BFG RV/5100168/2017

BFGRV/5100168/201729.7.2019

Berufsausbildung Ordinationsassistenz

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2019:RV.5100168.2017

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri. in der Beschwerdesache A., Adresse1, über die Beschwerde vom 29.03.2016 gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt D. vom 02.03.2016, betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe ab September 2015 zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

 

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) bezog für ihre Tochter B., geb. am Datum1, bis zum Ablauf des Monats, in dem die Volljährigkeit eintrat, Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag.

Im Zuge der Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe vom 25.09.2015 gab die Bf. mit Schreiben vom 13.10.2015, eingelangt am 16.10.2015, an, dass sich B. in einer Ausbildung zur Ordinationsassistentin befände. Beigelegt wurde eine Anmeldebestätigung des BFI  für das „Basismodul-Medizinische Assistenzberufe“.

Über Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom 19.11.2015 bezüglich der wöchentlichen Ausbildungszeiten von B. ab 22.09.2015 schickte die Bf. mit Eingabe vom 08.12.2015:
1. ein mit 09.12.2015 datiertes, als Arbeitsbestätigung bezeichnetes Schreiben von Dr. C., wonach B. seit Juni 2015 in seiner Ordination für 15 Wochenstunden angestellt sei und einen Ordinationsgehilfenkurs absolviere;
2. eine Anmeldebestätigung zum Lehrgang „Ordinationsassistenz“ vom BFI Wels und
3. einen Stundenplan vom 24.11.2015-10.05.2016 woraus 205 Unterrichtseinheiten (ca. 10 pro Woche) hervorgehen.

Die Auszahlung der Familienbeihilfe durch das Finanzamt wurde mit 01.09.2015 eingestellt; die Mitteilung davon habe die Bf. am 09.02.2016 erhalten.

Mit Eingabe von 09.02.2016, eingelangt am 15.02.2016, beantragte die Bf. die Fortsetzung der Gewährung der Familienbeihilfe für B. ab September 2015, mit der Begründung, dass diese eine Berufsausbildung absolviere.

Mit Bescheid vom 02.03.2016 erfolgte die Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe mit der Begründung, dass die Merkmale einer Berufsausbildung gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 nicht vorlägen.

Mit Eingabe vom 24.03.2016 eingelangt am 29.03.2016 erhob die Bf. fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid mit im Wesentlichen folgender Begründung:
B. befände sich seit September 2015 in einer Ausbildung zur Ordinationsassistentin. Diese Ausbildung umfasse im theoretischen Teil einen Basiskurs und einen fachspezifischen Kurs. B. habe von 22.09.2015 bis 30.10.2015 das Basismodul bestehend aus 120 Unterrichtseinheiten besucht und mit einer Prüfung mit Diplom beendet.
Seit 24.11.2015 besuche sie den Lehrgang „Ordinationsassistenz“, bestehend aus 205 Unterrichtseinheiten und endet im Mai 2016.
In die Ausbildung sei ein verpflichtender praktischer Teil im Ausmaß von insgesamt 325 Stunden integriert, den B. bei Dr. C. im Umfang von 15 Stunden pro Woche absolviere.
Das Wochenpensum der Ausbildung umfasse somit ein Ausmaß von 25 Stunden, wozu noch Zeiten für die Vorbereitung auf Zwischenprüfungen und Referate kämen.

Am 29.07.2016 erließ das Finanzamt eine Beschwerdevorentscheidung und wies die Beschwerde mit folgender Begründung als unbegründet ab:
„Familienbeihilfe für volljährige Kinder stehe nur dann zu, wenn das Kind in Berufsausbildung stehe. Die wesentlichen Merkmale einer Berufsausbildung iSd Gesetztes seien praktischer und theoretischer Unterricht, bei dem fachspezifisches Wissen vermittelt werde, eine angemessene Unterrichtsdauer, sowie die Verpflichtung zur Ablegung einer Abschlussprüfung. Die Vorbereitung auf die Prüfung müsse die volle Arbeitskraft des Kindes binden. Von der Bindung der vollen Arbeitskraft könne wohl nur dann ausgegangen werden, wenn die Bildungsmaßnahmen ein zeitliches Ausmaß hat, das zumindest annähernd dem eines Volldienstverhältnisses entspricht. Die Ausbildung von B. finde abends an zwei Tagen in der Woche und zusätzlich an einem Samstag zu je vier Stunden statt (Gesamtausmaß 120 Unterrichtseinheiten). Ein Praktikum sei bei diesem Kurs nicht vorgesehen. Da in den jeweils einzeln zu betrachtenden Monaten eine zeitliche Intensität daher nicht gegeben sei, bestehe somit kein Anspruch auf Familienbeihilfe.“

Mit Schreiben vom 16.08.2016, eingelangt am 24.08.2016, beantragte die Bf. die Vorlage an das Bundesfinanzgericht unter Wiederholung der Begründung aus der Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde am 15.02.2017 dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte deren Abweisung, da der zeitliche Umfang der Lehrveranstaltung nicht für einen Beihilfenanspruch ausreiche.

 

Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:

 

I.) Zu beurteilender Zeitraum

Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Die Frage, ob für einen bestimmten Anspruchszeitraum Familienbeihilfe zusteht, ist anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum ist der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruchs für ein Kind kann somit von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa VwGH 24.6.2010, 2009/16/0127).
Die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ist ein zeitraumbezogener Abspruch. Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa VwGH 30.1.2014, 2012/16/0052).
Mit Ende des Lehrganges am BFI im Mai 2016 endete für B. die anspruchsbegründende Berufsausbildung, womit die tatsächlichen Verhältnisse ab Juni 2016 eine Änderung erfahren haben. Der zeitraumbezogene Abspruch des bekämpften Bescheides reicht somit von September 2015 bis Mai 2016.

II.) Sachverhalt

B., vollendete am Datum2 das 18. Lebensjahr.
Vom 22.09.2015  bis 30.10.2015 besuchte sie das Basismodul-medizinische Assistenzberufe mit insgesamt 120 Unterrichtseinheiten. Das sind  fünf  Wochen und 3 Tage und somit circa 21,4 Unterrichtseinheiten pro Woche.
Von 24.11.2015-10.05.2016 fand die Ausbildung zur Ordinationsassistentin (Fachkurs) beim BFI statt.
Diese bestand aus 205 Unterrichtseinheiten mit durchschnittlich 10 Unterrichtseinheiten pro Woche, wobei zusätzlich 15 Praxisstunden zu absolvieren waren.
Das erforderliche zeitliche Ausmaß für Zwischenprüfungen, Hausarbeiten und Referate beträgt nach Auskunft des BFI Oberösterreich beim Basiskurs  20 und beim Fachkurs 12 Wochenstunden.
Die erforderlichen wöchentlichen 15 Praxisstunden wurden in der Fachordination von Dr. C. absolviert.
Unter Einbeziehung der Praxisstunden und der Zeiten für Vorbereitung auf Referate und Prüfungen liegt im Zeitraum von September 2015 bis Mai 2016 somit ein wöchentlicher Zeitaufwand von mindestens 30 Stunden vor.
 

III.) Beweiswürdigung

Der unter II.) als entscheidungswesentlich dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten sowie den Angaben und Unterlagen der Bf. und des BFI Oberösterreich. Die Würdigung des wöchentlichen zeitlichen Ausmaßes für allfällige Lern-, Haus- und Vorbereitungsarbeiten beruht auf dem Vorbringen der Bf. und der Auskunft des BFI vom 18.07.2019.
Es liegen in sachverhaltsmäßiger Hinsicht keine begründeten Zweifel vor, die durch weitere Ermittlungen zu verfolgen wären, zumal auch die Verfahrensparteien keine solchen begründeten Zweifel darlegten.
 

IV.) Rechtliche Erwägungen

Strittig ist die Frage, ob eine Berufsausbildung und damit ein Anspruch auf Familienbeihilfe vorliegt.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausbildung ihres Berufes nicht möglich ist.

Ob ein Kind eine Berufs­ausbildung absolviert, ist eine Tatfrage, die in freier Beweiswürdigung zu beurteilen ist.
Das Familienlastenausgleichsgesetz enthält keine nähere Umschreibung des Begriffes "Berufsausbildung". Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind unter den Begriff aber jedenfalls alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung zu zählen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem bestimmten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird (vgl. zB VwGH 20.2.2008, 2006/15/0076 mwN). 
Ziel einer Berufsausbildung iSd § 2 Abs.1 lit. b FLAG 1967 ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Zudem muss das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um den Ausbildungserfolg gegeben sein (VwGH 28.1.2003, 2000/14/0093). Voraussetzung ist weiters, dass die Ausbildung die überwiegende Zeit des Kindes in Anspruch nimmt, ein geregeltes Ausbildungsverfahren vorgesehen (etwa mit Anwesenheitspflicht) und die Ablegung von Prüfungen erforderlich ist.

Zur Beurteilung der qualitativen Elemente einer Berufsausbildung ist der rechtliche Rahmen der Ausbildung  der Ordinationsassistenz zu prüfen.
Die Ausbildung der Ordinationsassistenz regelt das Bundesgesetz über medizinische Assistenzberufe und die Ausübung der Trainingstherapie (Medizinische Assistenz-Berufe Gesetz, kurz MABG), in Kraft getreten per 01.01.2013 (BGBl. I Nr. 89/2012), sowie die Verordnung des Bundesministers für Gesundheit über Ausbildung und Qualifikationsprofile der medizinischen Assistenzberufe (kurz MAB-AV, BGBl II Nr. 282/2013; Inkrafttreten: 01.10.2013).
Gemäß MABG müssen sich alle Mitarbeiter, die als Ordinationsassistenz tätig sind, ab dem 01.01.2014 der derzeit geltenden Ausbildungsordnung unterziehen, sofern sie nicht ausschließlich mit administrativen Tätigkeiten betraut sind.
Wie bei der Lehraus­bildung in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis, wo die praktische Ausbildung im Betrieb und die theoretische Ausbildung in der Berufsschule erfolgt, ist auch die gegenständliche Ausbildung in eine theoretische und eine praktische Ausbildung gegliedert.
Die durch diese Verordnung vorgeschriebene praktische Ausbildung im Ausmaß von mindestens 165 Stunden (Anmerkung: beim BFI Oberösterreich 205 Stunden)  wird ergänzt durch eine mindestens 325 Stunden dauernde theoretische Ausbildung (siehe Anlage 7 der MAB-AV).
Spätestens nach drei Jahren, gerechnet ab Dienstantritt, muss der Nachweis über die Absolvierung des Kurses und die positive Ablegung der entsprechenden kommissionellen Prüfung vorliegen. Voraussetzung zum Antritt zur Prüfung sind 75% Anwesenheit in allen unterrichteten Fächern. Nach positiver Ablegung der Prüfung erhält man das öffentlich-rechtlich anerkannte Zeugnis als Ordinationsassistent/in.
Die dargestellten gesetzlichen Anforderungen werden in der vom BFI Oberösterreich angebotenen „Ausbildung Ordinationsassistenz“ umgesetzt (siehe vom BFI vorgelegtes und im Internet abrufbares Produktblatt).
Die von der Judikatur und Literatur geforderten qualitativen Elemente einer Berufsausbildung (fachliche Qualifikation für die Ausübung eines angestrebten Berufes, geregeltes Ausbildungsverfahren, Ablegen von Prüfungen) liegen somit vor.

Bezüglich der zu prüfenden quantitativen Elemente liegt nach Meinung von Judikatur und Literatur eine Berufs­ausbildung iSd FLAG – analog zum Besuch einer AHS und BHS – generell nur dann vor, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand für Kurse und Vorbereitungszeit von mindestens 30 Stunden anfällt (Rz. 40 zu § 2 in Csazsar/Lenneis/Wanke, FLAG).
Es sind dabei nicht nur die vorgeschriebenen Theorie- und Praxisstunden, sondern auch immer das erforderliche zeitliche Ausmaß zur Vorbereitung für abzulegende Prüfungen sowie für die Ausarbeitung von Hausarbeiten heranzuziehen. Wie unter Punkt II.) dargestellt, betrug der wöchentliche Zeitaufwand insgesamt mindestens 30 Stunden.
Somit sind auch die quantitativen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufs­ausbildung und damit für den Familienbeihilfeanspruch gegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

V.) Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Auf Grund der im Erkenntnis dargestellten Rechtsprechung ist die Frage des Vorliegens einer Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ausreichend geklärt. Das gegenständliche Erkenntnis weicht von dieser Rechtsprechung nicht ab, sodass der Revisionsausschluss zum Tragen kommen musste.

 

 

Linz, am 29. Juli 2019

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, FLAG

betroffene Normen:

§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967

Verweise:

VwGH 20.02.2008, 2006/15/0076
VwGH 28.01.2003, 2000/14/0093

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