Die Europäische Union wird traditionell als eine Rechtsgemeinschaft beschrieben. Jedoch taucht nach der Lektüre der Berliner Dissertation von Elena Maria Kullak sofort die Frage auf, inwiefern diese Rechtsgemeinschaft von einem außerrechtlichen Faktor wie dem Vertrauen abhängt: Inwiefern setzt das Recht Vertrauen voraus? Wie kann das Recht zur Bildung dieses Vertrauens beitragen und – ganz allgemein – wie komplex ist die Beziehung zwischen dem Recht und dem Vertrauen? Die Konstruktion der Europäischen Union wurzelt nämlich tief im Vertrauen: Die Rechtssetzungsgemeinschaft, in der das Unionsrecht von einigen Ausnahmen abgesehen nicht unionsunmittelbar, sondern prinzipiell durch die Mitgliedstaaten (indirekt) durchgeführt wird, beruht auf der Idee und dementsprechend auf dem Vertrauen, dass die Mitgliedstaaten rechtstreu sind, das gemeinsam gesetzte Recht in der Tat auch bona fides befolgen und die europarechtlichen Vorgaben treu und wirksam umsetzen (wollen). Die grenzüberschreitende Kooperation ist ohne dieses Vertrauen auch nicht möglich, da die einzelnen Mitgliedstaaten wenig darauf hinwirken können, wie die anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht vollziehen. Ebenso wie der Grundsatz von Treu und Glauben in dem Verständnis wurzelt, dass die Vertragsparteien den gemeinsam ausgehandelten und gebilligten Vertrag in der Tat durchführen wollen, beruht die Idee des Unionsrechts auch auf dem Gedanken des gutgläubigen Erfüllungswillens der Mitgliedstaaten. Dieser Grundsatz steht im Fokus der hier zu besprechenden Untersuchung, die gemäß der besten Tradition des germanischen Rechtsdenkens versucht, ihn analytisch und systematisch aufzuarbeiten und aufgrund dieser Erkenntnisse dieses Prinzip für die Rechtspraxis zu operationalisieren.