I. Prozessbericht
Am 13.12.2010 nahm ich an einer Einzelrichtersitzung am Landesgericht Wiener Neustadt teil - und traute meinen Augen und Ohren nicht. Obwohl ich als ehemalige Strafverteidigerin so einiges gewöhnt bin, hätte ich das, was sich am Landesgericht Wiener Neustadt ereignete, nicht für möglich gehalten. Es handelte sich um die 61. Sitzung des Prozesses gegen die Tierschützer1). 13 Angeklagte, Vorwurf: Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB). An diesem Tag sollte eine verdeckte Ermittlerin vernommen werden. Sie hatte offenbar mindestens 15 Monate im Kreise des VgT (Verein gegen Tierfabriken) ermittelt. Streitig war zwischen Verteidigung und Gericht nicht nur die genaue Lesart der Berichte der VE, sondern vor allem auch deren rechtmäßiges Zustandekommen. Unklar schien, ob der Einsatz nicht repressiven Charakter hatte, also nach strafprozessrechtlichen Vorgaben (unter den strikteren Bedingungen der §§ 131 Abs 2 und 3, 133 Abs 1, 2 u 4 StPO) und nicht nach SPG (§ 54 Abs 3 u 4a SPG) hätte erfolgen müssen, sodann, ob nicht der Ermittlungsbericht und alle die Ermittlungen selbst betreffenden Vorgänge hätten zu den Akten genommen werden müssen und schließlich, ob beim Bundeskriminalamt noch weitere Akten und Informationen (mit möglicherweise entlastendem Inhalt) vorhanden sind. Umstritten und zu klären war auch die Aussagekraft des Berichts bzw der zugrunde liegenden Wahrnehmungen: Die VE hatte wohl keine Belege für die Beteiligung der angeklagten Gruppe an konkreten Straftaten geliefert. Die Richterin schien der Hypothese zuzuneigen, dass es ihr lediglich nicht gelungen war, in den "inner circle" vorzudringen; aus der Sicht der Verteidigung indizierte dieser Umstand hingegen, dass die Angeklagten solche Straftaten nicht begangen hatten.