1. Einleitung
Derzeit wird die Debatte um angemessene Mindestlöhne europaweit auf zwei Ebenen geführt. Zum einen hat die Europäische Kommission im Oktober 2020 einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der die Einführung einer europaweiten Koordinierung nationaler Mindestlohnpolitiken vorsieht. Ziel der geplanten Richtlinie ist, EU-Mitgliedsländer mit kollektivvertraglichen Deckungsraten von unter 80% zu einem Aktionsplan zur Förderung von Kollektivvertragsverhandlungen zu verpflichten. Zudem enthält der Richtlinienentwurf Bestimmungen, denen zufolge die Mitgliedsländer Beratungsgremien zur Mindestlohnfestsetzung und -aktualisierung unter Beteiligung der Sozialpartner einrichten müssen.1) Diese Maßnahmen sollen garantieren, dass Arbeitnehmer:innen an ihrem Arbeitsort durch Mindestlöhne geschützt werden, die ihnen einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen. Der Richtlinienentwurf hat mannigfaltige Reaktionen von Seiten der Regierungen, der Sozialpartner, aber ebenso der Zivilgesellschaft und der Wissenschaftsgemeinschaft ausgelöst. Dies zumal deshalb, weil damit nicht nur ein programmatischer, sondern erstmals auch ein vorbereitender normativer Akt auf höchster europäischer Ebene gesetzt wurde, der als Schritt zur Umsetzung der im Jahr 2017 verabschiedeten Europäischen Säule sozialer Rechte gilt (Lübker und Schulten 2021).

