Zusatzinformationen | |
---|---|
Materie: | Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 201 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Selbstberechnung, Abgabenbescheid, Verjährung, Bemessungsverjährung, Umsatzsteuervorauszahlungen, Verrechnungsweisung, Buchungsmitteilung, Fälligkeit, Nachfrist, Feststellungsbescheid, Ermessen, Gemeinschaftsrecht, Entscheidungspflicht, Wiederaufnahmsgründe, Postaufgabe, Doppelbesteuerungsabkommen, Lohnsteuerprüfung, Treu und Glauben, Verwaltungsökonomie, Uneinbringlichkeit, Lohnsteuer, Abfuhrabgaben |
Verweise: | BMF 09.10.2009, BMF-010103/0138-VI/2009 |
1. Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben gemäß § 201 BAO
1.1 Anwendungsbereich des § 201 BAO
§ 201 BAO gilt für Abgaben, für die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung durch den Abgabepflichtigen anordnen oder gestatten.
Solche Abgabenvorschriften sind beispielsweise:
- § 43 FLAG (Dienstgeberbeitrag),
- § 122 Abs. 7 WKG (Kammerumlage),
- § 13 GrEStG 1987,
- § 23a ErbStG,
- § 3 Abs. 4a GebG,
- § 33 TP 5 Abs. 5 GebG,
- § 33 TP 8 Abs. 4 GebG,
- § 10a KVStG,
- § 4 Abs. 1 WerbeabgG,
- § 11 Abs. 1 NoVAG 1991,
- § 6 Abs. 3 KfzStG 1992,
- § 5 Abs. 1 StraBAG,
- § 108c EStG 1988 (Forschungsprämie, Bildungsprämie),
- § 108d EStG 1988 (befristete Sonderprämie für die katastrophenbedingten Ersatzbeschaffungen),
- § 108e EStG 1988 (befristete Investitionszuwachsprämie),
- § 108f EStG 1988 (Lehrlingsausbildungsprämie).
§ 201 BAO gilt insoweit nicht, als in Abgabenvorschriften abweichendes (spezielleres) geregelt ist. Eine solche Abgabenvorschrift ist etwa § 21 Abs. 1 UStG 1994. Für Umsatzsteuervorauszahlungen gilt lediglich der Abs. 4 des § 201 BAO.
1.2 Abgabenbescheid
§ 201 BAO regelt die erstmalige Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben mit Abgabenbescheid.
Zum Spruch des Abgabenbescheides gehören (nach § 93 Abs. 2 BAO bzw. § 198 Abs. 2 BAO):
- die Nennung der Person (Personenvereinigung, Personengemeinschaft), an die der Bescheid ergeht (somit die Bezeichnung des Bescheidadressaten),
- die Grundlagen der Abgabenfestsetzung (Bemessungsgrundlagen),
- die Art der Abgabe,
- die Höhe der Abgabe,
- die Höhe der aus der Festsetzung resultierenden Nachforderung bzw. Gutschrift,
- die Angabe des Fälligkeitszeitpunktes (und des Betrages, über dessen Fälligkeit abgesprochen wird).
Richtet sich die Fälligkeit nicht nach § 210 Abs. 1 BAO (ein Monat nach Bekanntgabe des Abgabenbescheides), sondern nach besonderen Regelungen in Abgabenvorschriften (wie zB § 43 Abs. 1 FLAG), so ist im Abgabenbescheid auch über die gesetzlich zustehende Nachfrist (zB gemäß § 210 Abs. 4 BAO) abzusprechen.
Ebenso wie bei der Fälligkeitsangabe ist auch bei der Angabe des Endes der Nachfrist ein Hinweis auf die diesbezügliche Angabe in der Buchungsmitteilung ausreichend; diesfalls wird die betreffende Angabe in der Buchungsmitteilung zum Teil des mit Berufung anfechtbaren Bescheidspruches.
1.3 Allgemeine Voraussetzungen für die Festsetzung
Die erstmalige Festsetzung einer Selbstberechnungsabgabe setzt nach § 201 Abs. 1 BAO voraus,
- dass der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag bekannt gibt oder
- dass die bekannt gegebene Selbstberechnung sich als nicht richtig erweist.
Die Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages hat insbesondere in der Anmeldung (zB § 11 Abs. 1 NoVAG 1991) oder durch Angabe des Betrages auf dem Zahlungsbeleg (zB Verrechnungsweisung auf einem Erlagschein) zu erfolgen.
Die Voraussetzung (Nichtbekanntgabe eines selbstberechneten Betrages bzw. Unrichtigkeit der bekannt gegebenen Selbstberechnung) muss im Zeitpunkt der Bescheiderlassung gegeben sein. Daher ist eine Festsetzung unzulässig, wenn die Bekanntgabe des sich als richtig erweisenden selbstberechneten Betrages verspätet erfolgt ist.
Für die Anwendung des § 201 BAO ist bedeutungslos,
- ob die Unterlassung der Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages auf ein Verschulden des Abgabepflichtigen zurückzuführen ist,
- ob die Unrichtigkeit der bekannt gegebenen Selbstberechnung auf ein Verschulden des Abgabepflichtigen zurückzuführen ist,
- ob die Festsetzung sich zu Gunsten oder zu Ungunsten des Abgabepflichtigen auswirken würde,
- ob die Selbstberechnungsabgabe bereits entrichtet ist.
Ist ein Feststellungsbescheid (über die Selbstberechnungsabgabe) ein notwendiges Mittel zweckentsprechender Rechtsverteidigung, so ist er auf Antrag des Abgabepflichtigen zu erlassen. Ein solcher Antrag kommt etwa in Betracht, wenn der Abgabepflichtige eine für die Abgabenhöhe bedeutsame Abgabenvorschrift für verfassungswidrig hält und einen Bescheid zur Anfechtung beim VfGH begehrt. Ein solcher Bescheid, der nur zu ergehen hat, wenn der bekannt gegebene Betrag sich als richtig erweist (andernfalls wäre die Abgabe nach § 201 BAO mit Abgabenbescheid festzusetzen), hat im Spruch insbesondere die Abgabenbemessungsgrundlage sowie Art und Höhe der Abgabe anzugeben.
Das Recht (bzw. die Pflicht) zur Erlassung auf § 201 BAO gestützter Abgabenbescheide ist grundsätzlich durch die Bemessungsverjährung befristet. Ausnahmen hievon können sich aus § 201 Abs. 2 Z 2 BAO, § 201 Abs. 3 Z 1 BAO, § 201 Abs. 3 Z 2 BAO (iVm § 304 BAO) sowie aus § 209a Abs. 2 BAO ergeben.
Die Festsetzung liegt in den im § 201 Abs. 2 BAO genannten Fällen im Ermessen der Abgabenbehörde. Nur in den Fällen des § 201 Abs. 3 BAO ist die Festsetzung zwingend vorzunehmen.
Festsetzungen nach § 201 BAO kommen von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabepflichtigen in Betracht.
1.4 Antrag des Abgabepflichtigen
Zur Stellung eines Antrages auf Festsetzung der Selbstberechnungsabgabe befugt ist der Abgabepflichtige iSd § 77 BAO.
Der Antrag ist ein Anbringen zur Geltendmachung von Rechten iSd § 85 Abs. 1 BAO. Er ist somit grundsätzlich schriftlich einzubringen; nach § 86a BAO iVm der Verordnung BGBl. Nr. 494/1991 kann er auch unter Verwendung eines Telekopierers eingebracht werden. Der Antrag kann nach Maßgabe des § 85 Abs. 3 BAO auch mündlich gestellt werden.
Der Antrag ist bei der im Zeitpunkt der Antragstellung für die Erhebung der betreffenden Abgabe zuständigen Abgabenbehörde erster Instanz einzubringen.
Beispiel: Der Antrag auf Festsetzung des Dienstgeberbeitrages ist dem § 57 Abs. 1 BAO zufolge beim Finanzamt der Betriebsstätte (iSd § 81 EStG 1988) des Arbeitgebers einzubringen.
Die für die Stellung des Festsetzungsantrages maßgebenden Fristen ergeben sich aus § 201 BAO bzw aus der jeweils maßgebenden Verjährungsfrist.
Aus § 201 BAO ergeben sich folgende Fristen:
- ein Monat ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages (§ 201 Abs. 3 Z 1 BAO, bei Einhaltung dieser Frist liegt die Festsetzung nicht im Ermessen),
- ein Jahr ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages (§ 201 Abs. 2 Z 1 BAO; bei Einhaltung dieser Frist liegt die Festsetzung im Ermessen, außer wenn die Erlassung innerhalb der obengenannten Monatsfrist beantragt wurde),
- drei Monate ab nachweislicher Kenntnis des "Wiederaufnahmsgrundes" für auf § 201 Abs. 3 Z 2 BAO gestützte Festsetzungen (eine solche nicht im Ermessen liegende Festsetzung setzt weiters die Einbringung des Antrages innerhalb der für die Wiederaufnahme maßgebenden Frist des § 304 BAO voraus).
In den Fällen des § 201 Abs. 2 Z 4 BAO (Widerspruch mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen oder mit Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union) und des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO (bei sinngemäßer Anwendung des § 303 Abs. 4 BAO sowie bei Nichtbekanntgabe eines selbst berechneten Betrages) ergibt sich die Antragsfrist aus der Bemessungsverjährung.
Der Antrag auf Festsetzung unterliegt der Entscheidungspflicht; daher ist über den Antrag stets mit Bescheid abzusprechen.
Der Antrag ist beispielsweise zurückzuweisen, wenn er von einem hiezu nicht Befugten gestellt ist.
Der Antrag ist beispielsweise abzuweisen, wenn die Selbstberechnung der betreffenden Abgabe sich als richtig erweist. Er ist überdies abzuweisen, falls die Festsetzung aus Ermessensüberlegungen zu unterbleiben hat.
Der Antrag ist bis zur formellen Rechtskraft des über ihn absprechenden Bescheides zurücknehmbar. Ein Verzicht auf die Stellung des Antrages auf Festsetzung ist gesetzlich nicht vorgesehen, daher unzulässig und unwirksam.
1.5 Ermessen
1.5.1 Zur Ermessensübung
Die Festsetzung der Selbstberechnungsabgabe liegt - außer in den Fällen des § 201 Abs. 3 BAO (Antragstellung innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages, Antragstellung bei sinngemäßer Anwendung der §§ 303 bis 304 BAO) - im Ermessen der Abgabenbehörde.
Bei der Übung des Ermessens (§ 20 BAO) ist vor allem der Vorrang des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (der Rechtsrichtigkeit) vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu beachten.
Bedeutsam können weiters beispielsweise sein:
- Der Grundsatz von Treu und Glauben,
- der Grundsatz der Verwaltungsökonomie, wonach in der Regel eine Festsetzung von Bagatellbeträgen sowie eine Festsetzung bei Uneinbringlichkeit (iSd § 235 BAO) oder Unbilligkeit der Einhebung (iSd § 236 BAO) der Nachforderung zu unterbleiben hat. Bei der Uneinbringlichkeit ist nicht nur auf den Abgabepflichtigen selbst, sondern auch auf allfällige Haftungspflichtige (zB auf die Vertreterhaftung nach § 9 BAO) abzustellen.
Für die Übung des Ermessens ist nicht ausschlaggebend, ob die Festsetzung sich zu Gunsten oder zu Ungunsten des Abgabepflichtigen auswirken würde. Im Allgemeinen ist auch unbeachtlich, ob ein Verschulden des Abgabepflichtigen an der Unterlassung der Selbstberechnung bzw. an der Unrichtigkeit der Selbstberechnung vorliegt.
1.5.2 Zu § 201 Abs. 2 Z 1 BAO
Nach § 201 Abs. 2 Z 1 BAO kann die Festsetzung der Selbstberechnungsabgabe von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages erfolgen. Diesfalls setzt die Festsetzung lediglich voraus, dass sich die Selbstberechnung als unrichtig erweist (Wiederaufnahmsgründe müssen keine vorliegen).
Erfolgt die Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages durch Angabe auf dem Zahlungsbeleg, so beginnt die Jahresfrist mit dem Einlangen des Zahlungsbeleges bei der Abgabenbehörde.
Erfolgt die Bekanntgabe in einer Anmeldung (zB nach § 11 Abs. 1 NoVAG 1991) oder in einem anderen Anbringen, so ist § 108 Abs. 4 BAO anwendbar, sodass die Postaufgabe des Anbringens die Jahresfrist auslöst.
Für das Ende der Jahresfrist gilt § 108 Abs. 2 und Abs. 3 BAO.
Beispiel:
Die Jahresfrist beginnt am 15. April 2003. Sie endet am 15. April 2004.
1.5.3 § 201 Abs. 2 Z 2 BAO
Wird der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht, so kann die Festsetzung dem § 201 Abs. 2 Z 2 BAO zufolge auch nach Ablauf der Jahresfrist erfolgen.
Zur Berechnung dieser Frist siehe Abschnitt 1.5.2.
Für die Antragstellung gilt § 108 Abs. 4 BAO; daher reicht zur Fristwahrung die Postaufgabe des Antrages am letzten Tag der Frist.
1.5.4 Zu § 201 Abs. 2 Z 3 BAO
Die Festsetzung kann erfolgen, wenn kein selbst berechneter Betrag bekanntgegeben wurde. Eine solche Festsetzung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabepflichtigen erfolgen. Die Festsetzung darf diesfalls in der Regel nur innerhalb der Verjährungsfrist erfolgen. § 209a Abs. 2 BAO ist anwendbar; daher darf die Festsetzung auch nach Ablauf der Verjährungsfrist vorgenommen werden, wenn der diesbezügliche Antrag des Abgabepflichtigen vor Eintritt der Bemessungsverjährung eingebracht ist.
Eine (amtswegige) Festsetzung kann innerhalb der Verjährungsfrist erfolgen, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 Abs. 4 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen vorliegen würden.
Die sinngemäße Anwendung bedeutet, dass die Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages an die Stelle des (für die Wiederaufnahme erforderlichen) durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens tritt.
Eine Festsetzung kann etwa erfolgen, wenn für die Abgabenbehörde Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind (insbesondere weil sie bei der Bekanntgabe der Selbstberechnung vom Abgabepflichtigen nicht offengelegt wurden), wenn die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden (vom bekannt gegebenen selbst berechneten Betrag abweichenden) Bescheid herbeigeführt hätte.
§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO wird etwa für Festsetzungsbescheide anlässlich abgabenbehördlicher Prüfungen (zB Lohnsteuerprüfung gemäß § 86 Abs. 1 EStG 1988 bezüglich Dienstgeberbeitrag) bedeutsam sein, falls die Festsetzung nicht bereits innerhalb der Jahresfrist des § 201 Abs. 2 Z 1 BAO erfolgt.
Die Begründung des (amtswegigen) Festsetzungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen für seine Erlassung darzulegen. Bei Festsetzungen nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO sind somit, wenn sich die Abgabenbehörde auf neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel (iSd § 303 BAO) stützt, diese Tatsachen bzw. Beweismittel und ihr Neuhervorkommen darzulegen. Weiters ist die Ermessensübung zu begründen.
Ebenso wie bei der Wiederaufnahme des Verfahrens ist die Entscheidungserheblichkeit der neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel nach den im Zeitpunkt der Entscheidung bestehenden Verhältnissen zu beurteilen. Bei Änderung der Rechtsprechung wird daher, sofern dem § 117 BAO nicht entgegensteht, grundsätzlich die jüngere Judikatur zu berücksichtigen sein.
1.5.5 Zu § 201 Abs. 2 Z 4 BAO
Eine Festsetzung kann nach § 201 Abs. 2 Z 4 BAO erfolgen,
- wenn die Selbstberechnung sich wegen Widerspruches mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen (insbesondere mit Doppelbesteuerungsabkommen) als nicht richtig erweist, oder
- wenn die Selbstberechnung sich wegen Widerspruches mit Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union (Primärrecht, Sekundärrecht wie etwa Richtlinien und Verordnungen) als nicht richtig erweist.
Die Festsetzung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabepflichtigen erfolgen. Sie darf grundsätzlich nur innerhalb der Bemessungsverjährungsfrist vorgenommen werden. Ausnahmen hievon können sich aus § 209a Abs. 2 BAO ergeben. Daher darf der Festsetzungsbescheid auch nach Eintritt der Bemessungsverjährung erlassen werden, wenn der diesbezügliche Antrag vor Verjährungseintritt eingebracht ist.
Eine Festsetzung wegen Widerspruches mit Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union setzt nicht voraus, dass sich die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit aus einer Vorabentscheidung des EuGH oder aus einem Erkenntnis des VwGH ergibt.
1.6 Kein Ermessen (§ 201 Abs. 3 BAO)
1.6.1 Zu § 201 Abs. 3 Z 1 BAO
Die Festsetzung ist zwingend vorzunehmen, wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist.
Für die Berechnung der Monatsfrist sind § 108 BAO, § 109 BAO und § 110 Abs. 1 BAO maßgebend.
Beispiel: Die Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages erfolgt am 15. September 2003; daher endet die Monatsfrist am 15. Oktober 2003. Erfolgt die Postaufgabe des Antrages am letzten Tag dieser Frist, so genügt dies dem § 108 Abs. 4 BAO zufolge zur Fristwahrung.
Die Frist des § 201 Abs. 3 Z 1 BAO ist eine gesetzliche Frist. Sie ist somit dem § 110 Abs. 1 BAO zufolge nicht verlängerbar. Sie ist weiters nicht hemmbar. Bei nicht grob verschuldeter Versäumung der Frist kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 308 BAO in Betracht.
1.6.2 Zu § 201 Abs. 3 Z 2 BAO
Die Festsetzung hat zu erfolgen, wenn bei sinngemäßer Anwendung der §§ 303 bis 304 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag der Partei vorliegen würden.
Die sinngemäße Anwendung der § 303 BAO, § 303a BAO und § 304 BAO bedeutet, dass die Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages an die Stelle des (für die Wiederaufnahme erforderlichen) durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens tritt.
Eine auf § 201 Abs. 3 Z 2 BAO gestützte Festsetzung setzt beispielsweise voraus, dass der Antrag innerhalb der Dreimonatsfrist des § 303 Abs. 2 BAO sowie innerhalb der sich aus § 304 BAO ergebenden Frist eingebracht ist.
Für den Inhalt des Antrages ist § 303a BAO (somit die im Abs. 1 geregelten Inhaltserfordernisse sowie das Mängelbehebungsverfahren nach Abs. 2) sinngemäß anzuwenden.
Beim Neuerungstatbestand (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO idF des AbgRmRefG) steht (seit 26. Juni 2002) nur mehr grobes Verschulden der Partei bei Nichtgeltendmachung der betreffenden Tatsachen oder Beweismittel der Bewilligung der Wiederaufnahme entgegen. Dies gilt in sinngemäßer Anwendung auch für die Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben nach § 201 Abs. 3 Z 2 BAO.
Grundsätzlich wird kein (grobes) Verschulden des Abgabepflichtigen vorliegen, wenn er Tatsachen oder Beweismittel deshalb bei der Selbstberechnung nicht geltend gemacht hat,
- weil er von der Richtigkeit von Erlässen des BMF ausgegangen ist,
- weil er auf die Richtigkeit von Rechtsauskünften des Finanzamtes vertraut hat,
- weil er von der Anwendbarkeit nationaler Abgabenvorschriften ausgegangen ist (und nicht von der Unanwendbarkeit dieser Vorschriften als Folge des Anwendungsvorranges von Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union).
Ausnahmen vom Grundsatz, dass Abgabenfestsetzungen nur innerhalb der Bemessungsverjährungsfrist erfolgen dürfen, können sich vor allem aus § 209a Abs. 2 BAO sowie aus § 304 BAO ergeben.
1.7 Zusammengefasste Festsetzung mehrerer Abgaben
Innerhalb der selben Abgabenart kann die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen (§ 201 Abs. 4 BAO).
Diese Bestimmung gilt auch für Umsatzsteuervorauszahlungen.
Die zusammengefasste Festsetzung mehrerer Abgaben liegt im Ermessen der Abgabenbehörde.
Zusammengefasst dürfen Abgabenfestsetzungen nur erfolgen, wenn für jede dieser Abgaben die Voraussetzungen für eine Festsetzung vorliegen.
Beispiel: Die Selbstberechnung des Dienstgeberbeitrages erweist sich für März, April und Juli 2003 als rechtswidrig. Die Festsetzung darf daher die Monate Mai und Juni 2003 nicht mitumfassen.
§ 201 BAO (idF AbgRmRefG) gestattet die zusammengefasste Festsetzung von Abgaben nur mehr für Abgaben desselben Jahres (somit für Abgaben, für die der Abgabenanspruch im selben Kalenderjahr bzw. Wirtschaftsjahr entstanden ist).
§ 201 BAO (idF AbgRmRefG) ist nach § 323 Abs. 11 erster Satz BAO erstmals auf Abgaben anzuwenden, für die der Abgabenanspruch nach dem 31. Dezember 2002 entsteht. Dies gilt auch für Abs. 4 des § 201 BAO.
Beispiel: Anlässlich der Lohnsteuerprüfung erweist sich die Selbstberechnung sämtlicher Dienstgeberbeiträge für die Jahre 2001 bis 2003 als nicht richtig. Eine zusammengefasste Festsetzung darf die Dienstgeberbeiträge für 2001 und 2002 umfassen, nicht jedoch jene für 2003.
2. Zu § 202 BAO
Nach § 202 Abs. 1 erster Satz BAO gilt § 201 BAO sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt.
Derartige Abgabenvorschriften sind insbesondere:
- § 79 EStG 1988 (Lohnsteuer),
- § 95 EStG 1988 (Kapitalertragsteuer),
- § 99 EStG 1988 (Steuerabzug bei beschränkter Steuerpflicht),
- § 27 Abs. 4 UStG 1994 (Abfuhrpflicht des Leistungsempfängers bezüglich Umsatzsteuer "ausländischer" Unternehmer).
Die erwähnte Verweisung auf § 201 BAO bezieht sich für Abfuhrabgaben, für die der Abgabenanspruch nach dem 31. Dezember 2002 entsteht, auf die Neufassung des § 201 BAO durch das AbgRmRefG.
3. Februar 2003 Für den Bundesminister: Dr. Bibus
Für die Richtigkeit der Ausfertigung:
Zusatzinformationen | |
---|---|
Materie: | Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 201 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Selbstberechnung, Abgabenbescheid, Verjährung, Bemessungsverjährung, Umsatzsteuervorauszahlungen, Verrechnungsweisung, Buchungsmitteilung, Fälligkeit, Nachfrist, Feststellungsbescheid, Ermessen, Gemeinschaftsrecht, Entscheidungspflicht, Wiederaufnahmsgründe, Postaufgabe, Doppelbesteuerungsabkommen, Lohnsteuerprüfung, Treu und Glauben, Verwaltungsökonomie, Uneinbringlichkeit, Lohnsteuer, Abfuhrabgaben |
Verweise: | BMF 09.10.2009, BMF-010103/0138-VI/2009 |