EGMR Bsw21623/13

EGMRBsw21623/1316.10.2018

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer IV, Beschwerdesache Könyv-Tar Kft u.a. gg. Ungarn, Urteil vom 16.10.2018, Bsw. 21623/13.

 

Spruch:

Art. 1 1. Prot. EMRK - Staatliche Monopolisierung des Schulbuchvertriebs.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Verletzung von Art. 1 1. Prot EMRK (6:1 Stimmen).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: Die Frage der Anwendung von Art. 41 EMRK ist nicht entscheidungsreif (6:1 Stimmen).

 

Begründung:

Sachverhalt:

Bei den Bf. handelt es sich um drei ungarische Unternehmen, die im Vertrieb von Schulbüchern tätig waren. Das ungarische Schulsystem wurde 2011 und 2012 durch eine Reihe von Maßnahmen grundlegend umgestaltet und staatlich zentralisiert. Mit den Gesetzen Nr. CLXVI aus 2011 und CXXV aus 2012 (gemeinsam als »Neue Regulierungen« bezeichnet) wurde unter anderem der Schulbuchmarkt neu geregelt.

Vor diesen Änderungen, die mit dem im Herbst 2013 beginnenden Schuljahr wirksam wurden, war der Schulbuchmarkt nur insofern reguliert, als die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Werks als Schulbuch gesetzlich festgelegt waren. Zudem wurden zum Teil Höchstpreise fixiert oder Unterstützungen für Bedürftige gewährt. Der Vertrieb erfolgte jedoch auf einem unregulierten, stark wettbewerbsorientierten Markt. Kunden der Vertreiber waren die Schulen, die sowohl den Verleger als auch den Vertreiber der Schulbücher auswählen konnten. Die Aufgabe der Vertreiber bestand insbesondere in der Abwicklung von Bestellungen, der Verrechnung und der Erledigung von Rücksendungen. Der Markt wurde landesweit von rund 30 Schulbuchvertreibern beherrscht. Sie alle strebten danach, möglichst viele Schulen als Kunden zu gewinnen.

Die »Neuen Regulierungen« schufen ein neues System des Schulbuchvertriebs, das auf dem Grundsatz beruhte, dass es sich dabei um eine staatliche Aufgabe handle. Dazu wurde ein einziges, in staatlichem Eigentum stehendes Unternehmen namens Könyvtárellátó gegründet und der gesamte Vertrieb von Schulbüchern bei diesem zentralisiert und monopolisiert.

Da die bf. Unternehmen durch diese Reform aus dem Markt ausgeschlossen wurden, wandten sie sich mit einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser stellte das Verfahren am 14.4.2014 ein, ohne in der Sache zu entscheiden. Begründet wurde dies damit, dass die angefochtenen »Neuen Regulierungen« durch das mit 1.1.2014 in Kraft getretene Gesetz Nr. CCXXXII aus 2013 aufgehoben worden seien und sich daher eine Prüfung ihrer behaupteten Verfassungswidrigkeit erübrige.

Mit diesem Gesetz Nr. CCXXXII wurde jeglicher auf dem freien Markt beruhende Vertrieb von Schulbüchern abgeschafft und ein zur Gänze staatlich organisiertes System eingeführt.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupteten eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK

(22) Die Bf. brachten vor, die Schaffung eines staatlichen Monopols auf dem Markt für den Vertrieb von Schulbüchern hätte sie in ihrem Recht auf Achtung des Eigentums verletzt. [...]

Zulässigkeit

(23) Die Regierung wandte ein, dass die Beschwerde verfrüht wäre und die bf. Unternehmen nicht alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hätten [...]. Sie brachte vor, die von ihnen erhobene Verfassungsbeschwerde wäre ein effektives Rechtsmittel und das Verfahren damals noch anhängig gewesen. [...]

(24) Außerdem [...] hätten die Bf. eine auf die Verletzung von Unionsrecht gestützte Schadenersatzklage einbringen müssen [...].

(26) [...] Im vorliegenden Fall stellte der Verfassungsgerichtshof das Verfahren ein, ohne in der Sache zu entscheiden. Ohne die Frage zu behandeln, ob eine Verfassungsbeschwerde an den ungarischen Verfassungsgerichtshof im Allgemeinen ein effektiver Rechtsbehelf iSv. Art. 35 Abs. 1 EMRK ist, vertritt der GH die Ansicht, dass von den Bf. im vorliegenden Fall nicht erwartet werden konnte, eine weitere Beschwerde zur Anfechtung von Gesetz Nr. CCXXXII aus 2013 zu erheben, nachdem ihre erste Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof ohne Behandlung in der Sache zurückgewiesen worden war.

(27) Was eine mögliche Schadenersatzklage wegen Verletzung von Unionsrecht betrifft, berücksichtigt der GH ein jüngeres Urteil des Obersten Gerichtshofs, in dem dieser [...] ein Versäumnis des Staates feststellte, eine Richtlinie angemessen umzusetzen, was Auswirkungen auf das Privatleben des Klägers hatte. Die Haftung des Staates wurde daher grundsätzlich bejaht. Dennoch wurde der Schadenersatzanspruch verneint, weil das Zivilgesetzbuch keine Bestimmung über die direkte Verantwortung des Gesetzgebers enthalte. Der GH ist daher nicht überzeugt davon, dass eine Schadenersatzklage wegen Verletzung von Unionsrecht ein effektiver Rechtsbehelf gewesen wäre, der Wiedergutmachung für die Rügen der bf. Unternehmen leisten hätte können und ausreichende Erfolgsaussichten gehabt hätte.

(28) Insgesamt [...] kann die Beschwerde daher nicht wegen Nichterschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe zurückgewiesen werden.

(29) Die Regierung brachte zudem vor, im vorliegenden Fall gehe es nicht um »Eigentum« iSv. Art. 1 1. Prot. EMRK, weshalb die Beschwerde ratione materiae unvereinbar mit der Konvention wäre. [...]

(31) Der GH erinnert an die autonome Bedeutung des Begriffs »Eigentum« in Art. 1 1. Prot. EMRK, die sicher nicht auf den Besitz an physischen Gütern beschränkt ist. Bestimmte andere Rechte und Interessen, die Vermögenswerte darstellen, können ebenso als »Eigentumsrechte« angesehen werden und folglich auch als »Eigentum« im Sinne dieser Bestimmung. [...] Die Anwendbarkeit von Art. 1 1. Prot. EMRK erstreckt sich unter anderem auf Unternehmen und ihre Kunden sowie ihren Goodwill, da es sich dabei um Einheiten von einem gewissen Wert handelt, die in vielerlei Hinsicht den Charakter eines Privatrechts haben und daher Vermögenswerte darstellen und Eigentum iSv. [...] Art. 1 1. Prot. EMRK sind.

(32) Im vorliegenden Fall [...] hatten die seit vielen Jahren im Geschäft des Schulbuchvertriebs tätigen bf. Unternehmen enge Beziehungen zu den Schulen in ihrer Umgebung aufgebaut. Die Zahl an Kunden ist in diesem Geschäft begrenzt und wird immer von der Zahl von Schulen und Schülern in einer bestimmten Gegend abhängen. Der GH ist daher überzeugt, dass der Kundenstock – wenngleich seiner Natur nach etwas volatil – eine wesentliche Grundlage des von den bf. Unternehmen aufgebauten Geschäfts ist, von der nach dem Stand der Dinge in anderen Handelsaktivitäten nicht leicht profitiert werden kann. Tatsächlich hat der verlorene Kundenstock der bf. Unternehmen in vielerlei Hinsicht den Charakter eines Privatrechts und stellt daher einen Vermögenswert und somit »Eigentum« iSv. Art. 1 1. Prot. EMRK dar. Die Beschwerde kann daher nicht als ratione materiae unvereinbar mit der Konvention zurückgewiesen werden.

(33) [...] Dieser Beschwerdepunkt ist nicht offensichtlich unbegründet [...] und auch aus keinem anderen Grund unzulässig. Er muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

In der Sache

(37) Die bf. Unternehmen brachten vor, es laufe auf die Schaffung eines Monopols hinaus, eine in Staatseigentum stehende Einheit zu errichten und bei dieser eine zuvor nicht zentralisierte wirtschaftliche Aktivität auf einem nicht regulierten Markt zu zentralisieren. Dies begründe einen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Eigentums. [...]

Zum Vorliegen eines Eingriffs

(43) [...] In Folge der umstrittenen gesetzlichen Maßnahme verloren die bf. Unternehmen ihren Kundenstock, der als »Eigentum« iSv. Art. 1 1. Prot. EMRK angesehen werden kann. Der GH stellt daher fest, dass ein Eingriff in die durch diese Bestimmung geschützten Rechte der bf. Unternehmen stattgefunden hat, der in einer Maßnahme zur Regelung der Benutzung des Eigentums bestand. [...]

Zur Rechtfertigung des Eingriffs

(44) [...] Wie der GH feststellt, beruhte [...] die umstrittene Maßnahme auf zwei angemessen kundgemachten Gesetzesänderungen. Dem Erfordernis der Rechtmäßigkeit wurde somit entsprochen.

(46) Der GH muss im vorliegenden Fall nicht entscheiden, ob die Umsetzung der umstrittenen Reform ein legitimes Ziel verfolgte. Selbst unter der Annahme, dass diese Reform auf eine effizientere Verwendung öffentlicher Mittel gezielt hätte, ist der GH nicht davon überzeugt, dass dieses Ziel darin bestand, die Interessen der Endverbraucher (also der Eltern oder der Schüler) zu schützen, da die Preise für Schulbücher unabhängig von den zu prüfenden Maßnahmen schon zuvor staatlich reguliert waren und dies auch weiterhin blieben. Zudem [...] kann auch die Tatsache, dass dem in Staatseigentum befindlichen Schulbuchvertreiber eine Gewinnspanne garantiert wurde, die mit 20 % über der den Bf. vor der Neuregulierung auf dem freien Markt zugestandenen Gewinnspanne von 11–16 % liegt, das Argument der Regierung in Frage stellen, es wäre um die Sicherstellung einer effizienteren Verwendung öffentlicher Mittel gegangen.

(47) Selbst unter der Annahme des Bestehens eines mit diesen Maßnahmen verfolgten legitimen Ziels muss jedenfalls geprüft werden, ob die Umstände des Falls aus Sicht der Verhältnismäßigkeit eine Verletzung [...] von Art. 1 1. Prot. EMRK offenbaren.

(48) [...] Ein gerechter Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Recht des Einzelnen wird nicht gegeben sein, wenn die betroffene Person eine individuelle und exzessive Bürde tragen musste.

(49) Bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Fällen betreffend den Verlust eines Kundenstocks und der Ausübung eines Berufs hat der GH unter anderem das Bestehen von auf das Geschäft des Bf. anwendbaren Regulierungen, den Charakter solcher Regulierungen [...] und das Bestehen von Übergangsmaßnahmen [...] berücksichtigt.

(50) Es ist von zentraler Bedeutung, dass der Staat Maßnahmen zum Schutz vor Willkür setzt, wie dies die Rechtsstaatlichkeit [...] erfordert. Außerdem wurde aus Art. 1 Abs. 2 1. Prot. EMRK, obwohl er keine ausdrücklichen prozessualen Anforderungen enthält, abgeleitet, dass von einer in ihr Eigentum eingreifenden Maßnahme betroffene Personen eine angemessene Gelegenheit erhalten, [...] diese Maßnahme effektiv anzufechten.

(51) Für die Einschätzung, ob die umstrittene Maßnahme den geforderten gerechten Ausgleich achtet und ob sie insbesondere einer Person eine individuelle und exzessive Bürde auferlegt, können zudem die Bedingungen für eine Entschädigung wesentlich sein.

(52) Zunächst weist der GH auf eine Eigenheit des Schulbuchmarkts hin, die in mancherlei Hinsicht ungewöhnlich ist. Die Akteure, von denen die Bücher ausgesucht werden (also die Schulen oder die Lehrer), sind nicht die, die dafür bezahlen (das sind die Endverbraucher, also die Schüler und ihre Eltern). Für den GH erklärt sich dieses Schema aus der Notwendigkeit sicherzustellen, dass alle Schüler in einer Klasse dasselbe Buch verwenden. Dieses Arrangement kann allerdings gewisse Verzerrungen des Marktes verursachen und zu einer potentiell ausgesetzten Situation der Endverbraucher führen. Letztere kann durch Marktregulierungen wie Höchstpreise oder staatliche Subventionen ausgeglichen werden.

(53) Der GH ist allerdings nicht davon überzeugt, dass diese Merkmale des Schulbuchmarkts eine verzerrende Wirkung auf den Wettbewerb zwischen den Teilnehmern am Vertriebsgeschäft, wie den bf. Unternehmen, bewirken. Die Vertreiber unterhielten Vertragsbeziehungen zu den Schulen und nicht zu den Endverbrauchern und den Schulen ihrerseits stand es völlig frei, irgendeinen Vertreiber als lang- oder kurzfristigen Lieferanten zu wählen. Es trifft zu, dass es einen konstanten Absatzmarkt gab (die Zahl der Schüler, die in einem bestimmten Schuljahr Bedarf nach Schulbüchern hatten), der letztendlich der Gesamtheit der Dienstleistungen der bf. Unternehmen und anderer Vertreiber entsprach. Die jeweiligen Anteile an diesem konstanten Absatzmarkt waren den bf. Unternehmen allerdings keineswegs garantiert. Sie mussten ihre Kunden (die Schulen) in einem weitgehend unregulierten und kompetitiven Marktumfeld gewinnen und behalten. Obwohl der Schulbuchmarkt tatsächlich gewisse spezielle Merkmale hatte, schufen diese nach Ansicht des GH keine besondere oder privilegierte Marktsituation für die bf. Unternehmen, die als solche die umstrittene staatliche Intervention gerechtfertigt hätte.

(54) Des Weiteren ist der GH nicht vom Argument der Regierung überzeugt, wonach die »Neuen Regulierungen« den Schulbuchvertrieb nicht monopolisiert oder einer im Staatseigentum befindlichen Einheit exklusive Rechte zur Durchführung von geschäftlichen Aktivitäten eingeräumt hätten, die zuvor von den bf. Unternehmen ausgeübt wurden. Ganz im Gegenteil ist er im Hinblick auf die Realität des Marktes der Ansicht, dass der Staat mit den »Neuen Regulierungen« die bf. Unternehmen daran gehindert hat, ihre Geschäfte fortzusetzen und tatsächlich einen monopolisierten Markt des Schulbuchvertriebs geschaffen hat. Der Monopolcharakter des Marktes wurde durch die spätere Gesetzgebung (Gesetz Nr. CCXXXII aus 2013) bestätigt und gestärkt. Obwohl kein formeller Entzug einer Lizenz erfolgte, schufen die »Neuen Regulierungen« ein System der Schulbuchbeschaffung, in dem die gesamte Kundschaft der bf. Unternehmen von der in staatlichem Eigentum stehenden Könyvtárellátó übernommen wurde. Ab dem Schuljahr 2013/14 waren die bf. Unternehmen von den Schulbuch-Vertriebsverträgen praktisch ausgeschlossen. Alle diese Beobachtungen erlauben den Schluss, dass das Geschäft der bf. Unternehmen in der Praxis nicht fortgesetzt werden konnte.

(55) Es stimmt, dass die bf. Unternehmen theoretisch im Rahmen öffentlicher Vergabeverfahren mit Könyvtárellátó Vereinbarungen über den Vertrieb von Schulbüchern hätten abschließen können. Allerdings [...] waren diese Ausschreibungen in ihrem Umfang eingeschränkt und standen nur Eingeladenen offen. Der GH kann daher nicht davon ausgehen, dass diese öffentlichen Vergabeverfahren eine realistische Aussicht auf Fortsetzung des Geschäfts der bf. Unternehmen und auf Beibehaltung ihrer Kunden geboten hätten.

(56) Obwohl der Eingriff in das Eigentum der bf. Unternehmen eher eine Regelung der Benutzung des Eigentums war und keine Enteignung, weshalb die Rechtsprechung zur Entschädigung für Enteignungen nicht direkt anwendbar ist, muss doch betont werden, dass eine unverhältnismäßige und willkürliche Maßnahme zur Regelung der Benutzung des Eigentums, die insbesondere überhaupt keine Entschädigung vorsieht, nicht den Anforderungen des Eigentumsschutzes nach Art. 1 1. Prot. EMRK entspricht.

(57) Im vorliegenden Fall ist erwähnenswert, dass es der Staat den bf. Unternehmen unmöglich machte, ihr Geschäft fortzuführen, aber keine Möglichkeit einer gerichtlichen Abhilfe oder irgendeiner finanziellen Entschädigung vorsah.

(58) Der dem Staat bei der Auswahl angemessener Maßnahmen zur Umsetzung der fraglichen Reform zustehende Ermessensspielraum ist groß. Sie dürfen allerdings nicht unverhältnismäßig hinsichtlich der eingesetzten Mittel und des angestrebten Ziels sein und sie dürfen den betroffenen Wirtschaftsakteuren keine individuelle und exzessive Bürde auferlegen. Im vorliegenden Fall wurde die drastische Änderung des Geschäfts der bf. Unternehmen durch keine positiven Maßnahmen des Staates abgemildert. Zudem betraf die Intervention eine Geschäftstätigkeit, die zuvor keinen Regulierungen unterlag, diese Tätigkeiten waren in keiner Weise gefährlich und von den Bf. konnte nicht erwartet werden vorherzusehen, dass das Geschäft de facto vom Staat monopolisiert werden würde.

(59) Angesichts (1) der 18-monatigen Übergangsfrist, (2) der Tatsache, dass die bf. Unternehmen nach Inkrafttreten der »Neuen Regulierungen« von Könyvtárellátó zu keiner der geschlossenen Ausschreibungen eingeladen wurden und sie ab dem Schuljahr 2013/14 de facto von Verträgen über den Schulbuchvertrieb ausgeschlossen waren, (3) des Fehlens von Maßnahmen zum Schutz der bf. Unternehmen vor Willkür oder zur Leistung einer Entschädigung, (4) der Unmöglichkeit für die bf. Unternehmen, ihr Geschäft außerhalb des Schulbuchvertriebs fortzusetzen oder neu aufzubauen und (5) des Fehlens eines wirklichen Vorteils für die Eltern oder Schüler, kommt der GH zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht der bf. Unternehmen unverhältnismäßig zum verfolgten Ziel war und dass sie eine individuelle und exzessive Bürde tragen mussten. Daher stellt er eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK fest (6:1 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richter Wojtyczek; im Ergebnis übereinstimmende Sondervoten der Richter Kuris und Pinto de Albuquerque).

Zu den sonstigen behaupteten Verletzungen

(60) Die bf. Unternehmen rügten weiters eine Verletzung von Art. 6 EMRK und Art. 13 EMRK iVm. Art. 1 1. Prot. EMRK durch [...] die Einführung eines völlig neuen Systems des Schulbuchvertriebs durch den Staat ohne Einräumung einer Gelegenheit, eine gerichtliche Überprüfung [...] anzustrengen.

(61) Außerdem behaupteten sie [...] eine Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 1 1. Prot. EMRK.

(62) Der GH erinnert daran, dass Art. 13 EMRK nicht so weit geht, ein Rechtsmittel zu garantieren, mit dem die Gesetze eines Mitgliedstaats wegen eines Verstoßes gegen die Konvention vor einer nationalen Instanz angefochten werden könnten. Die Beschwerde der bf. Unternehmen [...] widerspricht diesem Grundsatz. Folglich ist dieser Beschwerdepunkt offensichtlich unbegründet [...] und daher für unzulässig [...] zu erklären (einstimmig).

(63) Angesichts seiner Feststellungen unter Art. 1 1. Prot. EMRK erachtet es der GH nicht als notwendig, die Beschwerde unter Art. 6 und Art. 14 EMRK iVm. Art. 1 1. Prot. EMRK [...] gesondert zu prüfen (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK

Die Frage der Anwendung von Art. 41 EMRK ist nicht entscheidungsreif und wird daher für einen späteren Zeitpunkt vorbehalten (6:1 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richter Wojtyczek).

 

Vom GH zitierte Judikatur:

Van Marle/NL v. 26.6.1986 = EuGRZ 1988, 35

Iatridis/GR v. 25.3.1999 (GK) = NL 1999, 59 = EuGRZ 1999, 316

Wendenburg/D v. 6.2.2003 (ZE) = ÖJZ 2004, 775

Centro Europa 7 S.r.l. und Di Stefano/I v. 7.6.2012 (GK) = NLMR 2012, 176

Tipp 24 AG/D v. 27.11.2012 (ZE) = EuGRZ 2013, 274

Vékony/H v. 13.1.2015

Laurus Invest Hungary Kft u.a./H v. 8.9.2015 (ZE)

 

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 16.10.2018, Bsw. 21623/13, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2018, 465) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/18_5/K önyv.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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