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Vertriebsbüro einer Versicherungsgesellschaft keine Hilfsbetriebsstätte

BMFBMF-010221/0049-IV/8/20188.6.20182018

EAS 3399

Unterhält eine in Deutschland ansässige Versicherungsgesellschaft, die am inländischen Markt ihre Versicherungsprodukte vertreibt, in Österreich eine feste örtliche Einrichtung, so begründet sie in Österreich eine Betriebsstätte im Sinne des § 29 BAO, die auch grundsätzlich die Kriterien des DBA-Betriebsstättenbegriffes des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA (vgl. VPR 2010 Rz 161ff) und damit des Art. 5 Abs. 1 DBA Deutschland erfüllt. Der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff ist aber im Vergleich zum innerstaatlichen Begriff ua. insoweit enger, als Einrichtungen, die unter Art. 5 Abs. 4 OECD-MA bzw. Art. 5 Abs. 4 DBA Deutschland fallen, für abkommensrechtliche Belange keine Betriebsstätten bilden.

Die Tätigkeiten der Versicherungsgesellschaft im österreichischen Büro umfassen insbesondere folgende Tätigkeiten:

Die österreichischen externen Vertriebsmitarbeiter werden durch die Mitarbeiter der österreichischen Betriebsstätte über Versicherungsmöglichkeiten informiert, es finden jedoch keine Verhandlungen über das Zustandekommen von Versicherungsverträgen statt. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass zwischen den externen Vertriebsmitarbeitern und der ausländischen Hauptniederlassung kaum oder keine Verhandlungen über Vertragsbedingungen stattfinden, da Versicherungen in der Regel standardisierte Versicherungsverträge auflegen und lediglich die Prämienzahlungen einem gewissen Verhandlungsspielraum unterliegen.

Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob diese Tätigkeiten vorbereitender Art sind oder Hilfstätigkeiten im Sinne des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA darstellen, ist die Haupttätigkeit des Gesamtunternehmens. Entsprechen die in der Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeiten der Haupttätigkeit ("core business") des Gesamtunternehmens, so kann keine der Ausnahmen des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA greifen. Der Ausnahmekatalog des Art. 5 Abs. 4 DBA Deutschland wird von beiden Vertragsstaaten so interpretiert, dass alle dort aufgelisteten Tätigkeiten im Allgemeinen von vorbereitender Art sein oder Hilfstätigkeiten darstellen müssen (vgl. dazu auch Rz 21, 2. Satz, des Kommentars zu Art. 5 Abs. 4 OECD-MA in der Fassung vor dem Update 2017).

Die bloße Beschaffung von Informationen für ein Unternehmen kann als Hilfstätigkeit im Sinne des Art. 5 Abs. 4 lit d OECD-MA bzw. des Art. 5 Abs. 4 lit d DBA Deutschland gelten. Den Ausführungen im OECD-Musterkommentar folgend bezieht sich diese Ausnahme in erster Linie auf Informationen, die ein Unternehmen benötigt, um über die Art und den Umfang von Haupttätigkeiten auf einem bestimmten Markt entscheiden zu können (Rz 69 des Kommentars zu Art. 5 OECD-MA). Werden die Informationen hingegen durch die Betriebsstätte ausgewertet und erfolgt wie im vorliegenden Fall eine Empfehlung zu einer Ablehnung oder Weiterverarbeitung des Versicherungsantrags an das Stammhaus, so kann nicht mehr von einer reinen Informationsbeschaffung ausgegangen werden.

Die Betreuung des Vertriebsnetzwerks in Österreich im Wege der Kontaktaufnahme, Betreuung und Schulung des unabhängigen Vertriebspersonals kann nur dann als Hilfstätigkeit im Sinne des Art. 5 Abs. 4 lit e OECD-MA bzw. Art. 5 Abs. 4 lit e DBA Deutschland angesehen werden, wenn dieser Tätigkeit keine wesentlichen Funktionen des Produktvertriebs zukommen (vgl. Abschnitt 1.1. des Salzburger Steuerdialogs 2009, Zweifelsfragen zum internationalen Steuerrecht und Außensteuerrecht, AÖF 260/2009). Wenn das inländische Büro der Koordination der mit der Kundenbetreuung und Neukundenakquisition befassten Vertreter dient, wenn daher eine aktive Rolle bei der Umsatzerzielung (Produktvermarktung in Österreich) übernommen wird, spricht dies für den Bestand einer DBA-Betriebsstätte. Bedient sich die Versicherungsgesellschaft eines Vertriebskanals durch unabhängiges Personal, so führt die Steuerung dieser Vertretertätigkeit durch ein inländisches Büro zur Begründung einer Betriebsstätte (EAS 2939). Die Produktvermarktung stellt eine der Kerntätigkeiten einer Versicherungsgesellschaft dar und kann daher nicht als Hilfstätigkeit qualifiziert werden, insbesondere wenn die im Inland ausgeübte Tätigkeit auf die Umsatzförderung in Österreich gerichtet ist.

Gemäß Art. 5 Abs. 4 lit f OECD-MA bzw. Art. 5 Abs. 4 lit f DBA Deutschland kann auch dann eine Hilfsbetriebsstätte vorliegen, wenn darin mehrere der aufgezählten Hilfstätigkeiten ausgeübt werden, solange die Gesamttätigkeit ebenso eine Hilfstätigkeit darstellt. Wird neben einer Hilfstätigkeit auch eine nicht mehr von Art. 5 Abs. 4 OECD-MA erfasste Tätigkeit ausgeübt, so wird hinsichtlich der Gesamttätigkeit eine Betriebsstätte begründet (Rz 77 des Kommentars zu Art. 5 OECD-MA).

Eine abschließende Entscheidung hinsichtlich des konkreten Einzelfalls ist der für die Sachverhaltswürdigung zuständigen Behörde vorbehalten und kann nicht im Wege einer auf die Beantwortung von Rechtsfragen ausgerichteten EAS-Auskunft erfolgen.

Bundesministerium für Finanzen, 8. Juni 2018

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 29 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Art. 5 Abs. 4 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 5 Abs. 1 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 5 OECD-MA, OECD-Musterabkommen

Schlagworte:

Betriebsstätte, Hilfsbetriebsstätte, Informationsbeschaffung, Vertriebstätigkeit, Produktvermarktung, Kundenbetreuung, Versicherungsgesellschaft

Verweise:

EAS 2939
VPR 2010, Verrechnungspreisrichtlinien 2010 Rz 161
BMF 24.09.2009, BMF-010221/2415-IV/4/2009 Abschnitt 1.1.

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