ASVG §69
B-VG Art.133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:I401.2119850.2.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde der XXXX vertreten durch Dr. Paul DELAZER, Rechtsanwalt, Maximilianstraße 2/1, 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Tirol, vom 06.10.2016, TPLR / 4357 070261, betreffend "Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 09.11.2015 abgeschlossenen Verfahrens" zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Bescheid vom 06.10.2016 behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Mit Bescheid vom 23.10.2013 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Tirol (in der Folge als belangte Behörde oder als beklagte Partei bezeichnet), den Antrag der XXXX (in der Folge als Beschwerdeführerin oder als Klägerin bezeichnet) auf Weitergewährung der vom 01.09.2010 bis 30.09.2013 befristet zuerkannten Invaliditätspension mit der Begründung ab, dass eine Invalidität nicht mehr vorliege. Da Invalidität auch in absehbarer Zeit nicht eintrete, bestehe kein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation.
1.2. Die dagegen erhobene Klage, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Invaliditätspension in der gesetzlichen Höhe ab dem Stichtag 30.09.2013 zu bezahlen, wies das Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht (in der Folge: ASG) mit Urteil vom 18.08.2015, XXXX, ab.
1.3. Das Oberlandesgericht Innsbruck gab der gegen das Urteil des ASG vom 18.08.2015 erhobenen Berufung mit Beschluss vom 26.02.2016, XXXX, Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.
2.1. Mit Bescheid vom 09.11.2015 sprach die belangte Behörde gegenüber der Beschwerdeführerin (mit wörtlich wiedergegebenem Spruch) Folgendes aus:
"Mit gerichtlichem Urteil vom 18. August 2015 wird die bis 30. September 2013 befristet zuerkannte Invaliditätspension unbefristet für die weitere Dauer der Invalidität weitergewährt."
Nach Aufschlüsselung der ab 01.10.2013 gebührenden Pension wurde begründend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Ausgleichszulage nicht bestehe, weil das maßgebliche monatliche Gesamteinkommen die Höhe des in Betracht kommenden Richtsatzes erreiche bzw. übersteige.
Eine "Information über die Anweisung" enthielt den nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrages und des zur Verrechnung einbehaltenen Betrages für das AMS Tirol ergebenden Nachzahlungsbetrag in der Höhe von € 4.387,40 für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.10.2015 und die ab November 2015 gebührende Nettopension von monatlich € 889,15.
2.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 02.12.2015 wurde der Bescheid vom 09.11.2015 gemäß § 62 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 360b ASVG wie folgt berichtigt:
"Mit gerichtlichem Urteil vom 18. August 2015 wurde der Antrag auf Weitergewährung der bis 30. September 2013 befristet zuerkannten Invaliditätspension abgewiesen. Es besteht somit über den 30. September 2013 hinaus kein Anspruch mehr auf Invaliditätspension."
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass mit Urteil des ASG vom 18.08.2015 das Klagebegehren auf Weitergewährung einer Invaliditätspension über den 30.09.2013 hinaus abgewiesen worden sei. Dieses Urteil sei nicht in Rechtkraft erwachsen, eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck liege bislang nicht vor.
Aufgrund eines von einem Mitarbeiter der Pensionsversicherungsanstalt falsch ausgefüllten Abschlussblattes sei der Versicherten versehentlich ein Bescheid auf Gewährung der Invaliditätspension über den 30.09.2013 hinaus zugestellt und die diesbezügliche Auszahlung veranlasst worden. Sofort nach Erkennen des Fehlers sei die bereits in Auftrag gegebene Zahlungsanweisung gestoppt und die Auszahlung eingestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die Versicherte jedoch bereits einen Betrag von € 4.387,40 behoben.
Die Offenkundigkeit der Unrichtigkeit des von der Pensionsversicherung erstellten Bescheides vom 09.11.2015 sei offensichtlich, weil die rechtsfreundlich vertretene Versicherte gegen das abweisende Urteil Berufung erhoben habe. Die Versicherte hätte erkennen müssen, dass es sich beim Bescheid vom 09.11.2015 um einen fehlerhaften Verwaltungsakt gehandelt habe, weil sich aus dem Urteil eindeutig und klar ergebe, dass über den 30.09.2013 hinaus ein Anspruch auf eine Invaliditätspension nicht bestehe. Die Voraussetzungen gemäß § 62 Abs. 4 AVG lägen daher vor und sei der Bescheid vom 09.11.2015 dahingehend zu berichtigen gewesen.
2.3. Der gegen diesen Bescheid vom 02.12.2015 von der Beschwerdeführerin erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.06.2016 Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
Nach Bejahung der Frage, dass es sich bei der Berichtigung von erlassenen Leistungs- und Feststellungsbescheiden im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG nicht um eine Leistungs-, sondern um eine Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG handle, wurde begründend ausgeführt, dass die belangte Behörde mit dem bekämpften Bescheid erkennbar, die - nach ihrer Ansicht - auf ein offenkundiges Versehen eines Mitarbeiters zurückzuführende Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 09.11.2015 beseitigen habe wollen. Eine auf § 62 Abs. 4 AVG gestützte "Berichtigung" eines Bescheides sei im konkreten Fall nicht zulässig, weil der im Spruch des berichtigten Bescheides zum Ausdruck kommende Wille der Behörde nachträglich völlig in sein Gegenteil verkehrt werde. Eine Berichtigung im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG diene nicht dazu, das ("anerkannte") subjektive Recht eines Bescheidadressaten wieder zu entziehen.
Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
3. Mit Urteil des ASG vom 30.09.2016, XXXX, wurde das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Invaliditätspension in der gesetzlichen Höhe ab dem Stichtag 30.09.2013 zu bezahlen, neuerlich abgewiesen.
Nach Wiedergabe des wesentlichen Verfahrensganges führte das ASG in der rechtlichen Beurteilung aus, dass auf Grund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.06.2016, mit welchem der Berichtigungsbescheid vom 02.12.2015 ersatzlos behoben worden sei, der Bescheid der beklagten Partei vom 09.11.2015, mit welchem der Klägerin die Invaliditätspension unbefristet für die weitere Dauer der Invalidität ab 01.10.2013 gewährt worden sei, in Rechtskraft erwachsen sei, zumal eine außerordentliche Revision nicht erhoben worden sei.
Damit sei der im Klagsweg geltend gemachte Anspruch der Klägerin im Verwaltungswege rechtskräftig zuerkannt worden, weshalb eine Beschwer der Klägerin nicht mehr vorliege und das Klagebegehren daher abzuweisen sei.
4.1. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 06.10.2016 sprach die belangte Behörde wie folgt aus:
"Das mit Bescheid vom 09.11.2015 abgeschlossene Verfahren wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG wieder aufgenommen.
Das Verfahren über die neuerliche Entscheidung bezüglich des Anspruchs auf Weitergewährung der Invaliditätspension über den 30.09.2013 hinaus wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht zur GZl. XXXX ausgesetzt".
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens zulässig sei, wenn der Bescheid von Vorfragen abhängig gewesen und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden sei.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei von Amts wegen innerhalb von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides möglich.
Mit Urteil des ASG vom 18.08.2015 sei das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Invaliditätspension über den 30.09.2013 hinaus zu bezahlen, abgewiesen worden. Diese Entscheidung sei noch nicht in Rechtskraft erwachsen.
Mit Bescheid vom 09.11.2015 sei fälschlicherweise die Invaliditätspension über den 30.09.2013 hinaus für die weitere Dauer der Invalidität weiter gewährt worden. Bei der Frage, ob Invalidität bestehe oder nicht, handle es sich um eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG. Solange das Gerichtsverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen sei, sei eine neuerliche Entscheidung über den Anspruch auf Weitergewährung der Invaliditätspension über den 30.09.2013 hinaus bzw. eine Abänderung des fälschlicherweise ergangenen Bescheides vom 09.11.2015 nicht möglich. Das Verfahren werde daher ausgesetzt.
Da die Vorfrage Gegenstand dieses Gerichtsverfahrens sei, seien die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens gegeben.
4.2. Gegen diesen Bescheid erhob die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtzeitig und zulässig Beschwerde.
Sie begründete sie damit, dass der angefochtene Bescheid die Rechtsfrage in doppelter Weise unrichtig beurteile. Einerseits werde argumentiert, die gerichtliche Entscheidung sei eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG, was unrichtig sei, andererseits werde so getan, als ob der Bescheid vom 09.11.2015 fälschlicherweise ergangen sei, was ebenfalls unrichtig sei. Richtig sei vielmehr Folgendes:
Nach dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenz könne das Gericht nur angerufen werden, wenn vom Versicherungsträger entweder ein Bescheid erlassen worden oder dieser mit der Erlassung des Bescheides säumig geworden sei. Mit der Klage trete der Bescheid im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft und die Entscheidungsbefugnis gehe auf das ASG über. Das Verfahren vor dem ASG sei kein kontrollierendes Rechtsmittelverfahren, sondern das Gericht habe den durch die Klage geltend gemachten Anspruch selbständig und unabhängig vom Verfahren vor dem Versicherungsträger auf Basis der Sach- und Rechtslage bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu prüfen. Die Rolle des Versicherungsträgers wandle sich von einer Behörde in die einer Prozesspartei, weshalb auch kein Bescheid mehr "nachgeschoben" werden könne. Ein dennoch erlassener Bescheid sei nicht unbeachtlich und wirkungslos, sondern wie jeder andere während des gerichtlichen Verfahrens ergehende Bescheid zu behandeln, der entweder rechtskräftig oder durch Klageerhebung außer Kraft gesetzt werde. Es verliere daher ein Kläger mit der Erlassung eines seinem Anspruch stattgebenden zweiten Bescheides sein Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen Entscheidung über seinen Anspruch, auch im darüber noch anhängigen Verfahren.
Die belangte Behörde sei Verfahrenspartei und könne daher eben auch Parteienerklärungen abgeben, insbesondere eben ein Klagebegehren anerkennen oder auch sonst einen Kläger klaglos stellen. Dies sei hier geschehen, wenn während des gerichtlichen Verfahrens die belangte Behörde einen Bescheid erlasse, mit dem die begehrte Invaliditätspension weiter gewährt werde. Damit habe sich die belangte Behörde selbstbindend auf die Gewährung der Invaliditätspension festgelegt.
Zudem sei es nicht richtig, wenn die gerichtliche Entscheidung als "Vorfrageentscheidung im Sinne des § 38 AVG" betrachtet werde, weil die Frage der Gewährung der Invaliditätspension die "Hauptfrage", nicht aber die Vorfrage sei. Darüber hinaus sei der Bescheid vom 09.11.2015, womit die Invaliditätspension gewährt worden sei, nach Zustellung des Urteils erster Instanz erlassen worden. Schon allein deswegen scheide die Anwendung des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG aus; für die Wiederaufnahme bleibe kein Raum.
Aber auch die Aussetzung des Verfahrens sei nicht gerechtfertigt. Der angefochtene Bescheid lasse hierfür jede Begründung vermissen. Es sei undenkbar, einen rechtskräftigen Bescheid dadurch auszuhebeln, indem man zunächst die Wiederaufnahme verfüge und dann das Verfahren aussetze.
Es werde daher beantragt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und zwar sowohl hinsichtlich der Wiederaufnahme als auch hinsichtlich der Aussetzung.
5. Mit Schreiben vom 15.11.2016 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.11.2016 wiederholte sie den bisherigen Verfahrensgang und führte zudem aus, dass das ASG mit Urteil vom 30.09.2016 den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Invaliditätspension auf Grund des offensichtlich unrichtigen Bescheides der belangten Behörde vom 09.11.2015 erneut abgewiesen habe, ohne die vom Oberlandesgericht Innsbruck vorgegebene Verfahrensergänzung durchgeführt zu haben. Die belangte Behörde werde gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel einbringen, weshalb das (gerichtliche) Verfahren, in welchem über die Vorfrage der Invalidität abzusprechen sei, noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Die Voraussetzungen für die Weitergewährung der Invaliditätspension lägen jedenfalls nicht vor. Der Bescheid vom 09.11.2015 widerspreche zur Gänze dem Ergebnis des Verfahrens zu XXXX, weshalb die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 3 und Abs. 3 in Verbindung mit § 38 AVG gegeben seien.
6. Im Schreiben vom 20.03.2017 führte die belangte Behörde aus, dass das Verfahren vor dem ASG zu XXXX rechtskräftig abgeschlossen sei, weil ein Rechtsmittel nicht erhoben worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang wird als ausreichend geklärter Sachverhalt festgestellt und der Entscheidung zugrunde gelegt.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich unmittelbar aus der unbedenklichen und unzweifelhaften Aktenlage des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde.
Zu Spruchpunkt A):
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG (in der Fassung BGBl I Nr. 139/2013) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG auf Antrag einer Partei, welcher gleichzeitig mit der Beschwerde oder dem Vorlageantrag oder binnen vier Wochen ab Zustellung der Beschwerde einzubringen ist, durch einen Senat.
Einen diesbezüglichen Antrag stellte die Beschwerdeführerin nicht. Daher liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Nach § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen ist.
3.2.1.1. § 38 AVG lautet:
"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."
3.2.1.2. Der mit "Wiederaufnahme des Verfahrens" überschriebene § 69 AVG lautet:
"(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat."
3.2.2.1. § 65 Abs. 1 Z 1 ASGG (in der Fassung BGBl I Nr. 35/2012) normiert, dass Sozialrechtssachen Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit hiebei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen (§ 354 Z 1 ASVG, § 194 GSVG, § 182 BSVG, § 65 NVG 1972, § 129 B-KUVG, § 84 StVG beziehungsweise §§ 4 Abs. 2, 43 und 44 BPGG) sind.
3.2.2.2. Der mit "Verfahrensvoraussetzungen" überschriebene § 67 (in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2013) normiert in seinem Abs. 1 Z 1, dass in einer Leistungssache nach § 65 Abs. 1 Z 1, 4 und 6 bis 8 sowie über die Kostenersatzpflicht eines Versicherungsträgers nach § 65 Abs. 1 Z 5 - vorbehaltlich des § 68 - vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden darf, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat.
3.3. Zulässigkeit der Beschwerde:
3.3.1. Gemäß § 354 ASVG sind Leistungssachen die Angelegenheiten, in denen es sich handelt um
1. die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach § 367 Abs. 1, soweit nicht hiebei die Versicherungszugehörigkeit (§§ 13 bis 15), die Versicherungszuständigkeit (§§ 26 bis 30), die Leistungszugehörigkeit (§245) oder die Leistungszuständigkeit (§246) in Frage steht;
2. Gemäß § 355 erster Satz ASVG (in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015) sind alle nicht gemäß § 354 als Leistungssachen geltenden Angelegenheiten, für die nach § 352 die Bestimmungen dieses Teiles gelten, Verwaltungssachen.
Nach § 65 Abs. 1 Z 4 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes (ASGG) sind Sozialrechtssachen Rechtsstreitigkeiten über den Bestand von Versicherungszeiten der Pensionsversicherung (§§ 247, 247a ASVG, §§ 117a, 117b GSVG, §§ 108a, 108b BSVG, §§ 46a, 46b NVG 1972), soweit diese Rechtsstreitigkeiten nicht Teil einer Rechtsstreitigkeit nach Z 1 sind (§ 354 Z 4 ASVG, § 194 GSVG, § 182 BSVG, § 65 NVG 1972, § 128 B-KUVG), sowie über Bestand und Umfang einer Kontoerstgutschrift sowie einer Ergänzungsgutschrift (§ 15 APG).
Gemäß § 2 ASGG sind die ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über Sozialrechtssachen berufen.
3.3.2. Gegenstand des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens bildet die Frage, ob die belangte Behörde die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen zu Recht gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG verfügt hat.
Bei der Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens durch einen Sozialversicherungsträger handelt es sich nicht um eine Leistungssondern um einer Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG (vgl. das Erk. des VwGH vom 26.05.2014, Zl. 2013/08/0127; u.a.).
Die Beschwerdeführerin erhob daher zulässig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 414 Abs. 1 ASVG.
3.4. Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG:
3.4.1. Eine subjektive Frist für die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens ist im § 69 AVG nicht vorgesehen. Damit spielt es keine Rolle, zu welchem (innerhalb der bei der Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG zu beachtenden objektiven Frist von drei Jahren liegenden) Zeitpunkt nach Erlassen des Bescheides die belangte Behörde vom Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes Kenntnis erlangt hat.
Im konkreten Fall lag der für die Wiederaufnahme des Verfahrens relevante Zeitpunkt, an dem der im wieder aufzunehmenden Verfahren ergangene Bescheid vom 09.11.2015 erlassen wurde (ein Nachweis, wann dieser Bescheid an die Beschwerdeführerin zugestellt wurde, findet sich im Verwaltungsakt der belangten Behörde nicht), innerhalb der objektiven Frist von drei Jahren.
3.4.2. Die (auf Antrag bewilligte oder) von Amts wegen verfügte Wiederaufnahme gemäß § 69 AVG setzt voraus, dass ein formell rechtskräftiger Bescheid, mit dem das Verfahren, um dessen Wiederaufnahme es geht, abgeschlossen worden ist, vorliegt.
Das Tatbestandselement, dass ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zu lässig ist, ist erfüllt. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 09.11.2015, mit dem der Beschwerdeführerin "die bis 30. September 2013 befristet zuerkannte Invaliditätspension unbefristet für die weitere Dauer der Invalidität weitergewährt" wurde, wurde kein Rechtsmittel erhoben. Er ist daher - unbestritten - in Rechtskraft erwachsen.
3.4.3. Die Tatbestandsvoraussetzung der "abweichenden Vorfragenentscheidung" liegt hingegen nicht vor:
Der mit der Entscheidung der belangten Behörde vom 09.11.2015 getroffene Abspruch (über die Invaliditätspension auf Dauer) war nicht von einer Vorfrage abhängig, über die eine andere Behörde bzw. ein anderer Sozialversicherungsträger, sie selbst in einem anderen Verfahren oder das Arbeits- und Sozialgericht zu entscheiden hat. Bei der Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen für eine (un-) befristet zu gewährende Invaliditätspension vorliegen, handelt es sich um eine präjudizielle Rechtsfrage, die von der belangten Behörde zu beurteilen ist. Daran kann der Umstand, dass mit der Erhebung einer Klage beim ASG der Bescheid der belangten Behörde im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft tritt und damit insoweit ihre Entscheidungsbefugnis wegfällt, nichts ändern.
Denn nach dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenz kann in einer Leistungssache nach § 65 Abs. 1 Z 1 ASGG eine Klage nur erhoben werden, wenn vom Versicherungsträger "darüber", das heißt über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch des Versicherten, bereits ein Bescheid erlassen wurde. Voraussetzung für das gerichtliche Verfahren ist die vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens und das Vorliegen eines über den Leistungsanspruch des Versicherten absprechenden Bescheides eines Versicherungsträgers. Das durch Klage des Versicherten eingeleitete gerichtliche Verfahren ist kein Rechtsmittelverfahren und hat daher keine kontrollierende Funktion, sondern das Gericht prüft selbständig den durch die Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch (vgl. die Urteile des OGH vom 18.03.1993, 10 Ob S 295/92, vom 14.12.1999, 10 Ob S 335/99h, sowie den Beschluss des OGH vom 13.09.2016, 10 Ob S 116/16 f).
Damit kann es sich bei der durch das Arbeits- und Sozialgericht beurteilten Rechtsfrage, dass die Leistungsvoraussetzungen für eine (un-) befristet zu gewährende Invaliditätspension (nicht) vorliegen, nicht um eine (abweichende) Vorfragenentscheidung im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG handeln, die zum Anlass genommen werden kann, das Verwaltungsverfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen.
3.4.4. Darüber hinaus setzt die Wiederaufnahme des Verfahrens voraus, dass die Entscheidung des Gerichtes bzw. jener Behörde, welche/s die Vorfrage als Hauptfrage entschieden hat, gegenüber den (allen) Parteien des wieder aufzunehmenden Verfahrens in Rechtskraft erwachsen (bindend geworden) ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG - Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Teilband, Rdn. 17 zu § 69 AVG ["b) Nachträgliche rechtskräftige Entscheidung der Vorfrage"] und das dort zitierte Erk. des VwGH vom 14.04.1988, Zl. 87/08/0298).
Das (zweite abweisende) Urteil des ASG datiert vom 30.09.2016. Der bekämpfte Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens wurde der Beschwerdeführerin innerhalb der zur Erhebung einer Klage eingeräumten Berufungsfrist von vier Wochen (durch Hinterlegung) am 14.10.2016 zugestellt. Damit war dieses Urteil, selbst wenn man davon ausginge, dass das ASG über eine Vorfrage als Hauptfrage entschieden hat, noch nicht in Rechtskraft erwachsen. Auch aus diesem Grund ist der Beschwerde Folge zu geben.
3.5. Auf den Spruchpunkt des bekämpften Bescheides, das Verfahren über die neuerliche Entscheidung bezüglich des Anspruchs auf Weitergewährung der Invaliditätspension über den 30.09.2013 hinaus wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht ausgesetzt, braucht nicht mehr eingegangen zu werden. Mit Urteil des ASG vom 30.09.2016, 76 Cgs 266/14f, wurde das Klagebegehren der Klägerin (mit der nicht zu teilenden Begründung, dass der im Klagsweg geltend gemachte Anspruch der Klägerin im Verwaltungswege rechtskräftig zuerkannt worden sei, weshalb eine Beschwer der Klägerin nicht mehr vorliege) neuerlich abgewiesen. Durch diese - wie die belangte Behörde selbst vorbrachte - in Rechtskraft erwachsene Entscheidung wurde verbindlich über die erhobene Klage entschieden. Für eine Aussetzung des Verwaltungsverfahrens bleibt damit kein Raum mehr.
3.6. Der erhobenen Beschwerde war aus den dargelegten Gründen Folge zu geben und der bekämpfte Bescheid vom 06.10.2016 über die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 09.11.2015 abgeschlossenen Verfahrens zu beheben.
4. Absehen von der mündlichen Verhandlung:
Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Von der mündlichen Verhandlung kann im gegenständlichen Beschwerdefall gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der beteiligten Parteien, die erhobene Beschwerde und der unstrittig feststehende Sachverhalt erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem auch Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht (vgl. die Entscheidung des EGMR vom 02.09.2004, Zl. 68087/01 (Hofbauer/Österreich), wo der Gerichtshof unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt hat, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung (im Originaltext "any hearing at all") erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft, und in diesem Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise verwiesen hat.
Von einer mündlichen Verhandlung konnte daher in Anwendung von § 24 Abs. 1 und 4 VwGVG abgesehen werden.
Zu Spruchpunkt B):
Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die gegenständliche Entscheidung über die Abhängigkeit eines Bescheides von einer Vorfrage gemäß § 38 AVG, die von einem Gericht nachträglich anders entschieden wurde, auf eine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen kann und die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt (vgl. die zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes). Diese Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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