Über die Rechtswidrigkeit des politischen Streiks herrschte bisher weitestgehend Übereinstimmung. Offenbar bricht dieser Konsens aber nunmehr zusammen. Der Hintergrund dafür ist ein sehr ernster: In fast allen europäischen Staaten werden derzeit Deregulierung, Flexibilisierung, Umbauten der Sozialsysteme und Absenkungen der Staatsquote vorangetrieben. Dementsprechend eskalieren die Konflikte und Konfrontationen zwischen Staat und den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer (AN). Auch in Österreich ist der eigentliche Anlass für die aufgeflammte Debatte über die Zulässigkeit des politischen Streiks die Umgestaltung des Sozialsystems. Es gab Aktionen gegen die Pensionsreform und weitere politische Arbeitskämpfe scheinen möglich, wenn es zB zu einer Neuorganisation des Gesundheitswesens mit einer geringeren Rolle der Selbstverwaltung, zur Dezentralisierung der kollektiven Verhandlungssysteme oder zu einer durchgreifenden Arbeitszeitflexibilisierung kommt. Es geht um nicht weniger als um die ebenso faszinierende wie zukunftsentscheidende Frage, ob der Staat allenfalls auch relativ einschneidende Strukturreformen umsetzen kann, ohne dem Druck von Arbeitskämpfen ausgesetzt zu sein. Es geht also in Wahrheit um die Steuerungsfähigkeit des Staates in Zeiten des Umbruchs, um die künftige Macht der Sozialpartner, um die Frage der Verteilung der Lasten bei den künftigen Reformen und selbstverständlich auch um das Verhältnis von parlamentarischer Demokratie und Verbändemacht. Juristen, die sich dieses Themas annehmen, begeben sich daher in ein Minenfeld. Zu befürchten ist, dass sich die Debatte zuerst in den Endlosschleifen der Auslegung von Generalklauseln verfängt und dann - da es keinen Konsens gibt - zur "Machtfrage" erklärt wird. Ich trete hier dafür ein, die Frage unter Negierung aller Opportunitätsgesichtspunkte ausschließlich nach den Regeln der juristischen Auslegungskunst zu entscheiden. Dabei muss das letzte Wort wohl der VfGH haben. Die Frage lässt sich letztlich nicht über das Schadenersatzrecht lösen, dieses bietet keinen ausreichend gehaltvollen materiellen Argumentepool.