Prof. Kucsko-Stadlmayer erinnert in ihrem Beitrag zunächst an den Beitritt Österreichs zur EMRK vor genau 60 Jahren. Sie betont ihren Verfassungsrang und ihre Bindungswirkung für das gesamte Zivil- und Strafrecht. Die dem VfGH gleichwertige Stellung des OGH ist im Organisationskonzept des B-VG bewusst verankert worden. Auch die ordentlichen Gerichte sind in der Lage, in ihrem Kompetenzbereich ausreichenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Nach anfänglicher Zurückhaltung, wie auch der VfGH sie in Bezug auf die EMRK geübt hat, ist seit den Neunzigerjahren auch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit das Bewusstsein für die hohe Relevanz der Konvention im gesamten Zivil- und Strafverfahren gewachsen. Mittlerweile ist es unumstritten, dass die konventionskonforme Interpretation der Gesetze eine Einbeziehung der aktuellen EGMR-Judikatur verlangt und bei Unmöglichkeit der interpretativen Vermeidung von Konventionsverstößen eine Anfechtung beim VfGH nötig ist. Die elementare Rolle unabhängiger Gerichte für effektiven Grundrechtsschutz ist zunehmend zu einem integralen Bestandteil richterlicher Ethik geworden. Eine Analyse der aktuellen Zahlen des EGMR bestätigt das positive Bild der österreichischen Gerichtsbarkeit. Die Feststellung von Konventionsverletzungen ist vor allem im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit überproportional zurückgegangen. Dies wird auf dem Gebiet "Freiheit der Meinungsäußerung versus Schutz des guten Rufs" (Art 10 und 8 EMRK) besonders deutlich. Vor diesem Hintergrund hat auch der EGMR seine Kontrolldichte reduziert und kann die Subsidiarität des europäischen Rechtsschutzes gegenüber dem nationalen Grundrechtsschutz in die Praxis umsetzen.