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8 Rückstellungen (§§ 9 und 14 EStG 1988)

BMF2023-0.039.37631.3.2023

8.1 Allgemeine Grundsätze

8.1.1 Rückstellungsarten

Rz 3301
Rückstellungen dienen dazu, Ausgaben, die erst in späteren Perioden konkret anfallen, der Periode ihres wirtschaftlichen Entstehens als Aufwand zuzuordnen. Ungeachtet der für rechnungslegungspflichtige Gewerbetreibende bestehenden unternehmensrechtlichen Rückstellungspflicht ist von einem eigenständigen steuerlichen Rückstellungsbegriff auszugehen (VwGH 26.5.2004, 2000/14/0181, siehe Rz 3302).

§ 198 Abs. 8 UGB unterscheidet in Verbindung mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung

Rz 3302
Gemäß § 9 EStG 1988 können mit steuerlicher Wirkung nur

gebildet werden. Die Bildung von Pauschalrückstellungen ist gemäß § 9 Abs. 3 EStG 1988 idF vor COVID-19-StMG steuerlich unzulässig (zur Einschränkung auf Einzelrückstellungen siehe Rz 3315). Mit dem COVID-19-StMG wurde das generelle Verbot zur Bildung von Pauschalrückstellungen ab 2021 aufgehoben. Gemäß § 9 Abs. 3 letzter Satz EStG 1988 idF COVID-19-StMG dürfen Rückstellungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 3 EStG 1988 (Rückstellungen für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten) unter den Voraussetzungen des § 201 Abs. 2 Z 7 UGB in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2015 pauschal gebildet werden (siehe dazu näher Rz 3315).

Rz 3303
Einen Sonderfall stellen Rückstellungen im Zusammenhang mit vorbelasteten Einnahmen dar. Sind mit bestimmten Einnahmen eines Wirtschaftsjahres bestimmte künftige Ausgaben zwangsläufig in einer Weise verbunden, dass sie wirtschaftlich betrachtet bereits das Jahr der Einnahmen treffen, dann sind diese künftigen Ausgaben bereits für das Jahr, in dem die Einnahmen erzielt werden, zu passivieren (VwGH 10.10.1955, 1847/53; VwGH 26.11.1974, 1840/73; VwGH 21.10.1986, 86/14/0021). Voraussetzung ist, dass es sich ihrer Art nach um Verbindlichkeits- oder Drohverlustrückstellungen in der Form der Einzelrückstellung handelt (zB Rückstellung für Rekultivierungsaufwendungen, "Deponierückstellung", Wiederaufforstungskosten); zur Bewertung solcher Rückstellungen siehe Rz 3309i.

8.1.2 Passivierungsgebote und Passivierungswahlrechte

Rz 3304
Ermittelt der Steuerpflichtige seinen Gewinn nach § 5 EStG 1988, hat er die unternehmensrechtlich zu bildenden Rückstellungen aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips grundsätzlich auch für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung anzusetzen (vgl. ua. VwGH 29.3.2017, Ra 2016/15/0005; 27.4.2020, Ra 2020/15/0014; 7.4.2022, Ro 2021/13/0009). Dies gilt insoweit nicht, als sich aus der taxativen Aufzählung des § 9 EStG 1988 ein Passivierungsverbot ergibt (zB für Aufwandsrückstellungen). Besteht unternehmensrechtlich ausnahmsweise ein Passivierungswahlrecht für Verbindlichkeitsrückstellungen (Rückstellungen für nicht wesentliche Beträge nach § 198 Abs. 8 Z 3 UGB), ist die Ausübung des Wahlrechtes in der UGB-Bilanz auch für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich.

Rz 3305
Ermittelt der Steuerpflichtige seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG 1988, hat er im Rahmen der nach § 9 EStG 1988 steuerlich zulässigen Rückstellungen ein Passivierungswahlrecht. Macht der Steuerpflichtige vom Wahlrecht zur Rückstellungsbildung Gebrauch, ist die Rückstellung in der gleichen Höhe wie bei der Gewinnermittlung nach § 5 EStG 1988 zu bilden.

Bei der Rückstellungsbildung ist der Steuerpflichtige an den Grundsatz der Bewertungsstetigkeit gebunden (siehe Rz 2126 ff), weshalb eine Passivierungspflicht im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 1 EStG 1988 dann besteht, wenn der Steuerpflichtige mit der Rückstellungsbildung für bestimmte Schuldgründe begonnen hat. Die erstmalige Bildung einer Rückstellung für Schuldgründe, die ihrer Art nach bereits in der Vergangenheit in diesem Betrieb vorgelegen haben, stellt bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG 1988 keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Bewertungsstetigkeit dar. Das Nachholverbot ist zu beachten.

Randzahl 3306: derzeit frei

Rz 3307
Da die Bildung von Rückstellungen eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich voraussetzt, können Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG 1988 ermitteln, künftige Ausgaben nicht im Wege von Rückstellungen berücksichtigen (VwGH 11.5.1962, 0051/60).

8.1.3 Nachholverbot

Rz 3308
Eine Rückstellung ist nur im Jahr des wirtschaftlichen Entstehens des Schuldgrundes zu bilden (siehe Rz 3313 ff). Eine unterlassene Rückstellung darf in einem späteren Jahr nicht nachgeholt werden (VwGH 25.2.1998, 97/14/0015; VwGH 1.7.2003, 98/13/0214; "Nachholverbot"). Vielmehr ist der Fehler an der Wurzel und somit im Jahr der wirtschaftlichen Entstehung des Schuldgrundes zu berichtigen (zur Passivierungspflicht im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG 1988 siehe Rz 3305). Betrifft der Fehler einen bereits verjährten Veranlagungszeitraum und kann aus diesem Grund die Berichtigung eines periodenübergreifenden Fehlers keine steuerliche Wirkung mehr entfalten, sind die Grundsätze der Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 zu beachten (siehe Rz 650 ff sowie Rz 3312). Wurden Rückstellungen dem Grunde nach richtig, aber trotz sorgfältiger Einschätzung des Erfüllungsbetrages oder des Erfüllungszeitpunktes der Höhe nach unrichtig gebildet, ist keine Berichtigung erforderlich (siehe Rz 3309g und Rz 3309h).

8.1.4 Rückstellungsbewertung

Rz 3309
Für die Bewertung von Rückstellungen gelten grundsätzlich dieselben Bewertungsprinzipien wie für Verbindlichkeiten. Sie sind mit dem Teilwert anzusetzen. Dabei handelt es sich um jenen Betrag, der nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag voraussichtlich zur Erfüllung notwendig sein wird (voraussichtlicher Erfüllungsbetrag). Voraussichtliche Preis- und Kostensteigerungen (siehe Rz 3309a) sind folglich zu berücksichtigen. Im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 5 Abs. 1 EStG 1988 sind Rückstellungen auch in der UGB-Bilanz mit dem Erfüllungsbetrag anzusetzen (§ 211 Abs. 1 UGB).

Rz 3309a
Gemäß § 9 Abs. 5 EStG 1988 sind Rückstellungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 3 und Z 4 EStG 1988 mit ihrem Teilwert anzusetzen; dieser entspricht dem voraussichtlichen unabgezinsten Erfüllungsbetrag (Rz 3309; bestätigt durch VfGH 27.11.2020, G 307/2020). Künftige Preis- und Kostensteigerungen sind im Erfüllungsbetrag zu berücksichtigen, wenn ausreichend objektive Hinweise auf deren Eintritt schließen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im jeweiligen Einzelfall künftige Preis- und Kostensteigerungen bereits feststehen (zB aufgrund einer Indexanpassung der Kosten) oder sich bereits abzeichnen (zB aufgrund verlässlicher statistisch aufbereiteter Erfahrungswerte der Vergangenheit).

Rz 3309b
Beträgt die Laufzeit von Rückstellungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 3 und Z 4 EStG 1988 am Bilanzstichtag mehr als zwölf Monate, ist der voraussichtliche Erfüllungsbetrag mit einem einheitlichen Fixzinssatz von 3,5% über die Laufzeit abzuzinsen. Maßgebend für die Beurteilung der Zwölfmonatsfrist ist der Zeitpunkt des Wegfalls des Rückstellungsgrundes (regelmäßig der Zeitpunkt der Entstehung der Verbindlichkeit), nicht aber der Zeitpunkt des aus der Verbindlichkeit resultierenden Geldflusses. Es bestehen keine Bedenken, Rückstellungen für Verbindlichkeiten aus nicht konsumierten Urlauben (siehe Rz 3523) generell ungekürzt anzusetzen.

Bei Rückstellungen, denen ausnahmsweise bereits eine verzinste Verpflichtung zu Grunde liegt, bestehen keine Bedenken, von einer Abzinsung abzusehen.

Rz 3309c
Wie langfristige unverzinste oder nicht marktüblich verzinste Rückstellungen (Rz 3309b) sind auch langfristige, formal unverzinste oder nicht marktüblich verzinste Verbindlichkeiten abzuzinsen, wenn der Vorteil aus der fehlenden Verzinsung nicht durch andere wirtschaftliche Nachteile entsprechend kompensiert wird und der Verbindlichkeit zweiseitig verbindliche Verträge zu Grunde liegen ("verdecktes Kreditgeschäft" bei Kauf auf Ziel mit langfristiger "zinsloser" Kaufpreisstundung oder "zinslosem" Ratenkauf). Eine marktübliche Abzinsung ist auch dann vorzunehmen, wenn die Verbindlichkeit tatsächlich als unverzinst deklariert wird. An Stelle einer Abzinsung kann die Verbindlichkeit unabgezinst passiviert und in Höhe der Abzinsungsspanne ein Aktivposten gebildet werden.

Abzuzinsen ist mit einem marktüblichen Zinssatz; es bestehen aber keine Bedenken, aus Vereinfachungsgründen eine Abzinsung mit dem gemäß § 9 Abs. 5 EStG 1988 maßgeblichen Zinssatz von 3,5% vorzunehmen.

Wurden formal unverzinste Verbindlichkeiten in der Vergangenheit nicht abgezinst, gilt die Abzinsung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen. Eine Abzinsung bereits marktüblich verzinster Verbindlichkeiten hat aber nicht zu erfolgen.

Rz 3309d
Die Beurteilung, ob eine Rückstellung abgezinst oder nicht abgezinst anzusetzen ist, ist für jede einzelne Rückstellung insgesamt anzustellen; eine Aufteilung in einen lang- und einen kurzfristigen Rückstellungsteil hat nicht zu erfolgen.

Beispiel:

In der Bilanz zum 31.12.X1 wird im Hinblick auf einen im Jahr X1 eingetretenen Gewährleistungsfall eine Rückstellung gebildet. Der voraussichtliche Erfüllungsbetrag (Teilwert) beträgt zum Bilanzstichtag X1 300.000 Euro. Teile der Mängel werden voraussichtlich bereits im Jahr X2 behoben; die Rückstellungshöhe zum 31.12.X2 wird daher voraussichtlich 150.000 Euro betragen. Da die Rückstellung dem Grunde nach am 31.12.X2 voraussichtlich noch besteht, ist der gesamte Rückstellungsbetrag zum 31.12.X1 abzuzinsen.

Rz 3309e
Die Abzinsung mit 3,5% ist für Rückstellungen vorzunehmen, deren Anlass für die erstmalige Bildung in Wirtschaftsjahren liegt, die nach dem 30.6.2014 enden ("Neurückstellungen"). Für bereits davor erstmalig gebildete Rückstellungen kommt eine Übergangsregelung zur Anwendung (§ 124b Z 251 EStG 1988, dazu Rz 3309j).

Beispiel:

Im Wirtschaftsjahr 2014 verursacht das Unternehmen X eine Bodenkontamination (somit keine Ansammlungsrückstellung), deren Beseitigung erst in 10 Jahren zu erfolgen hat. Zum Bilanzstichtag 31.12.2014 wird dafür erstmals eine Rückstellung gebildet. Die Kosten zur Beseitigung der Bodenkontamination werden 100.000 Euro betragen; über die Laufzeit der Rückstellung ergibt sich kein Anpassungsbedarf des Erfüllungsbetrages.

Der Erfüllungsbetrag von 100.000 Euro ist mit 3,5% über die Laufzeit von 10 Jahren (Erfüllungsjahr wird zur Gänze berücksichtigt, siehe Rz 3309f) abzuzinsen. Die Rückstellung wird zum Bilanzstichtag 31.12.2014 folglich in Höhe von 70.892 Euro (100 000/1,03510) gebildet. In den Folgejahren entwickelt sich die Rückstellung wie folgt:

Restlaufzeit

10

9

8

7

6

Bilanzstichtag

31.12.2014

31.12.2015

31.12.2016

31.12.2017

31.12.2018

Dotierung

-70.892

-2.481

-2.568

-2.658

-2.751

RSt-Ansatz

70.892

73.373

75.941

78.599

81.350

Restlaufzeit

5

4

3

2

1

0

Bilanzstichtag

31.12.2019

31.12.2020

31.12.2021

31.12.2022

31.12.2023

31.12.2024

Dotierung

-2.847

-2.947

-3.050

-3.157

-6.649

0

RSt-Ansatz

84.197

87.144

90.194

93.351

100.000

0

Rz 3309f
Grundsätzlich hat die Schätzung des Erfüllungszeitpunktes so genau wie möglich zu erfolgen. Aus Vereinfachungsgründen bestehen jedoch insbesondere bei längerfristigen Rückstellungen keine Bedenken, eine jahresweise Abzinsung vorzunehmen, wobei das Erfüllungsjahr nur dann zu berücksichtigen ist, wenn der voraussichtliche Erfüllungszeitpunkt in der zweiten Hälfte des Wirtschaftsjahres liegt.

Rz 3309g
Wurde eine Rückstellung unabgezinst (abgezinst) angesetzt, weil sie nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag voraussichtlich weniger als zwölf Monate (mehr als zwölf Monate) bestehen wird, und stellt sich zum aktuellen Bilanzstichtag (nachträglich) heraus, dass diese Einschätzung zu Unrecht erfolgt ist, hat eine Berichtigung des ursprünglichen Bilanzansatzes nicht zu erfolgen, wenn die ursprüngliche Einschätzung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Unternehmers erfolgt ist. Der aktuelle Wissensstand ist aber für die Erstellung der aktuellen Bilanz jedenfalls zu berücksichtigen.

Rz 3309h
Rückstellungen sind auch in Folgejahren "fortzuführen", solange die Gründe für deren erstmalige Bildung nicht weggefallen sind. Sie sind zu jedem Bilanzstichtag neu und unabhängig von einem früheren Bilanzansatz zu bilden. Da sich sowohl die Höhe des voraussichtlichen Erfüllungsbetrages als auch der voraussichtliche Erfüllungszeitpunkt einer Rückstellung von Bilanzstichtag zu Bilanzstichtag ändern können, sind der Erfüllungsbetrag sowie die Restlaufzeit einer Rückstellung zu jedem Bilanzstichtag neu und bestmöglich zu bestimmen.

Stellt sich zum aktuellen Bilanzstichtag (nachträglich) heraus, dass die Einschätzung über die Höhe des Erfüllungsbetrages oder des Erfüllungszeitpunktes unrichtig erfolgt ist, hat eine Berichtigung des ursprünglichen Bilanzansatzes nicht zu erfolgen, wenn die ursprüngliche Einschätzung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Unternehmers erfolgt ist. Der aktuelle Wissensstand ist aber für die Erstellung der aktuellen Bilanz jedenfalls zu berücksichtigen. Bleiben sowohl der Erfüllungsbetrag als auch die Restlaufzeit einer Rückstellung unverändert, verändert sich die Rückstellung im Vergleich zum vorherigen Bilanzstichtag lediglich hinsichtlich der verkürzten Abzinsungsdauer (siehe Rz 3309e).

Rz 3309i
Der Erfüllungsbetrag von Rückstellungen ist gleichmäßig über ihre Laufzeit anzusammeln, wenn für das Entstehen der zu Grunde liegenden Verpflichtung im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist ("Ansammlungsrückstellungen"; vgl. auch VwGH 30.4.2015, 2011/15/0198 zur Verpflichtung eines Seilbahnunternehmens zur Abtragung der Anlage und Rekultivierung des Skigebietes nach Ablauf der Betriebszeit). Eine "Ansammlung" des Erfüllungsbetrages hat daher typischerweise für langfristige "Umweltrückstellungen", Rekultivierungs-, Abwrack- oder Entsorgungsverpflichtungen zu erfolgen (zB Verpflichtung für die Beseitigung einer durch den laufenden Betrieb einer Anlage verursachten Bodenkontamination). Bei Ansammlungsrückstellungen ist der zum jeweiligen Bilanzstichtag angesammelte Erfüllungsbetrag mit 3,5% abzuzinsen (§ 9 Abs. 5 EStG 1988).

Rz 3309j
Gemäß § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF vor AbgÄG 2014 waren langfristige Rückstellungen mit 80% ihres Teilwerts anzusetzen. Die Bestimmung ist letztmalig für Rückstellungen anzuwenden, die für Wirtschaftsjahre gebildet werden, die vor dem 1.7.2014 enden ("Altrückstellungen"). Für die Bewertung dieser Rückstellungen in den folgenden Wirtschaftsjahren gilt Folgendes (§ 124b Z 251 lit. b EStG 1988):

  • Ergibt sich bei der erstmaligen Abzinsung nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 ein geringerer Rückstellungsbetrag, ist die Rückstellung mit dem geringeren Betrag anzusetzen. Der in der Vergangenheit steuerwirksam zu hoch rückgestellte Betrag ist aufzulösen und - ausgenommen im Falle einer Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe - zu je einem Drittel auf das betreffende und die nachfolgenden beiden Wirtschaftsjahre zu verteilen. Dabei handelt es sich um eine "einmalige Vergleichsrechnung"; in den folgenden Wirtschaftsjahren ist bereits § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 anzuwenden.

Beispiel 1:

Zum Bilanzstichtag 31.12.2013 wurde von Unternehmen X eine Rückstellung für die Beseitigung einer Bodenkontamination gebildet, die im Wirtschaftsjahr 2013 eingetreten ist (somit keine Ansammlungsrückstellung) und deren Beseitigung erst in 10 Jahren zu erfolgen hat. Es wurden Kosten in der Höhe von 100.000 Euro erwartet. Die Rückstellung wurde mit 80% ihres Teilwertes, somit in Höhe von 80.000 Euro gebildet. Über die Laufzeit der Rückstellung ergibt sich kein Anpassungsbedarf des Erfüllungsbetrages.

Zum Bilanzstichtag 31.12.2014 ergibt die erstmalige Abzinsung nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 einen geringeren Rückstellungsansatz in Höhe von 73.373 Euro (100.000/1,0359, abgezinst auf Laufzeit von 9 Jahren; Erfüllungsjahr wird zur Gänze berücksichtigt, siehe Rz 3309f); die Rückstellung ist in dieser Höhe zu bilden. Der in der Vergangenheit steuerwirksam zu hoch gebildete Unterschiedsbetrag in Höhe von 6.627 Euro (80.000 - 73.373 Euro) ist in diesem sowie in den beiden folgenden Wirtschaftsjahren zu je einem Drittel zu berücksichtigen (somit Erhöhung des steuerlichen Gewinns um je 2.209 Euro). Die Rückstellung entwickelt sich in den Folgejahren wie folgt:

Restlaufzeit

9

8

7

6

5

Bilanzstichtag

31.12.2014

31.12.2015

31.12.2016

31.12.2017

31.12.2018

Steuerwirksame Zuführung

 

-2.568

-2.658

-2.751

-2.847

RSt-Ansatz

73.373

75.941

78.599

81.350

84.144

Ertrag aus Verteilung des UB

+2.209

+2.209

+2.209

  

Restlaufzeit

4

3

2

1

0

Bilanzstichtag

31.12.2019

31.12.2020

31.12.2021

31.12.2022

31.12.2023

Steuerwirksame Zuführung

-2.947

-3.050

-3.157

-6.649

0

RSt-Ansatz

87.144

90.194

93.351

100.000

0

Ertrag aus Verteilung des UB

     

Entspricht das Wirtschaftsjahr nicht dem Kalenderjahr, erfolgt - je nach Bilanzstichtag - die Erfassung des in der Vergangenheit zu hoch angesetzten Unterschiedsbetrages zu jeweils einem Drittel im Rahmen der in den Steuererklärungen 2014 bis 2016 zu erfassenden Wirtschaftsjahre oder im Rahmen der in den Steuererklärungen 2015 bis 2017 zu erfassenden Wirtschaftsjahre.

Beispiel 2:

Zum Bilanzstichtag 31.5.2014 besteht bei Unternehmen X weiterhin der Grund für die Bildung einer schon im vorherigen Wirtschaftsjahr gebildeten Gewährleistungsrückstellung. Die Rückstellung ist zum Bilanzstichtag 31.5.2014 mit 80% des Teilwertes zu bilden (§ 124b Z 251 lit. b EStG 1988). Zum Bilanzstichtag 31.5.2015 ist der Grund für die Rückstellungsbildung nach wie vor aufrecht, weshalb zu diesem Bilanzstichtag die "einmalige Vergleichsrechnung" durchzuführen ist. Da die erstmalige Abzinsung nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 einen geringeren Rückstellungsbetrag ergibt, ist die Rückstellung zum Bilanzstichtag 31.5.2015 mit dem geringeren Betrag anzusetzen. Der in der Vergangenheit steuerwirksam zu hoch rückgestellte Betrag ist aufzulösen und zu je einem Drittel im Wirtschaftsjahr 2014/2015 (Steuererklärung 2015), im Wirtschaftsjahr 2015/2016 (Steuererklärung 2016) und im Wirtschaftsjahr 2016/2017 (Steuererklärung 2017) zu erfassen.

Beispiel 3:

Zum Bilanzstichtag 30.9.2014 besteht bei Unternehmen X weiterhin der Grund für die Bildung einer schon im vorherigen Wirtschaftsjahr gebildeten Gewährleistungsrückstellung. Da die erstmalige Abzinsung nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 zu diesem Bilanzstichtag einen geringeren Rückstellungsbetrag ergibt, ist die Rückstellung zum Bilanzstichtag 30.9.2014 mit dem geringeren Betrag anzusetzen. Der in der Vergangenheit steuerwirksam zu hoch rückgestellte Betrag ist aufzulösen und zu je einem Drittel im Wirtschaftsjahr 2013/2014 (Steuererklärung 2014), im Wirtschaftsjahr 2014/2015 (Steuererklärung 2015) und im Wirtschaftsjahr 2015/2016 (Steuererklärung 2016) zu erfassen.

  • Ergibt sich aufgrund der erstmaligen Abzinsung nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 ein höherer Rückstellungsbetrag, ist die Rückstellung weiterhin mit 80% ihres Teilwertes zu bilden, wenn deren Restlaufzeit mehr als ein Jahr beträgt.

Beispiel 4:

Zum Bilanzstichtag 31.12.2009 wurde eine Rückstellung für die Beseitigung einer Bodenkontamination gebildet, die im Wirtschaftsjahr 2009 eingetreten ist (somit keine Ansammlungsrückstellung) und deren Beseitigung in 10 Jahren zu erfolgen hat. Es wurden Kosten in Höhe von 100.000 Euro erwartet. Die Rückstellung wurde gemäߧ 9 Abs. 5 EStG 1988 idF vor AbgÄG 2014 mit 80% ihres Teilwertes, somit in Höhe von 80.000 Euro gebildet. Über die Laufzeit der Rückstellung ergibt sich kein Anpassungsbedarf des Erfüllungsbetrages.

Zum Bilanzstichtag 31.12.2014 ergibt die erstmalige Abzinsung einen (höheren) Rückstellungsansatz iHv 84.197 Euro (100 000/1,0355, abgezinst auf Laufzeit von 5 Jahren; Erfüllungsjahr wird zur Gänze berücksichtigt, siehe Rz 3309f). Die Rückstellung ist in den Folgejahren unverändert mit 80.000 Euro anzusetzen, solange die Restlaufzeit mehr als ein Jahr beträgt.

Restlaufzeit

5

4

3

2

1

0

Bilanzstichtag

31.12.2014

31.12.2015

31.12.2016

31.12.2017

31.12.2018

31.12.2019

Steuerwirksame Zuführung

0

0

0

0

20.000

0

RSt-Ansatz

80.000

80.000

80.000

80.000

100.000

0

  • Sofern es im Wirtschaftsjahr, für das die "einmalige" Vergleichsrechnung vorzunehmen ist, zu einer Änderung des Erfüllungsbetrages kommt, sind für Zwecke der Vergleichsrechnung zwischen dem bisher rückgestellten und dem nach neuer Rechtslage rückzustellenden Betrag zwischenzeitlich eingetretene Änderungen des Erfüllungsbetrages nicht zu berücksichtigen. Ergibt die einmalige Vergleichsrechnung eine Überführung der Rückstellung in das "Neurecht" (siehe Beispiel 5), ist die Änderung des Erfüllungsbetrages bereits gemäß § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 zu berücksichtigen. Ergibt die einmalige Vergleichsrechnung keine Überführung der Rückstellung in das "Neurecht" (siehe Beispiel 6), ist die Änderung des Erfüllungsbetrages gemäß § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF vor AbgÄG 2014 zu berücksichtigen.

Beispiel 5:

Zum Bilanzstichtag 31.12.2013 wurde von Unternehmen X eine Rückstellung für die Beseitigung einer Bodenkontamination gebildet, die im Wirtschaftsjahr 2013 eingetreten ist (somit keine Ansammlungsrückstellung) und deren Beseitigung erst in 10 Jahren zu erfolgen hat. Es wurden Kosten in der Höhe von 100.000 Euro erwartet. Die Rückstellung wurde mit 80% ihres Teilwertes, somit in Höhe von 80.000 Euro gebildet.

Zum Bilanzstichtag 31.12.2014 wird bekannt, dass die Beseitigungskosten voraussichtlich 130.000 Euro betragen werden. Für Zwecke der Vergleichsrechnung ist die im Jahr 2014 bekannt gewordene Kostensteigerung nicht zu berücksichtigen, sondern es ist der zum Bilanzstichtag 31.12.2013 erwartete Erfüllungsbetrag von 100.000 Euro abzuzinsen. Die erstmalige Abzinsung dieses Erfüllungsbetrages nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 ergibt einen geringeren Rückstellungsbetrag in Höhe von 73.373 Euro (100.000/1,0359, abgezinst auf Laufzeit von 9 Jahren; Erfüllungsjahr wird zur Gänze berücksichtigt, siehe Rz 3309f) als der bisher rückgestellte Betrag in Höhe von 80.000 Euro; auf diese Rückstellung ist daher § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 zur Gänze anzuwenden. Der per 31.12.2014 erwartete Erfüllungsbetrag in Höhe von 130.000 Euro ist daher nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 mit 3,5% abgezinst auf die Laufzeit von 9 Jahren anzusetzen (§ 124b Z 251 lit. b EStG 1988). Die Rückstellung ist daher in Höhe von 95.385 Euro zu bilden (130.000/1,0359). Der in der Vergangenheit steuerwirksam zu hoch gebildete Unterschiedsbetrag in Höhe von 6.627 Euro (80.000 - 73.373 Euro) ist in diesem sowie in den beiden folgenden Wirtschaftsjahren zu je einem Drittel zu berücksichtigen (somit Erhöhung des steuerlichen Gewinns um je 2.209 Euro). Die Rückstellung entwickelt sich in den Folgejahren wie folgt:

Restlaufzeit

9

8

7

6

5

Bilanzstichtag

31.12.2014

31.12.2015

31.12.2016

31.12.2017

31.12.2018

Steuerwirksame Zuführung

-22.012

-3.339

-3.455

-3.576

-3.702

RSt-Ansatz

95.385

98.724

102.179

105.755

109.457

Ertrag aus Verteilung des UB

+2.209

+2.209

+2.209

  

Restlaufzeit

4

3

2

1

0

Bilanzstichtag

31.12.2019

31.12.2020

31.12.2021

31.12.2022

31.12.2023

Steuerwirksame Zuführung

-3.830

-3.966

-4.103

-8.644

0

RSt-Ansatz

113.287

117.253

121.356

130.000

0

Ertrag aus Verteilung des UB

     

Beispiel 6:

Zum Bilanzstichtag 31.12.2009 wurde von Unternehmen X eine Rückstellung für die Beseitigung einer Bodenkontamination gebildet, die im Wirtschaftsjahr 2009 eingetreten ist (somit keine Ansammlungsrückstellung) und deren Beseitigung erst in 10 Jahren zu erfolgen hat. Es wurden Kosten in der Höhe von 100.000 Euro erwartet. Die Rückstellung wurde mit 80% ihres Teilwertes, somit in Höhe von 80.000 Euro gebildet.

Zum Bilanzstichtag 31.12.2014 wird bekannt, dass die Beseitigungskosten voraussichtlich 130.000 Euro betragen werden. Für Zwecke der Vergleichsrechnung ist die im Jahr 2014 bekannt gewordene Kostensteigerung nicht zu berücksichtigen, sondern es ist der zum Bilanzstichtag 31.12.2013 erwartete Erfüllungsbetrag von 100.000 Euro abzuzinsen. Die erstmalige Abzinsung dieses Erfüllungsbetrages nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 ergibt einen höheren Rückstellungsbetrag von 84.197 Euro (100.000/1,0355, abgezinst auf Laufzeit von 5 Jahren; Erfüllungsjahr wird zur Gänze berücksichtigt, siehe Rz 3309f) als der bisher rückgestellte Betrag in Höhe von 80.000 Euro; diese Rückstellung ist daher weiterhin mit 80% ihres Teilwertes anzusetzen, wenn die Laufzeit der Rückstellung mehr als ein Jahr beträgt (§ 124b Z 251 lit. b EStG 1988). Der per 31.12.2014 erwartete Erfüllungsbetrag von 130.000 Euro ist daher mit 80% anzusetzen; die Rückstellung ist in Höhe von 104.000 Euro zu bilden (130.000*0,8) und entwickelt sich in den Folgejahren wie folgt:

Restlaufzeit

5

4

3

2

1

0

Bilanzstichtag

31.12.2014

31.12.2015

31.12.2016

31.12.2017

31.12.2018

31.12.2019

Steuerwirksame Zuführung

24.000

0

0

0

26.000

0

RSt-Ansatz

104.000

104.000

104.000

104.000

130.000

0

Rz 3309k
§ 9 Abs. 5 EStG 1988 unterscheidet im Hinblick auf den Bewertungsmaßstab (Erfüllungsbetrag) und die Abzinsung nicht zwischen Einzelrückstellungen und nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 EStG 1988 idF COVID-19-StMG pauschal gebildeten Rückstellungen (siehe dazu näher Rz 3315 und Rz 3319). Bei Pauschalrückstellungen ist zunächst die wahrscheinlichste Höhe des künftigen Gesamterfüllungsbetrages (bezogen auf sämtliche Einzelverpflichtungen) zu bestimmen. Auch Pauschalrückstellungen sind in weiterer Folge abzuzinsen, wobei im Unterschied zu Einzelrückstellungen eine durchschnittliche Laufzeit der zu Grunde liegenden Einzelverpflichtungen zu bestimmen ist. Bei typischerweise kurzläufigen Verpflichtungen kann aus Vereinfachungsgründen von einer Abzinsung abgesehen werden; dies wird wiederum vom jeweiligen Unternehmensgegenstand abhängen.

Rz 3310
Die Rückstellung ist in jenem Jahr aufzulösen, in dem

  • der rückstellungsmaßgebende Umstand zwar noch gegeben bzw. der Eintritt des Ereignisses noch wahrscheinlich, aber die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme weggefallen ist,
  • der rückstellungsmaßgebende Umstand endgültig weggefallen oder der Eintritt des Umstandes unwahrscheinlich geworden ist,
  • die Unsicherheit dem Grunde und/oder der Höhe nach wegfällt und somit eine "echte" Verbindlichkeit entsteht.

Randzahl 3311: derzeit frei

8.1.5 Bilanzberichtigung und Bilanzänderung

Rz 3312
Eine nachträgliche Bildung von Rückstellungen oder die nachträgliche Änderung gebildeter Rückstellungen richtet sich nach den Regeln der Bilanzberichtigung (§ 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988) und der Bilanzänderung (§ 4 Abs. 2 Z 1 EStG 1988). Umstände, die eine Änderung der gebildeten Rückstellung erforderlich machen, sind sowohl bei der Gewinnermittlung nach § 5 EStG 1988 als auch nach § 4 Abs. 1 EStG 1988 im Wege einer Bilanzberichtigung geltend zu machen.

Unterblieb die Bildung einer Rückstellung, ist bei Passivierungspflicht eine Bilanzberichtigung durchzuführen; bei einem Passivierungswahlrecht kann es gegebenenfalls zu einer Bilanzänderung kommen.

Besteht bis zur Bilanzerstellung keine Wahrscheinlichkeit für das Entstehen einer Verbindlichkeit und ist die Rückstellungsbildung in dem Wirtschaftsjahr somit ausgeschlossen, ist selbst bei späterem Eintritt der Verbindlichkeit eine nachträgliche Rückstellungsbildung im ursprünglichen Jahr unzulässig (VwGH 27.01.2009, 2006/13/0062).

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