BFG RV/4100305/2024

BFGRV/4100305/202415.5.2025

Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2025:RV.4100305.2024

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 28. November 2023 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 3. November 2023 betreffend Familienbeihilfe zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der Beschwerdeführerin wird der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung von Februar 2021 bis Juni 2023 gewährt.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Am 2. August 2023 beantragte die Beschwerdeführerin (Bf) die erhöhte Familienbeihilfe für ihren Sohn ***1***, geboren am ***2*** 2015, ab September 2018.

Mit Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 2. November 2023 wurde dem Sohn der Bf ein Gesamtgrad an Behinderung von 50 % seit Juli 2023 bescheinigt.

Mit Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 3. November 2023 wurde der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum September 2018 bis Juni 2023 abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, ein Grad der Behinderung von 50 % habe erst mit Juli 2023 festgestellt werden können.

Gegen diesen Bescheid hat die Bf mit Eingabe vom 28. November 2023 Beschwerde erhoben. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass die Erkrankung ihres Sohnes seit der Geburt bestehe.

Mit Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Österreich vom 13. Mai 2024 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Bf habe trotz Aufforderung durch die Abgabenbehörde keine neuen ärztlichen Gutachten vorlegen können.

Mit Eingabe vom 21. Mai 2024 beantragte die Bf die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag). Begründend wurde im Wesentlichen wie in der Beschwerdeschrift ausgeführt. Die Bf legte einen klinisch-psychologischen Kurzbrief der Klinischen Psychologin Mag. ***3*** bei, wonach sich die Erkrankung des Sohnes der Bf in den ersten Lebensjahren manifestiere.

Mit Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 2. August 2024 wurde dem Sohn der Bf neuerlich ein Gesamtgrad an Behinderung von 50 % bescheinigt. Der Grad an Behinderung liege aber bereits seit Februar 2021 vor. Der Sachverständige verwies auf vorgelegte Ergo-Therapiebestätigungen, aus welchen geschlossen werden könne, dass ab Februar 2021 ein Therapiebedarf bestanden habe, weswegen ein Grad an Behinderung von 50 % ab diesem Zeitpunkt als vertretbar erscheine.

Im Vorlagebericht vom 13. November 2024 beantragte das Finanzamt Österreich, der Beschwerde hinsichtlich des Zeitraumes Februar 2021 bis Juni 2023 Folge zu geben. Ab Juli 2023 werde der Bf die erhöhte Familienbeihilfe ohnehin bereits gewährt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf beantragte am 2. August 2023 die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für ihren Sohn ***1***, geboren am ***2*** 2015, ab September 2018. Der Sohn der Bf leide an einer Autismusspektrumstörung.

Mit Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 2. November 2023 wurde dem Sohn der Bf ein Gesamtgrad an Behinderung von 50 % seit Juli 2023 bescheinigt.

Das Finanzamt Österreich gewährte der Bf daraufhin die erhöhte Familienbeihilfe für ihren Sohn ab Juli 2023, für den Zeitraum September 2018 bis Juni 2023 wurde der Antrag mit Bescheid vom 3. November 2023 abgewiesen.

Mit Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 2. August 2024, Dr. ***4***, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, wurde dem Sohn der Bf ein Gesamtgrad an Behinderung von 50 % bescheinigt. Der Sohn der Bf leide an einer Entwicklungsstörung mittleren Grades, einer hochfunktionalen Autismusspektrumstörung und einer begleiteten Aktivität und Aufmerksamkeitsschwäche. Der Grad an Behinderung liege entgegen dem Vorgutachten bereits seit Februar 2021 vor. Der Sachverständige verwies auf vorgelegte Ergo-Therapiebestätigungen, aus welchen geschlossen werden kann, dass ab Februar 2021 ein Therapiebedarf bestand, weswegen ein Grad an Behinderung von 50 % bereits ab diesem Zeitpunkt vorliegt.

2. Beweiswürdigung

Gemäß § 167 Abs.2 BAO hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Nach ständiger Rechtsprechung genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (zB VwGH 23.9.2010, 2010/15/0078; 28.10.2010, 2006/15/0301; 26.5.2011, 2011/16/0011; 20.7.2011, 2009/17/0132).

Das Bundesfinanzgericht gründet den festgestellten Sachverhalt auf den Inhalt der vom Finanzamt Österreich vorgelegten Verwaltungsakten und auf das Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde Dr. ***4***, vom 2. August 2024.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfGH 10.12.2007, B 700/07, ausgeführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung (sh. zB VwGH 18.11.2008, 2007/15/0019, und VwGH 18.12.2008, 2007/15/0151) der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das Bundesfinanzgericht für seine Entscheidungsfindung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob das erstellte Sachverständigengutachten diesem Kriterium entspricht.

Dies ist zu bejahen; dem Gutachter wurden Ergo-Therapiebestätigungen ab Februar 2021 vorgelegt, er hat bei seiner Einschätzung sämtliche ihm vorliegenden Unterlagen gewürdigt und hieraus die entsprechenden Schlüsse gezogen. Der Gesamtgrad an Behinderung wurde mit 50 von Hundert ab Februar 2021 festgestellt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Teilweise Stattgabe)

Gemäß § 2 Abs.1 lit.a Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 8 Abs.4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, …

Gemäß § 8 Abs.5 FLAG gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs.6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, besteht eine Bindungswirkung der Abgabenbehörden und auch des Bundesfinanzgerichtes an die im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen nach § 8 Abs.6 FLAG erstellten Gutachten, sofern diese schlüssig sind.

Die Schlüssigkeit des erstellten Sachverständigengutachtens ist nicht in Zweifel zu ziehen. Der festgestellte Grad an Behinderung von 50 % liegt demnach seit Februar 2021 vor.

Der Bf steht daher der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu. Die Änderungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes ist durch die Sache begrenzt (Ritz, Bundesabgabenordnung § 279 Rz.10). Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat. Die vom Bundesfinanzgericht zu beurteilende Sache ist auf den Zeitraum September 2018 bis Juni 2023 begrenzt.

Der Beschwerde war daher hinsichtlich des Zeitraumes Februar 2021 bis Juni 2023 Folge zu geben, hinsichtlich des Zeitraumes September 2018 bis Jänner 2021 war die Beschwerde hingegen abzuweisen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor. Sowohl der VfGH als auch der VwGH bejahen eine Bindung an die im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellten Gutachten. Die vom Bundesfinanzgericht durchzuführende Schlüssigkeitsprüfung betrifft keine Rechtsfrage, sondern ist Ausfluss der dem Bundesfinanzgericht obliegenden freien Beweiswürdigung.

Klagenfurt am Wörthersee, am 15. Mai 2025

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967

Stichworte