Spruch:
Art. 10 EMRK, Art. 14 EMRK - Entlassung aus der Bundewehr aufgrund der Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Partei.
Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Der 1977 geborene Bf. ist Mitglied der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Die NPD wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem und populistisch eingestuft und steht unter Beobachtung. In einem Verfahren vor dem BVerfG wurde die Partei nicht für verfassungswidrig iSv. Art. 21 Abs. 2 GG erklärt. Der Bf. war 1998 Vorsitzender der Ortsgruppe der Partei. Am 1.3.1998 begann er seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr, der bis 31.12.1998 dauern sollte. Am 27.8.1998 wurde der Bf. zum 31.8.1998 vom Wehrdienst entlassen. Seine Anwesenheit gefährde aufgrund seiner Mitgliedschaft und Funktion bei der NPD die militärische Ordnung iSv.
§ 29 Abs. 1 Nr. 6 Wehrpflichtgesetz (WPflG). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass seine Mitgliedschaft und Funktion bei der NPD eine Verletzung der besonderen Loyalitätspflicht eines Soldaten gegenüber der Verfassung darstelle und zeige, dass es ihm an der Bereitschaft fehle, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verteidigen. Eine beim Verwaltungsgericht Augsburg dagegen eingebrachte Klage wurde am 12.11.2002 abgewiesen. Gestützt auf die Verfassungsschutzberichte 1998 des Bundesinnenministeriums und des bayerischen Innenministeriums stellte das Verwaltungsgericht fest, dass zu dieser Zeit die NPD das Ziel verfolgte, die demokratische Ordnung in Deutschland, wenn notwendig mit Gewalt, zu stürzen. Das Gericht bezog sich auch auf mehrere Aussagen des Parteivorsitzenden, in denen dieser sein Ziel bekräftigte, die NPD mit absoluter Macht auszustatten. Zusätzlich bezog sich das Verwaltungsgericht auf eine Rede eines verurteilten Neonazis bei einem Parteikongress, in der dieser zu einer Revolution aufrief, die nicht ohne Blut und Opfer erreicht werden könne. Derartige Aussagen von Parteifunktionären müssten auch dem Bf. in seiner Funktion als örtlicher Parteivorsitzender zugeschrieben werden. Auch wenn es aufgrund seines Verhaltens innerhalb der Bundeswehr keinen Grund zur Beschwerde gab, stelle sein Verbleiben in der Bundeswehr eine Gefährdung der militärischen Ordnung dar.
Am 7.7.2004 wurde die gegen dieses Urteil erhobene Revision vom BVerwG zurückgewiesen. Die Funktionen des Bf. innerhalb der NPD verletzten gemäß § 8 Soldatengesetz die Verpflichtung eines jeden Soldaten, sich loyal gegenüber der Verfassung zu verhalten. Da sich der Bf. nicht von den Aussagen des Parteivorsitzenden distanzierte, müsse ihm die verfassungsfeindliche Einstellung zugeschrieben werden. Am 21.1.2005 lehnte das BVerfG die Annahme einer Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ab.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Recht auf freie Meinungsäußerung) und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) durch seine vorzeitige Entlassung aus der Bundeswehr.
Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:
Der Bf. wurde aufgrund seiner Mitgliedschaft und seiner Funktionen in der NPD entlassen. Der GH geht von der Annahme aus, dass dies einen Eingriff in das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK begründet.
Die deutschen Militärbehörden und Verwaltungsgerichte stützten ihre Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit des Entlassungsbefehls auf § 29 Abs. 1 Nr. 6 (jetzt Nr. 5) WPflG iVm. § 8 Soldatengesetz, wonach jeder Soldat die freiheitliche demokratische Ordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Einhaltung eintreten muss. Der GH ist überzeugt, dass die innerstaatliche Gesetzgebung die Voraussetzungen für eine frühzeitige Entlassung aus dem Wehrdienst mit ausreichender Sorgfalt festgelegt hat. Folglich war die Handlungsweise gesetzlich vorgesehen. Der Bf. wurde aufgrund seiner Aktivitäten in einer rechtsextremen und populistischen Partei, die unter Beobachtung des Bundesamts für Verfassungsschutz steht, vom Wehrdienst entlassen. Die Militärbehörden und Verwaltungsgerichte begründeten die Entlassung damit, dass die militärische Ordnung geschützt und die Bereitschaft zur Verteidigung des freiheitlichen demokratischen Verfassungssystems aufrechterhalten werden müsse. Sie gingen davon aus, dass die Bundeswehr Beschützer der Verfassung und Demokratie sei. Aufgrund der Erfahrungen im Dritten Reich und der Tatsache, dass die deutsche Bundesverfassung auf dem Prinzip einer „wehrhaften Demokratie" basiert, hat nach Ansicht des GH dieser Gedanke gerade in Deutschland eine besondere Bedeutung. Der GH anerkennt, dass es ein legitimes Ziel in jeder demokratischen Gesellschaft ist, über eine politisch neutrale Armee zu verfügen.
Der GH muss feststellen, ob ein gerechter Ausgleich getroffen wurde zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung des Einzelnen und dem legitimen Interesse eines demokratischen Staates, sicherzustellen, dass seine Armee die in Art. 10 Abs. 2 EMRK aufgezählten Zwecke fördert. Dabei berücksichtigt der GH, dass den in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten Pflichten und Verantwortungen in Bezug auf die Meinungsäußerungsfreiheit von Soldaten besondere Bedeutung zukommt, was auch einen gewissen Ermessensspielraum der innerstaatlichen Behörden rechtfertigt.
Der GH weist darauf hin, dass bereits im Fall Otto/D die Frage geprüft wurde, ob die Behörden aus einer Mitgliedschaft bei einer rechtsextremen Partei, die unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz steht, jedoch vom BVerfG nicht verboten wurde, negative Konsequenzen ziehen durften. Im vorliegenden Fall untersuchte das BVerwG gründlich, warum ein Verbot der NPD keine Voraussetzung dafür war, die Mitgliedschaft und Funktion des Bf. innerhalb der NPD als Entscheidungsgrundlage für seine vorzeitige Entlassung vom Wehrdienst heranzuziehen.
Auch wenn keine Kritik darüber erhoben wurde, wie der Bf. seinen Verpflichtungen innerhalb der Bundeswehr nachgekommen ist, war der Bf. als Soldat einer besonderen Loyalitätspflicht gegenüber der Verfassung unterworfen. Die deutschen Gerichte stützten ihre Entscheidungen auf die Tatsache, dass die deutsche Bundeswehr gemäß der Verfassung Teil der freien demokratischen Ordnung sei. Nach den Berichten des Bundesinnenministeriums und des bayerischen Innenministeriums aus dem Jahr 1998 verfolgte die Partei verfassungsfeindliche Ziele. Vor diesem Hintergrund stellten sie in nachvollziehbarer Weise fest, dass die Ausübung von Parteifunktionen durch den Bf. während seines Grundwehrdienstes und sein Versäumnis, sich von den verfassungsfeindlichen Zielen der Partei zu distanzieren, eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung darstellte.
Der GH findet daher, dass die angefochtene Maßnahme, die lediglich in der vorzeitigen Beendigung der Wehrpflicht besteht, für die keine Bezahlung erfolgt und die damit keine Auswirkung auf den Lebensunterhalt des Bf. hat, sich wesentlich von der Maßnahme im Fall Vogt/D unterscheidet, in dem eine Gymnasiallehrerin entlassen wurde, weil sie Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei war. Unter diesen Umständen stellt die vorzeitige Entlassung des Bf. aus der Bundeswehr keinen unverhältnismäßigen und somit ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung dar. Da die Beschwerde somit offensichtlich unbegründet ist, muss sie gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückgewiesen werden (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK:
Der Bf. behauptet, gegenüber anderen Gruppen von Soldaten, insbesondere gegenüber verurteilten Kriminellen oder geistig Kranken, deren Entlassung aus der Bundeswehr im Ermessen der Militärbehörden liege, diskriminiert worden zu sein.
Bezugnehmend auf die Schlussfolgerungen zu Art. 10 EMRK war jede unterschiedliche Behandlung nach Ansicht des GH mit Art. 14 EMRK vereinbar. Folglich muss die Beschwerde wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückgewiesen werden (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Vogt/D v. 26.9.1995, A/323, NL 1995, 188; EuGRZ 1995, 590; ÖJZ 1996,
75.
Otto/D v 24.11.2005 (ZE).
Erdel/D v. 13.2.2007 (ZE).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 1.7.2008, Bsw. 16912/05, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2008, 193) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut
(pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/08_4/Lahr.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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