Rückzahlung von Abgaben nach Aufhebung der Vollstreckung
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100018.2021
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerde vom 25. Mai 2020 gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck (nunmehr Finanzamt Österreich, Dienststelle Innsbruck) vom 12. Mai 2020 betreffend Abweisung eines Rückzahlungsantrages, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit Schreiben vom 6. April 2020 beantragte der Beschwerdeführer gestützt auf § 241 BAO die Rückzahlung von € 4.441,99 samt Zinsen wegen zu Unrecht erfolgter zwangsweiser Einbringung von Abgaben.
In seiner Begründung führte der Beschwerdeführer aus, dass mit Schreiben des Finanzamtes vom 10. Februar 2020 an die AS01 im Hause festgestellt worden sei, dass die zwischen dem Finanzamt und ihm am 27. April 2010 erzielte außergerichtliche Einigung als erfüllt anzusehen sei, da die Rechtsansicht, dass es sich bei der im März 2011 in einem Familienbeihilfenverfahren vorgeschriebenen Zwangs- und Ordnungsstrafe um eine laufende Abgabe gemäß Pkt. 3 der Einigung handle, nicht mehr aufrechterhalten werde. Im Punkt 3 sei verfügt worden, dass der Rückstand auf dem Kto. 271/1737 nach erfolgter Rückzahlung abzuschreiben sei.
Mit Schreiben (gemeint wohl Bescheid) vom 12. Februar 2020 sei die Vollstreckung durch Pfändung einer Geldforderung wegen rückständiger Abgaben in Höhe von € 23.753,56 (einschließlich Nebengebühren) gemäß § 16 Abgabenexekutionsordnung (AbgEO) eingestellt worden.
Aufgrund der Drittschuldnerexekution bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft Tirol sei vom Finanzamt ein Betrag von € 21.217,97 als zu Unrecht eingebracht anerkannt worden. Dadurch sei eine Forderung an die Abgabenbehörde auf Rückzahlung dieses Betrages entstanden. Dies sei durch die Abgabenbehörde festgestellt und manifestiert worden.
Als Beweis wurde das Schreiben vom 10. Februar 2020 und der Bescheid über die Einstellung der Vollstreckung vom 12. Februar 2020 vorgelegt.
Gemäß § 241 Abs. 1 BAO sei der zu Unrecht entrichtete Betrag über Antrag zurückzuzahlen, wenn eine Abgabe zu Unrecht zwangsweise eingebracht wurde. Auch nach § 240 BAO seien zu Unrecht einbehaltene Beträge auf Verlangen des Abgabepflichtigen zurückzuzahlen. Die Behörde habe durch Willkür eine Schadenersatzpflicht gesetzt, weil sie einen mit Rechtsmängeln behafteten Bescheid ausgestellt habe. Die Abgabenbehörde stehe im Verdacht unzählige Verfahrensmängel, Rechtsirrtümer sowie u.a. rechtswidrige Handlungen gesetzt zu haben. Vom Finanzamt seien bisher von Amts wegen nur € 16.775,98 auf sein Konto überwiesen worden. Es bestehe daher noch eine Forderung in Höhe von € 4.441,99 zusätzlich der Zinsen ab 3. Mai 2013 bis zur vollständigen Bezahlung der Forderung.
Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom 12. Mai 2020 ab und begründete dies damit, dass der zur Rückzahlung beantragte Betrag bereits an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft für Tirol zur Weiterüberweisung an die nachrangigen Gläubiger überwiesen worden sei. Diese Vorgangsweise sei vom Beschwerdeführer in der Niederschrift vom 10. Februar 2020 genehmigt und auch höchstpersönlich im Amt unterfertigt worden. Weiters sei festzustellen, dass die Durchführung der Pfändung zur damaligen Zeit zu Recht erfolgt sei. Dies sei auch durch das Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht, welches mit teilweiser Stattgabe der Berufung endetet, bestätigt worden. Die nachträgliche Änderung der Sichtweise könne den damaligen Instanzenweg samt Entscheidungen nicht aufheben.
Dagegen brachte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 25. Mai 2020 das Rechtsmittel der Beschwerde ein.
Begründend brachte der Beschwerdeführer wiederum vor, dass aufgrund einer Drittschuldnerexekution bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft Tirol vom Finanzamt ein Betrag von Euro 21.217,97 als zu Unrecht eingebracht anerkannt worden sei. Dadurch sei eine Forderung an die Abgabenbehörde auf Rückzahlung des Betrages von € 21.217,97 entstanden. Dies sei durch die Abgabenbehörde festgestellt und manifestiert worden. Auf ausdrücklichen Wunsch der Abgabenbehörde sei es am 6. Februar 2020 zu einem persönlichen Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und Herrn ***2*** vom Finanzamt Innsbruck gekommen. In diesem Gespräch sei dem Beschwerdeführer mitgeteilt worden, dass die zwischen dem Finanzamt und dem Beschwerdeführer am 27 April 2010 erzielte außergerichtlichen Einigung als erfüllt anzusehen sei, da die Rechtsansicht, dass es sich bei der im März 2011 in einem Familienbeihilfenverfahren vorgeschriebenen Zwangs- und Ordnungsstraße um eine laufende Abgabe gemäß Pkt. 3 der Einigung handle, nicht mehr aufrechterhalten werde.
Das Finanzamt Innsbruck habe den Beschwerdeführer deshalb ersucht die Säumnisbeschwerde vom 13. Jänner 2020 wegen Verletzung der Entscheidungspflicht zurückzunehmen. Am 10. Februar 2020 habe der Beschwerdeführer einen telefonischen Anruf erhalten, mit dem ihm mitgeteilt worden sei, dass die Abgabenbehörde die Exekution einstellen werde und das Geld aus der Exekution unverzüglich an den Beschwerdeführer zurückzahlen möchte. Aus diesem Grund solle der Beschwerdeführer nicht nur die Säumnisbeschwerde, sondern auch seine Beschwerde betreffend des Rückstandsausweises zurücknehmen. Es sei für den nächsten Tag ein neuer Termin im Finanzamt vereinbart worden.
Am 19. März habe das Finanzamt € 16.775,98 aus der Forderung des Beschwerdeführers von € 21.217,97 überwiesen. Obwohl das Finanzamt keinerlei Verfügungsrecht über die Forderung habe, habe es sich völlig selbstherrlich und daher rechtswidrig € 4.441,99 zurückbehalten. Von diesem Betrag seien € 313,90 zur Abdeckung einer Ordnungsstrafe einbehalten und € 4.128,09 zur Weiterüberweisung an die nachrangigen Gläubiger an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft Tirol überwiesen worden. Diese Vorgangsweise sei ohne Zustimmung und ohne Auftrag des Beschwerdeführers erfolgt. Die Zahlungen hätten daher keine schuldbefreiende Wirkung. Das Finanzamt behaupte falsch und daher wahrheitswidrig, dass diese Vorgangsweise vom Beschwerdeführer in der Niederschrift vom 10. Februar 2020 genehmigt und auch höchstpersönlich im Amt unterfertigt worden sei. Es offenbare sich immer wieder, dass der Abgabenbehörde jedes rechtsstaatliche Verständnis fehle. Die angeführte Beilage vom 10. Februar 2020 sei weder eine Niederschrift, noch sonst eine Vereinbarung zwischen dem Finanzamt und dem Beschwerdeführer.
Unter Niederschrift verstehe man die schriftliche Beurkundung eines mündlichen Vorganges welche sich vor der Behörde vollziehe und für den Gang sowie für die Entscheidung einer Verwaltungssache von wesentlicher Bedeutung sei. Die Niederschrift solle in kurzer und verständiger Form den wesentlichen Inhalt des Vorganges bzw. der Verhandlung wiedergeben, sie sollte jedoch keine wörtliche Wiedergabe sein. Die Niederschrift müsse Ortszeit und Gegenstand der Verhandlung, die Benennung der Behörde sowie Namen und Funktionen aller an der Amtshandlung beteiligten amtlichen und nichtamtlichen Personen, den wesentlichen Inhalt des Anbringens bzw. der Amtshandlung, den wesentlichen Verhandlungsinhalt, die eigenständige Unterschrift des die Amtshandlung leitenden Organs sowie eine unterschriftliche Bestätigung aller beigezogenen Personen enthalten. Eine formgültige Niederschrift stelle eine öffentliche Urkunde dar und gelte als Beweis über den Gegenstand und den Verlauf einer Amtshandlung. Das Schriftstück vom 10. Februar 2020 sei eine Verfügung des Vorstandes des Finanzamtes an die AS01 im Hause und keine Niederschrift einer Amtshandlung.
Am 11. Februar 2020 habe der Beschwerdeführer bestätigt, dass aufgrund des Gesprächs mit Herrn ***2*** die Säumnisbeschwerde und die Bescheidbeschwerde zurückgenommen werde, nachdem in der Verfügung ausdrücklich festgehalten worden sei, dass das Finanzamt seine Rechtsansicht nicht mehr aufrechterhalten werde und die illegale Exekution bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft einzustellen sei. Der Beschwerdeführer habe keine Vereinbarung mit seiner Unterschrift auf der Verfügung vom 10. Februar 2020 geschlossen. Nachdem das Finanzamt die Pension des Beschwerdeführers sieben Jahre lang illegal gepfändet habe, sei die Abgabenbehörde nicht in der Position Bedingungen für die Einstellung und Rückzahlung zu stellen. Diese würden vom Beschwerdeführer festgelegt werden. Der Beschwerdeführer habe nur zur Herstellung des Rechtsfriedens zugestimmt seine Beschwerden zurückzunehmen. Er sei dazu in keiner Weise rechtlich verpflichtet gewesen. Die Unterschrift des Beschwerdeführers auf der Verfügung habe daher keine unmittelbare rechtssetzende Wirkung. Es gäbe dem Finanzamt kein Recht über das Vermögen des Beschwerdeführers zu verfügen. Die Durchführung der Pfändung bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft Tirol sei von Beginn an illegal gewesen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24. Juni 2020 wies das Finanzamt die Bescheidbeschwerde als unbegründet ab und führte aus, dass gegenständlich sämtliche Überweisungen seitens des Drittschuldners auf Grundlage eines rechtskräftigen Exekutionstitels erfolgt seien. Ein Anwendungsfall nach § 241 BAO, wonach die Abgabe als zu Unrecht zwangsweise eingebracht anzusehen wäre, liege somit nicht vor. Wie bereits im Erstbescheid ausgeführt worden sei, ändere daran auch die nachträglich geänderte Sichtweise und Beurteilung seitens der Abgabenbehörde, dass die außergerichtliche Einigung vom 27. April 2010 als erfüllt anzusehen sei, nichs daran.
In der Vereinbarung vom 11. Februar 2020 sei ausdrücklich festgehalten worden, dass die Rücküberweisung an den Beschwerdeführer vorbehaltlich der fehlenden Existenz nachrangiger Gläubiger erfolge. Der Beschwerdeführer hab sich mit der Vereinbarung ausdrücklich einverstanden erklärt. Die Pfandränge seien mit der Aufstellung des Drittschuldners vom 25. Februar 2020 bekanntgegeben worden. Von den seitens des Drittschuldners geleisteten Zahlungen in Höhe von € 21.217,97 seien € 4.128,09 wieder an diesen rücküberwiesen worden. Mit € 313,90 sei das Abgabenkonto ***3*** bedient worden. Der Restbetrag in Höhe von € 16.775,98 sei dem Beschwerdeführer ausbezahlt und der sohin verbliebende Rückstand in Höhe von € 23.224,69 der Löschung zugeführt worden.
Dagegen wurde vom Beschwerdeführer mit Eingabe vom 1. Juli 2020 der Vorlageantrag gestellt und ergänzend bzw. wiederholend ausgeführt, dass die neue Behauptung des Finanzamtes, dass sämtliche Überweisungen seitens des Drittschuldners auf Grundlage eines rechtskräftigen Exekutionstitels erfolgt seien und die Abgabe zu Recht als zwangsweise eingebracht anzusehen wäre, das fehlende rechtsstaatliche Verständnis der belangten Behörde beweise. Mit dem internen Schreiben vom 10. Februar 2020 bestätige das Finanzamt, dass mit der Eilüberweisung des Beschwerdeführers vom 26. Juni 2010 in Höhe von € 20.000,00 die außergerichtliche Einigung vom 27. April 2010 mit dem Finanzamt als erfüllt anzusehen gewesen sei und die belangte Behörde auf die Einbringung der restlichen aushaftenden Rückstände in Höhe von € 23.214,51 verzichtet habe. Ohne Abgabenschuld gebe es auch keinen rechtskräftigen Exekutionstitel. Der Versuch mit einem vorsätzlich gesetzwidrig ausgestellten Rückstandsausweis zu Unrecht zwangsweise eine längst getilgte Abgabenschuld zu exekutieren und einzubringen sei aus strafrechtlicher Sicht mehr als bedenklich. Der Beschwerdeführer habe nie mit dem Finanzamt irgendeine Vereinbarung bezüglich der Rückzahlung der Forderung von € 21.217,97 getroffen. Die Behauptung des Finanzamtes der Beschwerdeführer habe sich ausdrücklich einverstanden erklärt, dass andere Verbindlichkeiten mit seinem Geld vom Finanzamt beglichen werden könnten, sei falsch und daher wahrheitswidrig. Das Finanzamt könne nicht die gesetzlichen Bedingungen für die Rückzahlung bestimmen. Diese würden vom Beschwerdeführer zu seinen Bedingungen festgelegt werden.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung am 12. April 2023 stellte der Beschwerdeführer einen Ablehnungsantrag wegen Befangenheit und brachte mit einem vorbereiteten Schriftsatz ergänzend vor, dass im Beschwerdefall davon auszugehen sei, dass die ergangenen Bescheide für eine Abgabenschuld in der Höhe von Euro 23.214,51 laut Rückstandsausweises vom 14. Dezember 2011 durch gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt worden seien und damit von einem Verbrechen des Amtsmissbrauchs gemäß § 12 i.V.m. § 302 StGB auszugehen sei. Die Bescheide seien entweder durch Fälschung einer Urkunde, durch Abgabe eines falschen Zeugnisses oder durch eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder erschlichen worden. Nach der Judikatur des VwGH müssten die tatbestandsmäßigen gerichtlich strafbaren Handlungen nicht durch strafgerichtliches Urteil festgestellt sein, sie müssten aber die objektive und subjektive Tatseite einer gerichtlichen Straftat erfüllen. Darüber hinaus habe die Behörde ihre Gründe darzulegen, die zur Ermessensentscheidung geführt hätten. Sie habe in dieser Begründung alle Umstände und Erwägungen aufzuzeigen, die für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Gesetzmäßigkeit erforderlich seien. Im gegenständlichen Fall begnüge sich die bescheiderlassende Behörde mit der lapidaren Begründung in Ihrer Niederschrift vom 10. Februar 2020 an die AS01 im Hause wie folgt:
"Die zwischen dem Finanzamt Innsbruck und ***Bf1*** am 27. April 2010 erzielte außergerichtliche Einigung ist als erfüllt anzusehen, da die Rechtsansicht, dass es sich bei der im März 2011 in einem Familienbeihilfenverfahen vorschriebenen Zwangs- und Ordnungsstraße um eine laufende Abgabe gem. Pkt. 3 obiger Einigung handle, nicht mehr aufrecht erhalten wird."
Weiters begründe das Finanzamt ihren Bescheid vom 8. Mai 2020 über die Löschung von Abgabenschuldigkeiten wie folgt:
"Die zwischen dem Finanzamt Innsbruck und ***Bf1*** am 27. April 2010 erzielte außergerichtlichen Einigung sei als erfüllt anzusehen. Der unberechtigt aushaftende Betrag von EUR 23.224,69 ist daher zu löschen. Auf die Niederschrift vom 10.02.2020 wird verwiesen."
Es sei daher offensichtlich, dass der Beschwerdeführer mit rechtswidrigen Mitteln zur Steuerzahlung gezwungen worden sei.
Die durchgeführte Vollstreckung durch Pfändung seiner Pension bei der Sozialversicherungs-anstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 21. März 2013 bis 12.2.2020 und der Insolvenzantrag der Finanzprokuratur vom 22 Dezember 2011 sollten den Beschwerdeführer und seine Familie mit zwei Kindern im Alter von zwei und vier Jahren wirtschaftlich vernichten. Mit Schreiben vom 17.04.2012 wurde dem Beschwerdeführer vom Stadtmagistrat mitgeteilt, dass ihm seine Gewerbeberechtigung entzogen worden sei.
Der Ablehnungsantrag wegen Befangenheit wurde mit Beschluss des Präsidenten vom 25. Mai 2023 abgewiesen.
In der Folge wurde die mündliche Verhandlung am 22. Juni 2023 fortgesetzt.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt und Beweiswürdigung:
Mit Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom 2. März 2006 wurde der Beschwerdeführer als ehemaliger Geschäftsführer nach § 9 iVm § 80 BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten der P-GmbH herangezogen.
Mit Schreiben vom 27. April 2010 bot das Finanzamt dem Beschwerdeführer im Rahmen einer "außergerichtlichen Einigung" an, hinsichtlich des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Abgabenrückstandes in Höhe von € 53.271,51 gegen Zahlung eines Betrages von € 20.000,00 auf die Entrichtung der restlichen Forderung zu verzichten, wenn unter anderem die in den nächsten fünf Jahren anfallenden laufenden Abgaben fristgerecht und vollständig gemeldet und entrichtet werden. Der Beschwerdeführer stimmte dem mit dem Vermerk "Ich bin mit dieser Vereinbarung einverstanden" mit seiner Unterschrift am 3. Mai 2010 zu.
Mit Bescheid vom 28. Februar 2011 wurde gegen den Beschwerdeführer in einem Familien-beihilfenverfahren eine Ordnungsstrafe in Höhe von € 300,00 festgesetzt. Die fristgerechte Entrichtung der Ordnungsstrafe erfolgte nicht. Das Finanzamt sah deshalb die "außergerichtliche Vereinbarung" als nicht erfüllt an und forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 29. September 2011 auf, die Restschuld in Höhe von € 23.214,51 unverzüglich zu entrichten. Da der Beschwerdeführer dieser Aufforderung nicht nachkam, pfändete das Finanzamt bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft die Pensionsansprüche des Beschwerdeführers.
Die gegen den Pfändungsbescheid erhobene Beschwerde wurde im Instanzenzug vom Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom 12. März 2014, GZ. RV/4100265/2013, unter Anpassung an den im Rückstandsausweis ausgewiesenen Rückstand als unbegründet abgewiesen.
Nach einer neuerlichen Prüfung der Angelegenheit im Februar 2020 kam das Finanzamt zur Ansicht, dass die Ordnungsstrafe im Familienbeihilfenverfahren keine laufende Abgabe im Sinn der "außergerichtlichen Einigung" und somit die damalige Vereinbarung als erfüllt anzusehen sei.
Am 10. Februar 2020 wurde vom Finanzamt eine Verfügung an die AS01 (Abgabensicherung) mit folgendem Wortlaut erstellt:
"1. Die Pfändung einer Geldforderung vom 21. 3. 2013 bei der SVA d. gewerbl. Wirtschaft ist einzustellen.
2. Die aufgrund der Pfändung einer Geldforderung vom 21.3.2013 von der SVA d. gewerbl. Wirtschaft auf dem Konto 271/1737 eingegangenen Beträge sind abzüglich der auf das Konto ***4*** zu verrechnenden € 300,- an ZO, sowie der angepassten Pfändungsgebühr und der Postgebühr, vorbehaltlich der fehlenden Existenz eines nachrangigen Gläubigers hinsichtlich des Drittschuldners SVA, auf das Kto. bei der BAWAG PSK ***5*** des ***Bf1*** zurückzuzahlen.
3. Der Rückstand auf dem Kto. 271/1737 ist nach erfolgter Rückzahlung abzuschreiben."
Der Beschwerdeführer stimmte dieser Vorgangsweise mit den Worten "Ich bin mit dieser Vereinbarung einverstanden" am 11. Februar 2020 zu.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer damit der beabsichtigten Verwendung des aufgrund der Einstellung der Vollstreckung zurückzuzahlenden Betrages zugestimmt hat. Daran ändert auch nichts, dass die Zustimmung auf einer vom Finanzamt vorbereiteten Verfügung und nicht in einem als "Niederschrift" oder "Vereinbarung" bezeichneten Dokument erfolgt ist. Maßgeblich ist der Inhalt. Die Zustimmung bestätigt sich nicht zuletzt auch dadurch, dass dem Finanzamt im Nachhang eine an den Beschwerdeführer adressierte Aufstellung der nachrangigen Gläubiger übermittelt wurde (Schreiben der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen Tirol vom 25. Februar 2020). Dass sich die Zustimmung nur auf die Punkte 1 und 3 der Verfügung oder allenfalls nur auf die Zurücknahme zweier in diesem Zusammenhang anhängigen Beschwerden, welche in der Verfügung nicht einmal erwähnt sind, bezogen hätte, kann dem Schriftstück mangels entsprechenden Vorbehalts nicht entnommen werden.
Das Finanzamt verfügte in der Folge mit Bescheid vom 12. Februar 2020 die Einstellung der Vollstreckung und verrechnete € 313,90 (Buchung vom 14. Februar 2020) vom durch die Vollstreckung hereingebrachen Betrages mit einer Forderung gegen den Beschwerdeführer auf dem Abgabenkonto ***3*** und überwies € 16.775,98 auf das vom Beschwerdeführer bekanntgegebene Bankkonto (Buchung vom 19. März 2020) und auf Grundlage der übermittelten Auflistung der nachrangigen Gläubiger € 4.128,09 (Buchung vom 31. März 2020) an die Drittschuldnerin.
Die Löschung des Rückstandes in Höhe von € 23.224,69 erfolgte mit Bescheid vom 8. Mai 2020 gemäß § 235 Abs. 1 BAO.
Hinsichtlich der beantragten Zeugeneinvernahmen ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 269 Abs. 1 BAO die Verwaltungsgerichte im Beschwerdeverfahren - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen - die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind, haben. Zu solchen Obliegenheiten und Befugnissen zählen insbesondere Beweisaufnahmen Gemäß § 183 Abs. 3 BAO ist von der Aufnahme von den Parteien beantragter Beweise abzusehen, wenn die unter Beweis zu stellenden Tatsachen als richtig anerkannt werden oder unerheblich sind, wenn die Beweisaufnahme mit unverhältnismäßigem Kostenaufwand verbunden wäre, oder wenn sich aus den Umständen erhellt, dass die Beweise in der offenbaren Absicht, das Verfahren zu verschleppen, angeboten worden sind (vgl. VwGH 10.12.2019, Ra 2018/15/0123).
Der Beschwerdeführer hat trotz Aufforderung kein relevantes Beweisthema genannt. Eine Einvernahme der Zeugen war aber auch schon deshalb nicht erforderlich, weil der objektive Sachverhalt ohnehin unstrittig ist.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I.
§ 16 Abs. 1 Abgabenexekutionsordnung (AbgEO) in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung, BGBl. Nr. 457/1992, lautet:
"§16. (1) Außer in den in den §§ 12 bis 14 angeführten Fällen ist die Vollstreckung unter gleichzeitiger Aufhebung aller bis dahin vollzogenen Vollstreckungsakte auf Antrag oder von Amts wegen einzustellen
1. wenn der ihr zugrundeliegende Exekutionstitel durch rechtskräftige Entscheidung aufgehoben wurde;
2. wenn die Vollstreckung auf Sachen oder Forderungen geführt wird, die nach den geltenden Vorschriften der Vollstreckung überhaupt oder einer abgesonderten Vollstreckung entzogen sind;
3. wenn die Vollstreckung gegen eine Gemeinde oder eine als öffentlich und gemeinnützig erklärte Anstalt gemäß § 8, Abs. (3), für unzulässig erklärt wurde;
4. wenn die Vollstreckung aus anderen Gründen durch rechtskräftige Entscheidung für unzulässig erklärt wurde;
5. wenn das Finanzamt auf den Vollzug der bewilligten Vollstreckung überhaupt oder für eine einstweilen noch nicht abgelaufene Frist verzichtet hat oder wenn es von der Fortsetzung des Vollstreckungsverfahrens abgestanden ist;
6. wenn sich nicht erwarten läßt, daß die Fortsetzung oder Durchführung der Vollstreckung einen die Kosten dieser Vollstreckung übersteigenden Ertrag ergeben wird;
7. wenn die erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit rechtskräftig aufgehoben wurde."
§ 215 Abs. 1 BAO lautet:
§ 215. (1) Ein sich aus der Gebarung (§ 213) unter Außerachtlassung von Abgaben, deren Einhebung ausgesetzt ist, ergebendes Guthaben eines Abgabepflichtigen ist zur Tilgung fälliger Abgabenschuldigkeiten zu verwenden, die dieser Abgabepflichtige bei derselben Abgabenbehörde hat; dies gilt nicht, soweit die Einhebung der fälligen Schuldigkeiten ausgesetzt ist.
§ 241 BAO lautet auszugsweise:
"§ 241. (1) Wurde eine Abgabe zu Unrecht zwangsweise eingebracht, so ist der zu Unrecht entrichtete Betrag über Antrag zurückzuzahlen.
(2) …
(3) Anträge nach Abs. 1 und 2 können bis zum Ablauf des dritten Kalenderjahres gestellt werden, das auf das Jahr folgt, in dem der Betrag zu Unrecht entrichtet wurde."
Eine Rückzahlung nach § 241 BAO setzt voraus, dass zu Unrecht zwangsweise eingebrachte Abgaben vorliegen und über das Bestehen oder Nichtbestehen sowie über das Ausmaß einer ggf. bestehenden, insbesondere verminderten Abgabenverpflichtung ein Bescheid ergangen ist (vgl. VwGH 27.4.2006, 2003/16/0506). Außerdem ist die in Abs. 3 leg cit normierte Frist zu beachten. Der Begriff "zu Unrecht" ist dabei nicht im strafrechtlichen Sinn zu verstehen.
Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, dass durch die mit dem Finanzamt erzielte außergerichtliche Einigung vom 27. April 2010 die Pfändung und Einziehung seiner Pensionsbezüge mit Bescheid vom 21. März 2013 zu Unrecht erfolgt sei.
Dem ist entgegenzuhalten, dass Entstehung, Inhalt und Erlöschen der Abgabenschuld einschließlich des diesbezüglichen Verfahrens und der diesbezüglichen Rechtsformen hoheitlichen Handelns ausschließlich durch das Gesetz - entsprechend dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Abgabenverwaltung - geregelt sind. Die abgabenrechtlichen Bestimmungen sehen nicht vor, dass eine Abgabenschuld ungeachtet der Verwirklichung des Abgabentatbestandes im Fall einer gegenteiligen vertraglichen Vereinbarung zwischen Abgabenschuldner und Abgabengläubiger nicht entstünde oder zum Wegfall gelangt. Eine Nachsicht des Abgabenanspruches oder auch dessen Löschung durch Abschreibung im Sinn des § 235 BAO kann im Bereich des Abgabenrechtes nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen und zwar in Bescheidform erfolgen (vgl. VwGH 12.8.1997, 93/17/0126; VwGH 28.9.2004, 2002/14/0035 mwH).
Insofern ist das Schreiben des Finanzamtes vom 27. April 2010 an den Beschwerdeführer als "Angebot" zu betrachten unter bestimmten Bedingungen eine Löschung oder Nachsicht der Abgabenschuld vorzunehmen. Dass dem Schreiben kein normativer Inhalt beizumessen ist, ergibt sich schon daraus, dass es dem Beschwerdeführer freigestellt wurde, sich mit der Vereinbarung einverstanden zu erklären. Aufgrund der fünfjährigen Beobachtungszeit war eine sofortige Nachsicht bzw. Abschreibung der Abgabenschuld von vornherein ohnehin nicht vorgesehen. Die Löschung der Abgabenschuld ist im Beschwerdefall schließlich erst mit Bescheid vom 8. Mai 2020 erfolgt.
Hinzu kommt, dass der in Rede stehende Betrag von € 4.441,99 bereits vor Antragstellung von Amts wegen zurückgezahlt worden ist, indem ein Teil zur Abdeckung einer beim Beschwerdeführer noch aushaftenden Ordnungsstrafe und ein anderer Teil zur Bedienung nachrangiger Gläubiger verwendet worden ist. Auf dem Abgabenkonto ***1*** (lautend auf P-GmbH) waren somit im Antragszeitpunkt keine durch die Pfändung mit Bescheid vom 21. März 2013 hereingebrachten Abgabenbeträge mehr vorhanden. Der beschwerdegegenständliche Antrag auf Rückzahlung nach § 241 BAO geht daher schon deshalb ins Leere.
Auch der Hinweis auf § 240 BAO vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da sich diese Bestimmung auf die Rückzahlung von Abfuhrabgaben in bestimmten näher angeführten hier aber nicht zutreffenden Fällen bezieht.
Die Ausführungen des Beschwerdeführers konzentrieren sich neben dem Vorwurf einer amtsmissbräuchlichen Vorgangsweise des Finanzamtes darauf, dass mit ihm keine Vereinbarung getroffen worden sei, die das Finanzamt zur Verwendung der zurückzuzahlenden Abgabenbeträge zur Abdeckung der aushaftenden Ordnungsstrafe und zur Rücküberweisung an die Drittschuldnerin berechtigt hätten.
Ausgehend vom Standpunkt des Beschwerdeführers besteht im Beschwerdefall in Wahrheit Streit über die Richtigkeit der Gebarung. Ein derartiger Streit ist aber nicht in einem Verfahren nach § 241 BAO, sondern in einem solchen nach § 216 leg cit auszutragen.
Der angefochtene Bescheid kann seinem materiellen Gehalt nach als Abrechnungsbescheid im Sinne des § 216 BAO gedeutet werden (vgl. VwGH 29.1.2004, 2000/15/0046; VwGH 23.5.1996, 94/15/0033; VwGH 21.10.1993, 91/15/0077).
Aufgrund der Einstellung der Vollstreckung mit Bescheid vom 12. Februar 2020 - in Betracht kommt, wenn auch nicht konkret angeführt Z 5 des § 16 Abs. 1 AbgEO - hatte das Finanzamt die bisher gesetzten Vollstreckungsakte zu beseitigen, so als hätten sie niemals stattgefunden (vgl. Liebeg, Die Abgabenexekutionsordnung2, § 16 Rz 2).
Das sich daraus ergebende Guthaben (auch wenn es auf dem Abgabenkonto wohl aus Vereinfachungsgründen nicht so dargestellt worden ist) ist nach § 215 Abs. 1 BAO zunächst zwingend zur Tilgung fälliger Abgabenschuldigkeiten des Beschwerdeführers zu verwenden. Die Umbuchung des Betrages von € 313,90 am 14. Februar 2020 auf das Abgabenkonto des Beschwerdeführers ***3*** zur Tilgung der noch aushaftenden Ordnungsstrafe samt Kosten erfolgte daher rechtmäßig.
Dem § 16 Abs. 1 AbgEO entsprechend, wonach die Vollstreckung unter gleichzeitiger Aufhebung aller bis dahin vollzogenen Vollstreckungsakte zu erfolgen hat, hat das Finanzamt mit Zustimmung des Beschwerdeführers auf der Verfügung vom 10. Februar 2020 den Betrag von € 4.128,09 an die Drittschuldnerin zur Bedienung der nachrangigen Gläubiger, die durch die Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamtes als vorrangigen Gläubiger keine Zahlungen erhalten hatten, rücküberwiesen.
Die Fragen, ob mit dem unterschriebenen Vermerk auf der Verfügung vom 10. Februar 2020 das Finanzamt verpflichtet oder berechtigt war, den in Rede stehenden Betrag an die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen rückzuüberweisen und ob sich hieraus zivilrechtliche Ansprüche des Beschwerdeführers ergeben, sind nicht im gegenständlichen Verfahren zu klären. Für den gegenständlichen Beschwerdefall ist lediglich maßgeblich, dass das Finanzamt im Ergebnis mangels Bestehens einer entsprechenden abgabenrechtlichen Bestimmung ohne Rechtswidrigkeit angenommen hat, dass das Guthaben des Beschwerdeführers eine nicht wieder aufhebbare Minderung durch die Überrechnung auf die Drittschuldnerin erfahren hat. Folglich war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen (vgl. auch VwGH 18.11.1987, 84/13/0229; VwGH 23.05.1996, 94/15/0033 in hierzu vergleichbaren Beschwerdefällen).
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im Beschwerdefall war keine Rechtsfrage zu beurteilen, die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Die (ordentliche) Revision war daher als unzulässig zu erklären.
Innsbruck, am 10. August 2023
Zusatzinformationen | |
|---|---|
Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 16 Abs. 1 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949 |
Verweise: | VwGH 28.09.2004, 2002/14/0035 |
