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19. Steuerschuldner, Entstehung der Steuerschuld (§ 19 UStG 1994)

BMF2022-0.860.1245.12.2022

19.1. Steuerschuldner - Übergang der Steuerschuld (Reverse Charge)

19.1.1. Übergang der Steuerschuld gemäß § 19 Abs. 1 zweiter Satz UStG 1994

19.1.1.1. Allgemeines

Rz 2601
Umsätze, für die die Steuerschuld übergeht

Erbringt ein ,

  • sonstige Leistungen (ausgenommen die entgeltliche Duldung der Benutzung von Bundesstraßen, sonstige Leistungen iSd § 3a Abs. 11a UStG 1994 sowie die Vermietung von Grundstücken) oder
  • Werklieferungen

an einen Unternehmer iSd § 3a Abs. 5 Z 1 und Z 2 UStG 1994 oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die Nichtunternehmer iSd § 3a Abs. 5 Z 3 UStG 1994 ist, wird die Steuer vom Leistungsempfänger geschuldet (sogenanntes "Reverse Charge").

Der Übergang betrifft sowohl Umsätze für den unternehmerischen als auch für den nichtunternehmerischen Bereich des Leistungsempfängers, der ein Unternehmer oder eine juristische Person ist (hinsichtlich Ausnahmen siehe Rz 2602f letzter Absatz sinngemäß).

Der Bestimmung des § 19 Abs. 1 zweiter Satz UStG 1994 kommt Vorrang vor den übrigen Tatbeständen des Übergangs der Steuerschuld (§ 19 Abs. 1a bis 1e UStG 1994) zu.

Die allgemeinen Ausführungen in Rz 2602i bis Rz 2602k zu den Aufzeichnungspflichten und zur Entstehung der Steuerschuld gelten sinngemäß auch für § 19 Abs. 1 zweiter Satz UStG 1994.

Ausnahmen vom Übergang der Steuerschuld

Wird die Benutzung von Bundesstraßen entgeltlich geduldet oder werden sonstige Leistungen iSd § 3a Abs. 11a UStG 1994 oder die Vermietung von Grundstücken von einem Unternehmer, der im Inland weder sein Unternehmen betreibt noch eine an der Leistungserbringung beteiligte Betriebsstätte hat, ausgeführt, geht die Steuerschuld nicht auf den unternehmerischen Leistungsempfänger über. Der Leistungsempfänger ist nicht nach § 27 Abs. 4 UStG 1994 zur Einbehaltung und Abfuhr der Umsatzsteuer verpflichtet (siehe Rz 3491 f).

Beispiel 1:

Ein amerikanischer Unternehmer ohne Sitz oder Betriebsstätte in Österreich veranstaltet im Juni 2022 einen Kongress in Wien. Ein deutscher und ein Schweizer Arzt besuchen den Kongress und entrichten dafür eine Teilnahmegebühr.

Der amerikanische Veranstalter erbringt dem deutschen und dem Schweizer Arzt gegenüber sonstige Leistungen iSd § 3a Abs. 11a UStG 1994, die in Österreich der Besteuerung unterliegen. Auch wenn es sich beim Veranstalter um einen ausländischen Unternehmer und bei den Leistungsempfängern ebenfalls um Unternehmer handelt, geht hier die Steuerschuld nicht auf die teilnehmenden Ärzte über.

Beispiel 2:

Ein britischer Unternehmer vermietet 2023 in Österreich ein Grundstück für das Abstellen von Fahrzeugen an österreichische Unternehmer (ohne hierbei eine Betriebsstätte zu begründen).

Auch wenn es sich beim Vermieter um einen Unternehmer ohne Sitz und ohne Betriebsstätte im Inland und bei den Leistungsempfängern ebenfalls um Unternehmer handelt, geht die Steuerschuld nicht auf die österreichischen Unternehmer über. Der britische Unternehmer hat die Umsätze im Veranlagungsverfahren zu erklären. Die österreichischen Unternehmer sind nicht gemäß § 27 Abs. 4 UStG 1994 zur Einbehaltung und Abfuhr der Umsatzsteuer verpflichtet. Für den britischen Vermieter besteht jedoch gemäß § 27 Abs. 7 UStG 1994 die Verpflichtung zur Bestellung eines Fiskalvertreters.

Zu den sonstigen Leistungen iSd § 3a Abs. 11a UStG 1994 siehe Rz 641f.

Zur Rechtslage bei der Vermietung von Grundstücken bis 19.7.2022 siehe Rz 2601b.

Leistender Unternehmer

Voraussetzung für den Übergang der Steuerschuld ist, dass der leistende Unternehmer im Inland weder sein Unternehmen betreibt noch eine an der Leistungserbringung beteiligte Betriebsstätte im Inland hat. Maßgebend für die Beurteilung dieser Voraussetzung ist der Zeitpunkt, zu dem die Leistung ausgeführt wird.

Die Tatsache, dass ein Unternehmer beim Finanzamt Österreich im Inland umsatzsteuerlich geführt wird, ist kein Merkmal dafür, dass er im Inland sein Unternehmen betreibt oder eine Betriebsstätte hat.

Betriebsstätte im Inland

Eine im Inland gelegene Betriebsstätte (im Sinne des Art. 53 Abs. 1 VO (EU) 282/2011 sowie im Sinne der Judikatur des EuGH zur festen Niederlassung) des Leistenden ist dann nicht schädlich für den Übergang der Steuerschuld, wenn sie an der Leistungserbringung nicht beteiligt ist. Das ist Eine Beteiligung an der Leistungserbringung liegt vor, wenn die Betriebsstätte die Leistung erbringt oder in anderer Weise durch Personal und Sachgüter zur Auftragsabwicklung beiträgt, zB durch die Übernahme von Gewährleistungsverpflichtungen oder durch Bereitstellung eines zum vereinbarten Leistungsumfang gehörenden Kundendienstes. Unmaßgeblich ist der Umfang der Nutzung der technischen oder personellen Mittel.

Wird die technische oder personelle Ausstattung der Betriebsstätte nur für verwaltungstechnische unterstützende Aufgaben, wie zB Buchhaltung, Rechnungsstellung und Eintreibung von Schulden genutzt, gilt die Betriebsstätte nicht bereits als an der Leistungserbringung beteiligt. Enthält die Rechnung die UID der Betriebsstätte, gilt die widerlegbare Vermutung, dass diese an der Leistungserbringung beteiligt ist.

Hinsichtlich der Möglichkeit einer Betriebsstättenbescheinigung siehe Rz 3494.

Beispiel 3:

Der deutscher Unternehmer D hat eine Betriebsstätte in Salzburg und erbringt an den österreichischen Unternehmer Ö eine sonstige Leistung in Österreich.

a) Die Betriebsstätte ist an der Leistungserbringung nicht beteiligt.

b) Die Betriebsstätte hat die Geschäftsanbahnung übernommen.

Im Fall a) geht die Steuerschuld auf Ö über, im Fall b) nicht.

Beispiel 4:

Das französische Beratungsunternehmen F mit einer Betriebsstätte in Wien erbringt - ohne Einschaltung der Wiener Betriebsstätte - eine Beratungsleistung an den österreichischen Unternehmer Ö.

Die Steuerschuld geht trotz umsatzsteuerrechtlicher Erfassung der Betriebsstätte in Österreich mangels Beteiligung am Umsatz auf Ö über.

Steuerschuld und Haftung

Die Steuerschuld entsteht - unabhängig vom Zeitpunkt der Rechnungsausstellung - mit Ablauf des Kalendermonates, in dem die Leistung erbracht worden ist (§ 19 Abs. 2 Z 1 lit. a und b UStG 1994

Die Steuerschuld geht zB trotz inländischen Wohnsitzes des Leistungserbringers auf den Leistungsempfänger über, wenn der leistende Unternehmer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland und keine an der Leistungserbringung beteiligte Betriebsstätte im Inland hat.

Der leistende Unternehmer haftet für die auf den Leistungsempfänger übergegangene Steuer. Diese Haftung wird nur dann von Bedeutung sein, wenn der Leistungsempfänger hinsichtlich der übergegangenen Steuerschuld nicht oder nicht zur Gänze zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Im Falle des Übergangs der ist § 27 Abs. 4 UStG 1994 gegenstandslos.

Abgabe von Umsatzsteuererklärungen

Eine Steuererklärung haben auch juristische Personen im Nichtunternehmerbereich abzugeben, soweit sie als Leistungsempfänger eine nach § 19 Abs. 1 zweiter Satz UStG 1994 auf sie übergegangene Steuer schulden.

Zur Erklärungspflicht durch Unternehmer, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben und

  • keine Umsätze im Inland ausgeführt haben oder
  • nur sonstige Leistungen oder Werklieferungen erbracht haben, für die der Leistungsempfänger die Steuer schuldet,

siehe Rz 2795.

Veranlagung

Zur Veranlagung von nicht im Inland ansässigen Unternehmen siehe Rz 2796 sowie Rz 2822 bis 2827.

19.1.1.2. Vorsteuerabzug des ausländischen Leistungsempfängers bei Reverse Charge

Rz 2601a
Die Steuer für Leistungen im Sinne des § 19 Abs. 1 zweiter Satz UStG 1994 berechtigt den Leistungsempfänger, auf den die Steuerschuld übergegangen ist, nach Maßgabe des § 12 UStG 1994 zum Vorsteuerabzug. Soweit die Steuer auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Leistung entfällt, kann sie aus Vereinfachungsgründen (abweichend von Rz 1875) abgezogen werden, wenn die Zahlung geleistet worden ist.

In den Fällen des Überganges der Steuerschuld ist der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug unabhängig davon berechtigt, ob die Rechnung ordnungsgemäß ausgestellt oder ob überhaupt eine Rechnung ausgestellt wurde.

Zum anzuwendenden Verfahren (Veranlagungs- oder Erstattungsverfahren) für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs durch nicht in Inland ansässige Unternehmer siehe Rz 2822 bis 2827.

19.1.1.3. Besonderheiten bei der Vermietung von Grundstücken

Rz 2601b
Für Umsätze bis 31.12.2021 wurde davon ausgegangen, dass ausländische Unternehmer, die ein im Inland gelegenes Grundstück besitzen und steuerpflichtig vermieten, eine Betriebsstätte begründen. Die Steuerschuld ging nicht auf den Leistungsempfänger über und die Umsätze waren im Veranlagungsverfahren zu erklären.

Seit 1.1.2022 begründen Unternehmer, die ein im Inland gelegenes Grundstück besitzen und steuerpflichtig vermieten, hingegen mit diesem Grundstück nur dann eine Betriebsstätte, wenn sie im Inland bzw. bei der Immobilie über eigenes Personal für die Leistungserbringung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügen, das zu autonomem Handeln befähigt (siehe EuGH 3.6.2021, Rs C-931/19 , Titanium Ltd.). Ist ein im Inland nicht ansässiger Unternehmer bei seinen Vermietungsumsätzen aufgrund unionsrechtskonformer Rechtsauslegung schon vor dem 1.1.2022 tatsächlich nicht von einer Betriebsstätte und somit vom Übergang der Steuerschuld ausgegangen, ist dies - von Fällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen - nicht zu beanstanden.

Seit 20.7.2022 ist für die Vermietung von Grundstücken eine Ausnahme vom Übergang der Steuerschuld gesetzlich vorgesehen. Die Umsätze sind im Veranlagungsverfahren gemäß § 20 Abs. 1 UStG 1994 zu erklären (siehe Rz 2794 sowie Beispiel 2 in Rz 2601).

Beispiel:

Der ausländische Unternehmer A vermietet im Kalenderjahr 2022 durchgehend ein im Inland gelegenes Grundstück, das keine feste Niederlassung darstellt, an einen Unternehmer. Als Erstattungszeitraum wurde das Kalenderhalbjahr gewählt.

Lösung:

Da A im Erstattungszeitraum (Jänner bis Juni 2022) nur Umsätze gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 ausgeführt hat, für die es zum Übergang der Steuerschuld kommt, kommt das Erstattungsverfahren für seine in diesem Zeitraum bezogenen Eingangsleistungen zur Anwendung. Da es für die Vermietungsumsätze des A ab Juli 2022 nicht mehr zum Übergang der Steuerschuld kommt (siehe Rz 2619 Leistungszeitpunkt bei Dauerleistungen), sind die Umsätze ab diesem Zeitpunkt im Veranlagungsverfahren zu erfassen, in dem auch allfällige Vorsteuern geltend zu machen sind. Hiebei sind gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung BGBl. Nr. 279/1995 idgF Vorsteuerbeträge nicht zu berücksichtigen, die nach § 1 Abs. 1 der zitierten Verordnung bereits erstattet worden sind.

19.1.1.4. Rechnungslegung

Rz 2602
Der leistende Unternehmer ist verpflichtet eine Rechnung auszustellen. Er hat in der Rechnung die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Leistungsempfängers anzugeben und auf die Steuerschuld des Leistungsempfängers hinzuweisen.

In den Fällen des Überganges der Steuerschuld darf der leistende Unternehmer in der Rechnung keine Umsatzsteuer gesondert ausweisen. Eine trotzdem gesondert ausgewiesene Steuer wird vom Unternehmer gemäß § 11 Abs. 12 UStG 1994 geschuldet und berechtigt den Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug.

Ob eine Rechnung ausgestellt wird und ob in dieser auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers hingewiesen wird, hat auf den Übergang der Steuerschuld keinen Einfluss.

Bei steuerfreien Umsätzen, für die eine Option zur Steuerpflicht möglich ist (zB eine Vermietung zu Geschäftszwecken), kann in Fällen des Übergangs der Steuerschuld die Option auch durch entsprechende Hinweise in der Rechnung ausgeübt werden. Aus diesen Hinweisen haben die Option zur Steuerpflicht, Art und der Umfang der Leistung und der Übergang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger hervorzugehen.

Zur Änderung der Rechnungsausstellungsverpflichtung in bestimmten Fällen beim Übergang der Steuerschuld ab 1. Jänner 2013 siehe Rz 1501b.

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