4.8.1 Allgemeines
4.8.1.1 Überblick zur Neuordnung durch das Budgetbegleitgesetz 2011
Bis zum BBG 2011 erstreckte sich im betrieblichen Bereich die Abgeltungswirkung der KESt auf die Früchte aus der Überlassung von Kapital (insb. Dividenden, Zinsen und andere Erträgnisse aus Kapitalforderungen jeder Art; Veranlagungsoption zum Hälftesteuersatz für Beteiligungserträge iSd § 37 Abs. 4 EStG 1988). Die Substanz von Kapitalanlagen war bisher schon voll steuerverfangen; Einkünfte aus Beteiligungsveräußerungen unterlagen außerhalb der Jahresfrist dem Hälftesteuersatz nach § 37 Abs. 4 EStG 1988.Auch nach der Neuordnung der Kapitalbesteuerung durch das BBG 2011 erstreckt sich die Abgeltungswirkung der KESt im betrieblichen Bereich nur auf die "Früchte" aus der Überlassung von Kapital gemäß § 27 Abs. 2 Z 1 und 2 EStG 1988; die Abgeltungswirkung erfasst damit
- Dividenden (Gewinnanteile) und sonstige Bezüge aus Aktien und GmbH-Anteilen,
- gleichartige Bezüge und Rückvergütungen aus Anteilen an Genossenschaften,
- Bezüge aus Substanzgenussrechten und Partizipationskapital iSd BWG oder VAG,
- Bezüge aus körperschaftlich organisierten Agrargemeinschaften,
- Zinsen und andere Erträgnisse aus Kapitalforderungen jeder Art (zB Darlehen, Anleihen, Hypotheken, Einlagen, Guthaben bei Kreditinstituten und aus Ergänzungskapital).
Im betrieblichen Bereich können damit auch allfällige Teilwertabschreibungen weiter berücksichtigt werden, die Höhe der aufwandswirksamen Teilwertabschreibung wird allerdings eingeschränkt (dazu unten Rz 794 ff).
Der Umstand, dass Stückzinsen nicht als Früchte, sondern als Teil der Wertsteigerung erfasst werden, hat keinerlei Auswirkung auf die Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung. Bei der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG 1988 sind Zinsen im Zuge einer Abgrenzung ertragswirksam gegen Bildung eines Rechnungsabgrenzungspostens zu erfassen. Die kalkulatorischen Zinsen bei Nullkuponanleihen sowie Unterpari-Emissionen sind finanzmathematisch zu errechnen. Die Konvertierung einer Fremdwährungsforderung führt zu Einkünften iSd § 27 Abs. 3 EStG 1988 (zum Nachlass einer Forderung siehe aber Rz 6143). Wertsteigerungen aus Forderungen gegenüber Banken unterliegen dem besonderen Steuersatz von 25% gemäß § 27a Abs. 1 EStG 1988, nachdem auch die Zinsen daraus zum besonderen Steuersatz zu besteuern sind. Hingegen führt die Konvertierung einer Fremdwährungsverbindlichkeit nicht zu Einkünften gemäß § 27 Abs. 3 EStG 1988, womit ein Konvertierungsverlust in voller Höhe ausgleichsfähig ist und ein Konvertierungsgewinn nicht dem Sondersteuersatz gemäß § 27a Abs. 1 EStG 1988 unterliegt (VwGH 18.12.2017, Ro 2016/15/0026).
Die Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung finden auch auf die Ermittlung des Gewinns von Kapitalanlagefonds und Immobilienfonds Anwendung. Eine laufende Erfassung von Zinsen im Wege der Rechnungsabgrenzung hat daher auch bei der Gewinnermittlung eines Kapitalanlagefonds und Immobilienfonds zu erfolgen. Soweit im Investmentfondsrecht von Zinsen die Rede ist (insbesondere § 186 Abs. 1 und § 186 Abs. 2 Z 1 InvFG 2011 als Einkünfte iSd § 27 EStG 1988, sowie § 58 Abs. 2 InvFG 2011), sind darunter die abgegrenzten Zinsen zu verstehen.4.8.1.2 Sondersteuersatz von 25% oder 27,5%
§ 27a Abs. 1 EStG 1988 sieht für die meisten Kapitaleinkünfte einen Sondersteuersatz iHv 25% bzw. 27,5% vor (dazu Abschnitt 20.3); dieser Sondersteuersatz gilt nach § 27a Abs. 6 EStG 1988 auch für den betrieblichen Bereich. Bei Substanzgewinnen (zB Aktiengewinnen), verbrieften Derivaten und Kryptowährungen kommt im betrieblichen Bereich der Sondersteuersatz in Höhe von 27,5% bei der Veranlagung zur Anwendung, die einbehaltene KESt ist anzurechnen. Im Falle von sonstigen negativen betrieblichen Einkünften steht die Regelbesteuerungsoption offen.Ergeben sich aus Kapitalanlagen Verluste (zB aus Aktien), ist die Verrechenbarkeit mit den übrigen Einkünften auf die Hälfte bzw. auf 55% (ab 2016) eingeschränkt; mit Zinsen aus Sparbüchern, sonstigen Geldeinlagen/Geldforderungen bei Kreditinstituten, Dividenden, Zinsen aus Forderungswertpapieren und laufenden Einkünften aus Kryptowährungen können solche Verluste aus Kapitalanlagen grundsätzlich nicht verrechnet werden, außer im Falle der Ausübung der Regelbesteuerungsoption.
Beispiele:
1. Ein Steuerpflichtiger ermittelt den Gewinn nach § 5 EStG 1988 und erwirbt im Jahr 2020 Aktien, die sich auf einem Depot bei einem österreichischen Kreditinstitut befinden. Im Jahr 2022 veräußert der Steuerpflichtige die Aktien mit einem Gewinn iHv 1.000. Das Kreditinstitut behält 27,5% KESt ein. Da im betrieblichen Bereich für Aktiengewinne mit der KESt keine Abgeltung verbunden ist, sind die Aktiengewinne bei der Veranlagung zu erklären und unterliegen einem Sondersteuersatz iHv 27,5%; die bereits einbehaltene KESt ist in der Steuererklärung ebenfalls anzugeben und wird angerechnet. Da im betrieblichen Bereich die Anschaffungsnebenkosten auch zu den Anschaffungskosten zählen (dazu unten), sind diese im Zuge der Veranlagung geltend zu machen.
2. Wie in Beispiel 1, der Steuerpflichtige erwirbt neben den Aktien im Jahr 2020 auch Fondsanteile; die Aktien veräußert er im Jahr 2022 mit einem Gewinn iHv 1.000, die Fondsanteile mit einem Verlust iHv 400. Das Kreditinstitut behält auf die Aktiengewinne 27,5% KESt ein (= 275). Es hat wiederum eine Veranlagung zu erfolgen, wobei der Aktiengewinn mit dem Fondsverlust zu verrechnen ist; die verbleibenden 600 unterliegen dem Sondersteuersatz iHv 27,5%, die einbehaltene KESt ist anzurechnen (165) und - im Falle keiner sonstigen betrieblichen Einkünfte gutzuschreiben oder auf Antrag zu erstatten (110).
3. Wie Beispiel 2, aus den übrigen betrieblichen Einkünften des Steuerpflichtigen resultiert aber ein Verlust iHv 5.000. Der Steuerpflichtige kann die Regelbesteuerung beantragen, wodurch sich der gesamte betriebliche Verlust auf 4.400 vermindert; die gesamte KESt iHv 275 ist gutzuschreiben und auf Antrag zu erstatten. Ohne Regelbesteuerungsoption bliebe es hinsichtlich der Kapitalanlagen beim Ergebnis von Beispiel 2, der übrige Verlust iHv 5.000 würde zur Gänze in den Verlustvortrag eingehen.
4. Wie Beispiel 2, der Verlust aus den Fondsanteilen beträgt aber 1.400. Im Zuge der Veranlagung hat eine Verrechnung mit dem Aktiengewinn iHv 1.000 zu erfolgen, wodurch sich ein Verlust iHv 400 ergibt. Dieser Verlust darf nach § 6 Z 2 lit. c letzter Satz EStG 1988 nur zu 55% ausgeglichen (bzw. vorgetragen) werden (dazu unten).
5. Wie Beispiel 4, aber zudem gehen im betreffenden Wirtschaftsjahr noch Dividenden iHv 250 ein und es werden Zinsen auf einem betrieblichen Sparbuch iHv 200 gutgeschrieben. Tabellarisch zusammengefasst bedeutet das für das Jahr 2022:
Substanzgewinn aus Aktien | +1.000 |
Verlust aus Fondsanteilen | -1.400 |
Dividenden | +250 |
Zinsen Sparbuch | +200 |
Vorrangig sind die Fondsverluste mit den Aktiengewinnen zu verrechnen; für die Dividenden und Zinsen entfaltet die KESt Abgeltungswirkung auch im betrieblichen Bereich. Der nach der Verrechnung verbleibende Verlustüberhang iHv 400 darf nach § 6 Z 2 lit. c letzter Satz EStG 1988 nur zu 55% ausgeglichen (bzw. vorgetragen) werden. Hinsichtlich der Dividenden und Zinsen kann auch in die Regelbesteuerung optiert werden (dazu unten), wodurch aber der ansonsten entstehende Verlustvortrag in Höhe von 220 entfiele.
6. Wie Beispiel 5, die übrigen betrieblichen Einkünfte des Steuerpflichtigen ergeben einen Verlust iHv 5.000. Da der Verlustüberhang iHv 400 nur zu 55% in den Verlustvortrag eingeht, ergibt sich ein Verlustvortrag iHv 5.220. Der Steuerpflichtige kann die Regelbesteuerung beantragen, wodurch eine Verrechnung mit den Dividenden und Sparbuchzinsen iHv 450 erfolgen würde (dazu Rz 796). Dadurch reduziert sich der Verlustvortrag auf 4.770.