BFG RV/7100115/2019

BFGRV/7100115/20194.11.2019

Zeitpunkt des Eintrittes der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit als Voraussetzung für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2019:RV.7100115.2019

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Ri in der Beschwerdesache VN1 VN2 NN, Adresse, 1160 Wien, vertreten durch Sachwalterin-aktuell, zH Vertreterin, Adresse-Sachwalterin, 1010 Wien, über die Beschwerde vom 13.06.2018 gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 8/16/17 vom 15.05.2018, betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe ab November 2017 zu Recht erkannt: 

 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Laut Mitteilung des Finanzamtes vom 10.9.2012 wurde NN VN1 VN2, in der Folge mit Bf. bezeichnet, für den Zeitraum vom Juni 2012 bis August 2017 ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe bescheinigt.

Der Zuerkennung der Familienbeihilfe lag ein Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 17.10.2012 zugrunde, in welchem der Bf. ein Grad der Behinderung von 50 % aufgrund der Diagnose „Paranoide Schizophrenie“ bescheinigt wurde. Der Gesamtgrad der Behinderung sei voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend. Die Bescheinigung erfolgte rückwirkend ab dem stationären Aufenthalt unter UBG-Bedingungen. Der Anerkennung des Grades der Behinderung war eine Aufnahme im OWS/Psychiatrie im 06/2012 vorangegangen. Laut Gutachten erfolgte die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde. Die Bf. sei voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Mit Schreiben vom 11.5.2017 teilte Vertreterin vom Sachwalterin-alt, in der Folge kurz mit Sachwalterin bezeichnet, der Familienbeihilfenstelle des Finanzzentrums Wien Mitte mit, dass sie bezüglich der Bf. nun auch mit dringenden Angelegenheiten Einkommensverwaltung und Schuldenregulierung betraut sei und ersuchte um Anweisung der Familienbeihilfe auf das Mündelkonto der Bf..

Vorgelegt wurde der Beschluss des Bezirksgerichtes XX vom 23.3.2017, mit welchem der Verein Sachwalterin-kurz zum einstweiligen Sachwalter für die Bf. bestellt wurde.

Mit Eingabe vom 9.6.2017 reichte die Sachwalterin für die Bf. ein ausgefülltes Formular „Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe“ beim Finanzamt ein. Beigelegt wurde ein Bescheid vom 25.4.2017 über die Zuerkennung von Leistungen der Mindestsicherung an die Bf. durch den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, sowie eine Bezugsbestätigung des AMS vom 9.6.2017 über den Bezug von Notstandshilfe vom 1.1.2017 bis 13.2.2017 und vom 6.3.2017 bis 26.12.2017 mit einem Tagsatz in Höhe von 6,60 Euro.

Die Sachwalterin reichte am 9.10.2017 für die Bf. neuerlich ein ausgefülltes Formular „Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe“ beim Finanzamt ein, ebenso am 9.1.2018, jeweils unter Anschluss von Bescheiden des Magistrates betreffend die bedarfsorientierte Mindestsicherung und des AMS. Dem Finanzamt wurde mitgeteilt, dass die Bf. einen Antrag auf Invaliditätspension und auf Zuerkennung des Pflegegeldes gestellt habe. Der Sachwalterin fehlten bezüglich des Versicherungsverlaufes und der Schulbildung der Bf. wesentliche Daten. Die Bf. habe auch ein Kind geboren, das derzeit bei einer Pflegefamilie aufwachse. Nach Übermittlung einer weiteren Mitteilung des AMS über den Leistungsanspruch der Bf. durch die Sachwalterin teilte das Finanzamt der Sachwalterin mit Schreiben vom 29.1.2018 mit, dass die Bf. ab 1.11.2017 keinen Anspruch auf Familienbeihilfe mehr habe.

Mit Schreiben vom 14.2.2018 ersuchte die Bf. neuerlich um Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe und legte Auszüge aus der durch das Otto-Wagner-Spital dokumentierten Krankengeschichte des Jahres 2017 der Bf. vor. Zu den Gründen des Vorliegens einer Behinderung wurden folgende Angaben gemacht: Paranoide Schizophrenie F 20.0, Alkoholabhängigkeit F 10.24, Polytoxikomanie F 19.1, Hepatitis C. Der Antrag wurde ab 11/2017 gestellt. Auf einen am 23.11.2017 gestellten Antrag auf Pflegegeld wurde hingewiesen.

Laut Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 4.5.2018 wurde der Bf. der Grad der Behinderung von 50 % und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ab 1.6.2012 bescheinigt.

Mit Bescheid vom 15.5.2018 wies das Finanzamt den Antrag der Bf. auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab November 2017 ab und verwies begründend auf § 2 Abs. 1 lit. c FLAG sowie die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen am 4.5.2018 erstellte Bescheinigung.

Dagegen erhob die Sachwalterin namens der Bf. Beschwerde. In dieser wurde u.a. begründend ausgeführt, die Bf. habe krankheitsbedingt mehrere Termine nicht wahrnehmen können, was dem Sozialministeriumservice mitgeteilt worden und jeweils um Festsetzung eines neuen Termines ersucht worden sei. Mit Mitteilung des Finanzamtes 8/16/17 vom 29.1.2018 sei festgestellt worden, dass ab 1.11.2017 kein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe für die Bf. mehr bestehe, weil kein Begutachtungstermin zustande gekommen sei. Die Begründung der Beschwerde enthielt Ausführungen zur Verletzung von Verfahrensvorschriften durch Nichteinräumung von Parteiengehör sowie zur Verletzung von Verfahrensvorschriften durch Heranziehung eines unschlüssigen Gutachtens. Insbesondere wurde ausgeführt, dass laut Gutachten vom 4.5.2018 die Fähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen weiterhin nicht gegeben sei. Das Sachverständigengutachten vom 4.5.2018 sei damit in sich unschlüssig, da zum einen ein Fortdauern der, im Vergleich zum Vorgutachten von 10/2012 festgestellten dauernden Arbeitsunfähigkeit festgehalten werde, aber zum anderen verneint werde, dass die (im Vorgutachten von 10/2012 festgestellte) Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem 18. bzw. dem 21. Lebensjahr vorliege. Abschließend stellte die Sachwalterin Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, auf Entscheidung in der Sache selbst, in eventu auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 278 BAO und Zurückverweisung der  Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde.

Aufgrund der Beschwerde forderte das Finanzamt ein neues Gutachten des Sozialministeriumservice an. Laut Bescheinigung vom 23.11.2018 wurde der Bf. ein Grad der Behinderung und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ab 1.6.2012 bescheinigt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 29.11.2018 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab und führte außer der Anführung der Bezug habenden Gesetzesstellen aus, aufgrund des (Fach)Ärztlichen Gutachtens des Sozialministeriumservice (Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) vom 23.11.2018 könne der Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit ab 6/2012 festgestellt bzw. bestätigt werden. Damit sei eine vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder einer späteren Berufsausbildung eingetretene dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht bescheinigt worden und lägen die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages nicht vor. Dass die Bf. nach dem 21. Lebensjahr eine Berufsausbildung absolviert habe, sei nicht eingewendet worden.

Die Bf. stellte einen Vorlageantrag.

Nach Vorlage der Beschwerde durch das Finanzamt an das Bundesfinanzgericht hielt die zuständige Richterin der Sachwalterin Folgendes vor:

„Sie haben als Sachwalterin gegen die Abweisung des Antrages auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für Frau NN Beschwerde erhoben. Dabei wurde insbesondere eingewendet, dass ohne treffende Begründung vom ursprünglichen Gutachten abgewichen worden sei und das Parteiengehör nicht gewahrt worden sei.

Dazu wird Folgendes bemerkt, was auch das Finanzamt bereits in der Beschwerde-vorentscheidung hervorgehoben hat:

Für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ist erforderlich, dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, wenn sich das betreffende Kind nicht in Berufsausbildung befunden hat (vgl. auch VwGH vom 22.05.2002, 2002/15/0022).

Frau NN hat am DATUM das 21. Lebensjahr vollendet und sich nachher nicht in Ausbildung befunden. Nach dem Gutachten vom 17.10.2012 erfolgte im Juli 2007 die Einstufung eines Zustandes nach akuter (substanzinduzierter) Psychose mit einem Grad der Behinderung von 30 %. Ein Grad der Behinderung von 50 % wurde in dem Gutachten ab 6/2012 bescheinigt, ebenso die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG iVm § 2 Abs. 1 lit. c FLAG sind daher nicht bescheinigt.

Für den Zustand von Frau NN vor diesem Zeitpunkt liegen dem Bundesfinanzgericht keine Unterlagen vor (das Sozialministeriumservice verlangt regelmäßig entsprechende Befunde), welche eine neuerliche Anforderung eines Gutachtens erforderlich machen würden.

Das Bundesfinanzgericht ist nicht verpflichtet, Erkundungsbeweise zu erheben. Da Sie offensichtlich Schwierigkeiten haben, von Frau NN entsprechende Unterlagen zu erhalten, habe ich versucht, aus den mir zugänglichen Datenbanken Ansatzpunkte zu finden, die Ihnen allenfalls die Einholung ergänzender Unterlagen ermöglichen könnten.

Frau NN war vom 30.5.2005 bis 28.6.2006 in der INSTITUTION in der Straße untergebracht. Seit 24.10.2008 wohnt sie in ihrer gegenwärtigen Wohnung. Sie hat am GebDat einen Sohn geboren, NN VN1-Kd VN2-Kd, der ihr jedoch am 1.12.2010 abgenommen und nach einer kürzeren Übergangspflege dauernd fremd untergebracht wurde. Frau NN hat nicht lange nach Abschluss der Pflichtschule vom 8.9. 2005 bis 16.1.2007 bei der Lehrbetrieb gearbeitet, wobei das Entgelt der Höhe nach eher als Taschengeld (Lehrlingsentschädigung?) zu betrachten war. Anschließend hatte sie vom 18.4.2006 bis 24.3.2009 mit kurzen Unterbrechungen AMS-Bezüge. Danach hat sie vom 25.3.2009 bis 30.11.2010 Leistungen der Wiener Gebietskrankenkasse bezogen, wobei es sich wohl um das Kinderbetreuungsgeld gehandelt hat.

Für eine relevante Behinderung vor dem 21. Lebensjahr spricht die Beschäftigung bei Lehrbetrieb-kurz (einem integrativen Betrieb) bereits in relativ jungen Jahren, sowie die Abnahme des Kindes durch die Fürsorge. Denkbar ist, dass es dazu beim Jugendamt Vorgänge gibt. Auch für die Kindesabnahme muss es einen entsprechenden Beschluss geben. Ob die Bf. bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres voraussichtlich auf Dauer erwerbsunfähig war, kann ohne Vorlage entsprechender Befunde auch vom Sozialministeriumservice nicht beurteilt werden.

Wenn Sie möchten, könnten Sie mit Lehrbetrieb-kurz und der Jugendfürsorge Kontakt aufnehmen. Mir ist nicht bekannt, wie lange entsprechende Akten aufbewahrt werden und ob aus diesen ersichtlich ist, bei welchen Ärzten bzw. in welchen Spitälern die Bf. seinerzeit in Behandlung war, bei welchen Sie allenfalls Einsicht in die Krankenakten nehmen und Kopien von Einschätzungen der behandelnden Ärzte im gegenständlichen Verfahren vorlegen könnten. Auch ein Gutachten, welches im Zuge der Kindesabnahme erstellt wurde, könnte vorgelegt werden.“

Die Sachwalterin wurde aufgefordert, Befunde von Frau NN vorzulegen, welche das Vorliegen einer entsprechenden Behinderung zeitnah zu deren Vollendung des 21. Lebensjahres belegen.

Die Sachwalterin übermittelte ein Psychiatrisches Gutachten Dris DRXX bezüglich der Bf. aus dem Jahr 2007.

Im Zuge einer telefonischen Erörterung der Sach- und Rechtslage wurde der Sachwalterin aufgetragen, weitere Unterlagen bezüglich des Zustandes der Bf. für den Zeitraum von 2007 bis 2012 vorzulegen (insbesondere eine allfällige Krankengeschichte sowie Unterlagen des Jugendamtes bzw. den Gerichtsbeschluss betreffend die Kindesabnahme).

Mit Schreiben vom 17.4.2009 führte die Sachwalterin wie folgt aus:

„in der Anlage sende ich Ihnen in Bezug zu oben genannter Aktenzahl den Beschluss des Bezirksgerichtes XX aus dem Jahr 2012 der sich auf die Kindesabnahme des Jugendwohlfahrtträgers vom 16.12.2010 bzgl. VN1-Kd NN, das minderjährige Kind meiner Klientin, bezieht.
Aus dem ausführlichen Bericht des Jugendamtes geht hervor, dass Frau NN schon damals psychisch krank war und aufgrund der gesundheitlichen Schwierigkeiten sämtliche Ausbildungen und Arbeitsverhältnisse vorzeitig abgebrochen hat. Es gab auch bereits finanzielle Probleme. Schulden sind vom Großvater, Herrn GV übernommen, der Bezug von Leistungen zum Teil gesperrt worden.
Die Einschätzung des Jugendamtes wird unter anderem durch ein Sachverständigengutachten von Frau Dr. DRYY gestützt.
Aus dem Befundbericht des Sozialmedizinischen Zentrums Ost, Donauspital, vom 04.04.2007 geht hervor, dass Frau NN bereits seit 2005 in psychiatrischer Behandlung stand und nach einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands schließlich auch ihren Ausbildungsplatz bei Lehrbetrieb-kurz verloren habe.
Ich ersuche die in der Anlage angeführten Beschlüsse und den Befund des Donauspitals als Beweise für Frau NNs Erwerbsunfähigkeit auf Dauer vor dem 21. Lebensjahr zu werten.
Falls gewünscht, kann noch versucht werden, das Gutachten von Frau Dr. DRYY nachzureichen. Dies war aus Datenschutzgründen bisher noch nicht möglich. Es muss, um an mich übermittelt werden zu können, laut Jugendamt, Frau NN ihre schriftliche Einwilligung dazu geben. Meine Klientin steht dem Jugendamt sehr ambivalent gegenüber, da sie im Zusammenhang mit ihrem Sohn mit sehr vielen Schuldgefühlen zu kämpfen hat.“

Vorgelegt wurde ein Beschluss des Bezirksgerichtes XX vom 30.1.2012 betreffend Genehmigung der Abnahme des Kindes der Bf. vom 16.12.2010 durch den Jugendwohlfahrtsträger Wien, ein Befundbericht des Donauspitals vom 4.4.2007 sowie ein Beschluss des Bezirksgerichtes BG-Bez vom 8.3.2017 betreffend Entziehung der Obsorge für den Sohn der Bf. und Übertragung auf den Kinder- und Jugendhilfeträger, welcher mit der gesamten Obsorge für den Minderjährigen betraut wurde.

Weitere Unterlagen wurden nicht vorgelegt.

Aufgrund der nachgereichten Unterlagen wurde vom Sozialministeriumservice mit Beschluss vom 9.8.2019 neuerlich ein Gutachten angefordert. Begründet wurde der Beschluss wie folgt:

„In Übereinstimmung mit den vom Finanzamt angeforderten und im Auftrag des Sozialministeriumservice Wien erstellten Gutachten wurde der durch die Sachwalterin gestellte Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für VN1 VN2 NN, in der Folge Bf., abgewiesen.

Dagegen hat die Bf. Beschwerde erhoben. Strittig ist, ob die Bf. aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Das Bundesfinanzgericht hat ergänzende Ermittlungen durchgeführt, welche Zweifel am Zeitpunkt des Eintrittes des festgestellten Grades der Behinderung und der Unfähigkeit der Bf., sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wecken.

Aufgrund eines Vorhaltes übersandte das Sachwalterin-alt, welches für die Bf. zur Sachwalterin bestellt wurde, ein am 19.2.2007 betreffend die Bf. erstelltes Psychiatrisches Gutachten.

Diesem ist zu entnehmen, dass die Mutter der Bf. ebenfalls an einer psychotischen Erkrankung leidet, sodass die Bf. Pflegeeltern anvertraut wurde. Beim Vater bestehen eine schwere Polytoxikomanie sowie ein massives Alkoholproblem. Die Bf. zeigte bereits im Alter von 11 Jahren Verhaltensauffälligkeiten (Schulschwänzen, Aggressionsdurchbrüche). Im Rahmen eines betreuten Ausbildungsplatzes sei es zu Verhaltensauffälligkeiten und Abwesenheiten gekommen, wodurch der Platz verloren gegangen sei. Die Betreuung sei zuletzt am 21.12.2006 in einer jugendpsychiatrischen Tagesklinik erfolgt. Die Bf. habe sich dort zunehmend psychotisch, teilweise auch halluzinierend gezeigt. Die beiden fachärztlichen Zeugnisse vom 14.2.2007 vermerkten diagnostisch ein psychotisches Zustandsbild bzw. eine juvenile Psychose mit hochgradiger Exazerbation. Die Patientin werde als gespannt und im Duktus gesperrt beschrieben. Sie sei nicht realitätsangepasst, zeige aggressive Reaktionsbereitschaft. Die Compliance sei nicht ausreichend gegeben. Laut Pflegedokumentation sei sie von pflegerischer Seite als fordernd, kindlich, distanzlos beschrieben worden. Sie äußere Ängste und zeige auch kognitive Defizite. Bei der psychiatrischen Untersuchung wurde festgehalten, dass die Bf. einen etwas gesteigerten Antrieb mit erheblicher Impulsivität zeigte. Die Stimmungslage sei überwiegend dysphor gefärbt mit erhöhter Reizbarkeit. Im kognitiven Bereich zeige sich eine unterdurchschnittliche intellektuelle Ausstattung. In der abschließenden Beurteilung wurde ausgeführt, die noch minderjährige Patientin sei unter  äußerst belastenden familiären und sozialen Bedingungen aufgewachsen und hätte bereits früh Anzeichen einer psychotischen Erkrankung gezeigt, die bereits vor etwa zwei Jahren zu einer stationären Behandlung geführt hätten. Rezent sei es nach Abbruch der Behandlung zu einer neuerlichen Verschlechterung der psychischen Befindlichkeit gekommen mit Zunahme der psychotischen Symptomatik. Nach erheblichen Verhaltensauffälligkeiten und Aggressionsdurchbrüchen sei die neuerliche stationäre Aufnahme erfolgt. Zum Zeitpunkt der gutachtlichen Untersuchung hätte die Bf. erhebliche psychopathologische Auffälligkeiten erkennen lassen, insbesondere Denkstörungen, wahnhafte Inhalte, gestörten Realitätsbezug und erhöhte Impulsivität. Diagnostisch entspreche die Symptomatik einer rezidivierenden psychotischen Erkrankung, weise darüber hinaus aber auch auf eine erhebliche Persönlichkeitsentwicklungsstörung hin. Die Patientin sei angesichts ihres impulshaften Handlungsstiles sowie der eingeschränkten Realitätskontrolle derzeit nicht in der Lage Alltagsgefahren ausreichend zu erkennen und ihr Verhalten im Sinne der eigenen Sicherheit genügend zu steuern. Zur Frage der Fremdgefährdung fänden sich im Vorfeld aggressive Durchbrüche. Auch im Rahmen der Untersuchung lasse sich ein erhöhtes Aggressionspotenzial feststellen; eine Wahrscheinlichkeit fremdaggressiver Durchbrüche mit schweren Folgen sei aus dem aktuellen Befund aber nicht abzuleiten. Die Patientin zeige in ihre Erkrankung keine Einsicht, so dass die Behandlung lediglich im geschlossenen stationären Rahmen durchgeführt werden könne; dies insbesondere auch vor dem Hintergrund der äußerst ungünstigen sozialen Konstellation. Zusammenfassend bestehe damit bei der Untersuchten eine psychische Erkrankung im Sinne einer juvenilen Psychose, die zu einer erheblichen Selbstgefährdung in Form eines Selbstfürsorgedefizites führe. Bei ungenügender Einsicht und Compliance könne die Behandlung nur im Rahmen der Unterbringung durchgeführt werden.

Die Sachwalterin übermittelte einen Befundbericht des Donauspitals vom 4.4.2007 sowie Beschlüsse betreffend die Kindesabnahme des von der Bf. am GebDat geborenen Kindes VN1-Kd NN, und führte aus, aus dem ausführlichen Bericht des Jugendamtes gehe hervor, dass die Bf. schon damals psychisch krank gewesen sei und aufgrund der gesundheitlichen Schwierigkeiten sämtliche Ausbildungen und Arbeitsverhältnisse vorzeitig abgebrochen habe. Es habe auch bereits finanzielle Probleme gegeben. Schulden seien vom Großvater, Herrn GV übernommen, der Bezug von Leistungen zum Teil gesperrt worden. Die Einschätzung des Jugendamtes werde unter anderem durch ein Sachverständigengutachten von Frau Dr. DRYY gestützt. Aus dem Befundbericht des Sozialmedizinischen Zentrums Ost, Donauspital, vom 04.04.2007 gehe hervor, dass die Bf. bereits seit 2005 in psychiatrischer Behandlung gestanden habe und nach einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands schließlich auch ihren Ausbildungsplatz bei Lehrbetrieb-kurz verloren habe.

Dem Befundbericht des Donauspitals vom 4.4.2007 liegen folgende Diagnosen zugrunde:

Paranoide Schizophrenie F20.0
Kombinierte PEST F61.0
Leichte Intelligenzminderung F70.1
Substanzmissbrauch F19.1

In der biographischen Anamnese wird erwähnt, dass aufgrund der schweren Polytoxikomanie des Vaters vom Jugendamt der Kontakt immer wieder eingeschränkt wurde, die Mutter sei zum Zeitpunkt der Geburt und p.partum psychotisch gewesen. lm Alter von 1-2 Jahren sei es zu vielen Betreuungswechseln gekommen, wobei der Kindesvater die Großeltern und die Mutter eingebunden gewesen seien. Bis zur Pubertät sei die Pat. wenig auffällig gewesen. Im Alter von 11a sei es zu Verhaltensauffälligkeiten gekommen‚ wie Schulschwänzen und Aggressionsdurchbrüchen. Einmal sei die Pat. von der Schule weg über das Krisenzentrum in eine Wohngemeinschaft des Jugendamtes in den Nummer Bezirk gekommen. Im Rahmen einer psychotischen Exazerbation habe sie Betreuerinnen und andere Kinder attackiert und sei aus dieser Wohngemeinschaft entlassen worden. lm Jahr 2005 sei sie zwei Monate stationär im AKH, anschl. einer der betreuten Wohngemeinschaft gewesen, im Kinderwohnzimmer in der Straße, wobei das Jugendamt die Obsorge für die Pat. gehabt habe. Die Pat. habe nach Schulabschluss einen betreuten Ausbildungsplatz beim Verein Lehrbetrieb-kurz gehabt. Die Pat. habe an dieser Arbeitsstelle Koch gelernt, den Lehrabschluss jedoch nicht erreicht.

Bei der Entlassung wurden folgende Medikamente verordnet:
Dominal f. 80 mg 0-0-0-1
Zyprexa 15 mg 1-0-0-1
Truxal 15 mg 0-1-1-0
Semap 1 wöchentlich dienstags 1 Tbl.
Bei Unruhe Truxal 15 mg 1 bis 2 Tbl.

Bei einem psychologischen Test am 6.3.2007 wurde festgestellt, dass die Bf. an einer schizoaffektiven Störung leide, einer gegenwärtig mittelschweren depressiven Episode, einer kombinierten PEST‚ einer Verhaltensstörung mit unzureichender Selbstkontrolle und herabgesetzter Aggressionshemmung, einer leichten Störung der Intelligenzfunktion und an einer Störung der Aufmerksamkeitsfunktion. Das sprachfreie abstrakte Denkvermögen sei deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägt gewesen (IQ Niveau 77), eine hirnorganisch bedingte Störung habe nicht nachgewiesen werden können.

Abschließend wurde eine regelmäßige fachärztliche Nachbetreuung empfohlen. Die Wortgruppe Med. Compliance wurde mit vier Ausrufungszeichen versehen.

Laut Beschluss des Bezirksgerichtes XX vom 30.1.2012 wurde die vom Jugendwohlfahrtsträger Wien gesetzte Maßnahme, nämlich die Abnahme des Kindes vom 16.12.2010, genehmigt und die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung der Mutter entzogen und der Jugendwohlfahrtsträger Wien mit der Pflege und Erziehung des Kindes betraut. Begründend führte das Gericht aus, am 23.12.2010, somit innerhalb der 8-tägigen Frist des § 215 Abs. 1 ABGB, habe der Jugendwohlfahrtsträger beantragt, ihn mit der Pflege und Erziehung des genannten Kindes zu betrauen und dazu zusammengefasst vorgebracht, dass sich die Eltern des Kindes lange Zeit an die im Hinblick auf die hoch risikoreiche Vorgeschichte der Eltern getroffenen Vereinbarungen gehalten hätten. Die Eltern seien in eine Krise geraten, hätten schließlich den Handlungsbedarf erkannt und seien zunächst zur Zusammenarbeit bereit gewesen. VN1-Kd Zustand habe sich jedoch verschlechtert, er habe mit dem Kopf am Boden angeschlagen, die Wohnung sei in einem ungepflegten und verrauchten Zustand vorgefunden worden. Die Eltern hätten sehr erschöpft gewirkt und hätten die Notwendigkeit einer Krisenunterbringung eingesehen, nach Übernahme des Kindes habe die Mutter am 16.12.2010 aber nicht ihre Zustimmung dazu erteilt, dass VN1-Kd auch nicht mehr zurückgebracht werde.

Die Mutter habe sich zu diesem Antrag mehrfach geäußert, sie habe zusammengefasst vorgebracht, dass die Angaben des Jugendamtes zum Teil korrekt, zum Teil allerdings auch unzutreffend seien. Den Aufenthalt bei Krisenpflegeeltern habe sie als vorläufig angesehen und gedacht, VN1-Kd würde in der Folge wieder zu ihr zurückkommen. Der Kontakt zu VN1-Kd sei ursprünglich auch wöchentlich, dann seltener gewesen. Zu ihrer Lebenssituation bzw. Lebensgeschichte habe sie auch ausführlich Stellung genommen. Es seien Berichte der Wiener Jugendgerichtshilfe eingeholt, ein Sachverständigengutachten von Dr. DRYY, weiters auch eine Äußerung der Pflegemutter PFLEGEMUTTER sowie Einsicht in diverse Unterlagen genommen worden. Demnach stehe fest, dass VN1-Kd das aus der Partnerschaft von VN1 VN2 NN und VN-KV NN-KV entspringende uneheliche Kind sei. Die Eltern hätten in einer lockeren Lebensgemeinschaft gelebt und hätten das Kind versorgt. Beide Elternteile wiesen eine hoch risikoreiche Vorgeschichte auf. Die Mutter sei selbst bei Pflegeeltern und in Wohngemeinschaften aufgewachsen und habe in ihrem bisherigen Leben schwere traumatische Dinge erlebt. Mit 17 Jahren sei bei ihr Schizophrenie diagnostiziert worden, auf Grund von Depressionen nehme sie verschiedene Medikamente ein. Bei beiden Elternteilen sei es zu intensivem Drogenkonsum gekommen. Der Vater weise verschiedene psychiatrische Diagnosen auf, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, Gedanken- und Handlungszwänge, Angstzustände und auch einen schwankenden Antrieb. Er beziehe eine lnvaliditätspension. Die Mutter sei in eine Integrationsschule im 18. Bezirk gegangen, anschließend ins Gymnasium, das sie allerdings negativ abgeschossen habe. Sie habe als Lehrling bei Lehrbetrieb-kurz gearbeitet, sie habe die Lehre vorzeitig beendet. Sie habe verschiedene AMS-Kurse besucht, zuletzt im Juni den AMS-Kurs KURS-BEZEICHNUNG. Bestehende Schulden seien von ihrem Großvater beglichen worden. Zuletzt hätten ihre AMS und Sozialamtsbetreuer gewechselt, es sei der Bezug von sozialen Leistungen gesperrt worden. Die Beziehung der Eltern sei im Laufe des letzten Jahres auseinandergegangen. Die Mutter sehe sich aktuell nicht in der Lage, für VN1-Kd angemessen zu sorgen. Dies insbes. deshalb, weil sie ihre eigene Lebenssituation nicht im Griff habe. Den Berichten des FA für Psychiatrie und Psychotherapeut. Medizin, Dr.
FACHARZT sei zu entnehmen, dass er die Mutter als reflektierte, mit ihrer psychischen Erkrankung gut umgehende Person erlebe. Nach dem Sachverständigengutachten von Dr. DRYY sei festgehalten, dass sie eine unbeeinträchtigte Realitätswahrnehmung und ablaufende Denkprozesse habe. Neben den - auf Grund der Trennung der Eltern nicht mehr aktuellen - Ausführungen zum Vater, halte die Sachverständige fest, dass die Mutter eine eingeschränkte Belastbarkeit und herabgesetzte Frustrationstoleranz aufweise, die die Weiterführung der psychiatrischen Behandlung und auch eine Unterstützung im Alltag dringend erforderlich erscheinen lasse. Die. Erziehungsfähigkeit der Bf. sei somit von der Sachverständigen bejaht, allerdings deren Einschränkung aus den angeführten Gründen der eingeschränkten Belastbarkeit und Frustrationstoleranz als verringert beurteilt worden. Wie den Berichten aus der Pflegeaufsicht zu entnehmen sei, habe sich VN1-Kd in den letzten Monaten sehr gut entwickelt, es sei eine Stabilisation bei der Pflegemutter eingetreten, die mit dem Kind auch immer wieder zu ihrer Familie in die Steiermark fahre. Die Anfangssituation als VN1-Kd am 1.12.2010 zu Krisenpflegeeltern gebracht worden sei, habe sich rasch gebessert. Damals hätten auffällige Verhaltensweisen des Kindes vorgelegen, insbes. unkontrolliertes Schlagen des Kopfes auf den Boden, weiters eine deutliche Gewichtsabnahme sowie ein deutlicher Entwicklungsrückstand. Die Besuche der Eltern hätten zunächst gemeinsam stattgefunden, seit der Trennung im Sommer letzten Jahres sehe die Mutter das Kind grundsätzlich einmal monatlich. Bei der Übernahme des Kindes habe eine Gefährdung des Kindes vorgelegen. lm Bericht des Jugendwohlfahrtsträgers sei festgehalten worden, dass die Eltern lange Zeit ihr Bestes gegeben hätten, um sich ausreichend um VN1-Kd zu kümmern. Nach der Aktenlage sei zum damaligen Zeitpunkt auf Grund der fehlenden Stabilität der Eltern und der Befassung mit den eigenen persönlichen Problemen ihre Möglichkeit, sich den Bedürfnissen von VN1-Kd entsprechend um diesen kümmern, einfach nicht gegeben gewesen. Dies hätten die Eltern auch - wenn auch mit gewissen Einschränkungen -- wie sich aus den Äußerungen ergebe, so gesehen. Würde VN1-Kd zur Mutter zurückkommen, wäre die weitere Entwicklung des Kindes, wie sich aus den Feststellungen und der ehrlichen Einschätzung der Mutter selbst ergebe, gefährdet.

In der Folge wurde der Bf. mit Beschluss des BG BG-Bez vom 8.3.2017 die Obsorge im Bereich der gesetzlichen Vertretung und Vermögensverwaltung ebenfalls entzogen und dem Kinder und Jugendhilfeträger übertragen, welcher ab diesem Zeitpunkt mit der gesamten Obsorge für VN1-Kd betraut war. Begründend wurde u.a. ausgeführt, es sei dem Kinder- und Jugendhilfeträger nicht möglich gewesen, mit der Kindesmutter in Kontakt zu treten, da diese auf sämtliche Kontaktversuche nicht reagiere.

Schließlich wurden folgende Beschlüsse des BG XX vorgelegt:
1. vom 23.3.2017 - Bestellung zum einstweiligen Sachwalter betreffend die Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie die Schuldenregulierung sowie
2. vom 2.11.2017 - Bestellung zum einstweiligen Sachwalter betreffend die Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Sozialversicherungsträgern.

Ein Ausdruck der Sozialversicherungsdaten wurde von der Wiener Gebietskrankenkasse angefordert, jedoch (noch) nicht übermittelt und von der Richterin zwischenzeitig urgiert.

Aus den im Abgabeninformationssystem gespeicherten Daten ist ersichtlich, dass die Bf. nach vorzeitiger Beendigung des Lehrverhältnisses nur mehr Leistungen des Arbeitsmarktservice in geringer Höhe, sowie der Krankenkasse bezogen hat, jedoch keine Versicherungszeiten aus Erwerbstätigkeit mehr erworben hat. Sie hat – soweit ersichtlich – seit Dezember 2017 Leistungen der Pensionsversicherungsanstalt bezogen.

Zusammengefasst ergibt sich Folgendes:

Die Mutter der Bf. hat bereits an einer psychotischen Erkrankung gelitten, betreffend den Vater wurde eine Polytoxikomanie und ein massives Alkoholproblem festgestellt. Die Bf. wuchs zunächst bei einer Pflegefamilie, dann bei ihrem Vater bzw. ihrer Mutter auf. 2005 wurde sie erstmals wegen einer Psychose stationär behandelt und lebte vom 30.5.2005 bis 28.6.2006 in der INSTITUTION Straße. Vom 28.6.2006 bis 23.5.2007 war sie bei VN-UG NN-UG mit Hauptwohnsitz gemeldet, vom 28.9.2007 bis 24.10.2008 war sie ebenfalls bei diesem gemeldet, jedoch mit dem Vermerk „Obdachlos“. Sie besuchte zunächst eine Integrationsschule, dann das Gymnasium, welches sie jedoch nicht abschloss. Vom 8. September 2005 bis 16.1.2007 besuchte sie eine Lehre bei Lehrbetrieb-kurz, einem Integrationsbetrieb. Während dieser Maßnahme erhielt sie eine vergleichsweise geringe Lehrlingsentschädigung von unter 200,00 Euro pro Monat. Diesen Ausbildungsplatz verlor sie, weil sie laut Aussage des betreuenden Kinderpsychiaters Dr. JUGENDPSY im Sommer 2006 zunehmend psychotisch geworden sei. Vom 14.2.2007 bis 4.4.2007 war sie im Donauspital stationär aufgenommen, wobei die Diagnose Paranoide Schizophrenie, kombinierte PEST, Leichte Intelligenzminderung sowie Substanzmissbrauch gestellt wurde. Bei einem psychologischen Test am 6.3.2007 wurde eine schizoaffektive Störung, gegenwärtig mittelschwere depressive Episode festgestellt, eine kombinierte PEST, eine Verhaltensstörung mit unzureichender Selbstkontrolle und herabgesetzter Aggressionshemmung, eine leichte Störung der Intelligenzfunktion sowie eine Störung der Aufmerksamkeitsfunktion. Das sprachfreie abstrakte Denkvermögen sei deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägt gewesen, eine hirnorganisch bedingte Störung habe nicht nachgewiesen werden können.

Seit 24.10.2008 wohnt die Bf. in der Adresse, 1160 Wien. Unterkunftgeber ist Wiener Wohnen. Sie nahm eine Beziehung mit einem Mann auf, der selbst aufgrund einer psychischen Erkrankung eine Invaliditätspension bezog und hat zeitnah zum Vollenden des 20. Lebensjahres einen Sohn geboren. Obwohl sie sich gemeinsam mit dem Kindesvater um diesen kümmerte, war es den Eltern nicht möglich, das einzige Kind entsprechend zu versorgen, weshalb es wegen der massiven Vernachlässigung aus Gründen des Kindeswohls zur Abnahme des Kindes und zur Unterbringung bei Pflegeeltern kam. Die Beziehung zum Kindesvater ist nicht mehr aufrecht. Bis zur Geburt des Kindes bezog die Bf. mit gelegentlichen Unterbrechungen Leistungen des AMS. Aus dem Abgabeninformationssystem sind keine Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt ersichtlich. Die Leistungen des AMS waren minimal (unter 200,00 Euro pro Monat). Soweit feststellbar, bezog die Bf. zuletzt eine Pensionsleistung. Inwieweit sie Medikamente, welche zur Behandlung ihrer Erkrankung verordnet wurden, jeweils regelmäßig eingenommen hat und wie sich die Einnahme bzw. Nichteinnahme von Medikamenten auf ihre Leistungsfähigkeit ausgewirkt haben, kann vom Bundesfinanzgericht nicht beurteilt werden.

Den vorgelegten Unterlagen ist zusammengefasst zu entnehmen, dass die Bf. nicht in der Lage gewesen ist, sich eine berufliche Existenz aufzubauen. Am Arbeitsmarkt ist es für Personen ohne Schulabschluss bzw. ohne abgeschlossene Lehre am schwierigsten, eine Stelle zu finden. Personen, die längere Zeit arbeitslos sind bzw. waren, fällt es schwer, einen Rhythmus zu finden, der Konkurrenzdruck ist hoch. Eine hohe Frustrationstoleranz und Eigenmotivation sowie Beharrlichkeit bei der Stellensuche sind in einem solchen Fall unabdingbar. Über diese Fähigkeiten verfügt die Bf. jedoch nicht. So wurde im Beschluss des BG XX vom 30.1.2012, auf Seite 2 unten festgehalten, dass die Bf. über eine eingeschränkte Belastbarkeit und herabgesetzte Frustrationstoleranz verfügt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Bf. bereits mit 11 Jahren verhaltensauffällig war durch Schuleschwänzen und Aggressionsdurchbrüche und ihre Lehrstelle in einem integrativen Betrieb aufgrund ihrer psychotischen Erkrankung und der erheblichen Persönlichkeitsentwicklunggstörung verloren hat. Sie wurde 2005 erstmals stationär wegen einer psychischen Erkrankung aufgenommen, in der Folge in der Tagesklinik betreut, wurde im Sommer 2006 zunehmend psychotisch und verlor ihren Ausbildungsplatz bei Lehrbetrieb-kurz. 2007 wurde sie abermals stationär aufgenommen. Die Bf. wurde offenbar bis zu einem gewissen Grad finanziell vom Großvater unterstützt. Sie hatte ihr Leben nie im Griff und benötigt jetzt einen Sachwalter.

Es ist zweifelhaft, ob die Bf. jemals in der Lage war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Das Bundesfinanzgericht hält daher die Anforderung eines weiteren Gutachtens für notwendig.“

Die dem Bundesfinanzgericht vorgelegten Dokumente wurden dem Sozialministeriumservice gesondert übermittelt und um Berücksichtigung ersucht.

Ein in der Folge eingelangter Auszug der Sozialversicherungsdaten wurde nachgereicht.

Mit E-Mail vom 17.10.2019 teilte das Finanzamt mit, dass mit nunmehrigem Gutachten vom 20.09.2019, GZ. NUMMER-SMS  eine dauernde Erwerbsunfähigkeit von Frau NN VN1 VN2 bereits seit vor Vollendung des 18. Lebensjahres bescheinigt worden sei.

Das Gutachten wurde vom Sozialministeriumservice angefordert.

Das Finanzamt teilte dem Bundesfinanzgericht am 17.10.2019 mit, dass der Bf. mit Gutachten vom 20.09.2019 eine dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits seit vor Vollendung des 18. Lebensjahres bescheinigt wurde.

Nach Anforderung des Gutachtens wurde dieses seitens des Sozialministeriumservice an das Bundesfinanzgericht übermittelt.

Aufgrund der Anforderung erstellte Dr.in ÄRZTIN-SMS, Ärztin auf dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie am 20.09.2019 ein Gutachten wie folgt:

„Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Nervenfachärztliches Vorgutachten 13 07 2007:
Z.n. akuter Psychose GdB 30%
Die Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Psychiatrisches Vorgutachten 28 08 2012:
Schizophrenie GdB 50%
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 01 06 2012 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
Die Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Seit dem VGA Verschlechterung, der GdB wird ab dem stat. Aufenthalt im OWS erhöht, ab 6/12 auch Erwerbsunfähigkeit, sonst liegen keine relevanten Befunde vor.

Nervenfachärztliches Vorgutachten 17 10 1012:
Paranoide Schizophrenie GdB 50%
Keine Änderung zum Vorgutachten (keine medizinischen Befunde, die einen GdB >50%
mehr als 6 Monate anhaltend, vor 06/2012 belegen)
Eine Nachuntersuchung in 5 Jahren ist erforderlich.
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 01 06 2012 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
Die Untersuchte ist voraussichtlich dauernd auBerstande, sich selbst den Unterhalt zu
verschaffen

Nervenfachärztliches Vorgutachten 25 04 2018:
paranoide Schizophrenie, Polytoxikomanie GdB 50%
Frau VN1 VN2 NN ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Die Fähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist weiterhin nicht gegeben (idem zu VGA ab 6/2012) da psychische und kognitive Beeinträchtigungen vorhanden sind welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt dauerhaft nicht möglich machen.

Nervenfachärztliches Sachverständigengutachten 14 09 2018:
Paranoide Schizophrenie, Polytoxikomanie GdB 50%
Die Fähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist weiterhin nicht gegeben (idem zum Vorgutachten von 04/2018), da sowohl psychische als auch kognitive Beeinträchtigung vorhanden sind, welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich machen. im Vergleich zum beeinspruchten Gutachten von 04/2018 sind keine neuen Unterlagen vorgelegt worden, die belegen, dass die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist.

aktuell:
Beschluss BFG 09 08 2019:
..... Gemäß § 269 Abs. 2 BAO wird dem Finanzamt die Anforderung eines neuen Gutachtens durch das Sozialministeriumservice aufgetragen ......
.... Das Bundesfinanzgericht hat ergänzende Ermittlungen durchgeführt, welche Zweifel am Zeitpunkt des Eintrittes des festgestellten Grades der Behinderung und der Unfähigkeit der Bf., sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wecken .........
.... Die Sachwalterin übermittelte einen Befundbericht des Donauspitals vom 4.4.2007 sowie Beschlüsse betreffend die Kindesabnahme des von der Bf. am GebDat geborenen Kindes VN1-Kd NN, und führte aus, aus dem ausführlichen Bericht des Jugendamtes gehe hervor, dass die Bf. schon damals psychisch krank gewesen sei und aufgrund der gesundheitlichen Schwierigkeiten sämtliche Ausbildungen und Arbeitsverhältnisse vorzeitig abgebrochen habe. Es habe auch bereits finanzielle Probleme gegeben ......
.... lm Jahr 2005 sei sie zwei Monate stationär im AKH, anschl. einer der betreuten Wohngemeinschaft gewesen, im Kinderwohnzimmer in der Straße, wobei das Jugendamt die Obsorge für die Pat. gehabt habe. Die Pat. habe nach Schulabschluss einen betreuten Ausbildungsplatz beim Verein Lehrbetrieb-kurz gehabt. Die Pat. habe an dieser Arbeitsstelle Koch gelernt, den Lehrabschluss jedoch nicht erreicht........

vorliegende Befunde:
Arztbrief Psychiatrie Donauspital 14 02- 04 04 2007:
Diagnose:
Paranoide Schizophrenie F20.0
Kombinierte PEST F61.0
Leichte Intelligenzminderung F70.1
Substanzmissbrauch F19.1
.... Nach Vorbegutachtung an der Kinder- und Jugendpsychiatrie im AKH, aggressiv drohendes Verhalten dort und Begutachtung durch den Amtsarzt erschien die Pat. In einem mischbildhaften Zustandsbild ......
......... Bei bekannter paranoider Schizophrenie war der letzte stationäre Aufenthalt im Mai 2005 im AKH, danach war die Pat. bei Dr. JUGENDPSY in Betreuung, hatte aber zuletzt die Medikation abgesetzt...
...Der betreuende Kinderpsychiater Dr. JUGENDPSY gab an, dass die Pat. zuletzt im Mai 2005 bis Dezember 2006 an der Tagesklinik in Betreuung stand. lm Sommer 2006 sei sie zunehmend psychotisch geworden und habe ihren Ausbildungsplatz bei Lehrbetrieb-kurz verloren. Die Beziehung zu ihrem Freund FREUND bestünde schon seit ca. 2 Jahren, wobei es wiederholt zu Konflikten gekommen sei ....

Psychiatrisches Gutachten Dr. DRXX bezüglich Unterbringungssache 19 02 2007:
.... Zur aktuellen Aufnahme:
Die Patientin erscheint in Polizeibegleitung unter Vorlage eines amtsärztlichen Attestes nach § 8 UbG an der Abteilung ......
.......Zur Vorgeschichte ist weiter vermerkt, dass Frau NN nach der stationären Behandlung im Jahr 2005 keine Nachbetreuung in Anspruch nahm und auch die empfohlene Medikation absetzte.
…. Ärztlicher Dekurs:
15.02.2007: Laut Jugendamt liegt die Obsorge für die minderjährige Patientin bei der Mutter. Diese leidet ebenfalls an einer psychotischen Erkrankung, so dass die Patientin letztlich Pflegeeltern anvertraut wurde. Beim Vater bestehen eine schwere Polytoxikomanie sowie ein massives Alkoholproblem. Das Kind zeigte bereits im Alter von 11 Jahren Verhaltensauffälligkeiten (Schuleschwänzen, Aggressionsdurchbrüche). Im Rahmen eines betreuten Ausbildungsplatzes kam es zuletzt zunehmend zu Verhaltensauffälligkeiten und Abwesenheiten, wodurch der Platz verloren ging. Die Betreuung erfolgte zuletzt am 21.12.2006 in einer jugendpsychiatrischen Tagesklinik. Frau NN habe sich dort zunehmend psychotisch, teilweise auch halluzinierend gezeigt .....
…. Zusammenfassend besteht damit bei der Untersuchten eine psychische Erkrankung im Sinne einer juvenilen Psychose, die zu einer erheblichen Selbstgefährdung in Form eines Selbstfürsorgedefizites führt. Bei ungenügender Einsicht und Compliance kann die Behandlung nur im Rahmen der Unterbringung durchgeführt werden ......

Beschluss BG XX 30 01 2012 - Pflegschaftssache mj., VN1-Kd NN geb. GebDat-Kd:
Die vom Jugendwohlfahrtsträger Wien gesetzte Maßnahme, nämlich Abnahme des Kindes vom 16.12.2010, wird genehmigt und die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung der Mutter entzogen und der Jugendwohlfahrtsträger Wien mit der Pflege und Erziehung des Kindes betraut...

Beschluss BG Innere Stadt 08 03 2017- Pflegschaftssache mj. VN1-Kd NN GebDat-Kd:
Die Obsorge für den minderjährigen VN1-Kd NN, geboren am GebDat, im Bereich gesetzliche Vertretung und Vermögensverwaltung wird der Kindesmutter, VN-KM VN2 NN, geboren am GebDat??, entzogen und dem Kinder und Jugendhilfeträger übertragen …..

Beschluss BG XX 23 03 2017:
Für Frau VN1-VN2 NN, geb. GebDatBF, Adresse, 1160 Wien, wird der Verein Sachwalterin-kurz, Adresse-Sachwalterin, 1010 Wien, zum einstweiligen Sachwalter gemäß § 120 AußStrG bestellt.
Der einstweilige Sachwalter hat die betroffene Person in den dringenden Angelegenheiten der Einkommens- und Vermögensverwaltung, Schuldenregulierung zu vertreten ......

Beschluss BG XX 02 11 2017 - betroffene Person VN1 VN2 NN:
Der Wirkungskreis des einstweiligen Sachwalters, Verein Sachwalterin-alt‚ Adresse-Sachwalterin, 1010 Wien, wird um folgende Angelegenheit erweitert: Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Sozialversicherungsträgern.

Versicherungsdatenauszug

Schreiben "Sachwalterin-kurz" 06 09 2019:
Einladung für den 31.10.2019....
....als mit der gerichtlichen Erwachsenenvertretung für Frau NN betraute Person möchte ich Ihnen bzgl. der oben genannten Einladung, mir zugestellt am 05.09.2019, mitteilen, dass sich meine Klientin derzeit und bis auf Weiteres in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Josefstadt befindet ......

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

….

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

….

Stellungnahme zu Vorgutachten:
Keine Änderung zum Vorgutachten vom 14 09 2018

 

 

Begründung — GdB liegt rückwirkend vor:
lt. den Vorgutachten

[...]

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Es besteht eine psychiatrische Erkrankung, deren Beginn in die Jugend (in den Unterlagen zitierte stationäre psychiatrische Behandlung AKH Wien 2005, dann tagesklinische Betreuung) zurückreicht.
Rückblickend kann auf Grund der nun vorliegenden Befunde und Unterlagen von einer krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit vor dem 18. LJ ausgegangen werden- EU ab 2/2007 -(dokumentierte stationäre Behandlung Psychiatrie Donauspital)“

 

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Strittig ist, ob die Bf. aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Dies wurde der Bf. durch das zuletzt angeforderte und vom Sozialministeriumservice erstellte Gutachten bestätigt. Es ist auch schlüssig, weil die Bf. eine Lehre bei Lehrbetrieb-kurz aufgrund ihrer Behinderung abgebrochen und auch anschließend nur einmal Versicherungszeiten als Arbeiterin im Rahmen der beruflichen Rehabilitation erworben hat. In der Folge hat sie nur mehr mit Unterbrechungen Leistungen des Arbeitsmarktservice bezogen und ein Kind geboren, welches ihr jedoch wegen unzureichender Versorgung im Jahr nach Vollendung des 21. Lebensjahres abgenommen wurde. Laut Versicherungsdatenauszug vom 21.8.2019 war ab 1.12.2017 ein Pensionsbezug wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bis laufend angemerkt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XX vom 23. März 2017 wurde eine Sachwalterin für die Bf. bestellt.

Rechtlich ist der Sachverhalt wie folgt zu beurteilen:

Gemäß § 10 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ein zeitraumbezogener Abspruch. Ein derartiger Ausspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. VwGH vom 30.01.2014,
Zl. 2012/16/0052).

Vom Bundesfinanzgericht zu beurteilen war daher der Zeitraum, über welchen der Bescheid des Finanzamtes abgesprochen hat, d.h. der Zeitraum von November 2017 bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung, also bis Mai 2018.

Gemäß § 6 FLAG gilt Folgendes:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
            a)         sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

            b)         ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

            c)         für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

 (2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie

...       d)          wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden, ...

(3) Ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) einer Vollwaise führt bis zu einem Betrag von 10.000 € in einem Kalenderjahr nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe. Übersteigt das zu versteuernde Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise in einem Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem die Vollwaise das 19. Lebensjahr vollendet hat, den Betrag von 10.000 €, so verringert sich die Familienbeihilfe, die der Vollwaise nach § 8 Abs. 2 einschließlich § 8 Abs. 4 gewährt wird, für dieses Kalenderjahr um den 10.000 € übersteigenden Betrag. § 10 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise bleiben außer Betracht:

            a)         das zu versteuernde Einkommen, das vor oder nach Zeiträumen erzielt wird, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht,

            b)         Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis,

            c)         Waisenpensionen und Waisenversorgungsgenüsse.

(4) Als Vollwaisen gelten Personen, deren Vater verstorben, verschollen oder nicht festgestellt und deren Mutter verstorben, verschollen oder unbekannt ist.

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Gemäß § 8 FLAG gilt Folgendes:

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens
50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

...

(7) Die Abs. 4 bis 6 gelten sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Das zuletzt im Auftrag des Sozialministeriumservice erstellte Gutachten bescheinigt der Bf. das Vorliegen einer erheblichen Behinderung aufgrund eines Gesamtgrades der Behinderung von 50 % seit 06/2012, von 30 % seit 07/2007 sowie eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wobei diese vor dem 18. bzw. 21. Lebensjahr eingetreten ist. Die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde der Bf. ab dem Zeitpunkt der stationären Behandlung in der Psychiatrie Donauspital, 02/2007, bescheinigt.

Die Grenze des § 6 Abs. 3 FLAG in Höhe von 10.000,00 Euro wurde in den Jahren 2017 und 2018 laut AIS-DB2 (Abgabeninformationssystem) nicht überschritten.

Der Beschwerde konnte daher Folge gegeben werden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Verfahren waren keine Rechtsfragen strittig. Strittig war ausschließlich, ob die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit der Bf. vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist. Dies wurde ihr zuletzt bescheinigt.

Hinweis:

Ob die nachträgliche Zuerkennung der Familienbeihilfe zu Anpassungen des Bezuges der bedarfsorientierten Mindestsicherung für die Vergangenheit oder die Gegenwart führt bzw. welche Meldepflichten in diesem Zusammenhang bestehen, war nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesfinanzgericht.

 

 

Wien, am 4. November 2019

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, FLAG

betroffene Normen:

§ 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8 FLAG 1967 ÜR, Familienlastenausgleichsgesetz 1967 - Übergangsrecht, BGBl. Nr. 246/1993

Schlagworte:

Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit, Zeitpunkt des Eintrittes

Stichworte