Im Zusammenhang mit der Auslegung des Art. 169 Abs. 2 der delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (UZK-DA) ist es zu einer unterschiedlichen Rechtsanwendung durch die Zollämter und zu einer Ungleichstellung von Wirtschaftsbeteiligten gekommen.
Vorweg ist zu erwähnen, dass es sich zunächst um eine Frage des Umfangs der dem vorzitierten Artikel zugrundeliegenden Befugnisübertragung handelt.
Konkret ist abzuklären, inwieweit Art. 169 Abs. 2 UZK-DA ein absolutes Verbot der Bewilligung von Ersatzwaren im Rahmen der aktiven Veredelung vorsieht, wenn die in das Verfahren übergeführten Nicht-Unionswaren einem vorläufigem oder endgültigen Antidumpingzoll, einem Ausgleichszoll, einem Schutzzoll oder einer zusätzlichen Abgabe infolge einer Aussetzung von Zugeständnissen unterlägen, wenn sie zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet würden, oder ob sich das Verbot darauf beschränkt, dass durch die Verwendung von Ersatzwaren in diesen Fällen keine ungerechtfertigten Einfuhrabgabenvorteile entstehen dürfen (vgl. Art. 223 Abs. 2 Buchstabe c Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK)).
Dazu ist auszuführen:
Gemäß Art. 223 Abs. 3 Buchstabe c UZK wird die Verwendung von Ersatzwaren nicht bewilligt, wenn dadurch ein unberechtigter Einfuhrabgabenvorteil entstünde, oder wenn dies im Unionsrecht vorgesehen ist.
Gemäß Art. 224 Buchstabe c UZK wird die Kommission ermächtigt, delegierte Rechtsakte gemäß Art. 284 zu erlassen, um Folgendes festzulegen:
"…
d) die bestimmten Fälle gemäß Art. 223 Abs. 3 Buchstabe c, in denen die Verwendung von Ersatzwaren nicht bewilligt wird."
Davon hat die Kommission im Art. 169 Abs. 2 UZK-DA Gebrauch gemacht, indem sie Nachstehendes festlegt:
"Die Verwendung von Ersatzwaren gemäß Artikel 223 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Zollkodex wird nicht bewilligt, wenn die in das besondere Verfahren übergeführten Waren einem vorläufigen oder endgültigen Antidumpingzoll, einem Ausgleichszoll, einem Schutzzoll oder einer zusätzlichen Abgabe infolge einer Aussetzung von Zugeständnissen unterlägen, wenn sie zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet würden."
Art. 177 UZK-DA legt fest:
"Werden Unionswaren zusammen mit Nicht-Unionswaren in einem Zolllager gelagert und ist es unmöglich oder wäre es nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich, jederzeit die Nämlichkeit jeder Warenart zu sichern, so sehen die Bewilligungen gemäß Artikel 211 Absatz 1 Buchstabe b des Zollkodex eine buchmäßige Trennung nach Warenart, zollrechtlichem Status und gegebenenfalls Warenursprung vor."
Gemäß Art. 268 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24. November 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (Amtsblatt der Europäischen Union (UZK-IA) können Ersatzwaren zusammen mit anderen Unionswaren oder Nicht-Unionswaren gelagert werden. In solchen Fällen können die Zollbehörden bestimmte Methoden zur Feststellung der Nämlichkeit der Ersatzwaren festlegen, um sie von den Unionswaren oder den Nicht-Unionswaren unterscheiden zu können.
Ist es unmöglich oder wäre es nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich, jederzeit die Nämlichkeit jeder Warenart zu sichern, so wird eine buchmäßige Trennung nach Warenart, zollrechtlichem Status und gegebenenfalls Warenursprung vorgenommen.
Weiters ist auszuführen, dass gemäß Art. 290 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichneten Vertrags (AEUV) der Kommission in Gesetzgebungsakten die Befugnis übertragen werden kann, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen.
In dem betreffenden Gesetzgebungsakt werden Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt. Die wesentlichen Aspekte eines Bereichs sind dem Gesetzgebungsakt vorbehalten und eine Befugnisübertragung ist für die deshalb ausgeschlossen.
Der UZK enthält zahlreiche dieser Befugnisübertragungen, auch im Hinblick auf die Befugnis, bestimmte Fälle gemäß Art. 223 Abs. 3 Buchstabe c festzulegen, in denen die Verwendung von Ersatzwaren nicht bewilligt wird (vgl. Art. 224 Buchstabe d UZK).
Der UZK enthält auch die Möglichkeit, der Kommission Durchführungsbefugnisse gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV zu übertragen, um einheitliche Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union festzulegen.
Auch davon wird im UZK an unterschiedlichen Stellen und auch im Hinblick auf die Förmlichkeiten für die Verwendung von Ersatzwaren (vgl. Art. 268 UZK-IA) und den Status von Ersatzwaren (vgl. Art. 269 UZK-IA) Gebrauch gemacht.
Mit der im Art. 224 Buchstabe d UZK festgelegten Befugnisübertragung verfolgt der Gesetzgeber den primären Zweck, die Verwendung von Ersatzwaren nicht zuzulassen, wenn dadurch ein unberechtigter Einfuhrabgabenvorteil entstünde. Ob aus dem zusätzlichen Halbsatz im Art. 223 Abs. 3 Buchstabe c UZK "oder wenn dies im Unionsrecht vorgesehen ist." abgeleitet werden kann, dass der Kommission auch die Befugnis übertragen wird, ein Verbot von der Bewilligung der Verwendung von Ersatzwaren auch in anderen Fällen in einer delegierten Verordnung zu regeln, ist zu bezweifeln. Vielmehr deutet der vorzitierte Nachsatz darauf hin, dass in anderen Rechtsakten mit Gesetzescharakter vorgesehene Verbote der Verwendung von Ersatzwaren in einem delegierten Rechtsakt zu berücksichtigen sind.
In konsequenter Auslegung der zugrundeliegenden Befugnisübertragung nennt Art. 169 Abs. 2 UZK-DA daher zunächst nur Fälle, in denen die Verwendung von Ersatzwaren im Falle einer Zollschuldentstehung zu ungerechtfertigten Einfuhrabgabenvorteilen führen könnte. Würden diese tatsächlich entstehen, so ist eine Bewilligung der Verwendung von Ersatzwaren nicht zulässig. Entsteht im Rahmen des Verfahrens jedoch keine Zollschuld oder kann durch Maßnahmen der buchmäßigen Trennung und ggf. ergänzenden Bewilligungsauflagen bei Verwendung von Ersatzwaren oder bei gemeinsamer Lagerung von Unionswaren und Nicht-Unionswaren, die einer der im Art. 169 Abs. 2 UZK-DA genannten Maßnahmen unterliegen, sichergestellt werden, dass ungerechtfertigte Einfuhrabgabenvorteile nicht entstehen, so besteht für eine Ablehnung der Bewilligung der Verwendung von Ersatzwaren kein Grund.
Erfolgt die Bemessung der ggf. entstehenden Einfuhrzollschuld für die Veredelungserzeugnisse daher nach Art. 86 Abs. 3 iVm Abs. 4 UZK und können ungerechtfertigte Einfuhrabgabenvorteile durch buchmäßige Trennung und sonstige Bewilligungsauflagen ausgeschlossen werden, so ist die Bewilligung der Verwendung von Ersatzwaren auch in den in Art. 169 Abs. 2 UZK-DA genannten Fällen zulässig.
Ergänzend ist zu erwähnen, dass der seitens der Europäischen Kommission herausgegebene Leitfaden für Mitgliedstaaten und für den Handel zu den im Titel VII des UZK geregelten besonderen Verfahren Hinweise enthält, wie im Wege der buchmäßigen Trennung bei gemeinsamer Lagerung von Unionswaren und Nicht-Unionswaren in einem Zollager (Art. 177 UZK-DA) sowie bei gemeinsamer Lagerung von Ersatzwaren mit anderen Unionswaren oder Nicht-Unionswaren (Art. 268 Abs. 2 UZK-IA) mittels aliquoter Anrechnung der jeweiligen Einsatzmengen ("Ausgangsstoffe") ein ungerechtfertigter Einfuhrabgabenvorteil verhindert werden kann.
Selbst bei Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des EuGHs und insbesondere bei Berücksichtigung des einleitenden Haftungsausschlusses des EU-Leitfadens zu den besonderen Verfahren, dass Erläuterungen, Leitlinien, Leitfäden udgl. keine Rechtsverbindlichkeit entfalten, sondern nur der Erläuterung der Rechtsvorschriften dienen, sind die Ausführungen des Leitfadens zur Bewilligung von Ersatzwaren und zu den Voraussetzungen ihrer Verwendung sowie zur gemeinsamen Lagerung von Ersatzwaren mit anderen Unionswaren und Nicht-Unionswaren (mit und ohne Antidumpingzollbelastung) ein Indiz dafür, dass mit Art. 169 Abs. 2 UZK-DA kein absolutes Verbot der Bewilligung von Ersatzwaren in "Antidumpingfällen" bezweckt wird, sondern nur die Verhinderung eines ungerechtfertigten Einfuhrabgabenvorteils.
Diese Auslegung ist bis zur verbindlichen Klarstellung der Tragweite des im Art. 169 Abs. 2 UZK-DA genannten Verbots bzw. bis zum Ergehen einer einschlägigen Judikatur im Sinne einer bundesweit einheitlichen Rechtsanwendung durch die Zollämter zu berücksichtigen.
Bundesministerium für Finanzen, 31. Oktober 2019
Zusatzinformationen | |
---|---|
Materie: | Zoll |
betroffene Normen: | UZK-DA, DelVO 2015/2446 , ABl. Nr. L 343 vom 29.12.2015 S. 1 |
Schlagworte: | aktive Veredelung (aV) |
Verweise: | UZK-DA Art. 169 Abs. 2 |