AlVG §21
B-VG Art133 Abs4
Koordinierung Soziale Sicherheit Art62
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W266.2260400.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Andreas KARWAS und Mag. als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Wagramer Straße vom 14.07.2022, SVNR: XXXX , betreffend die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab dem 08.01.2022 in Höhe von EUR 46,54 täglich, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass der Betrag Euro 46,54 im Spruch durch den Betrag Euro 63,82 ersetzt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Wagramer Straße (im Folgenden: AMS oder belangte Behörde) vom 14.07.2022 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) Arbeitslosengeld ab dem 08.01.2022 in der Höhe von täglich EUR 46,54 gebühre.
Begründend wurde ausgeführt, dass auf Grund der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung in Polen von 02.01.2012 bis 31.12.2021 bei der Beurteilung des Anspruches auf Arbeitslosengeld die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: VO (EG) 883/2004 ) anzuwenden sei. Aufgrund der letzten Beschäftigung von 01.01.2022 bis 07.01.2022 in Österreich sei gemäß Art. 62 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 ausschließlich das Entgelt dieser Beschäftigung maßgeblich. Nach Erhöhung um ein Sechstel der monatlichen Beitragsgrundlage von EUR 606,67, hochgerechnet auf einen Monat EUR 2.600,01, ergebe dies einen Beitrag von EUR 3.033,35. Gemäß § 21 Abs. 5 AlVG sei aber das Bruttoentgelt des für die Bemessung des zuletzt zuerkannten Arbeitslosengeldes im Jahr 2009 in Höhe von EUR 3.750,00 zur Leistungsberechnung heranzuziehen. Daraus ergebe sich ein täglicher Grundbetrag von EUR 46,54.
Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht Beschwerde, in der sie zusammengefasst ausführte, dass in ihrem Fall § 21 Abs. 7 Z 2 AlVG zu berücksichtigen sei, da sie nach ihrer Beschäftigung im Ausland weniger als vier Wochen im Inland beschäftigt gewesen sei, weswegen das Entgelt ihrer letzten Beschäftigung in Polen heranzuziehen sei.
Am 30.09.2022 legte das AMS den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor und verwies vollinhaltlich auf die Ausführungen im Bescheid vom 14.07.2022.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.10.2022 wurde das AMS aufgefordert, eine Stellungnahme zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 30.08.2022, Ra 2022/08/0067-7, abzugeben. Zudem wurde das AMS ersucht, eine aktualisierte, der Rechtsansicht des VwGH entsprechende Berechnung des der BF gebührenden Arbeitslosengeldes, insbesondere unter Durchführung einer Aufwertung gemäß § 21 Abs. 1 zweiter Satz AlVG, zu übermitteln.
Am 23.11.2022 übermittelte das AMS eine aktualisierte Berechnung des Arbeitslosengeldes.
Mit Schreiben des AMS vom 14.12.2022 wurde eine weitere, erneut aktualisierte Berechnung des Arbeitslosengeldes übermittelt.
Am 20.12.2022 wurden die BF und das AMS seitens des Bundesverwaltungsgerichts aufgefordert, hinsichtlich des Beschlusses des VwGH vom 25.10.2022, A 2022/0005-1 (Ra 2021/08/0043) den Ausgangsbescheid im Original vorzulegen bzw. das Vorliegen einer Amtssignatur, Unterschrift oder Kanzleibeglaubigung zu belegen.
Das AMS legte am 21.12.2022 eine Durchschrift des Bescheides vom 14.07.2022 mit Amtssignatur vor, welche bei der Vorlage irrtümlich nicht mitübermittelt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Nach Einsicht in den verwaltungsbehördlichen Akt, insbesondere in die Beschwerde und die vorgelegten Beweismittel, steht folgender Sachverhalt fest:
Die BF bezog im Jahr 2008 erstmalig Arbeitslosengeld. Sie stand in der Folge von 31.12.2009 bis 01.08.2011 mit Unterbrechungen durch den Bezug von Krankengeld im Bezug von Arbeitslosengeld. Von 02.08.2011 bis 31.12.2011 bezog die BF Notstandshilfe.
Von 02.01.2012 bis 31.12.2021 war die BF arbeitslosenversicherungspflichtig in Polen beschäftigt. Von 01.01.2022 bis 07.01.2022 stand die BF in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis in Österreich und stellte am 08.01.2022 den gegenständlichen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld.
Im Jahr 2008 stand die BF 333 Tage in versicherungspflichtiger Beschäftigung und betrug die Beitragsgrundlage 41.170,00 Euro und die Sonderzahlungen 7.641,22 Euro.
Das laufende Entgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis vom 01.01.2022 bis zum 07.01.2022 betrug 606,67 Euro.
Die BF ist am XXXX geboren und hat somit das 45. Lebensjahr vollendet.
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Verwaltungsakt der belangten Behörde und dem vorliegenden Gerichtsakt.
Die Feststellungen zum Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sowie zu den arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnissen der BF basieren auf der Einsichtnahme in den Bezugsverlauf der BF.
Die Feststellungen zu den Einkünften und der Dauer der Beschäftigungen ergeben sich aus den im Akt einliegenden Versicherungsdatenauszügen vom 04.10.2022 und vom 26.07.2023.
Das Geburtsdatum der BF ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie dem Antrag auf Arbeitslosengeld.
3. Rechtliche Beurteilung:
Anzuwendendes Recht:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A)
Die im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes lauten auszugsweise:
Bemessung des Arbeitslosengeldes
§ 21. (1) Für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ist das Entgelt der letzten zwölf zum Zeitpunkt der Geltendmachung nach Ablauf der Berichtigungsfrist gemäß § 34 Abs. 4 ASVG liegenden Kalendermonate aus den beim Dachverband der Sozialversicherungsträger (Dachverband) gespeicherten Beitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem laufenden Entgelt, mangels solcher aus anderen gespeicherten Beitragsgrundlagen heranzuziehen. Monatliche Beitragsgrundlagen, die bezogen auf den Zeitpunkt der Geltendmachung aus dem vorvorigen oder einem noch früheren Kalenderjahr stammen, sind mit den Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG der betreffenden Jahre aufzuwerten. Sonderzahlungen im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) sind pauschal durch Hinzurechnung eines Sechstels zu den jeweiligen Beitragsgrundlagen aus laufendem Entgelt zu berücksichtigen. Durch Teilung des Entgelts der gesamten Beitragsgrundlagen (einschließlich Sonderzahlungen) durch zwölf ergibt sich das monatliche Bruttoeinkommen. Beitragsgrundlagen, die Zeiten einer gemäß § 1 Abs. 2 lit. e von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommenen krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit enthalten, gelten als Beitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt. Für Personen, die gemäß § 3 versichert waren, sind die entsprechenden Beitragsgrundlagen in der Arbeitslosenversicherung heranzuziehen. Bei Zusammentreffen von Beitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt mit Beitragsgrundlagen auf Grund der Versicherung gemäß § 3 ist die Summe beider Beitragsgrundlagen heranzuziehen. Kalendermonate, die folgende Zeiträume enthalten, bleiben außer Betracht:
1. Zeiträume, in denen infolge Erkrankung (Schwangerschaft) nicht das volle Entgelt bezogen wurde;
2. Zeiträume, in denen wegen Beschäftigungslosigkeit nicht das volle Entgelt bezogen wurde;
3. Zeiträume einer Versicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. e (Entwicklungshelfer);
4. Zeiträume einer Versicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 4 (Praktikanten) oder Z 5 (Krankenpflegeschüler) ASVG;
5. Zeiträume des Bezuges von Karenzgeld, Pflegekarenzgeld, Kinderbetreuungsgeld, Kombilohn (§ 34a AMSG) oder Bildungsteilzeitgeld (§ 26a AlVG);
6. Zeiträume der Herabsetzung der Normalarbeitszeit zum Zwecke der Sterbebegleitung eines nahen Verwandten oder der Begleitung eines schwerst erkrankten Kindes gemäß § 14a oder § 14b des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG), BGBl. Nr. 459/1993, oder einer Pflegekarenz gemäß § 14c AVRAG oder einer Pflegeteilzeit gemäß § 14d AVRAG oder einer gleichartigen Regelung;
7. Zeiträume des Bezuges einer Lehrlingsentschädigung, wenn die sonst heranzuziehenden Beitragsgrundlagen günstiger sind.
(2) Liegen zum Zeitpunkt der Geltendmachung weniger als zwölf nach Ablauf der Berichtigungsfrist gemäß § 34 Abs. 4 ASVG liegende Kalendermonate, jedoch mindestens sechs derartige Kalendermonate vor, so ist für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes das Entgelt dieser Kalendermonate heranzuziehen und durch die Anzahl der Kalendermonate zu teilen. Liegen Beitragsgrundlagen für weniger als sechs derartige Kalendermonate vor, so ist für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes das Entgelt der vorliegenden Kalendermonate heranzuziehen und durch die Anzahl der Kalendermonate zu teilen. Im Übrigen ist Abs. 1 entsprechend anzuwenden. Abs. 1 letzter Satz ist nicht anzuwenden, wenn andernfalls keine Beitragsgrundlagen für eine Bemessung herangezogen werden könnten. Liegen ausschließlich Teile von Kalendermonaten vor, für die eine Beitragsgrundlage gespeichert ist, so ist das (gegebenenfalls aufgewertete) laufende Entgelt in diesen bis zu zwölf letzten Kalendermonaten durch die Zahl der Versicherungstage mit laufendem Entgelt zu teilen und mit 30 zu vervielfachen sowie die sich ergebende Summe um ein Sechstel zu erhöhen.
(2a) Zeiträume, in denen Wiedereingliederungsgeld bezogen wurde, sind wie Zeiträume, in denen infolge Erkrankung nicht das volle Entgelt bezogen wurde, zu behandeln.
(2b) Zeiträume, in denen Rehabilitationsgeld bezogen wurde, sind wie Zeiträume zu behandeln, in denen infolge Erkrankung nicht das volle Entgelt bezogen wurde.
(3) Als Grundbetrag des Arbeitslosengeldes gebühren täglich 55 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Zur Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens ist das nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelte monatliche Bruttoeinkommen um die zum Zeitpunkt der Geltendmachung für einen alleinstehenden Angestellten maßgeblichen sozialen Abgaben und die maßgebliche Einkommensteuer unter Berücksichtigung der ohne Antrag gebührenden Freibeträge zu vermindern und sodann mit zwölf zu vervielfachen und durch 365 zu teilen. Das monatliche Einkommen ist nur bis zu der drei Jahre vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes für den Arbeitslosenversicherungsbeitrag maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage (§ 2 Abs. 1 AMPFG) zu berücksichtigen.
(4) Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt einschließlich eines allenfalls erforderlichen Ergänzungsbetrages mindestens in der Höhe eines Dreißigstels des Betrages, der dem Richtsatz gemäß § 293 Abs. 1 lit. a lit. bb ASVG entspricht, soweit dadurch die Obergrenzen gemäß Abs. 5 nicht überschritten werden, kaufmännisch gerundet auf einen Cent.
(5) Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt Arbeitslosen mit Anspruch auf Familienzuschläge höchstens in der Höhe von 80 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt Arbeitslosen ohne Anspruch auf Familienzuschläge höchstens in der Höhe von 60 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent.
(6) Eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes des Arbeitsmarktservice ist zur Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes nur heranzuziehen, wenn kein Entgelt aus vorhergehender Beschäftigung vorliegt, das eine Festsetzung nach Abs. 1 ermöglicht, oder dieses niedriger als das für die Bemessung der Beihilfe herangezogene Bruttoentgelt ist. In diesem Fall ist die Beihilfe einem Nettoentgelt gleichzuhalten und der Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ein diesem Nettoentgelt entsprechendes Bruttoentgelt zu Grunde zu legen.
(7) Wird die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld durch Heranziehung von Zeiten im Ausland gemäß § 14 Abs. 5 erfüllt, so gilt für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes:
1. War der Arbeitslose nach seiner Beschäftigung im Ausland mindestens vier Wochen im Inland beschäftigt, so ist das im Inland erzielte Entgelt maßgeblich.
2. War der Arbeitslose nach seiner Beschäftigung im Ausland weniger als vier Wochen im Inland beschäftigt, so ist das Entgelt maßgeblich, das am Wohnort oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen für eine Beschäftigung üblich ist, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Ausland ausgeübt hat, gleichwertig oder vergleichbar ist.
3. War der Arbeitslose Grenzgänger, so ist das im Ausland erzielte Entgelt maßgeblich.
(8) Hat ein Arbeitsloser das 45. Lebensjahr vollendet, so ist abweichend von Abs. 1 ein für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogenes monatliches Bruttoentgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes heranzuziehen, bis ein höheres monatliches Bruttoentgelt vorliegt.
§ 38. Soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist, sind auf die Notstandshilfe die Bestimmungen des Abschnittes 1 sinngemäß anzuwenden.“
Die im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebliche Bestimmung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) lautet auszugsweise:
„§ 108. (1) Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat jedes Jahr für das folgende Kalenderjahr eine Aufwertungszahl (Abs. 2), eine Höchstbeitragsgrundlage (Abs. 3), Aufwertungsfaktoren (Abs. 4) und die festen Beträge nach diesem Bundesgesetz (Abs. 6) zu ermitteln und kundzumachen.
(2) Aufwertungszahl (Anm. 1): Die Aufwertungszahl beruht auf der Veränderung der durchschnittlichen Beitragsgrundlage in der gesetzlichen Pensionsversicherung vom jeweils drittvorangegangenen Kalenderjahr zum jeweils zweitvorangegangenen Kalenderjahr. Die Aufwertungszahl ist, soweit im Einzelnen nichts anderes angeordnet wird, für die Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage und der festen Beträge, die der Beitragsberechnung dienen, heranzuziehen.
(3) Höchstbeitragsgrundlage: Im Jahr 2016 beläuft sich die Höchstbeitragsgrundlage für den Kalendertag auf 155 € (Anm 2), vervielfacht mit der Aufwertungszahl für das Jahr 2016 und zuzüglich von 3 €. Für jedes Folgekalenderjahr ergibt sich die Höchstbeitragsgrundlage aus der Vervielfachung der letztgültigen Höchstbeitragsgrundlage mit der Aufwertungszahl des jeweiligen Folgekalenderjahres. Die Höchstbeitragsgrundlage ist auf den vollen Eurobetrag zu runden.
(4) Aufwertungsfaktoren (Anm. 1): Die Aufwertungsfaktoren eines Kalenderjahres errechnen sich durch Vervielfachung der zuletzt in Geltung gestandenen Aufwertungsfaktoren mit dem Anpassungsfaktor des Vorjahres. Sie sind auf drei Dezimalstellen zu runden. Der Reihe dieser Aufwertungsfaktoren ist der Anpassungsfaktor des Vorjahres als Aufwertungsfaktor für die Beitragsgrundlagen des zweitvorangegangenen Kalenderjahres anzufügen. Die Aufwertungsfaktoren sind für die Aufwertung von Beitragsgrundlagen, die zur Bildung der Bemessungsgrundlage verwendet werden, heranzuziehen.“ […]
Die im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebliche Bestimmung der Kundmachung über die Aufwertung und Anpassung nach dem ASVG, dem GSVG, dem BSVG, dem B-KUVG sowie dem BPGG für das Kalenderjahr 2022 lautet auszugsweise:
§ 1. Für das Kalenderjahr bzw. Beitragsjahr 2022 wurden ermittelt:
1. die Aufwertungszahl auf Grund des § 108 Abs. 2 ASVG in Verbindung mit § 108a ASVG mit 1,021;
2. die tägliche Höchstbeitragsgrundlage auf Grund des § 108 Abs. 3 ASVG mit 189,00 €;
3. die Aufwertungsfaktoren auf Grund des § 108 Abs. 4 ASVG
für die Jahre mit dem Faktor
[…]
2008 ....................................... 1,272
2009 ....................................... 1,233
2010 ....................................... 1,215
2011 ....................................... 1,201
2012 ....................................... 1,169
2013 ....................................... 1,137
2014 ....................................... 1,110
2015 ....................................... 1,092
2016 ....................................... 1,079
2017 ....................................... 1,071
2018 ....................................... 1,054
2019 ....................................... 1,033
2020 ....................................... 1,015
2021 ....................................... 1,000.“
Die im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebliche Bestimmung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 lautet:
„Artikel 62 Berechnung der Leistungen
(1) Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung der Leistungen die Höhe des früheren Entgelts oder Erwerbseinkommens zugrunde zu legen ist, berücksichtigt ausschließlich das Entgelt oder Erwerbseinkommen, das die betreffende Person während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit nach diesen Rechtsvorschriften erhalten hat.
(2) Absatz 1 findet auch Anwendung, wenn nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften ein bestimmter Bezugszeitraum für die Ermittlung des als Berechnungsgrundlage für die Leistungen heranzuziehenden Entgelts vorgesehen ist und die betreffende Person während dieses Zeitraums oder eines Teils davon den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterlag.
[…]“
Daraus folgt:
Die BF war von 02.01.2012 bis 31.12.2021 in Polen arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt und erfüllt daher die Anwartschaft gemäß § 14 AlVG durch die Anrechnung ausländischer Versicherungszeiten. Die VO (EG) 883/2004 ist anwendbar. Es ist sohin unerheblich, ob die BF vor Antragstellung vier Wochen im Inland beschäftigt war, da gemäß Art. 62 Abs. 1 der VO (EG) 883/2004 ausschließlich jenes Entgelt, das die betreffende Person während ihrer (allenfalls sehr kurzen) letzten Beschäftigung erhalten hat, heranzuziehen ist (vgl. Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz, 21 Lfg. Juni 2023, § 21 Rz 474). Demzufolge ist das von der BF von 02.01.2022 bis 07.01.2022 in Österreich bezogene Entgelt während ihrer letzten Beschäftigung im Inland für die Bemessung des Arbeitslosengeldes maßgeblich, da die BF den Antrag auf Arbeitslosengeld am 08.01.2022 stellte.
Gemäß § 21 Abs. 2 AlVG ist, wenn zum Zeitpunkt der Geltendmachung weniger als zwölf nach Ablauf der Berichtigungsfrist gemäß § 34 Abs. 4 ASVG liegende Kalendermonate, jedoch mindestens sechs derartige Kalendermonate vorliegen, für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes das Entgelt dieser Kalendermonate heranzuziehen und durch die Anzahl der Kalendermonate zu teilen. Liegen Beitragsgrundlagen für weniger als sechs derartige Kalendermonate vor, so ist für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes das Entgelt der vorliegenden Kalendermonate heranzuziehen und durch die Anzahl der Kalendermonate zu teilen. Im Übrigen ist Abs. 1 entsprechend anzuwenden. Abs. 1 letzter Satz ist nicht anzuwenden, wenn andernfalls keine Beitragsgrundlagen für eine Bemessung herangezogen werden könnten. Liegen ausschließlich Teile von Kalendermonaten vor, für die eine Beitragsgrundlage gespeichert ist, so ist das (gegebenenfalls aufgewertete) laufende Entgelt in diesen bis zu zwölf letzten Kalendermonaten durch die Zahl der Versicherungstage mit laufendem Entgelt zu teilen und mit 30 zu vervielfachen sowie die sich ergebende Summe um ein Sechstel zu erhöhen.
Gemäß § 21 Abs. 8 AlVG ist, wenn ein Arbeitsloser das 45. Lebensjahr vollendet hat, abweichend von § 21 Abs. 1 AlVG ein für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogenes monatliches Bruttoentgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes heranzuziehen, bis ein höheres monatliches Bruttoentgelt vorliegt.
Die BF hat das 45. Lebensjahr vollendet, weswegen § 21 Abs. 8 AlVG maßgeblich ist. Vor dem gegenständlichen Antrag bezog sie zuletzt ab 31.12.2009 Arbeitslosengeld in Österreich, wobei damals zur Berechnung der Höhe des Anspruches eine Bemessungsgrundlage von EUR 3.750,00, die Höchstbemessungsgrundlage des Jahres 2006, herangezogen wurde.
Im gegenständlichen Bescheid vom 14.07.2022 zog das AMS das Bruttoeinkommen aus dem Beschäftigungsverhältnis im Jahr 2008 zur Leistungsberechnung heran, da dieses Bruttoentgelt jenes aus dem kurzen Dienstverhältnis von 02.01.2022 bis 07.01.2022, welches EUR 606,67 betrug, übersteigt: Hochgerechnet auf einen Monat ergeben sich daraus EUR 2.600,01, die sodann um ein Sechstel erhöht, EUR 3.033,35 ergeben. Das für die Bemessung des Arbeitslosengeldes im Jahr 2009 herangezogene Bruttoentgelt ergibt unter Heranziehung der Höchstbemessungsgrundlage EUR 3.750,00, und da die BF das 45. Lebensjahr vollendet hat, zog das AMS in Anwendung des § 21 Abs. 8 AlVG dieses höhere Bruttoeinkommen zur Leistungsberechnung heran.
Mit Erkenntnis des VwGH vom 30.08.2022, Ra 2022/08/0067-7, sprach der VwGH aus, dass § 21 Abs. 8 AlVG materiell nur hinsichtlich der ersterwähnten Anordnung des § 21 Abs. 1 AlVG eine abweichende Regelung trifft und die sonstigen in § 21 Abs. 1 AlVG enthaltenen Anordnung unberührt lässt.
Daraus folgt, dass die Beitragsgrundlagen, die bei der Zuerkennung von Arbeitslosengeld an einen Antragsteller berücksichtigt werden und die, bezogen auf den Geltendmachungszeitpunkt aus dem vorvorigen oder einem früheren Jahr stammen, mit den Aufwertungsfaktoren des § 108 Abs. 4 ASVG aufzuwerten sind. Dies gilt auch dann, wenn diese Beitragsgrundlagen aufgrund eines Günstigkeitsvergleichs weiter heranzuziehen sind.
Darüber hinaus regelt dem Erkenntnis des VwGH vom 30.08.2022, Ra 2022/08/0067-7, zufolge die Wahrungsbestimmung des § 21 Abs. 8 AlVG den Schutz eines früheren höheren Einkommens in der Weise, dass sie ausdrücklich auf das für die Bemessung des Grundbetrags „herangezogene“, nicht aber auf das nach der Deckelungsregelung davon höchstens berücksichtigte Bruttoentgelt Bezug nimmt. Dies bedeutet, dass nicht das auf die Höchstbemessungsgrundlage reduzierte monatliche Einkommen der Aufwertung des § 108 Abs. 4 ASVG heranzuziehen ist, sondern das volle Einkommen.
Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass die Jahresbeitragsgrundlage 2008 inkl. anteilsmäßiger Sonderzahlungen eine monatliche Bemessungsgrundlage in der Höhe von EUR 4.397,41 ergibt. Entsprechend dem im Jahr 2008 maßgeblichen § 21 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 114/2005, war, da die BF nicht im gesamten Zeitraum des Jahres 2008 beschäftigt war, das Entgelt durch die Zahl der Versicherungstage zu teilen und mit 30 zu vervielfachen (€ 41.170,00 plus € 7.641,22 durch 333 Tage mal 30 = € 4.397,41).
In Anwendung des oben zitierten VwGH-Erkenntnisses wird diese gemäß § 108 Abs. 4 ASVG mit dem Aufwertungsfaktor für 2008 von 1,272 aufgewertet, was eine Bemessungsgrundlage von EUR 5.593,50 ergibt.
Die monatliche Bemessungsgrundlage für das Jahr 2022 ergibt sich gemäß § 21 AlVG aus dem Entgelt der BF aus der Beschäftigung vom 01.01.2022 bis 07.01.2022 dividiert durch die Tage der Beschäftigung mal 30 zuzüglich der pauschalen Sonderzahlungen in Höhe eines Sechstels und beträgt € 3.033,35 (€ 606,67 durch 7 Tage mal 30 = € 2600,01 plus 1/6 = € 3.033,35).
Verglichen mit der monatlichen Bemessungsgrundlage im Jahr 2022 ist jene aus 2008 höher und sohin aufgrund des Günstigkeitsvergleichs als Bemessungsgrundlage für den am 08.01.2022 gestellten Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld heranzuziehen.
Gemäß § 21 Abs. 3 AlVG gebühren als Grundbetrag des Arbeitslosengeldes täglich 55 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Zur Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens ist das nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelte monatliche Bruttoeinkommen um die zum Zeitpunkt der Geltendmachung für einen alleinstehenden Angestellten maßgeblichen sozialen Abgaben und die maßgebliche Einkommensteuer unter Berücksichtigung der ohne Antrag gebührenden Freibeträge zu vermindern und sodann mit zwölf zu vervielfachen und durch 365 zu teilen.
Das bedeutet, dass 18,12% Dienstnehmeranteil von den € 4.794,44 abgezogen werden und ergibt sich daraus ein zu versteuerndes Monatseinkommen bzw. Jahreseinkommen in Höhe von € 3.925,69 bzw. € 47.108,28. Davon sind die Werbungskosten in Höhe von € 132 in Abzug zu bringen. Aus der sich ergebenden Lohnsteuerbemessungsgrundlage in Höhe von € 46.976,28 ergibt sich die Jahreslohnsteuer in Höhe von € 12.260,03 (nach Abzug des Verkehrsabsetzbetrags in Höhe von € 400,00) und ergibt sich sohin ein Nettojahreseinkommen von € 34.848,25 bzw. Nettomonatseinkommen von € 2.904,02.
Die pauschalen Sonderzahlungen in Höhe von jährlich € 9.588,72 sind um 17,2 % Sozialversicherungsbeiträge zu reduzieren und davon der Freibetrag in Höhe von € 620 in Abzug zu bringen. Dies ergibt für die Sonderzahlungen eine Steuerbemessungsgrundlage: in Höhe von € 7.327,14 und eine davon abzuziehende Lohnsteuer (6%) in Höhe von € 439,62. Die Netto Sonderzahlungen betragen daher jährlich € 7.507,52 bzw. € 625,62 monatlich.
In Summe ergibt sich ein monatliches Nettoeinkommen von € 3.529,64. Mal 12 durch 365 ergibt sich ein täglicher Nettobetrag in Höhe von € 116,04.
Der Grundbetrag beträgt sohin € 63,82 (55,00 % des täglichen Nettobetrages)
Ausgehend von der aufgewerteten monatlichen Bemessungsgrundlage des Jahres 2008 gebührt der BF demnach ab 08.01.2022 ein Tagsatz von € 63,82.
Andere rechtskräftige Entscheidungen werden von dieser Entscheidung nicht berührt.
Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.
Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt werden konnte und die Beschwerdeführerin den Sachverhalt, soweit verfahrensgegenständlich relevant, auch nicht bestreitet, sondern insbesondere die Rechtsansicht der belangten Behörde bestreitet. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C83 vom 30.03.2010, S. 389, entgegen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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