1. Einleitung
In einer 1930 veröffentlichten Schrift hat Max Alsberg, ein Nestor der deutschen Strafverteidigung, folgenden Satz geprägt: „Den hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit hemmen will der Kritizismus des Verteidigers!“1. Damit ist das Credo des Beweisrechts aus der Sicht des Strafverteidigers prägnant umschrieben. Obwohl, worauf Alsberg an anderer Stelle bereits 1926 zu Recht hinweist, sich Widersinniges durch die Prinzipien des Suche nach der materiellen Wahrheit und des Gebots der Mündlichkeit ergibt. Er führt aus: „In einem Prozeßverfahren, das sich zum Prinzip der materiellen Wahrheit bekennt, scheint Anträgen, die eine Beweiserhebung fordern, nur eine geringe Bedeutung zukommen zu können. Denn mit dem Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit muß es auf den ersten Blick als unvereinbar erscheinen, daß der Anspruch der Partei auf Erhebung bestimmter Beweise dadurch verletzt werden kann, daß sie es unterlassen hat, einen hierauf gerichteten Antrag zu stellen. In Wahrheit hat aber die gesetzliche Regelung unseres Beweisrechts, hier unterstützt durch das Mündlichkeitsprinzip, zu dem entgegengesetzten Ziele geführt.“2 Die sich daraus ergebenden Pflichtenstellung des Verteidigers beschreibt Dahs.3 Er formuliert: „Überwiegend geht es um die richtige Feststellung der Tatsachen. Der Verteidiger kann und muss diese Feststellung durch Beweisanträge beeinflussen. Er darf sich nicht darauf verlassen, das Gericht werde kraft seiner Aufklärungspflicht schon die Wahrheit finden.“4 Damit der Verteidiger diese Verpflichtung erfüllen kann, hat er naturgemäß über umfassende Kenntnisse der aktuellen Rechts- und Gesetzeslage zu verfügen. Ferner muss sich der mit Beweisanträgen agierende Verteidiger bewusst sein, dass er auch Strömungen bekämpfen muss, die sich aus dem Prozessalltag, der Arbeitssituation und der tatsächlichen oder angenommenen Überlastung seiner „Gegenüber“, dh, dem Bestreben von Richtern und Staatsanwältin nach zeit- und ressourcenschonendem Umgang mit dem Fall, ergeben. Er wird daher nicht nur das materielle und prozessuale Recht beherrschen müssen, sondern auch seine sozialen Kompetenzen im Umgang mit den prozessualen Beteiligten einzusetzen haben, um zumindest auf psychologischer Ebene die rechtliche Akzeptanz für seine Beweisanträge zu schaffen. Sofern ihm dies erstinstanzlich nicht gelingt, sind – betrachtet man die „Erfolgszahlen“ vor allem im Revisionsbereich – die Chancen auf eine rechtliche Korrektur durch die Obergerichte kaum mehr als ein Hoffnungswert.