AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §61 Abs1
FPG §61 Abs2
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W240.2257973.1.01
Spruch:
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.07.2022, Zl. 1032733206/211723485, beschlossen:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch BF), ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 12.11.2021 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Laut den vorliegenden EURODAC-Treffernn suchte der BF bereits am 09.10.2014 in Österreich (AT1 … vom 09.10.2014) sowie am 09.07.2021 in Bulgarien um Asyl an (BG1 … vom 09.07.2021).
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 12.11.2021 gab der BF insbesondere an, seine Frau lebe mit ihren gemeinsamen drei Söhnen und vier Töchtern in Österreich. Ein weiterer Sohn sei mit ihm nach Österreich eingereist und habe ebenfalls einen Asylantrag gestellt. Nach seiner Ausreise aus Europa sei er 2014 wieder nach Syrien gereist. 2020 sei er in die Türkei gereist und dort eineinhalb Jahre verblieben, danach sei er nach Bulgarien gelangt, wo er sich wiederum vier Monate von 09.07.2021 bis 12.11.2021 aufgehalten habe. Er sei mit dem Bus von Sofia über Athen und Mailand an die deutsche Grenze gelangt, wo er von der deutschen Polizei nach Österreich zurückgewiesen wurde. Österreich sei sein Zielland gewesen. In Bulgarien sei er aufgefordert worden einen Asylantrag zu stellen, obwohl er darauf hingewiesen habe, dass sich seine Familie in Österreich befinde. Er habe seinen Ausweis bereits 2014 vorgelegt und verfüge über ein Foto einer syrischen ID-Karte. Über die durchreisten Länder könne er nichts Besonderes angeben, es habe keine Unterstützung gegeben. In Bulgarien habe er um Asyl angesucht und aufgrund seiner Flüchtlingseigenschaft einen bulgarischen Fremdenpass erhalten. Er wolle in Österreich bei seiner Frau und seinen Kindern bleiben. Syrien habe er verlassen, weil es Krieg und keine Arbeit gebe.
Am 23.11.2021 hat der BF freiwillig auf Leistungen aus der Grundversorgung verzichtet (AS 17).
Aufgrund des EURODAC-Treffers und der Angaben des BF richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: Bundesamt und BFA) am 24.11.2021 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Bulgarien.
Mit Schreiben vom 05.12.2021 gaben die bulgarischen Behörden bekannt, dass dem BF am 20.09.2021 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bulgarien zuerkannt worden ist, weshalb dem Wiederaufnahmegesuch nicht zugestimmt werde. Zusätzlich wurde der in Bulgarien geführte Name des BF bekanntgegeben.
Mit Aktenvermerk vom 04.01.2022 wurde das gegenständliche Verfahren wegen unbekannten Aufenthalts des BF eingestellt.
Am 25.03.2022 langte beim Bundesamt ein E-Mail der Diakonie ein, in dem auf die nunmehr bestehende Meldung des BF hingewiesen und die Fortsetzung des Verfahrens beantragt wurde.
Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 15.02.2022, gab der BF an, er sei geistig und körperlich in der Lage die Einvernahme durchzuführen. Er sei derzeit nicht in dauerhafter ärztlicher Behandlung. Im Zuge seiner Einvernahme habe er die Wahrheit gesagt. Er habe bereits Dokumente vorgelegt, die Polizei habe ihm den bulgarischen Fremdenpass und seine Aufenthaltskarte abgenommen. Er gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei sunnitischer Muslim. Seine Ehefrau sei in Österreich asylberechtigt. Es würden sich auch vier Töchter und vier Söhne in Österreich bzw. der EU aufhalten. Er habe von 2017 bis 2020 eine andere Ehefrau gehabt, die weiterhin in Syrien lebe. In Syrien habe er neun Jahre lang die Grundschule besucht und als Fahrer sowie als Verkäufer gearbeitet. In der Türkei habe er als Taxifahrer gearbeitet; in Bulgarien habe er nicht gearbeitet. Seit seiner Einreise nach Österreich habe er noch keine Integrationsschritte gesetzt. Die Sprache lerne er durch seine Kinder. Er habe keinen Kontakt mehr zu Verwandten in seiner Heimat. Seine Kinder hätten ihm ab und zu EUR 50,- nach Syrien geschickt. 2015 sei einer seiner Söhne von einer Miliz für Lösegeld entführt worden. Der Kontakt zu der Miliz habe nur telefonisch stattgefunden. In Syrien sei er nicht gewesen. Er habe sich mehrere Jahre mit einer Art Flüchtlingsausweis in der Türkei aufgehalten. Über Vorhalt des subsidiären Schutzstatus in Bulgarien gab der BF an, seine Familie halte sich in Österreich auf. Er bejahte den Umstand, dass er sich freiwillig von seiner Familie in Österreich getrennt und mit einer Zweitfrau eine weitere Familie im Ausland gegründet habe. Er beherrsche die bulgarische Sprache nicht und es gebe keine Arbeit oder Hilfsleistung. Hier könnte ihn seine Familie unterstützen. Abschließend bat er um seine bulgarischen Dokumente, dann werde er nach Bulgarien ausreisen.
2. Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.07.2022 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 12.11.2021 gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass er sich nach Bulgarien zurückzubegeben habe (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt II.) und gegen ihn gemäß § 61 Abs 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet sowie festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).
Zur Lage in Bulgarien traf das BFA folgende Feststellungen (unkorrigiert durch das Bundesverwaltungsgericht):
COVID-19
Letzte Änderung: 13.06.2022
Im März 2020 hatte Bulgarien als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie ein Notstandsgesetz eingeführt, dessen Gültigkeitsdauer in der Folge mehrfach verlängert wurde (BTI 23.2.2022). Der epidemische Notstand blieb auch während des gesamten Jahres 2021 in Kraft und gewährte der Regierung weitreichende Befugnisse (AI 29.3.2022).
Insgesamt führte die Pandemie nicht zu einer Unterbrechung der wesentlichen staatlichen Gesundheitsangebote, verschärfte aber die bestehenden Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, insbesondere im ambulanten Bereich (BTI 23.2.2022).
Im Jahr 2021 verlängerte die Regierung mehrmals den medizinischen Ausnahmezustand. Der Zugang zu den Asyl-Aufnahmezentren blieb außer für das Personal und die Bewohner das ganze Jahr über beschränkt; UNHCR und NGOs durften jedoch nach einer offiziellen Genehmigung entsprechende Besuche vor Ort durchführen. Für alle registrierten und in den Aufnahmezentren untergebrachten Asylwerber wurde eine obligatorische 10-tägige medizinische Quarantäne eingeführt, was zu einer entsprechenden Verzögerung der Statusfeststellungsverfahren führte. Bedenken wurden hinsichtlich der Tatsache geäußert, dass unbegleitete Minderjährige (UMA) unter 14 Jahren während der Quarantäne auch in Einzelhaft gehalten wurden. Ansonsten verliefen die Asylverfahren normal und ohne ungewöhnliche Verzögerungen (AIDA 02.2022).
Flüchtlinge und Asylsuchende, die in den Aufnahmezentren der staatlichen Flüchtlingsagentur (SAR) untergebracht sind, sind in den nationalen COVID-19-Impfplan aufgenommen. Die Impfkampagne läuft seit Mai 2021 (UNHCR 2.2022).
Seit 1.5.2022 sind sämtliche COVID-19-Einreisebeschränkungen aufgehoben (BMEIA 16.5.2022; vgl. AA 2.5.2022). In Bezug auf die Öffnungszeiten und Zutrittsbedingungen zu öffentlichen Gebäude gibt es derzeit keinerlei Einschränkungen und auch keine Maskenpflicht (AA 2.5.2022).
Quellen:
▪ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.5.2022): Bulgarien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-
amt.de/de/ReiseUndSicherheit/bulgariensicherheit/211834, Zugriff 1.6.2022
▪ AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bulgaria 2021, https://www.ecoi.net/en/document/2070363.html , Zugriff 2.6.2022
▪ AIDA - Asylum Database (02.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC/Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE/Veröffentlicher): Country Report: Bulgaria; 2021
Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDA-BG_2021update.pdf , Zugriff 2.6.2022
▪ BTI - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report
Bulgaria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069794/country_report_2022_BGR.pdf , Zugriff
2.6.2022
▪ UNHCR – The UN Refugee Agency (2.2022): Bulgaria Fact Sheet. February
2022, https://www.unhcr.org/623469b90.pdf , Zugriff 3.6.2022
Allgemeines zum Asylverfahren
Letzte Änderung: 13.06.2022
Zuständig für das erstinstanzliche Asylverfahren ist die Staatliche Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat (State Agency for Refugees with the Council of Ministers, SAR) (AIDA 2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022, UNHCR 2.2021). Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (AIDA 2.2022; vgl. SAR o.D.a, SAR o.D.b, UNHCR 2.2021).
(AIDA 2.2022; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle) Die Regierung kooperiert mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen oder Asylwerbern sowie anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu gewähren (USDOS 12.4.2022).
Das bulgarische Innenministerium berichtet, dass es 2021 insgesamt 12.280 Drittstaatsangehörige aufgegriffen hat, von denen 10.799 Neuankömmlinge waren.
(AIDA 2.2022)
2021 gab es 10.999 Asylantragsteller. 143 Personen erhielten im Jahr 2021 internationalen Schutz, 1.876 subsidiären Schutz und 1.256 wurden negativ beschieden: (AIDA 2.2022)
Quellen:
▪ AIDA - Asylum Information Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC, Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE, Veröffentlicher): Country Report: Bulgaria, AIDA – Asylum Information Database (2.2022): Country Report: Bulgaria, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDA-BG_2021update.pdf , 2021 Update, Zugriff 17.5.2022
▪ SAR – State Agency for Refugees [Bulgarien] (o.D.a): Verfahrensschritte zur Gewährung internationalen Schutzes – Rechte und Pflichten (Етапи на производство по предоставяне на международна закрила – права и
задължения), https://aref.government.bg/index.php/en/node/42 , Zugriff 17.5.2022
▪ SAR – State Agency for Refugees [Bulgarien] (o.D.b): Dublin-Verfahren (Производство по Дъблин), https://aref.government.bg/index.php/bg/node/43 , Zugriff 17.5.2022
▪ UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (2.2021): Bulgaria Factsheet, https://reporting.unhcr.org/sites/default/files/Bi -
annual%20fact%20sheet%202021%2002%20Bulgaria.pdf, Zugriff 17.5.2022
▪ USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 – Bulgaria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071249.html , Zugriff 17.5.2022
Dublin-Rückkehrer
Letzte Änderung: 13.06.2022
Das Asyl- und Flüchtlingsgesetz (Law on Asylum and Refugees; LAR) legt keine Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Staates fest, sondern verweist lediglich auf die Kriterien, die in der Dublin-Verordnung aufgeführt sind (AIDA 2.2022).
Für Asylwerber, die aus anderen Mitgliedstaaten rücküberstellt werden, gibt es im Prinzip keine Hindernisse beim Zugang zum bulgarischen Hoheitsgebiet. Vor der Ankunft von Dublin-Rückkehrern informiert die State Agency for Refugees (SAR) die Grenzpolizei über die erwartete Ankunft und gibt an, ob der Überstellte in ein Aufnahmezentrum oder in eine Schubhafteinrichtung überstellt werden soll. Diese Entscheidung hängt davon ab, in welcher Phase sich das Asylverfahren des Dublin-Rückkehrers befindet (AIDA 2.2022).
• Wenn der Überstellte über einen anhängigen Asylantrag in Bulgarien verfügt oder das Verfahren wegen des Untertauchens der betreffenden Person bereits beendet wurde, wird der Asylwerber in ein SAR-Aufnahmezentrum überstellt. In der
Vergangenheit hat die SAR Asylverfahren in der Regel ausgesetzt, wenn
Asylwerber Bulgarien vor Abschluss ihres Verfahrens verlassen hatten. Nach den Gesetzesänderungen im Jahr 2020 verfügt die SAR nunmehr in solchen Fällen über das Recht, das Asylverfahren direkt zu beenden bzw. abzubrechen, ohne eine Phase der Aussetzung zu durchlaufen. In beiden Fällen wird keine Entscheidung in der Sache selbst getroffen, daher kann das Verfahren wieder aufgenommen werden (AIDA 2.2022).
• Wurde der Asylantrag des Rückkehrers jedoch mit einer endgültigen inhaltlichen Entscheidung abgelehnt, bevor oder nachdem er Bulgarien verlassen hat, und die
Entscheidung in Abwesenheit zugestellt und daher rechtskräftig, gilt der
Rückkehrer als illegaler Migrant und wird in eine Schubhafteinrichtung verlegt;
(üblicherweise Busmantsi in Sofia oder Lyubimets nahe der türkischen Grenze) (AIDA 2.2022).
Nationale Gerichte verschiedener Dublin-Staaten und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) haben wiederholt Dublin-Überstellungen bestimmter vulnerabler
Gruppen nach Bulgarien verboten, während in anderen Staaten die Gerichte Überstellungen weiterhin erlaubten (AIDA 2.2022).
Das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht St. Gallen kam 2020 zu dem Schluss, dass in Bulgarien keine systemischen Mängel und somit keine Gründe für eine generelle Aussetzung der Überstellung besonders schutzbedürftiger Asylbewerber nach Bulgarien vorlägen, schränkte aber ein, dass eine eingehende Prüfung des Einzelfalles notwendig sei um sicherzustellen, dass dieser bei Rückkehr nach Bulgarien keine unmenschliche und erniedrigende Behandlung ausgesetzt wäre. Dazu könne auch die Einholung konkreter Garantien von den bulgarischen Behörden in Betracht gezogen werden (BvwG-StG 19.2.2020; vgl. EASO 29.6.2021).
Quellen:
▪ AIDA - Asylum Information Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC, Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE, Veröffentlicher): Country Report:
Bulgaria, 2021 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDABG_2021update.pdf , Zugriff 17.5.2022
▪ BVwG-StG – Bundesverwaltungsgericht St. Gallen [Schweiz] (19.2.2020): Dublin transfers to Bulgaria: no systemic flaws but rather case-by-case
analysis, https://www.bvger.ch/bvger/en/home/media/medienmitteilungen-2020/dublinueberstellungennach_bulgarien.html , Zugriff 18.5.2022
▪ EASO – European Asylum Support Office (29.6.2021): EASO Asylum Report 2021 - 4.2.8 Assessing transfers to specific countries: The cases of Bulgaria, Greece and
Italy, https://euaa.europa.eu/easo-asylum-report-2021/428-assessing-transfers-specificcountries-cases-bulgaria-greece-and-italy , Zugriff 18.5.2022
Unbegleitete minderjährige Asylwerber / Vulnerable
Letzte Änderung: 13.06.2022
Das bulgarische Asylgesetz definiert als vulnerable Gruppen: Kinder, unbegleitete Minderjährige (UM), Menschen mit Behinderung, Alte, Schwangere, alleinstehende
Elternteile in Begleitung ihrer minderjährigen Kinder, Opfer des Menschenhandels, Personen mit ernsthaften Gesundheitsproblemen, psychischen Störungen, Vergewaltigungs- und Folteropfer sowie Opfer von psychischer, physischer oder sexueller Gewalt (AIDA 2.2022).
Bis Ende 2020 sah das Gesetz keine spezifischen Identifizierungsmechanismen für vulnerable Asylwerber vor, außer für Kinder. Ende 2020 wurden durch
Gesetzesänderungen eine obligatorische Bewertung der Vulnerabilität und Empfehlungen sowie eine obligatorische Weiterleitung von Gefährdungsberichten an die Sachbearbeiter eingeführt, damit diese eine Bedarfsanalyse und einen individuellen Unterstützungsplan erstellen können, der der Akte des Asylwerbers beigefügt wird. Die Umsetzung dieser Änderungen in der Praxis bleibt abzuwarten (AIDA 2.2022).
Wenn der Antragsteller bei der Registrierung oder der medizinischen Erstuntersuchung als vulnerable Person oder als Person mit besonderen Bedürfnissen eingestuft wird, müssen die Sozialexperten der SAR eine Bedarfsanalyse durchführen und einen individuellen Unterstützungsplan erstellen. Die neuen Vorschriften sehen vor, dass diese beiden Dokumente der Personalakte beigefügt werden müssen, damit der Sachbearbeiter sie bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz berücksichtigen kann. Diese müssen auch in den Fällen durchgeführt werden, in denen die Gefährdung oder die besonderen Bedürfnisse in einer späteren Phase des Asylverfahrens festgestellt werden. Darüber hinaus wurde ein neuer Fragebogen zur Früherkennung von Antragstellern eingeführt, die traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, um ihre besonderen Bedürfnisse zu ermitteln und die Überweisung an eine angemessene psychologische oder medizinische Betreuung zu erleichtern. In vielen Aufnahmeeinrichtungen, vor allem in Sofia, werden jedoch Gruppengespräche mit Neuankömmlingen durchgeführt, um deren mögliche medizinische oder soziale Probleme zu ermitteln (AIDA 2.2022).
Im Jahr 2021 wurde in 145 von 350 Fällen (d. h. in 41 % der Fälle) eine Bedarfsanalyse durchgeführt, wenn Vulnerabilität oder besondere Bedürfnisse festgestellt wurden. Die Bedarfsermittlung und die Unterstützungspläne wurden jedoch nur in 9 % dieser Fälle (32 Fälle) der Personalakte des Asylwerbers hinzugefügt. Diese Praxis war bei unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern wesentlich besser. In 54 % der Fälle wurde die Bedarfsermittlung in den Akten der Kinder gefunden. Allerdings fehlte in den Akten unbegleiteter Minderjähriger nach wie vor der obligatorische Sozialbericht des jeweiligen gesetzlichen Kinderschutzdienstes von der Agentur für Sozialhilfe. Es wurde bestätigt, dass diese Berichte in der Praxis erstellt werden, aber nur sehr wenige werden an die Bearbeiter der Fälle weitergegeben. Die Sozialberichte könnten, wenn sie ordnungsgemäß erstellt und übermittelt werden, nicht nur während des Asylverfahrens eine wichtige Rolle spielen, sondern auch nach dem Verfahren, um die Maßnahmen zu beschreiben, die je nach Ausgang des Verfahrens - Ablehnung oder Anerkennung - in Bezug auf das Kind ergriffen werden müssen. Infolgedessen bleiben viele unbegleitete Minderjährige nach ihrer Anerkennung oft für längere Zeit in den SAR-Aufnahmezentren, anstatt sie an Kinderbetreuungsdienste oder -einrichtungen zu überweisen (AIDA 2.2022).
Diese moderate Verbesserung des Mechanismus zur Identifizierung von Vulnerabilität im
Jahr 2020 führte zu einem signifikanten Anstieg der absoluten Zahl von Asylwerbern, bei denen offiziell besondere Bedürfnisse oder Vulnerabilität anerkannt wurden. Während die Identifizierung von Vulnerabilität im Jahr 2016 179 Asylsuchende betraf, stieg diese Zahl auf 3.928 im Jahr 2021 (35 % aller neuen Antragsteller). Dabei ist jedoch zu beachten, dass 3.172 hiervon unbegleitete Minderjährige waren, d.h. Fälle, in denen die Identifizierung der Vulnerabilität einfach und fast automatisch ist, da sie sich aus den Angaben des Kindes zu seinem Alter oder aus den Ausweispapieren, falls vorhanden, ergibt (AIDA 2.2022).
Der Sachbearbeiter ist nicht verpflichtet, eine Altersbeurteilung anzufordern, es sei denn, es bestehen Zweifel daran, dass die Person minderjährig ist. Das Gesetz gibt nicht vor, welche Methode der Altersfeststellung anzuwenden ist. Standardverfahren ist aber das Handwurzelröntgen, weil man davon ausgeht, dass diese Methode genauer ist als eine psychosoziale Untersuchung. Das Oberste Verwaltungsgericht betrachtet diesen Test jedoch als als nicht verbindlich und wendet das Prinzip des „Benefit of doubt“ an, das auch im Asylgesetz ausdrücklich festgelegt ist. Die Altersbeurteilung kann nicht mit einer separaten Beschwerde angefochten werden (AIDA 2.2022).
Ende 2020 wurde die rechtliche Vertretung von unbegleiteten Minderjährigen geändert. Die Verpflichtung, diese Minderjährigen nicht nur im Verfahren, sondern auch nach der Anerkennung und vor allen Ämtern und Institutionen zu vertreten, wurde von den Gemeinden auf das Nationale Büro für Rechtshilfe verlagert. Es enthält Anforderungen an die Qualifikation des bestellten Rechtsbeistandes und die Vertretung im besten Interesse des Minderjährigen. Damit sollte dem Fehlen eines Vormunds entgegengewirkt und für eine angemessene Rechtsvertretung gesorgt werden (AIDA 2.2022).
UM müssen laut dem Gesetz bei Verwandten, in Pflegefamilien, Kinderheimen oder anderen geeigneten Einrichtungen untergebracht werden. Keine dieser Möglichkeiten wird in der Praxis genutzt. Mitte 2019 wurde die Sicherheitszone für UM im Aufnahmezentrum Voenna Rampa in Sofia mit einer Gesamtkapazität von 150 Plätzen eröffnet (AIDA 2.2022; vgl. IOM o.D.a).
In zwei Aufnahmezentren in Sofia steht eine Sicherheitszone für unbegleitete minderjährige Asylwerber zur Verfügung, um diesen eine 24-Stunden-Betreuung und spezialisierte Dienstleistungen in einem an ihre Bedürfnisse angepassten Umfeld zu bieten (USDOS 12.4.2022). In beiden Sicherheitszonen erhalten UM rund um die Uhr eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Betreuung und Unterstützung (z.B. mobile Schutzteams von IOM bestehend aus Sozialarbeitern, Sozialmediatoren, Psychologen und Rechtsberatern; Dolmetscher; Sicherheitspersonal). Betrieben werden diese Sicherheitszonen von der Internationalen Organisation für Migration Bulgarien (IOM) und die Finanzierung erfolgt durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) (IOM o.D.b).
Im August 2021 erklärte der bulgarische Ombudsmann, dass die speziell für UM vorgesehene Zone im Aufnahmezentrum Voenna Rampa stark überfüllt sei und die Kinder unter äußerst schlechten und unhygienischen Bedingungen lebten (AI 29.3.2022).
Im Jahr 2019 wurde eine Expertengruppe aus Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen eingesetzt, um ein nationales Verfahren zur Altersfeststellung auf der Grundlage eines multidisziplinären Ansatzes zu entwickeln. Der Entwurf der Methodik zur Altersbewertung wurde fertiggestellt und zur Annahme an die Regierung weitergeleitet, aber bis 31. Dezember 2021 - nicht zuletzt aufgrund anderer Prioritäten wegen Covid - noch nicht verabschiedet (AIDA 2.2022).
Die folgenden NGOs mit unterschiedlichen Schwerpunkten spielen weiterhin eine Schlüsselrolle in Bezug auf Unterstützung bei Vulnerabilität (z.B. frühzeitige Identifizierung, Bewertung, Überweisung und entsprechende Behandlung): Rotes Kreuz und Council of Refugee Women (Armut, Not und soziale Ungleichheit); Rotes Kreuz (Gesundheitsprobleme und Behinderung); Nadja Center (mentale und psychische Gesundheit); Bulgarian Helsinki Committee (unbegleitete Minderjährige) (AIDA 2.2022).
Asylwerbende Minderjährige haben laut Gesetz ohne Altersbeschränkung und analog zu bulgarischen Minderjährigen Zugang zu Schul- und Berufsausbildung. In der Praxis gibt es gewisse Hindernisse bei der Einstufung der Minderjährigen. UMA mit besonderen Bedürfnissen kommen nicht in den Genuss alternativer Regelungen, außen jenen, die auch für bulgarische Kinder vorgesehen sind (AIDA 2.2022).
Quellen:
▪ AIDA - Asylum Information Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC, Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE, Veröffentlicher): Country Report:
Bulgaria, Update 2021, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDABG_2021update.pdf , Zugriff 17.5.2022
▪ AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bulgaria 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070363.html ,
18.5.2022
▪ IOM – Internation Organisation for Migration (o.D.a): Тhe first Safety Zone for unaccompanied asylum-seeking children in Bulgaria opened its doors!, IOM – Internation Organisation for Migration (o.D.a): Тhe first Safety Zone for unaccompanied asylumseeking children in Bulgaria opened its doors!, http://iom.bg/en/content/%D1%82he-firstsafety-zone-unaccompanied-asylum-seeking-children-bulgaria-opened-itsdoors%E2%80%8B , Zugriff 18.5.2022, Zugriff 18.5.2022
▪ IOM – International Organization for Migration Bulgaria (o.D.b): Safety zone for unaccompanied children – RRC Sofia, Ovche Kupel, https://www.iom.bg/en/content/safetyzone-unaccompanied-children-%E2%80%93-rrc-sofia-ovcha-kupel , Zugriff 18.5.2022
▪ USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 – Bulgaria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071249.html , Zugriff 19.5.2022
Non-Refoulement
Letzte Änderung: 13.06.2022
Schutz vor Refoulement ist eine Erwägung in der Zulässigkeitsprüfung und unerlässlich für sichere Dritt- und Herkunftsstaaten (AIDA 2.2022).
Im Jahr 2021 meldete das bulgarische Innenministerium über 50.000 Versuche, irregulär über die Grenze in das Land einzureisen. Hierbei wurden etwa 2.350 Personen festgenommen. Laut NGO-Angaben verfügen die Grenzbehörden nicht über Mechanismen, um zwischen Migranten und Flüchtlingen zu unterscheiden, und wurden 19 % der Personen, die an der Grenze einen Antrag auf internationalen Schutz stellten, wegen illegaler Einreise verfolgt und verurteilt. Weiters gab es Vorwürfe von NGO-Seite, dass die staatliche Flüchtlingsbehörde Asylwerbern, die in Flüchtlingsaufnahmezentren vorstellig wurden, die Registrierung verweigert und sie stattdessen festnehmen habe lassen. Die Behörde widersprach diesen Vorwürfen und wies darauf hin, dass einige Personen aufgrund von Platzmangel in der COVID-19-Quarantäneabteilung der Flüchtlingsaufnahmezentren in eine Schubhafteinrichtung gebracht worden waren (USDOS 12.4.2022).
Menschenrechtsorganisationen zufolge wendet Bulgarien sogenannte Pushbacks an, um
Migranten von seinem Territorium fernzuhalten (AIDA 2.2022; vgl. BM 10.2.2022; USDOS 12.4.2022, AI 29.3.2022). Im Jahr 2021 registrierte der nationale Grenzüberwachungsmechanismus 2.513 mutmaßliche Pushback-Vorfälle, von denen insgesamt 44.988 Personen betroffen waren (AIDA 2.2022), gemäß einer anderen Quelle handelte es sich um mindestens 1.100 Fälle und 13.000 betroffene Personen (AI 29.3.2022). Auch gibt es Berichte über Gewalt, Diebstähle und erniedrigende Praktiken gegenüber Migranten und Asylwerbern an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei (USDOS 12.4.2022).
Die Asylanträge der überwiegenden Mehrheit der afghanischen Asylwerber wurde weiterhin in beschleunigten Verfahren als offensichtlich unbegründet abgelehnt, da Bulgarien die Türkei zu einem sicheren Drittstaat erklärt hat (AI 29.3.2022).
Quellen:
▪ AIDA - Asylum Information Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC, Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE, Veröffentlicher): Country Report:
Bulgaria, 2021 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDABG_2021update.pdf , Zugriff 17.5.2022
▪ AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bulgaria 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070363.html ,
18.5.2022
▪ BM – Boardermonitoring Bulgaria (10.2.2022): New Bulgarian government did not lead to positive changes for asylum seekers, so far, https://bulgaria.bordermonitoring.eu/ , Zugriff
18.5.2022
▪ USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 – Bulgaria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071249.html , Zugriff 19.5.2022
Versorgung
Grundversorgung
Letzte Änderung: 13.06.2022
Asylwerber haben gemäß den nationalen Rechtsvorschriften während aller Arten von Asylverfahren Anspruch auf materielle Aufnahmebedingungen, mit Ausnahme jener, die zur Zulassung oder Beurteilung von Folgeanträgen durchgeführt werden. Obwohl das Gesetz diesbezüglich keine ausdrücklichen Bestimmungen enthält, werden mittellose Asylwerber bei begrenzten Unterbringungskapazitäten vorrangig in den Aufnahmezentren untergebracht. In jedem Einzelfall werden Umstände wie besondere Bedürfnisse und das Risiko der Mittellosigkeit geprüft. Die Kriterien für die Bewertung der Gefahr der Mittellosigkeit werden so festgelegt, dass sie die individuelle Situation des betreffenden Asylwerbers berücksichtigen, z. B. Ressourcen und Mittel zur Selbsterhaltung, Beruf und Beschäftigungsmöglichkeiten (sofern eine Arbeit formal erlaubt ist), sowie die Anzahl und Gefährdung abhängiger Familienmitglieder. Asylwerber haben jedoch das Recht, auf diese Leistungen zu verzichten, wenn ihr Antrag im regulären Verfahren anhängig ist und sie erklären, über die nötigen Mittel und Ressourcen zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu verfügen und sich dazu entscheiden, außerhalb von Aufnahmezentren zu leben. Die Registrierungskarte für Asylwerber ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Zugang zu den Rechten, die Asylwerbern während des Asylverfahrens zustehen, d. h. Aufenthalt im Hoheitsgebiet, Unterkunft und Unterhalt, Sozialhilfe (unter denselben Bedingungen und in derselben Höhe wie für bulgarische Staatsangehörige), Krankenversicherung, Zugang zu Gesundheitsversorgung, psychologischer Betreuung und Bildung. Seit Ende des Jahres 2015 erhalten Asylbewerber während des Verfahrens nur Unterkunft, Verpflegung und medizinische Grundversorgung, da die anderen genannten Ansprüche in der Praxis von der Regierung nicht sicher- oder bereitgestellt werden (AIDA 2.2022).
Bedenken hinsichtlich der mangelhaften materiellen Bedingungen in Aufnahmezentren, das Fehlen eines angemessenen Identifizierungsmechanismus für besonders gefährdete schutzbedürftige Personen, die Streichung der monatlichen finanziellen Zuwendungen sowie unzureichende Verfahrensgarantien bei der Prüfung von Anträgen und der Gewährung von internationalem Schutz blieben auch Ende 2021 gültig (AIDA 2.2022). Die Aufnahmebedingungen für Asylwerber werden nach wie vor als mangelhaft beschrieben (AI 29.3.2022).
Folgeantragsteller erhalten keine Registrierungskarte und haben auch kein Recht auf materielle Versorgung. Sie haben lediglich ein Recht auf Übersetzerleistungen, während die Zulässigkeit ihres Folgeantrags im Eilverfahren geprüft wird. Wurde der Folgeantrag nur eingebracht, um die Außerlandesbringung zu verzögern, besteht auch kein Recht auf Verbleib im Land. Die Zulässigkeit muss binnen 14 Tagen geklärt werden (AIDA 2.2022).
Falls das Asylverfahren aus objektiven Umständen länger als drei Monate dauert, haben die Asylwerber noch während des Asylverfahrens Zugang zum Arbeitsmarkt. 2021 wurden 146 Arbeitserlaubnisse für Asylwerber im laufenden Verfahren erteilt; 97 Personen haben danach eine Beschäftigung angenommen. In der Praxis ist der Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund der Sprachbarriere, genereller Rezession und hoher Arbeitslosenzahlen jedoch schwierig (AIDA 2.2022).
Quellen:
▪ AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bulgaria 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070363.html ,
18.5.2022
▪ AIDA - Asylum Information Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC, Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE, Veröffentlicher): Country Report:
Bulgaria, Update 2021, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDA -
BG_2021update.pdf, Zugriff 17.5.2022
Unterbringung
Letzte Änderung: 13.06.2022
Bulgarien verfügt derzeit über Unterbringungszentren in Sofia (Ovcha Kupel, Vrazhdebna und Voenna Rampa), Banya und Pastrogor, sowie Harmanli, die von der Migrationsbehörde (SAR) verwaltet werden. Die Kapazität der Unterbringungszentren betrug Ende Dezember 2021 5.160 Plätze, wobei zu diesem Zeitpunkt 2.447 Plätze belegt waren (AIDA 2.2022).
Abgesehen von Vrazhdebna in Sofia und den Schutzzonen für unbegleitete Minderjährige in Voenna Rampa und Ovcha Kupel, stehen die Lebensbedingungen in den nationalen Aufnahmezentren nach wie vor in der Kritik. Die Bewohner aller Aufnahmezentren, außer in Vrazhdebna, haben sich über die schlechten sanitären Bedingungen beschwert (AIDA 2.2022). Amnesty International bezeichnet die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber als mangelhaft (AI 29.3.2022).
Das Land verfügt außerdem über zwei Schubhaftzentren: Busmantsi (400 Plätze) und Lyubimets (660 Plätze). Die Haftbedingungen werden vor allem bezüglich der Hygiene kritisiert. Die medizinische Versorgung in beiden Anstalten lässt weiterhin zu wünschen übrig. Die medizinische Ausrüstung ist sehr spärlich, die Auswahl an kostenlosen Medikamenten sehr begrenzt. Kritik wurde auch am eingeschränkten Zugang zu fachärztlicher bzw. psychiatrischer Versorgung geäußert (AIDA 2.2022).
Quellen:
▪ AIDA - Asylum Information Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC, Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE, Veröffentlicher): Country Report:
Bulgaria, Update 2021, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDABG_2021update.pdf , Zugriff 17.5.2022
▪ AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bulgaria 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070363.html ,
18.5.2022
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 13.06.2022
Das bulgarische Gesundheitssystem basiert auf einer obligatorischen sozialen Krankenversicherung (GKV); die freiwillige Krankenversicherung spielt eine eher marginale Rolle (OECD 13.12.2021).
Die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind in den letzten Jahren stetig gestiegen, liegen aber unter den EU-Ländern immer noch an letzter Stelle (OECD 13.12.2021). Insgesamt ist das bulgarische Gesundheitswesen durch tiefe strukturelle Probleme gekennzeichnet. Die größten Herausforderungen sind die ungleiche Verteilung der Ressourcen im Gesundheitswesen, die unzureichende Notfallversorgung, der gravierende Mangel an medizinischem Schlüsselpersonal (speziell Pflegepersonal während der Covid-Pandemie), ein ungleicher Zugang zur Gesundheitsversorgung und hohe 'out of Pocket'-Zahlungen (BTI 23.2.2022). Diese privaten Zuzahlungen sind mit 38 % der gesamten Gesundheitsausgaben die höchsten in der EU und betreffen hauptsächlich die Ausgaben für Arzneimittel. Besonders für die zahlreichen einkommensschwachen Haushalte stellen diese Zuzahlungen eine unverhältnismäßige Belastung dar (OECD 13.12.2021). Zwischen 500.000 bis 600.000 Menschen waren im Jahr 2020 nicht krankenversichert (BTI 23.2.2022). Die OECD geht sogar von bis zu einer Million Unversicherter aus (OECD
13.12.2021).
Asylwerber in Bulgarien haben im selben Ausmaß wie bulgarische Staatsbürger Zugang zu medizinischer Versorgung. Die State Agency for Refugees (SAR) ist verpflichtet, Asylwerber krankenzuversichern. In der Praxis haben Asylwerber mit denselben Problemen zu kämpfen wie Bulgaren (AIDA 2.2022), da das nationale Gesundheitssystem große materielle und finanzielle Defizite aufweist (AIDA 2.2022; vgl. BTI 23.2.2022). In dieser Situation ist spezielle Betreuung für Folteropfer und Traumatisierte nicht verfügbar. Wenn das Recht auf Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, entzogen wird, betrifft das auch das Recht auf medizinische Versorgung. Medizinische Grundversorgung ist in den Unterbringungszentren gegeben, und zwar entweder durch eigenes medizinisches Personal oder Nutzung der Notaufnahmen lokaler Hospitäler. Alle Zentren verfügen über medizinische Behandlungsräume. Fehlende Dolmetscher und die mangelnde Bereitschaft einiger Ärzte, Asylsuchende als Patienten zu registrieren, stellen jedoch praktische Hindernisse beim Zugang zu medizinischer Versorgung dar (AIDA 2.2022).
Quellen:
▪ AIDA - Asylum Information Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC, Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE, Veröffentlicher): Country Report:
Bulgaria, Update 2021, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDABG_2021update.pdf , Zugriff 3.6.2022
▪ BTI – Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Bulgaria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069794/country_report_2022_BGR.pdf , Zugriff 18.5.2022 ▪ OECD/European Observatory on Health Systems and Policies (13.12.2021): Bulgaria:
Country Health Profile 2021, State of Health in the EU, OECD Publishing,
Paris, https://doi.org/10.1787/c1a721b0-en , Zugriff 23.5.2022
Dublin-Rückkehrer
Letzte Änderung: 13.06.2022
Seit 2015 sieht das Asyl- und Flüchtlingsgesetz (LAR) ausdrücklich die obligatorische
Wiederaufnahme eines Asylverfahrens für Antragsteller vor, die gemäß der DublinVerordnung nach Bulgarien zurückgeführt werden, sofern bis dahin keine inhaltliche Entscheidung in Abwesenheit ergangen ist. Allerdings ist ihr Zugang zu Versorgung nicht gesichert, da diese nur vulnerablen Antragstellern garantiert wird. Für nicht-vulnerable Rückkehrer ist die Bereitstellung von Nahrung und Unterkunft von den begrenzten nationalen Aufnahmekapazitäten und deren Verfügbarkeit abhängig. Wenn in den Aufnahmezentren der State Agency for Refugees (SAR) kein Platz zur Verfügung steht, müssen die Rückkehrer ihre Unterkunft und Verpflegung auf eigene Kosten sicherstellen (AIDA 2.2022).
Dublin-Rückkehrer deren Verfahren wieder eröffnet werden kann, haben auf Antrag Zugang zu Versorgung, sofern im Aufnahmesystem Kapazitäten vorhanden sind (AIDA 2.2022).
Früher hatten Dublin-Rückkehrer Schwierigkeiten, ihren Zugang zu medizinischer Versorgung nach der Rückkehr wiederherzustellen. Angang 2019 wurde die Gesundheitsdatenbank neu organisiert worden, um hier Besserung zu bringen. Um weiter bestehende Probleme zu lösen, wurde im Jahr 2020 das Gesetz dahingehend geändert, dass es ausdrücklich ununterbrochene Rechte auf medizinische Versorgung für jene Asylwerber vorsieht, deren Verfahren beendet und dann wieder aufgenommen wurden, wie es bei Dublin-Fällen typischerweise der Fall ist. Allerdings gilt diese Regelung nicht für Dublin-Rückkehrer, deren Anträge vor ihrer Rückkehr in Abwesenheit inhaltlich entschieden wurden. In der Praxis kommt es bei den Dublin-Überstellten, deren Verfahren wiederaufgenommen wurden zu einigen Monaten Verzögerung bis sie wieder Zugang zum Gesundheitssystem haben. Auch ist das nationale Gesundheitspaket in der Regel knapp bemessen und sieht weder eine spezielle medizinische oder psychologische Behandlung vor, noch eine Behandlung verschiedener chronischer Krankheiten oder chirurgische Eingriffe und die Bereitstellung von Prothesen, Implantaten oder anderen notwendigen Medikamenten oder Hilfsmitteln. Diese müssen von den Patienten auf eigene Kosten bezahlt werden (AIDA 2.2022).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist ab einem Zeitpunkt drei Monate nach Registrierung für die Dauer des Verfahrens garantiert. Die COVID-19-Pandemie verschlechterte jedoch die (ohnehin schon schwierige) nationale Wirtschaftslage und führte bei Beschäftigung und Selbstversorgung von Asylwerbern und Flüchtlingen zu weiteren Behinderungen. Im Jahr 2021 waren nur 97 Asylwerber tatsächlich beschäftigt (AIDA 2.2022).
Quellen:
▪ AIDA - Asylum Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC/Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE/Veröffentlicher): Country Report: Bulgaria; 2021
Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDA-BG_2021update.pdf , Zugriff 2.6.2022
Schutzberechtigte
Letzte Änderung: 13.06.2022
Anerkannte Flüchtlinge erhalten ein Identitätsdokument mit fünf Jahren Gültigkeit. Damit kommen ihnen von wenigen Ausnahmen abgesehen dieselben Rechte zu wie bulgarischen Staatsbürgern. Subsidiär (oder humanitär) Schutzberechtigte erhalten ein Identitätsdokument mit drei Jahren Gültigkeit und damit dieselben Rechte wie Inhaber eines permanenten Aufenthaltstitels (AIDA 2.2022).
Seit 2013 und bis einschließlich 2021 gibt es für Personen mit internationalem Schutz im Wesentlichen keinerlei Integrationshilfe mehr. Dies hatte zur Folge, dass Schutzberechtigte nur sehr eingeschränkt in der Lage waren, selbst die grundlegendsten sozialen Arbeits- und Gesundheitsrechte zu genießen, während ihre Bereitschaft, sich dauerhaft in Bulgarien niederzulassen, Berichten zufolge auf ein Minimum gesunken ist (AIDA 2.2022).
Ein rechtlicher Rahmen für Integration, der Integrationserlass, wurde zwar 2016 verabschiedet, aber er blieb bis zu seiner Aufhebung im Jahr 2017 ungenutzt, da keine der 265 Gemeinden daran teilnahm. Im Juli 2017 wurde schließlich ein neues Dekret verabschiedet, das im Wesentlichen die Bestimmungen seines Vorgängers wiederholte. Nach Bemühungen des UNHCR, des Flüchtlingsrats und des Roten Kreuzes mit Unterstützung der Asylbehörde SAR, stellten die Bezirke Vitosha und Oborishte (Gemeinde Sofia) im Jahr 2021 Integrationshilfen für 83 Personen zur Verfügung, von denen die Mehrheit Familien waren, aber auch zwei Personen mit Einzelstatus (AIDA 2.2022).
Ende 2020 wurde die für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten ab Statuszuerkennung vorgesehene finanzielle Unterstützung für Unterbringungszwecke abgeschafft. In der Praxis dürfen, außer bei Massenzustrom oder einer großen Zahl von Neuankömmlingen, einige besonders schutzbedürftige Personen mit internationalem Schutzstatus jedoch weiterhin einige Monate in den Aufnahmezentren für Asylwerber verbleiben, da sie keine Unterstützung bei der Integration erhalten (AIDA 2.2022; vgl. SFH 30.8.2019). Die Begünstigten haben akute Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu finden, da es bei der Eintragung in das Melderegister einen rechtlichen Widerspruch gibt. Für den Abschluss eines Mietvertrags ist der Besitz gültiger Ausweisdokumente erforderlich, doch können keine Ausweisdokumente ausgestellt werden, wenn die Person keinen Wohnsitz angibt (SFH 30.8.2019; vgl. AIDA 2.2022). Die Situation hat sich noch dadurch verschärft, dass der SAR den Begünstigten untersagt hat, die Adresse des Aufnahmezentrums, in dem sie sich während des Asylverfahrens aufgehalten haben, als Wohnsitz zu diesem Zweck anzugeben. Dies führte zu korrupten Praktiken mit fiktiven Adressen oder Mietverträgen, um Ausweisdokumente zu erhalten (AIDA 2.2022). Eine ähnlich widersprüchliche Situation ergibt sich hinsichtlich der Anforderungen für den Zugang zu Sozialhilfe (SFH 30.8.2019). Ende 2021 waren 212 Schutzberechtigte in Asylwerberunterkünften untergebracht (AIDA 2.2022).
Die Unterbringung von Schutzberechtigten in kommunalen Wohnungen erfolgt auf der Grundlage der entsprechenden Verordnungen der jeweiligen Gemeinden. Die Zugangsvoraussetzungen können somit entsprechend variieren (BCRM o.D). Der Caritas zufolge besteht Zugang zu Gemeindewohnungen nur, wenn mindestens ein
Familienmitglied bulgarischer Staatsbürger ist, weswegen Schutzberechtigte üblicherweise keinen Zugang zu diesen Wohnungen hätten (Caritas o.D.a). Laut dem Bulgarian Council on Refugees and Migrants sind in den Gemeinden Burgas und Ruse für den Zugang zu Gemeindewohnungen eine Adressregistrierung sowie ein ständiger Wohnsitz in der Gemeinde während der letzten fünf Jahre erforderlich, während Schutzberechtigten in Lom das Recht zukommt, eine Unterkunft in städtischen Mietwohnungen zu beantragen und diese nach Jahren zu kaufen bzw. in Wohnungen aus dem Reservefonds untergebracht zu werden (BCRM o.D).
Betreffend staatlicher sozialer Unterstützungsleistungen sind Schutzberechtigte bulgarischen Staatsbürgern gleichgestellt (BCRM o.D). So haben sie die Möglichkeit, sich an das zuständige Social Assistance Directorate (SAD) der Social Assistance Agency (SAA) am Ort ihrer Wohnsitzmeldung zu wenden. Es gibt dort verschiedene Formen der Unterstützung. Zum einen die monatliche bzw. einmalige oder zielgerichtete Sozialzulage (Monthly, one-off or target social allowance). Diese muss im SAD beantragt werden und ein Sozialarbeiter bewertet die Situation des Betreffenden unter seiner momentanen Adresse. Dabei werden Einkommen, Alter, Familienstand, Besitz, Gesundheitszustand usw. miteinkalkuliert. Die andere Möglichkeit sind kommunale Sozialleistungen für Anwohner (Resident-type community social services), die auch Zugang zu temporären Wohnstrukturen und Notfallzentren umfassen. Dazu muss man ebenfalls in der Wohnsitzgemeinde einen Antrag stellen. Auch hier wird die individuelle Situation bewertet und anhand dieser Bewertung vom SAD ein sogenanntes 'order for accommodation' erlassen. Eine weitere Möglichkeit sind finanzielle Leistungen für Familien (Family allowances), die unter einem bestimmten Pro-Kopf-Einkommen liegen. Auch diese müssen beantragt werden. Da die Schutzberechtigten im Gesetz über Kinderzulagen nicht explizit als Empfangsberechtigte aufgeführt sind, kann es passieren, dass ihnen diese Sozialleistungen verweigert werden. Deshalb empfiehlt die Caritas Bulgarien bei diesem Anliegen, sich an einen Sozialarbeiter bzw. das Bulgarian Helsinki Committee zu wenden. Zuletzt besteht rein theoretisch die Möglichkeit einen Integrationsvertrag mit der Wohnsitzgemeinde abzuschließen (siehe dazu oben, Anm.) (Caritas o.D.b).
Beim Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen sind die Betroffenen in der Praxis mit diversen Sonderregelungen (z.B. Dolmetscher, soziale Vermittlung) konfrontiert. Weiters bedeuten die umfangreiche Bürokratie und weitere Formalitäten bei Einreichung des Antrags auf Sozialhilfe, die selbst für Staatsangehörige schwer zu überwinden sind, weitere Probleme. Maßgeschneiderte Vermittlung und Hilfestellung können durch zivilgesellschaftliche Organisationen (NGOs) geleistet werden, die aber nicht immer verfügbar sind (AIDA 2.2022).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für Schutzberechtigte automatisch und bedingungslos gegeben. Die Sprachbarriere und ein Mangel an adäquater staatlicher Unterstützung für Berufsausbildung sind übliche Probleme. Der Zugang zu Bildung ist für Schutzberechtigte genauso geregelt wie für Asylwerber (AIDA 2.2022).
Ab Statuszuerkennung müssen Schutzberechtigte die Krankenversicherungsbeiträge, die bis dahin von SAR entrichtet worden sind, selbst bezahlen. Das sind mindestens BGN 44,80 (ca. EUR 22,90) monatlich für arbeitslos gemeldete Personen (AIDA 2.2022). Dies führt dazu, dass viele Personen mit Schutzstatus ohne Versicherung bleiben. Wenn sie die Prämien nicht zahlen können, müssen sie die gesamten Behandlungskosten tragen (SFH 30.8.2019). Insgesamt ist das bulgarische Gesundheitswesen durch tiefe strukturelle Probleme gekennzeichnet. Die größten Herausforderungen sind die ungleiche Verteilung der Ressourcen im Gesundheitswesen, die unzureichende Notfallversorgung, der gravierende Mangel an medizinischem Schlüsselpersonal (speziell Pflegepersonal während der Covid-Pandemie), ein ungleicher Zugang zur Gesundheitsversorgung und hohe 'out of Pocket'-Zahlungen (BTI 23.2.2022). Diese privaten Zuzahlungen sind mit 38 % der gesamten Gesundheitsausgaben die höchsten in der EU und betreffen hauptsächlich die Ausgaben für Arzneimittel. Besonders für die zahlreichen einkommensschwachen Haushalte stellen diese Zuzahlungen eine unverhältnismäßige Belastung dar (OECD 13.12.2021). Zwischen 500.000 bis 600.000 Menschen waren im Jahr 2020 nicht krankenversichert (BTI 23.2.2022). Die OECD geht sogar von bis zu einer Million Unversicherter aus (OECD 13.12.2021).
Mehrere NGOs leisten in Bulgarien für Asylwerber aber auch für Schutzberechtigte
Unterstützung. Das Bulgarian Red Cross (BRC) betreibt den sogenannten RefugeeMigrant Service (RMS), welcher seit 1997 in der Flüchtlingsintegration tätig ist. Die Organisation verfügt über Zweigstellen in mehreren bulgarischen Städten und bietet Asylwerbern, humanitär Aufenthaltsberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und abgelehnten Asylwerbern Geld- und Sachleistungen (BRC o.D.).
Die Caritas Bulgarien betreibt in Sofia ein Integrationszentrum für Flüchtlinge und Migranten, das psychologische Hilfe, Bildungsservices, soziale Beratung, humanitäre Hilfe und Unterstützung bezüglich Wohnen und Arbeit bietet (Caritas o.D.c). Für anerkannte Flüchtlinge oder humanitär Schutzberechtigte betreibt die Caritas Bulgarien das sogenannte 'Refugee and Migrant Integration Center Sveta Anna' in Sofia, wo soziale Beratung, psychologische Hilfe, Sprachtraining, Hilfe bei Meldeangelegenheiten, Registrierung beim praktischen Arzt, Unterstützung bezüglich Wohnen und Arbeit, ein Mentoringprogramm und weitere Integrationsmaßnahmen angeboten werden (Caritas o.D.d). Daneben leisten das Bulgarian Helsinki Committee, Foundation for Access to Rights und das Centre for Legal Aid 'Voice in Bulgaria' rechtliche Hilfe (RBG o.D.).
Quellen:
▪ AIDA - Asylum Information Database (2.2022): Bulgarian Helsinki Committee (HHC, Autor) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE, Veröffentlicher): Country Report:
Bulgaria, Update 2021, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/02/AIDABG_2021update.pdf , Zugriff 17.5.2022
▪ BCRM - Bulgarian Council on Refugees and Migrants (o.D): Policy areas of integration, https://refugee-integration.bg/en/ , Zugriff 1.7.2022
▪ BRC – Bulgarian Red Cross (o.D.): Work with refugees and asylum seekers, http://en.redcross.bg/activities/activities8/rms1 , Zugriff 18.5.2022
▪ BTI - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report
Bulgaria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069794/country_report_2022_BGR.pdf , Zugriff
1.6.2022
▪ RBG – Refugee Bulgaria (o.D.): Non-governmental Organizations, RBG – Refugee Bulgaria
(o.D.): Non-governmental Organizations, https://refugee.bg/en/non-governmentalorganizations/ , Zugriff 18.5.2022
▪ Caritas (o.D.a): Accommodation, Caritas (o.D.a):
Accommodation, http://caritas.bg/en/useful-information/accommodation/ , Zugriff 18.5.2022, Zugriff 18.5.2022
▪ Caritas (o.D.b): Social Assistance and Social Services, Caritas (o.D.b): Social Assistance and Social Services, https://caritas.bg/en/useful-information/useful-informationrefugees/social-assistance-and-social-services/ , Zugriff 18.5.2022, Zugriff 18.5.2022
▪ Caritas (o.D.c): Bulgaria, Caritas (o.D.c): Bulgaria, https://www.caritas.org/where-caritaswork/europe/bulgaria/ , Zugriff 18.5.2022, Zugriff 18.5.2022
▪ Caritas (o.D.d): Activities Refugees, Caritas (o.D.d): Activities
Refugees, https://caritas.bg/en/causes/refugees/activities-refugees/ , Zugriff 18.5.2022, Zugriff 18.5.2022
▪ OECD/European Observatory on Health Systems and Policies (13.12.2021), Bulgaria: Country Health Profile 2021, State of Health in the EU, https://www.oecdilibrary.org/docserver/c1a721b0 -
en.pdf?expires=1654682429&id=id&accname=guest&checksum=56B4BC840F08A2A1D7E 08E6FDBB16664, Zugriff 1.6.2022
▪ SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (30.8.2019): Bulgarien - Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit
Schutzstatus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016724/190829-bulgarien-auskunft.pdf , Zugriff 23.5.2022
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, die Identität des BF stehe mangels Vorlage eines gültigen Personaldokumentes nicht fest. Er leide an keinerlei lebendbedrohenden Krankheiten und sei nicht in ärztlicher Behandlung. Der BF sei anerkannter subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien. Es könne nicht festgestellt werden, dass er in Bulgarien systemischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese dort zu erwarten hätte. Er verfüge in Österreich über seine Ehegattin und insgesamt acht Kinder. Ein schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK bestehe nicht. Sein Aufenthalt in Österreich sei immer lediglich durch die Stellung eines Asylantrages legitimiert. Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass er konkret Gefahr liefe, in Bulgarien Folter oder unmenschlicher Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe, hätten nicht glaubhaft gemacht werden können. Es bestehe kein Grund, daran zu zweifeln, dass Bulgarien seine Verpflichtungen gegenüber dem BF erfülle. Die Kinder des BF seien seit sechs Jahren in der Obhut der Mutter. Die Eingliederung des BF in das Familienleben sei mit großen Ängsten verbunden. Auch im Sinne des Kindeswohls bestehe kein schützenswertes Familienleben. Die Außerlandesbringung des BF stelle kein Eingriff in das in Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Familien- und Privatleben dar.
3. Gegen vorzitierten Bescheid richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, worin im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass die Familie des BF, darunter auch drei minderjährige Kinder, in Österreich leben würden. Aktuell bestehe ein gemeinsamer Haushalt. Die Behörde habe unvollständige Länderfeststellungen herangezogen bzw. diese unrichtig und selektiv ausgewertet. Das Bundesamt hätte angesichts der de facto nicht existierenden Versorgungs- und Unterbringungssituation in Bulgarien prüfen müssen, ob er in einer angemessenen Unterkunft untergebracht und entsprechend versorgt werde. Die Behörde habe sich nicht mit der Anfragenbeantwortung der Staatendokumentation vom 19.07.2021 zur Situation subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien auseinandergesetzt. Das Kindeswohl sei zu beachten und die Einvernahme der Ehegattin des BF als Zeugin werde beantragt. Eine Einzelfallprüfung sei nicht vorgenommen worden. Bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens hätte die Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass die Außerlandesbringung des BF nach Bulgarien eine Verletzung seiner durch Art. 3 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte darstelle.
Angeschlossen wurde ein Foto einer Bestätigung eines Krankenhauses vom 20.07.2022 betreffend einen Aufenthalt in der Ambulanz am 18.05.2022.
4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2022 wurde der Beschwerde gemäß § 17 AsylG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
5. Dem BVwG wurde eine Verständigung der zuständigen österreichischen Staatsanwaltschaft vom 28.09.2022 übermittelt, wonach das Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen § 15 StGB § 83 Abs. 1 StGB, §§ 107 Abs. 1 und 107 Abs. 2 StGB eingestellt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Am 12.11.2021 stellte der BF, ein syrischer Staatsangehöriger, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Laut dem vorliegenden EURODAC-Treffer suchte der BF bereits am 09.10.2014 in Österreich (AT1 … vom 09.10.2014) sowie am 09.07.2021 in Bulgarien um Asyl an (BG1 … vom 09.07.2021).
Am 23.11.2021 hat der BF freiwillig auf Leistungen der Grundversorgung verzichtet (AS 17).
Aufgrund des EURODAC-Treffers und der Angaben des BF richtete das BFA am 24.11.2021 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Bulgarien.
Mit Schreiben vom 05.12.2021 gaben die bulgarischen Behörden bekannt, dass dem BF am 20.09.2021 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bulgarien zuerkannt worden ist, weshalb dem Wiederaufnahmegesuch nicht zugestimmt werde. Zusätzlich wurde der in Bulgarien geführte Name des BF bekanntgegeben.
Nachdem der BF ab von 28.12.2021 keine Wohnsitzmeldung mehr hatte wurde das gegenständliche Verfahren mit Aktenvermerk vom 04.01.2022 wegen unbekannten Aufenthalts des BF eingestellt. Am 25.03.2022 langte beim Bundesamt ein E-Mail der Diakonie ein, in dem auf die nunmehr bestehende Meldung des BF hingewiesen und die Fortsetzung des Verfahrens beantragt wurde.
Seit 08.03.2022 verfügt der BF wieder über eine aufrechte Wohnsitzmeldung. Es besteht ein gemeinsamer Haushalt mit seiner Ehefrau und den teilweise minderjährigen Kindern.
Der BF verfügt durch seine Ehefrau und sieben Kinder über familiäre Anknüpfungspunkte. Der Antrag jenes volljährigen Sohnes, mit dem der BF in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, wurde zurückgewiesen. Die Entscheidung des Bundesamtes wurde bestätigt.
Das BFA hat in dem angefochtenen Bescheid keine hinreichenden Feststellungen betreffend die familiären Anknüpfungspunkte des BF zu seinen in Österreich lebenden Angehörigen und den gemeinsamen Wohnsitz getroffen. In Hinblick auf den zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung seit einigen Monaten bestehenden gemeinsamen Wohnsitz ist die Argumentation der Behörde, wonach die Ehefrau und nunmehrige Unterkunftgeberin des BF einem Einreiseantrag im September 2017 nicht zugestimmt hätte, nicht nachvollziehbar.
Die belangte Behörde hat die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes, insbesondere zum Familienleben des BF in Österreich, unterlassen, weshalb zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides durch die belangte Behörde keine Entscheidungsreife vorlag.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen betreffend die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und die Antragstellungen auf internationalen Schutz beruhen auf den Angaben des BF, den vorliegenden EURODAC-Treffermeldungen und den Schreiben der bulgarischen Behörden vom 05.12.2021. Die Feststellungen zum gegenständlichen Antrag ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.
Dass dem BF in Bulgarien der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ergibt sich insbesondere aus dem Schreiben der bulgarischen Behörden vom 05.12.2021. Auch in der Beschwerde wurde nicht bestritten, dass dem BF in Bulgarien der Staus des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.
Die Feststellung zu den familiären Anknüpfungspunkten des BF beruht auf den Angaben des BF sowie dem Verwaltungsakt. Die zurückweisende Entscheidung samt Beschwerdeabweisung des volljährigen Sohnes, mit dem der BF nach Österreich eingereist ist, beruht auf dem diesbezüglichen Gerichtsakt zu W240 2254260-1.
Insbesondere liegen nach Durchsicht des gegenständlichen Aktes keine ausreichenden Ermittlungen und in der Folge keine abschließende, nachvollziehbare Beurteilung betreffend die familiären Anknüpfungspunkte des BF in Österreich und den gemeinsamen Wohnsitz vor. Aufgrund dessen wurde das Familienleben des BF in Österreich nicht hinreichend festgestellt, um ausschließen zu können, dass bei dem BF aufgrund der ihm gegenüber ausgesprochenen Außerlandesbringung ein unzulässiger Eingriff in seine von Art. 8 EMRK geschützten Rechte in Bulgarien droht.
Die erstinstanzliche Behörde hat eine abschließende Beurteilung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes des BF in Summe nicht hinreichend durchgeführt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerden:
3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG) idgF lauten:
§ 4a (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. § 4 Abs. 5 gilt sinngemäß.
[…]
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. …
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
[…]
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl.Nr.79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“
3.2. § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:
§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
3.3. Der Verwaltungsgerichtshof (Ra 2016/18/0049 vom 03.05.2016) hat festgehalten, dass nach dem klaren Wortlaut des § 4a AsylG 2005 für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß dieser Bestimmung zurückzuweisen ist, darauf abzustellen ist, ob dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Dass der Fremde dort zudem über einen aufrechten Aufenthaltstitel verfügen muss, lässt sich dem § 4a AsylG 2005 nicht entnehmen. Weiters ergibt sich aus dem Wortlaut der soeben zitierten Bestimmung, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz nach § 4a AsylG 2005 - im Gegensatz zu jener nach § 4 AsylG 2005- keine Prognoseentscheidung zu treffen ist. Während nämlich gemäß § 4 AsylG 2005 eine Prognose dahingehend zu treffen ist, ob der Fremde in dem in Frage kommenden Drittstaat Schutz vor Verfolgung finden kann (Hinweis E vom 6. Oktober 2010, 2008/19/0483; vgl. auch ErlRV 952 BlgNR 22. GP 33), stellt § 4a AsylG 2005 unmissverständlich darauf ab, ob dem Fremden von einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten bereits zuerkannt wurde. Ob der Fremde bei Rückkehr in den nach Ansicht Österreichs zuständigen Staat eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung erlangen würde können oder ihm etwa die Aberkennung seines in der Vergangenheit zuerkannten Schutzstatus drohen könne, ist daher gemäß § 4a AsylG nicht zu prüfen.
Bei einer Zurückweisung nach § 4a AsylG 2005 handelt es sich um eine Entscheidung außerhalb des Anwendungsbereichs der Dublin III-VO (VwGH Ra 2016/19/0072, 30.06.2016 mit Hinweis auf Ra 2016/18/0049, 03.05.2016).
Die seit dem 01.01.2014 anwendbare Dublin III-VO geht, wie sich aus der Legaldefinition in ihrem Art. 2 lit. f ergibt, nunmehr von einem einheitlichen Status für Begünstigte internationalen Schutzes aus, welcher gleichermaßen Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte umfasst. Auf Personen, denen bereits in einem Mitgliedstaat Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wurde und deren Asylverfahren zu beiden Fragen rechtskräftig abgeschlossen ist, findet die Dublin III-VO im Fall eines neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat keine Anwendung.
3.4. Aus dem Akteninhalt geht hervor, dass dem BF in Bulgarien der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.
Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellung, wonach der BF in Bulgarien aufgrund einer dort erfolgten Asylantragstellung bereits schutzberechtigt ist und somit in Bulgarien Schutz gefunden hat, ging das BFA zutreffend davon aus, dass sich der nunmehr in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz im Lichte des § 4a AsylG 2005 wegen Unzuständigkeit Österreichs als unzulässig erweise.
3.5. Gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
3.6. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung des BF nach Bulgarien nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen ist, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte.
Dies aus folgenden Erwägungen:
Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der nicht hinreichenden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob bei dem BF eine reale Gefährdung seiner durch die EMRK gewährleisteten Rechte im Falle einer Überstellung nach Bulgarien vorliegt.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z. B. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673; 08.09.2015, Ra 2015/18/0113-0120) ist im Zuständigkeitsverfahren nämlich aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage des betroffenen BF zu erfolgen hat.
Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren Band I2, E 84 zu § 39 AVG).
3.7. Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Im vorliegenden Fall liegt keine abschließende Beurteilung der privaten und familiären Anknüpfungspunkte des BF vor:
Im gegenständlichen Bescheid wurden die familiären Anknüpfungspunkte des BF in Österreich in Form der Ehefrau sowie sieben gemeinsamer, teilweise minderjähriger Kinder angeführt und festgestellt, dass kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliege. Begründend wurde ausgeführt, die Ehegattin des BF habe in einer Einvernahme im Jahr 2017 bezüglich eines Einreiseantrags einer Tochter angegeben, Angst vor einer Einreise des BF zu haben und sich wünsche, dass einem Einreiseantrag nicht zugestimmt werde. Der BF habe mehrere Ehefrauen, würde die Kinder schlecht behandeln und diese hätten bereits seit sechs Jahren ohne den BF in der Obhut der Mutter gelebt.
In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde auf das Familienleben des BF hingewiesen sowie Ausführungen zur nicht ausreichenden Auseinandersetzung mit dem gegenständlich relevanten Kindeswohl vorgebracht. Insbesondere wurde auch die Einvernahme der Ehefrau des BF als Zeugin zur Tatsache des aktuell aufrechten und schützenswerten Familienlebens beantragt. Zudem wurde auf den aktuellen Gesundheitszustand des BF – unter Vorlage einer Behandlungsbestätigung – hingewiesen.
3.8. Im Hinblick auf den Umstand, dass zum Entscheidungszeitpunkt des gegenständlichen Bescheides bereits seit einigen Monaten ein gemeinsamer Haushalt des BF und seiner Ehefrau sowie den in derselben Wohnung lebenden Kindern bestanden hat, ist die Argumentation des Bundesamtes nicht hinreichend. Auf den gemeinsamen Haushalt wurde in den Erwägungen der Behörde gar nicht eingegangen.
Auch die Heranziehung der Einvernahme der Ehefrau aus 2017 in einem Verfahren, in dem es primär gar nicht um den BF ging, ist insbesondere aufgrund des nunmehr in Österreich begründeten gemeinsamen Haushaltes mangels weiterer Ermittlungen sowie weiterer Ausführungen zu diesem nicht nachvollziehbar.
Die Angaben der Ehefrau des BF im Jahr 2017 sind gegenständlich zwar relevant, aufgrund des Alters der Angaben sowie dem inzwischen begründeten gemeinsamen Haushalt, wäre die Behörde gehalten gewesen, weitere Ermittlungen durchzuführen. Die von der belangten Behörde angeführte und auf Annahmen gründende Argumentation stellen jedenfalls – wie bereits oben näher ausgeführt – keine maßgeblichen Schritte zur Ermittlung des relevanten Sachverhalts dar.
Im fortgesetzten Verfahren ist sohin eine auf den BF und seine Familienangehörigen bezogene Abklärung des aktuellen Familienlebens unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohles vorzunehmen. Das Bundesamt wird Feststellungen zu den familiären Verhältnissen unter Zugrundelegung hinreichender Beweismittel zu treffen haben. Hierzu wird insbesondere die Einvernahme des BF als Partei und der Ehefrau des BF als Zeugin relevant sein.
3.9. Der BF brachte in seiner Beschwerde vor, unter hohem Blutdruck und einer Venenthrombose zu leiden, weshalb er am 18.05.2022 im AKH stationär untersucht und behandelt worden sei und regelmäßig Medikamente nehmen müsse. Dementsprechend wird das Bundesamt im fortgesetzten Verfahren ergänzend aktuelle Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF zu treffen haben, um etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen als möglichen Grund einer Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsposition des BF im Falle seiner Außerlandesbringung nach Bulgarien ausschließen zu können.
Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde, nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob beim BF aufgrund der ihm gegenüber ausgesprochenen Außerlandesbringung eine Gefährdung der durch Art. 3 und 8 EMRK geschützten Rechtsposition ausgeschlossen werden kann.
Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt, weshalb zwingend gemäß§ 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG vorzugehend war.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht können nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.
Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben. Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
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