Das Strafrecht ist wie kaum ein anderes Rechtsgebiet Ausdruck nationaler Souveränität.1 Das zeigt sich insbesondere an der höchst unterschiedlichen Ausgestaltung der Strafrechtsordnungen der Staaten Europas.2 Dennoch wurde immer wieder der Gedanke aufgeworfen, das Strafrecht auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln.3 Auch wenn wir derzeit von einem „Europäischen Strafrecht“4 noch weit entfernt sind5, so ging nichtsdestotrotz eine mit der Europäisierung einhergehende, kontinuierliche Harmonisierung des materielles Strafrechts6 vonstatten. Während (nicht nur) das Schrifttum diese Entwicklung (weiterhin) kritisch sieht7, ist die Europäische Kommission darum bemüht, ihre Kompetenzen im Bereich des materiellen Strafrechts stetig weiter auszubauen.8 Dieser Beitrag bietet einen kurzen Überblick über die aktuelle materiell-strafrechtliche Kompetenzlage der Europäischen Union und untersucht anschließend, ob die von mancher Seite mit dem In-Kraft-Treten des Vertrags von Lissabon befürchtete „uferlose Harmonisierung“9 tatsächlich stattgefunden hat, ehe er sich der Frage widmet, ob die materiell-strafrechtlichen Kompetenzen der Europäischen Kommission durch den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen faktisch erweitert werden können.