I.
In einer möglichen Hitliste der gelungenen Entscheidungen des BVerfG gibt es sicher einige, die jederzeit Anspruch auf einen Spitzenplatz erheben können: Elfes, Lüth, Apotheke, Brokdorf, Volkszählung, um nur ein paar der Kandidaten zu nennen. Und es gibt einige, die in allen einschlägigen Aufzählungen weiter hinten landen werden; unter ihnen dürfte wohl das Homosexuellenurteil aus dem Jahre 1957 den absoluten Tiefpunkt markieren. Aber schon das Elfes-Urteil hat auch eine dunkle Seite; die vielen Jubelarien über die Entfaltung von Art 2 Abs 1 GG als Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit verdecken leicht, dass das Ergebnis, zu dem das Gericht damals kam, aus heutiger Sicht schwer erträglich und letztlich nur aus dem Klima des Kalten Krieges erklärlich ist.1 Umgekehrt ist das dem Gericht selbst heute peinliche Homosexuellenurteil auch nur ein Kind seiner Zeit, aus der es gar nicht zu lösen ist, nicht mehr und nicht weniger. Andererseits hat das Elfes-Urteil in seinem konzeptionellen Teil die Verfassungsentwicklung maßgeblich geprägt, das Homosexuellenurteil dagegen gottlob nicht. Wäre dann dies, die Eigenschaft als zentrale und über den Fall hinaus fortwirkende Weichenstellung im Recht, ein Kriterium für die Gelungenheit richterlicher Entscheidungen?2 Es wäre immerhin ein besseres als die klassische Legalität, jedenfalls wenn man darunter bloß die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben versteht: Diese liegen gerade den weichenstellenden Entscheidungen nicht voraus, sondern werden in ihnen selbst erst entwickelt, sodass im Zeitpunkt davor oft gar nicht klar war, worin die Legalität überhaupt bestand.3