VwGH 2012/22/0142

VwGH2012/22/014211.6.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der M, vertreten durch Mag. Philipp Tschernitz, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Waaggasse 18/2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 30. März 2012, Zl. 151.601/14- III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs3 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs3 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug im zweiten Rechtsgang ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) den Antrag der Beschwerdeführerin, einer ägyptischen Staatsangehörigen, vom 28. November 2007 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 iVm § 21 Abs. 6 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe am 9. Juli 2007 in Ägypten den österreichischen Staatsbürger K.A.A. geheiratet und sei am 13. August 2007 mit einem bis 13. Dezember 2007 gültigen Visum in Österreich eingereist. Seit ihrer Einreise sei sie ohne Unterbrechung behördlich gemeldet und habe nach Ablauf ihres von der Österreichischen Botschaft in Kairo ausgestellten Visums D das Bundesgebiet nicht verlassen. Am 28. November 2007 habe sie - vor Ablauf ihres Visums - den gegenständlichen Antrag gestellt.

Das Familienleben der Beschwerdeführerin sei - so die weitere Bescheidbegründung - erst kurz vor ihrer Einreise entstanden. Die Beschwerdeführerin habe Deutschkenntnisse auf Niveaustufe A2 nachgewiesen. Nachdem die Beschwerdeführerin bis zur Einreise nach Österreich ihr Leben in Ägypten verbracht habe, müsse davon ausgegangen werden, dass nach wie vor eine Bindung zum Heimatland bestehe, zumal sich sämtliche Familienmitglieder bis auf ihren Ehegatten, in ihrem Heimatland befänden. Die sozialen Bindungen der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet seien daher nicht von solchem Gewicht, dass sie das öffentliche Interesse überwiegen würden, weshalb die Versagung des beantragten Aufenthaltstitels keine Verletzung des Art. 8 EMRK zur Folge habe. Daran könne auch die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin unbescholten sei, nichts ändern.

Ihr unrechtmäßiger Aufenthalt nach Ablauf ihres Visums beeinträchtige vielmehr das maßgebliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, dem aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme. Ebenso handle es sich hinsichtlich des Zeitablaufes um keinen Fall des "Willkürverbotes" und es könne die von der Beschwerdeführerin verursachte "Verzögerung" (Antragstellung erst einen Monat vor Ablauf des Visums) nicht der erstinstanzlichen Behörde angelastet werden.

Weiters seien keine Umstände vorgetragen worden, die im Sinne des Urteiles des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 15. November 2011 in der Rechtssache 256/11 Dereci u.a., zu einem anderen Ergebnis geführt hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Beschwerde nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im April 2012 sind die Bestimmungen des NAG idF des BGBl. I Nr. 112/2011 anzuwenden.

Gemäß § 47 Abs. 1 NAG sind Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

Gemäß § 47 Abs. 2 NAG ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

Nach § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel u.a. trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 5 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Dabei kommt der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner große Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 2012, Zl. 2009/22/0272). In einem solchen Fall müssen nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners, insbesondere zu den Wohnverhältnissen, der Art ihrer Beschäftigungen und den erzielten Einkommen, aber etwa auch zur Frage der Deutschkenntnisse sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat und zur Möglichkeit und Zumutbarkeit der Führung eines Familienlebens außerhalb Österreichs getroffen werden (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 28. März 2012, mit weiteren Nachweisen).

Im vorliegenden Fall hat die Behörde bei ihrer Abwägung darauf abgestellt, dass die Beschwerdeführerin erst kurz vor ihrer Einreise einen österreichischen Staatsangehörigen geheiratet hat. Wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt hat die Behörde nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin seit nunmehr fast fünf Jahren in aufrechter Ehe in Österreich lebt, wobei die lange Verfahrensdauer jedenfalls nicht der Beschwerdeführerin anzulasten ist. Bereits im erstinstanzlichen Verfahren hat die Beschwerdeführerin auf die Berufstätigkeit ihres Ehemannes, der gemäß der Aktenlage seit 1991 in Österreich lebt, hingewiesen. Die Behörde hat es jedoch unterlassen, nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen der Beschwerdeführerin und ihres Ehepartners - insbesondere unter Berücksichtigung des langjährigen gemeinsamen Ehelebens und der Berufstätigkeit des Ehegatten in Österreich - zu treffen und diese in ihre Abwägung nach Art. 8 EMRK einzubeziehen.

Die Behörde hat zudem die Rechtslage verkannt, als sie bei ihrer Beurteilung nach Art. 8 EMRK auch hätte berücksichtigen müssen, dass seit der mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011 BGBl. I Nr. 38) geänderten und auch noch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtslage infolge § 65b Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Ausweisung eines Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers, selbst wenn Letzterer sein ihm unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, nur aus den in § 66 FPG genannten Gründen zulässig ist. Insoweit gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, Zl. 2012/22/0111, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Die belangte Behörde hat nicht geprüft, ob die Voraussetzungen des § 66 FPG erfüllt wären, und infolge Verkennung der Rechtslage auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die diese Prüfung ermöglicht hätten.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren in Bezug auf den Schriftsatzaufwand war im Hinblick auf den in der angeführten Verordnung vorgesehenen Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand abzuweisen.

Wien, am 11. Juni 2014

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