Spruch:
Art. 8 EMRK - Verwendung der Initialen von Karl-Heinz Grasser für Brettspiel.
Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Begründung:
Der Bf. war zwischen 2000 und 2007 Finanzminister Österreichs. Auch nach seiner Amtszeit blieb er wegen seiner Hochzeit mit einer bekannten österreichischen Unternehmerin (F. S.) und wegen seiner angeblichen Verwicklung in mehrere Korruptionsfälle in den Medien präsent. In der Öffentlichkeit wurde und wird auf ihn häufig mit seinen Initialen »KHG« Bezug genommen.
Im Jahr 2015 gaben zwei Unternehmer ein Spiel mit dem Namen »KHG – Korrupte haben Geld« heraus. Das Spiel funktioniert ähnlich wie die deutsche Version von Monopoly (»DKT – Das kaufmännische Talent«) und nimmt auf 35 der »spektakulärsten Korruptionsfälle – mutmaßlich oder abgeurteilt« Bezug. Ein beigefügtes Booklet bietet Hintergrundinformationen zu den verwendeten Fällen. Der Bf. ist eine der prominentesten Personen, die in dem Spiel genannt werden und wird im Booklet mehrere Male erwähnt.
Am 22.12.2015 klagte der Bf. unter Berufung auf § 43 ABGB gegen die Verwendung seiner Initialen durch die Herausgeber des Brettspiels, da dieses sein Namensrecht und seine Persönlichkeitsrechte verletzen würde. Die Beklagten hätten nämlich seinen Namen bzw. seine Initialen unrechtmäßig für geschäftliche Zwecke verwendet und ihn mit Korruption in Verbindung gebracht, was seinen guten Ruf verletzt habe.
Das LG für Zivilrechtssachen Wien wies die Klage des Bf. am 31.5.2016 ab. Es führte aus, die Beklagten hätten das Spiel geschaffen, um mit satirischen und humoristischen Mitteln Bewusstsein für das Problem der Korruption zu schaffen. Da es sich bei dem Bf. um eine »absolute Person der Zeitgeschichte« handle, sei es erlaubt, ihn in Verbindung mit einer laufenden Ermittlung auf der Basis eines begründeten Verdachts von Korruption namentlich zu erwähnen, wenn zugleich darauf hingewiesen werde, dass in der Sache noch kein rechtskräftiges Urteil ergangen sei. Unter Abwägung der Persönlichkeitsrechte des Bf. mit dem Recht der Beklagten auf künstlerischen Ausdruck in der Form von Satire erachtete das Gericht den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Ersteren für zulässig.
Das OLG Wien bestätigte diese Entscheidung am 17.8.2016. Der OGH wies am 25.10.2016 (4 Ob 209/16p) die vom Bf. gegen das Erkenntnis des OLG erhobene Revision ab.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. rügte unter Art. 8 EMRK, dass die österreichischen Gerichte es durch die Abweisung seiner Klage gegen die Herausgeber des Brettspiels verabsäumt hätten, das Recht an seinem Namen sowie seinen guten Ruf zu schützen.
(14) Der GH beobachtet, dass der Bf. sich nicht über ein staatliches Handeln beschwert, sondern vielmehr über das Versäumnis des Staates, ihn gegen die ohne seine Einwilligung erfolgte Verwendung seiner Initialen zu schützen. Während die Hersteller des Spiels die Initialen des Bf. gewiss absichtlich auswählten, um öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Projekt zu erregen, so stellt dies für sich noch keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Bf. unter Art. 8 EMRK dar. Es muss vielmehr entschieden werden, ob zwischen den widerstreitenden Interessen, nämlich einerseits dem Recht des Bf. auf Achtung seines Privatlebens aus dem Blickwinkel der positiven Verpflichtungen des Staates unter Art. 8 EMRK und andererseits der Meinungsäußerungsfreiheit der Spieleherausgeber nach Art. 10 EMRK ein gerechter Ausgleich geschaffen wurde.
(15) Im innerstaatlichen Verfahren wurde von den Beklagten vorgebracht, dass die Veröffentlichung des Brettspiels das Ziel verfolgte, mittels einer satirischen Herangehensweise an das Thema die breitere Öffentlichkeit über die wichtigsten Korruptionsfälle in Österreich in der jüngeren Vergangenheit zu informieren und für das Problem zu sensibilisieren. Satire stellt einen Weg dar, um lasterhaftes menschliches Verhalten zu kritisieren und bloßzustellen und Politik auf humorvolle Weise lächerlich zu machen. Dem liegt oft die Absicht zugrunde, zu Verbesserungen beizutragen. Es handelt sich dabei um eine Kunstform, die grundsätzlich durch die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks geschützt ist. In diesem Zusammenhang stimmt der GH mit den innerstaatlichen Gerichten überein, dass das gegenständliche Brettspiel – auch wenn es ebenso einen geschäftlichen Zweck verfolgte – als Satire betrachtet werden muss, die aus den von den innerstaatlichen Gerichten vorgebrachten Gründen die zulässigen Grenzen der Meinungsfreiheit nicht überschritt. Der Bf. ist ein sehr bekannter ehemaliger Politiker, im Hinblick auf den die Grenzen der akzeptablen Kritik weiter sind als im Hinblick auf eine Privatperson. Er muss deshalb ein höheres Maß an Toleranz walten lassen, wenn es um Veröffentlichungen geht, die sich auf ihn beziehen. Der GH hält fest, dass gegen den Bf. als früheren Finanzminister – ein Amt, das offensichtlich ein hohes Maß an Integrität in finanziellen Angelegenheiten verlangt – wegen angeblicher Verwicklung in Korruptionsfälle ermittelt wurde. Wie das Zivilgericht überzeugend dargelegt hat, ist es daher in der Tat erlaubt, die Öffentlichkeit über laufende Untersuchungen über angebliche Korruption zu informieren, wenn zur gleichen Zeit erwähnt wird, dass noch kein rechtskräftiges Urteil ergangen ist. Zudem wurde die Verbindung zwischen dem Bf. und Korruptionsfällen bereits lange vor der Herausgabe des Spiels hergestellt. Außerdem betraf Letzteres nicht ausschließlich den Bf., obwohl er unbestreitbar der Namensgeber des Spiels und eine der prominentesten Personen in den 35 Korruptionsfällen war, auf die Bezug genommen wurde. Letztlich betont der GH, dass der Bf. auf keine Weise vorgebracht hat, in dem Spiel eines Verbrechens beschuldigt worden zu sein.
(16) Der GH wiederholt, dass die Wahl der Mittel zur Sicherstellung der Einhaltung von Art. 8 EMRK im Bereich von Beziehungen zwischen Individuen untereinander grundsätzlich eine Angelegenheit ist, die in den Ermessensspielraum der Vertragsstaaten fällt. Dieser Ermessensspielraum ist im Wesentlichen derselbe wie jener, der den Staaten unter Art. 10 EMRK für die Beurteilung zur Verfügung steht, ob und in welchem Ausmaß ein Eingriff in die durch diesen Artikel geschützte Meinungsäußerungsfreiheit notwendig ist. Der GH hat bereits früher festgestellt, dass Staaten bei der Regulierung von Rede in kommerziellen Angelegenheiten oder Werbung ein besonders weiter Ermessensspielraum zukommt. Wenn die Abwägung von den nationalen Behörden im Einklang mit den in der Rechtsprechung des GH dargelegten Kriterien erfolgt ist, verlangt Letzterer starke Gründe, um seine Ansicht an die Stelle jener der innerstaatlichen Gerichte zu setzen. Im vorliegenden Fall haben die innerstaatlichen Behörden die obigen Faktoren gebührend berücksichtigt und zwischen den widerstreitenden Interessen einen gerechten Ausgleich geschaffen. Der GH sieht keine – und schon gar keine starken – Gründe, um von dieser Beurteilung abzuweichen.
(17) Folglich besteht kein Anschein einer Verletzung von Art. 8 EMRK. Daraus folgt, dass die Beschwerde gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK als offensichtlich unbegründet [und daher unzulässig] zurückgewiesen werden muss (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Von Hannover/D (Nr. 2) v. 7.2.2012 (GK) = NLMR 2012, 45 = EuGRZ 2012, 278
Bohlen/D v. 19.2.2015 = NLMR 2015, 53 = EuGRZ 2016, 17
Haupt/A v. 2.5.2017 (ZE) = NLMR 2017, 235
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 23.4.2019, Bsw. 37898/17, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2019, 213) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
