I. Unabhängigkeit von Entscheidungsträgern garantiert nicht automatisch "richtige Entscheidungen"
Die Unabhängigkeit eines Entscheidungsträgers ist prinzipiell nur so viel wert wie dessen persönliche Integrität. Wenn er integer und seine Einstellung vernünftig ist, bedarf es keiner Weisungen. Umgekehrt: Wenn der Weisungsbefugte integer und vernünftig ist, schaden Weisungen nicht. Wenn aber (nur) der Weisungsempfänger willkürlich handelt, nutzen sie. Ein Rechtsstaat aber, der auf persönliche Integrität angewiesen wäre, wäre kein solcher. Nicht individuelle, nur strukturelle Überlegungen offenbaren den Wert von Weisungsrecht und Unabhängigkeit. Grundsätzlich lebt der Rechtsstaat von einem System gegenseitiger Kontrollen, also von Abhängigkeit und Bindung. Gleichwohl spielt die Unabhängigkeit als Mittel zur Garantie der Neutralität im Bereich der Justiz eine bedeutende Rolle. Wie erklärt sich dieses Paradoxon von Rechtsstaat als Inbegriff von Bindung und Kontrolle einerseits und richterlicher Unabhängigkeit als Freiheit von Bindungen? Historisch ist Unabhängigkeit der Justiz als Absage an Kabinettsjustiz zu verstehen. Die Staatsgewalt sollte (unter Aufgabe der Idee der Unrechtsunfähigkeit des Staates) durch die Justiz kontrolliert werden. Die Kontrolleure mussten naturgemäß von den Kontrollierten unabhängig sein - nicht aber von allen Bindungen. Die Freiheit von Bindung verhilft justiziellen Entscheidungen nicht per se zu besonderer Qualität, auch nicht zu Distanz vom Einzelfall und Neutralität. Unabhängigkeit erhält ihr Gepräge durch die triadische, kontradiktorische und öffentliche Verfahrensgestaltung: Das Gericht agiert deshalb als "interesseloser" Schiedsrichter oberhalb der Streitparteien, weil es selbst keine Partei ist, und weil es die Parteien sind, die kontradiktorisch verhandeln. Es muss sich zudem öffentlicher Kritik und Kontrolle stellen. Ein Äquivalent für solche die Unabhängigkeit flankierenden Verfahrenssicherungen fehlt bei der Staatsanwaltschaft. Ihre Beziehung zum Beschuldigten und zu Dritten ist eine einseitige Subjektionsbeziehung: Die Staatsanwaltschaft fungiert nicht als Schiedsrichter im Streit, sondern sie vertritt das Strafverfolgungsinteresse. Sie agiert nicht unter den Augen der Öffentlichkeit. Ihre Arbeit muss demokratischen und rechtsstaatlichen Kontrollen unterworfen sein.