I. Die Relevanz der Kunstfreiheit vor dem Bundesverfassungsgericht
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Kunstfreiheit sind eher selten. Trotz der erheblichen Anzahl von Verfassungsbeschwerden jedes Jahr erreichen nur wenige Fälle mit Bezug zur Kunst das höchste deutsche Gericht. Das mag auch daran liegen, dass das BVerfG gelegentlich betont hat, es sei unmöglich, Kunst generell zu definieren.1 Dies könnte Betroffene durchaus davon abhalten, die Kunstfreiheit in Karlsruhe geltend zu machen und auf diese Weise unbewusst an einer Entwertung dieses bedeutenden Grundrechts mitzuwirken. Obwohl es sicherlich zu den anspruchsvollen Aufgaben gehört, zu beschreiben, was verfassungsrechtlich unter Kunst zu verstehen ist, kann die Rechtsordnung davor nicht kapitulieren und den Schutzbereich der Kunst in diffuser Unentschiedenheit belassen. Immerhin ist das BVerfG bei dieser fatalistischen Aussage nicht stehengeblieben, sondern hat im wissenschaftlichen Diskurs mit dem formalen, dem materialen und dem offenen Kunstbegriff jedenfalls zur praktischen Konturierung der Kunstfreiheit beigetragen.2 Angesichts dieser nur wenigen Gelegenheiten, grundlegende Aussagen hierzu zu formulieren, fallen einschlägige Entscheidungen umso deutlicher ins Auge. Nach Ansicht des Autors hat das BVerfG im medienrechtlichen Kontext sowohl eine ausgesprochen gelungene (II.) als auch eine geradezu erschreckend indisponiert wirkende Entscheidung (III.) zur Kunstfreiheit getroffen.