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Potentielle Gewinnverlagerung nach Gibraltar

BMFBMF-010221/0890-IV/4/200828.3.20082008

EAS 2951

Bietet eine österreichische Kapitalgesellschaft (M-AG) über ihre auf Gibraltar errichtete Tochtergesellschaft (T-AG) weltweit Internetspiele an, wobei die hierfür erforderlichen Server im Eigentum der M-AG stehen und in Österreich aufgestellt sind, dann ist vorweg eine Klärung erforderlich, welche Funktionen die T-AG auf Gibraltar in wirtschaftlicher Betrachtungsweise tatsächlich ausübt. Der bloße Umstand, dass zivilrechtlich die von den Spielern eingegangenen Verträge rechtsgültig mit der gibraltesischen T-AG zu Stande kommen, kann nicht automatisch zur Folge haben, dass die gesamten aus solchen Verträgen herrührenden Einnahmen der T-GmbH zuzurechnen sind und die M-AG, die offensichtlich das gesamte Management der für die Einnahmenerzielung nötigen Arbeiten durchführt, formal aber als bloßer Dienstleister der T-AG auftritt, mit einer bloßen Routineabgeltung abgefunden wird.

In Fällen dieser Art ist eine Unternehmenscharakterisierung unerlässlich, in der zu klären ist, welches der beteiligten Unternehmen nur Routinefunktionen ausübt und welches Unternehmen das wesentliche Unternehmerrisiko (Entrepreneurfunktion) trägt. Routinefunktionen sind Funktionen, bei denen nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter eingesetzt werden und die nur zu einer geringen Risikotragung führen.

Nur ein Unternehmen, das die zur Durchführung von Geschäften wesentlichen, für den Unternehmenserfolg entscheidenden Funktionen ausübt und die wesentlichen Risiken übernimmt, kann als "Entrepreneur" oder "Strategieträger" bezeichnet werden, dem daher das betreffende Konzernergebnis, das nach Abgeltung von Routinefunktionen anderer nahe stehender Unternehmen verbleibt, zuzurechnen ist (siehe 3.4.10.2. lit. b der deutschen Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, BStBl I 2005, 570).

Die Funktionsprüfung der Gibraltargesellschaft wird unter Verwertung ihrer Buchhaltungsaufzeichnungen stattfinden müssen und es wird hierbei zu klären sein, ob die Erarbeitung der gewinnbringenden Geschäftsidee und ihre Weiterentwicklung bis zur Vermarktungsfähigkeit tatsächlich in der Gibraltargesellschaft erfolgt ist und daher als ein ihr zugehöriger immaterieller Geschäftswert anzusehen ist, der diese Gesellschaft damit über eine reine Routinefunktionsgesellschaft hinaushebt, ihr Entrepreneurrolle zuerkennt und solcherart die Zurechnung eines über bloße Routinewerte hinausgehenden Gewinnes rechtfertigt.

Bei einem Sachverhaltsbild, bei dem die österreichische Gesellschaft das weltweite Marketing, die Public Relations, Investor Relations, das Server-housing und -hosting, EDV-Dienstleistungen für die Zahlungsverkehrsabwicklung mit den Kreditkartenbetreibern und Kunden usw. übernimmt und mit eigenen Mitarbeitern die gesamte Serverfunktion für die Spielabwicklung betreut, mit anderen Worten, bei einem Sachverhaltsbild, in dem im Wesentlichen das gesamte Unternehmensgeschäft von der M-AG betreut wird, bedürfte es eindeutiger Nachweise, dass es sich bei der Gibraltar-Gesellschaft nicht bloß um eine künstlich zwischengeschaltete Gesellschaft handelt, der zwar aufgetragen wurde, an örtliche Unternehmer gewisse Agenden auszulagern, der aber selbst keine Entrepreneurfunktion zugeschrieben werden kann.

Mit der Frage, ob der inländische Server eine Betriebstätte der Gibraltar-Gesellschaft darstellt und welche steuerlichen Folgen daraus zu ziehen sind, wird man sich erst beschäftigen können, wenn die Funktionen der Gesellschaft, der hierbei getätigte Aufwand und der lukrierte Ertrag offen gelegt ist.

Bundesministerium für Finanzen, 28. März 2008

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 21 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 22 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Gewinnverlagerung, Funktionsanalyse, Unternehmerrisiko, Risikoanalyse, Funktionsgesellschaften

Stichworte