „Geheimbericht enthüllt neuen Skandal um Techno-Z" erschienenen Artikel wurde Herrn Bruck vorgeworfen, es mit den Finanzen in der Techno-Z FH „locker zu nehmen" und ohne rechtlicher Grundlage „fürstlich" zu kassieren. Zudem habe er sich seine „Reiselust" von der Techno-Z FH finanzieren lassen und seine „finanzielle Gier" mit hohen Tantiemen gestillt. Am folgenden Tag erschien ein weiterer Artikel, der folgende Passage enthielt: „Der Skandal rund um den sogenannten ‚Medienprofessor' Peter Aurelius Bruck am Salzburger Techno-Z wird immer ärger: Nicht nur bei Gehalt, Prämien und Dienstreisen langte Bruck voll zu. Ohne Genehmigung streckte er beim Firmenkonto den Überziehungsrahmen." In dem Artikel wurde Bruck vorgeworfen, ein monatliches Gehalt in der Höhe von ATS 90.000,- (€ 6.540,-) ohne vertragliche Grundlage, rund ATS 400.000,- (€ 29.000,-) jährlich für „Dienstreisen" und eine hohe sechsstellige Summe an „Tantiemen" unberechtigt bezogen zu haben. In einem weiteren kurzen Text wurde Herr Bruck als „Spesenritter und Abkassierer" bezeichnet, der dem Ansehen Salzburgs geschadet hätte. Zwischen 29.5.1999 und 14.6.1999 erschienen drei weitere Artikel, in denen die Vorwürfe im Wesentlichen wiederholt und berichtet wurde, dass auch eine zweite Prüfung der Techno-Z FH schwere Mängel in der Geschäftsführung von Herrn Bruck bestätigt hätte.
Am 21.10.1999 wurde Herr Bruck seiner Funktion als Geschäftsführer enthoben.
Herr Bruck strengte wegen dieser Artikel ein Verfahren nach § 8a und § 6 MedienG an, in dem er eine Entschädigung sowie Urteilsveröffentlichung begehrte. Das LG Salzburg wies die Klage am 6.4.2001 ab. Der Einzelrichter stellte fest, dass zwei Prüfungen der Buchhaltung und Finanzgebahrung der Techno-Z FH tatsächlich gravierende Mängel zu Tage gefördert hätten. Die Vorwürfe gegen Herrn Bruck seien daher zum Teil als wahre Tatsachenbehauptungen und zum Teil als Werturteile zu qualifizieren, die auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhten.
Aufgrund einer vom Kläger erhobenen Berufung behob das OLG Linz diese Entscheidung am 25.7.2002. Wie das OLG feststellte, wurden die im ersten Prüfbericht behaupteten Mängel durch die zweite Prüfung nicht bestätigt. Die Artikelserie beschuldige den Kläger daher zu Unrecht der Veruntreuung, ungerechtfertigten Bereicherung und kaufmännischen Ungeschicktheit. Die Berichterstattung der Bf. entspreche nicht der journalistischen Sorgfaltspflicht, da sie keine ausgewogene und objektive Recherche angestellt und Herrn Bruck nicht befragt habe. Die Bf. wurde zur Zahlung einer Entschädigung von € 14.500,- verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die bf. Gesellschaft behauptet eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Recht auf freie Meinungsäußerung) und Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren).
Zur Zulässigkeit der Beschwerde:
Wie der GH feststellt, ist die Beschwerde unter Art. 10 EMRK nicht offensichtlich unbegründet. Da sie auch aus keinem anderen Grund unzulässig ist, muss sie für zulässig erklärt werden (einstimmig). Soweit eine Verletzung von Art. 6 EMRK geltend gemacht wird, ist die Beschwerde als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:
Die bf. Gesellschaft bringt vor, ihre Verurteilung nach dem Mediengesetz habe sie in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.
Das Vorliegen eines Eingriffs in das Recht der bf. Gesellschaft auf freie Meinungsäußerung ist unbestritten. Ein solcher Eingriff verstößt gegen Art. 10 EMRK, wenn er nicht gesetzlich vorgesehen ist, einem der in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten legitimen Ziele dient und zum Erreichen dieses Ziels in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.
Wie die Parteien anerkennen, war der Eingriff in § 6 MedienG iVm. § 111 StGB gesetzlich vorgesehen. Unbestritten ist auch, dass er dem legitimen Ziel des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer diente.
Der GH unterscheidet in seiner Praxis zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Während das Bestehen von Tatsachen bewiesen werden kann, ist der Wahrheitsgehalt von Werturteilen einem Beweis nicht zugänglich. Auch wenn es sich bei einer Äußerung um ein Werturteil handelt, kann die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs vom Bestehen einer ausreichenden Tatsachengrundlage abhängen.
Im vorliegenden Fall stellt der GH fest, dass Fragen betreffend die Verwendung öffentlicher Mittel ohne Zweifel eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse sind. Die Presse ist eines der Mittel, durch das sich Politiker und die öffentliche Meinung vergewissern können, dass öffentliche Gelder den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchhaltung gemäß verwendet werden und nicht der Bereicherung einzelner Personen dienen. Der GH ist daher der Ansicht, dass das Interesse der Bf. an der Verbreitung der Information über diesen Gegenstand gegenüber dem Interesse von Herrn Bruck überwog und dass die Bf. ihren Pflichten und Verantwortungen als „öffentlicher Wachhund" (public watchdog) entsprach.
Im Gegensatz zur Ansicht des OLG Linz sind die meisten der umstrittenen Ausdrücke wie „finanzielle Reiselust", „finanzielle Gier" und „Spesenritter" als Werturteile zu qualifizieren und nicht als Tatsachenbehauptungen. Sie spiegeln Kommentare über eine Angelegenheit von hohem öffentlichem Interesse wider, die Ausdruck der Meinung des Autors und daher einem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich sind.
Es bestand eine ausreichende Tatsachengrundlage für solche Werturteile, weil die bf. Gesellschaft ihre Artikel auf den Haushaltsbericht des Unternehmens und auf zwei Rechnungsprüfungsberichte stützte, die Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung, sehr hohe Reisekosten und die Zahlung hoher Tantiemen an Herrn Bruck aufzeigten. Diese Berichte stellen daher eine ausreichende Grundlage für die umstrittenen Behauptungen dar. Selbst wenn es sich bei den übrigen Äußerungen um Tatsachenbehauptungen handelt, hat die bf. Gesellschaft bewiesen, dass diese alles in allem korrekt waren. Herr Bruck hatte keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Ein kaufmännischer Geschäftsführer wurde bestellt, um die Buchhaltung zu verbessern und zwei Wirtschaftstreuhänder hatten tatsächlich schwerwiegende Mängel festgestellt.
Obwohl es für die bf. Gesellschaft ratsam gewesen wäre, vor der Veröffentlichung der umstrittenen Artikel eine Stellungnahme von Herrn Bruck einzuholen, ist dieses Versäumnis für sich alleine nicht ausreichend um festzustellen, dass der Eingriff in ihr Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt war.
Der GH gelangt daher zu dem Schluss, dass die vom OLG Linz angewendeten Standards den Grundsätzen des Art. 10 EMRK nicht entsprachen und das Gericht zur Rechtfertigung des umstrittenen Eingriffs zwar relevante aber keine ausreichenden Gründe vorbrachte. Angesichts des geringen Spielraums für Einschränkungen einer Debatte über Fragen von öffentlichem Interesse ist der GH der Ansicht, dass die innerstaatlichen Gerichte ihren engen Ermessensspielraum überschritten haben und der Eingriff unverhältnismäßig zum verfolgten Ziel war. Daher hat eine Verletzung von Art. 10 EMRK stattgefunden (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK:
Die bf. Gesellschaft stellte keinen Antrag auf eine gerechte
Entschädigung. Eine solche ist ihr daher nicht zuzusprechen
(einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Lingens/A v. 8.7.1986, A/103; EuGRZ 1986, 424.
Oberschlick/A (Nr. 1) v. 23.5.1991, A/204; EuGRZ 1991, 216; ÖJZ 1991,
641.
Jerusalem/A v. 27.2.2001; NL 2001, 52; ÖJZ 2001, 693.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 14.11.2008, Bsw. 9605/03, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2008, 340) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/08_6/Krone.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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