1.Problemstellung
Die IT-Großkonzerne konnten ihre weltweite Vormachtstellung in den letzten Jahren weiter ausbauen. So liegen etwa auf den Top-8-Plätzen der weltweit größten börsenotierten Unternehmen fast ausschließlich Konzerne aus der Tech-Branche,1 angeführt von Microsoft, Apple und Amazon,2 und die COVID-19-Pandemie hat diese Entwicklung noch weiter verstärkt. Die zugrunde liegenden digitalen Geschäftsmodelle stellen die nationalen Steuerrechtsordnungen aber oftmals vor erhebliche Herausforderungen: Denn der bisherige Betriebsstättenbegriff als zentraler Anknüpfungspunkt für die territoriale Abgrenzung von Besteuerungsrechten an Unternehmensgewinnen ist kaum geeignet, die digitale Wirtschaft steuerlich sachgerecht abzubilden. Als plakatives Beispiel sei nur "Google" angeführt, das für sein Geschäftsmodell keine körperliche Präsenz in Märkten wie Österreich benötigt.3 Im Lichte dieser digitalen Geschäftsmodelle schlugen ua Kofler/Mayr/Schlager ein Konzept für eine digitale bzw virtuelle Betriebsstätte vor.4
2.OECD/IF: Pillar One und Pillar Two
Die aggressive Steuerplanung multinationaler Unternehmen rückte spätestens mit dem OECD-"Base Erosion and Profit Shifting"-Projekt (BEPS-Projekt) im Jahr 2013 ins allgemeine Bewusstsein.5 Im Jahr 2015 legte die OECD zwar umfassende Abschlussberichte vor,6 an konkreten Empfehlungen für die (steuerpolitischen) Herausforderungen der digitalen Wirtschaft fehlte es aber noch. Die Arbeiten wurden aber intensiv fortgesetzt und im Jahre 2019 wurde eine "Zweisäulenstrategie", Pillar One und Pillar Two, präsentiert.7
Pillar Two, das Global Anti-Base Erosion Proposal, löste sich dabei von den digitalen Geschäftsmodellen heraus und strebt eine globale Mindestbesteuerung an, um letztlich wieder Wettbewerbsgleichheit unter den verschiedenen Geschäftsmodellen herzustellen. Anders als bei Pillar One war der konzeptionelle Weg bei Pillar Two weit weniger steinig, wurden doch mit der "Income Inclusion Rule" sowie der "Undertaxed Payment Rule" die wichtigsten Instrumente sogleich gefunden;8 die umfassende Detailarbeit erfolgte mit dem fast 250 Seiten umfassenden "Report on the Pillar Two Blueprint". Aus österreichischer Perspektive wurde die Stoßrichtung von Pillar Two zwar anfänglich hinterfragt, inhaltlich aber voll unterstützt.9
Pillar One wurde 2019 als "Unified Approach" veröffentlicht.10 Der Unified Approach ging auf das OECD-Sekretariat zurück und versuchte, die unterschiedlichen konzeptionellen Vorschläge zu vereinigen. Die Kernelemente des Unified Approach waren:
- Scope (Anwendungsbereich): Ausgangspunkt waren zwar die digitalen Geschäftsmodelle, der Unified Approach geht aber weiter und bezieht auch "consumer-facing businesses" mit ein.
- New Nexus: Dieser hängt nicht von der physischen Präsenz ab, sondern basiert weitgehend auf Umsätzen und kann Schwellenwerte vorsehen.
- Neue Gewinnverteilungsregeln mit einem Drei-Stufen-Mechanismus:
- Amount A: Verteilung eines "residual profit" an Marktstaaten.
- Amount B: Fixe Abgeltung für grundsätzliche Marketing- und Vertriebsfunktionen.
- Amount C: Zusätzliche Abgeltung bei weiteren Funktionen im Marktstaat.
Während Amount B und Amount C weiterhin an eine physische Präsenz im Marktstaat anknüpfen, stand Amount A mit seiner formelhaften Ermittlung sogleich im Zentrum der Diskussion.
Auf Basis des Unified Approach wurden die "Building Blocks" für Pillar One entwickelt und im Blueprint zu Pillar One im Herbst 2020 veröffentlicht.11 Der Blueprint legte unverblümt offen, dass die technischen Arbeiten an den Building Blocks sehr anspruchsvoll sind und Kernelemente letztlich einer politischen Lösung bedürfen;12 dies betraf vor allem den Anwendungsbereich (Scope).
3.US-Vorschläge zu Pillar One und G7-Einigung
Waren die USA unter der Vorgängerregierung vor allem bei Pillar One sehr zurückhaltend,13 legte die "Biden-Harris Administration" einen neuen Vorschlag vor. Die USA konzentrierten sich dabei zunächst auf den Anwendungsbereich ("Scope"); nach dem Blueprint hätte dieser neben den digitalen Geschäftsmodellen ("Automated Digital Services", ADS) auch die - schwerer abgrenzbaren - "Consumer-Facing-Businesses" (CFB) umfasst.14 Die USA schlugen vor, den Scope auf die größten und profitabelsten Konzerne weltweit einzuschränken; sie sprachen dabei plakativ von den "100 größten Konzernen mit den höchsten Gewinnmargen". Dieser Vorschlag würde tatsächlich zu einer erheblichen Vereinfachung führen, weil schwierige inhaltliche Abgrenzungsfragen entfielen. Systematisch begründen die USA ihren Vorschlag ua damit, dass diese Konzerne am meisten vom globalen Markt profitieren würden und hohe Gewinnmargen insb "intangibles-driven" wären.
Die Steering Group prüfte den US-Vorschlag inhaltlich wie ergebnisbezogen. Neben der systematischen Einordnung war ergebnisbezogen von großem Interesse, welche Konzerne der Vorschlag erfassen würde und mit welchem Aufkommen zu rechnen wäre. Der US-Vorschlag bedurfte zwar noch einiger Modifikationen, aber es zeigte sich recht bald, dass je nach Festlegung der genauen Parameter ein dem Blueprint vergleichbares Aufkommen erreichbar wäre.
Die G7-Finanzminister verhandelten sodann Anfang Juni über die modifizierten US-Vorschläge. In einem gemeinsamen Schulterschluss einigten sie sich auf folgende Eckwerte:15
- Pillar One: Die größten Unternehmen weltweit sollten von der 10 % überschreitenden Gewinnmarge ("Residualgewinn") zumindest 20 % an Marktstaaten abgeben (bei einer Gewinnmarge von zB 25 % daher zumindest 20 % von 15 %).
- Pillar Two: Der globale Mindeststeuersatz sollte "zumindest 15 %" betragen.
4.Globale Einigung
Diese G7-Einigung sorgte für weltweites Aufsehen16 und bedeutete ein wichtiges steuerpolitisches Signal der größten sieben Industrienationen; für eine globale Steuerreform braucht es aber eine breite globale Einigung. Diese wurde wiederum im Rahmen der Steering Group vorbereitet und dem gesamten Inclusive Framework (139 Staaten) vorgelegt. Am 1. 7. 2021, in der 12. Sitzung des Inclusive Framework, gaben 130 Staaten ihre Zustimmung zu den Eckwerten der globalen Steuerreform. Dieser historische Schulterschluss erscheint noch beeindruckender, weil letztlich auch alle G20-Staaten zugestimmt haben; neun Staaten meldeten Vorbehalte an, darunter auch die drei EU-Mitglieder Irland, Ungarn und Estland.
Im offiziellen OECD/G20 Inclusive Framework Statement wird in der Einleitung festgehalten, dass man sich auf die key components of Pillar One and Two geeinigt habe und der detaillierte Plan für die Implementierung sowie die noch offenen Themen bis Oktober abgeschlossen werden.
4.1.Pillar One
Die zentralen Eckwerte der Einigung bei Pillar One umfassen:
- Scope (Anwendungsbereich): Multinationale Konzerne mit einem globalen Umsatz von über 20 Mrd € und einer Profitabilität von über 10 % (PBT/revenue).17
Die Umsatzgrenze von 20 Mrd € soll nach sieben Jahren auf 10 Mrd € gesenkt werden, sofern Amount A erfolgreich implementiert worden ist (dies schließt tax certainty mit ein).
Nicht in den Scope fallen Extractives (Rohstoffe) und Regulated Financial Services.18
- Nexus - Verknüpfung mit dem Marktstaat: Eine Verteilung (von Amount A) an Marktstaaten setzt voraus, dass der globale Konzern im betreffenden Marktstaat einen Umsatz von zumindest 1 Mio € erzielt; bei kleineren Volkswirtschaften (= BIP kleiner als 40 Mrd €) reicht ein Umsatz von 250.000 €.
- Quantum - Anteil am Residualgewinn: Von der 10 % überschreitenden Gewinnmarge (Residualgewinn bzw Übergewinn) sind 20 %-30 % an die Marktstaaten zu verteilen.19 Diese Bandbreite stellt den vorläufigen Kompromiss dar, dem intensive Verhandlungen vorausgegangen sind.
- Tax base + Segmentation: Grundsätzliche Anknüpfung an das financial accounting income; eine Segmentierung ist nur dann erforderlich, wenn in einem Konzern mit mehreren Geschäftsfeldern ein Segment auch für sich allein in den Scope fallen würde (zB bei einem Konzern, der sowohl im Online Retailer-Bereich als auch im Cloud Business-Bereich tätig ist; solche Segmentierungen sind deshalb besonders wichtig, weil die Gesamtgewinnmarge des Konzerns auch unter den 10 % liegen könnte).
- Tax certainty - Mechanismen zur Streitvermeidung und -beilegung: Sind vorgesehen für alle In-scope-Konzerne.
- Unilateral measures: Vor allem die USA knüpften ihre Zustimmung an die Abschaffung der einseitigen (nationalen) Sondersteuern; die Einigung sieht nun eine Abschaffung von allen Digital Service Taxes and other relevant similar measures vor.
- Die Implementation von Amount A soll durch ein multilateral instrument erfolgen und bereits im Jahr 2023 wirksam werden. Das multilaterale Instrument würde gewissermaßen die DBAs überlagern, wenngleich der Zeitplan natürlich sehr ambitioniert erscheint.
4.2.Pillar Two
Von der Höhe des globalen Mindeststeuersatzes einmal abgesehen, war der konzeptionelle Weg bei Pillar Two weit weniger steinig als bei Pillar One, wurden doch mit der "Income Inclusion Rule" sowie der "Undertaxed Payment Rule" die wichtigsten GloBE-Instrumente sogleich gefunden.20 Rein konzeptionell betrachtet bedeuten die Income Inclusion Rule und die Undertaxed Payment Rule keine steuerrechtliche Revolution für Österreich. Denn mit der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 10a KStG und dem Abzugsverbot für niedrig besteuerte Zinsen und Lizenzgebühren nach § 12 Abs 1 Z 10 KStG verfügt Österreich schon bisher über ähnlich ausgerichtete Instrumente.21
Darauf aufbauend besteht Pillar Two daher aus
- zwei miteinander verschränkten nationalen Regelungen, den Global anti-Base Erosion Rules (GloBE)
- Income Inclusion Rule (IIR),
- Undertaxed Payment Rule (UTPR),22 und
- einer DBA-basierten Subject to Tax Rule (STTR).
Die STTR ist ein integraler Bestandteil der Einigung für die Schwellenländer. Dabei wird den Quellenstaaten ein Besteuerungsrecht eingeräumt, wenn bestimmte steuerlich abzugsfähige konzerninterne Zahlungen mit hohem Gewinnverlagerungsrisiko im Empfängerstaat nur niedrig besteuert werden.23 Die Einigung sieht einen Mindestsatz für die STTR von 7,5 % bis 9 % vor.
Die zentralen Eckwerte der Einigung bei den GloBe-Regeln umfassen:
- Rule Status: Die Mitglieder des IF sind nicht verpflichtet, die GloBE-Regeln national einzuführen; entschließen sie sich aber dazu, hat eine solche Einführung konsistent zu den GloBE-Regeln zu erfolgen.
- Scope: Multinationale Konzerne mit einem globalen Umsatz von mindestens 750 Mio € (= Umsatzgrenze beim Country-by-Country Reporting). Den Staaten steht es frei, die IIR auch für ihre Konzerne mit einem niedrigeren Umsatz einführen.
- Der Mindeststeuersatz beträgt "zumindest 15 %"; die Einigung auf einen solchen Mindeststeuersatz stellt einen großen Erfolg dar, weil die Niedrigsteuerländer für einen erheblich niedrigeren Mindeststeuersatz eintraten; dennoch stimmten viele dieser Niedrigsteuerländer letztlich der Einigung zu.
Beim Mindeststeuersatz handelt es sich um einen effektiven Mindeststeuersatz, der auf einer jurisdictional basis ermittelt wird. Dieses jurisdictional blending macht die Regelungen wesentlich effektiver, weil auf die jeweilige Jurisdiktion abgestellt wird. Die USA haben zugesagt, ihr bestehendes GILTI-Regime auch auf eine jurisdictional basis umzustellen.
- IIR - Rule Design: Die auf den Mindeststeuersatz fehlende top-up tax wird nach einem top-down approach verteilt: Grundsätzlich erhält der Sitzstaat der obersten Mutter das Besteuerungsrecht; bei split-ownership (= Minderheitsbeteiligter mit über 20 %) erhält der Staat der Konzerngesellschaft, an der split-ownership besteht, das Besteuerungsrecht. Dadurch können auch Staaten mit Zwischengesellschaften von der IIR partizipieren.
- Substance based carve-out (Ausnahme bei Substanz im Niedrigsteuerland): Wurde sehr intensiv verhandelt,24 man konnte sich auf eine formelhafte Substanz-Ausnahme einigen; danach werden zumindest 5 % des Buchwerts der materiellen Wirtschaftsgüter und der Gehälter ausgenommen bzw vermindern das Einkommen (in einer Übergangsphase von fünf Jahren zumindest 7,5 %).
- Implementation: Pillar Two soll ebenfalls bereits im Jahr 2023 wirksam werden, wobei im Rahmen des Umsetzungsplans auch GloBE Model Rules abgestimmt werden sollen.
4.3.Ausblick
Die Einigung auf die zentralen Eckwerte von Pillar One und Pillar Two bedeutet einen historischen Schulterschluss im internationalen Steuerrecht. Bis Oktober gilt es die noch offenen Punkte zu klären. Bei Pillar One betrifft dies etwa den Anteil am zu verteilenden Residualgewinn (Quantum); bei diesem konnte man sich vorerst nur auf eine Bandbreite von 20-30 % einigen. Etwas unklar ist auch, welche nationalen Sondersteuern als abzuschaffende unilateral measures zu qualifizieren sind. Die Einigung bleibt hier mit Digital Services Taxes and other similar measures vage (zB Diverted Profits Taxes wie im UK oder in Australien scheinen davon nicht betroffen).
Bei Pillar Two sind der globale Mindeststeuersatz sowie die Ausnahmen (substance based carve-outs) nach unten fixiert; die Formulierungen "zumindest 15 %" und "zumindest 5 %" lassen aber Luft nach oben. Da diese beiden design elements zusammenhängen, weist auch die Einigung abschließend auf deren direkte Verbindung hin; auch hier wird die finale Entscheidung bis Oktober angestrebt.
Die Umsetzung von Pillar Two bzw der IIR setzt konzeptionell keine Umsetzung in den Niedrigsteuerländern voraus (die auf den Mindeststeuersatz fehlende top-up tax wird bei den Staaten der übergeordneten Konzerngesellschaften erhoben); dennoch wird innerhalb der EU eine einheitliche Umsetzung von Pillar Two angestrebt. Ob eine solche einheitliche EU-Umsetzung gelingt wird, hängt letztlich von der Zustimmung der noch fehlenden drei EU-Mitgliedstaaten ab.
Das offizielle Inclusive Framework Statement hält in der Einleitung fest, dass man sich auf die key components of Pillar One and Pillar Two geeinigt habe und der detaillierte Plan für die Implementierung sowie die noch offenen Themen bis Oktober abgeschlossen werden. Im Lichte der vorliegenden Einigung sollte es der Staatengemeinschaft auch gelingen, die offenen Themen zu lösen.