Normen
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Jänner 2002 illegal nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde im Oktober 2008 mit im Instanzenzug ergangenem Erkenntnis des Asylgerichtshofes rechtskräftig abgewiesen.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 19. Mai 2009 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus. In ihrer Begründung führte sie zunächst aus, dass sich der Beschwerdeführer seit der rechtskräftigen negativen Beendigung seines Asylverfahrens rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG ging die belangte Behörde davon aus, dass mit der Ausweisung angesichts des mehr als sieben Jahre und vier Monate währenden Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers und seiner Lebensgemeinschaft mit der österreichischen Staatsbürgerin CT, mit der er einen (2004 geborenen) Sohn habe, in erheblicher Weise in sein Privat- und Familienleben eingegriffen werde. Allerdings habe er dieses Privat- und Familienleben während eines Zeitraumes geschaffen, in dem er nicht damit habe rechnen dürfen, dauerhaft in Österreich bleiben zu können, zumal sein Asylantrag bereits am 7. Mai 2002 in erster Instanz abgewiesen worden sei. Zudem bestehe erst seit dem 12. Februar 2009 ein gemeinsamer Haushalt mit CT und seinem Sohn. In Anbetracht "des erst seit kurzem bestehenden gemeinsamen Wohnsitzes bzw. tatsächlichen Familienlebens" habe seine nunmehrige Lebensgemeinschaft mit CT und seinem Sohn keine derart intensive Ausgestaltung erfahren, dass die Ausweisung in Bezug auf seine Lebensgefährtin Art. 8 EMRK zuwider laufen würde. Zudem bestünde die Möglichkeit, sich zukünftig gegenseitig zu besuchen bzw. zu telefonieren.
Zu den geltend gemachten Tätigkeiten in einem näher genannten Kulturverein sowie in einer Kirchengemeinschaft vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass der Beschwerdeführer damit "ausschließlich Aktivitäten ins Treffen" geführt habe, an denen Menschen mit Migrationshintergrund teilnehmen würden. Angesichts der beigebrachten Unterschriftenlisten und (Unterstützungs-)Schreiben sei zwar von einem gewissen Maß an sozialer Integration auszugehen, allerdings würde sich auch dies durch die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus relativieren.
Der Beschwerdeführer, der keine berufliche Integration vorweisen könne, habe seinen Heimatstaat erst im Alter von 26 Jahren verlassen. Im Asylverfahren habe er angegeben, dass sich seine Mutter und zwei Schwestern noch dort befinden würden. Schließlich verwies die belangte Behörde noch darauf, dass der Beschwerdeführer zwischen 2002 und 2005 drei Mal strafgerichtlich verurteilt worden sei (zunächst nach § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Wochen, dann nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von EUR 160,-- und schließlich nach den §§ 15, 141 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einer Woche).
Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - gefährde durch seinen mehrmonatigen unrechtmäßigen Aufenthalt die öffentliche Ordnung in hohem Maße, weshalb die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei. Das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts würde die von ihm geltend gemachte Integration überwiegen. Es seien auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Ermessensübung zu seinen Gunsten begründen würden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am 2. Juni 2009 - um die Fassung BGBl. I Nr. 29/2009.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird ausdrücklich zugestanden, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers mit 20. Oktober 2008 rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, begegnet somit keinen Bedenken, zumal auch nicht behauptet wird, der Beschwerdeführer verfüge über irgendeine Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, Zl. 2009/21/0303).
Unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG verweist der Beschwerdeführer - neben seiner langjährigen Aufenthaltsdauer - insbesondere auf sein Familienleben mit seinem vierjährigen Sohn, mit dem er nunmehr zusammenlebe und zu dem auch schon zuvor ein enges (Betreuungs-)Verhältnis bestanden habe. Die belangte Behörde habe keine Feststellungen zur Intensität der Beziehungen zu seinem Sohn getroffen, obwohl er diese (auch) durch die Vorlage von Fotos und eines Schreibens von CT bescheinigt habe. Schließlich genüge auch die von der belangten Behörde angesprochene Möglichkeit telefonischer Kontakte bzw. gegenseitiger Besuche (im Fall seiner Ausreise) angesichts der großen Entfernung zwischen Österreich und Nigeria und der damit verbundenen finanziellen Belastung den "Erfordernissen eines Familienlebens nach Art 8 EMRK nicht".
Damit zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis einen relevanten Verfahrensmangel auf:
Die belangte Behörde nahm zwar darauf Bedacht, dass der Beschwerdeführer im Februar 2009 mit seinem Sohn und CT einen gemeinsamen Wohnsitz begründete. Allerdings erachtete sie das "tatsächliche Familienleben" als "erst seit kurzem" bestehend und somit nicht als intensiv, weshalb die Ausweisung des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Lebensgefährtin als iSd § 66 FPG zulässig angesehen wurde. Diese Ausführungen greifen jedenfalls zu kurz.
Der belangten Behörde ist zunächst vorzuwerfen, dass sie die vom Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemachte, schon vor der Begründung eines gemeinsamen Haushaltes bestehende enge Beziehung zu seinem Sohn und dessen regelmäßige Betreuung durch ihn nicht nachvollziehbar berücksichtigt hat. Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, seinen Sohn beinahe täglich zu sehen, den Verweis auf die gemeinsamen Unternehmungen und das - diese Angaben bestätigende - Schreiben der CT ist der bloße Hinweis der belangten Behörde darauf, der Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass er seinen Sohn vom Kindergarten abhole, unzureichend.
Weiters ist der belangten Behörde anzulasten, dass sie bei ihrer Auffassung zur Zulässigkeit der Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK vorrangig die Beziehung des Beschwerdeführers zu CT in den Blick genommen hat. Auch diesbezüglich fehlen Ausführungen zur Zumutbarkeit der Trennung des Beschwerdeführers von seinem - zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung - vierjährigen Sohn. Die belangte Behörde hätte aber unter näherer Bedachtnahme auf die Lebensverhältnisse der Genannten begründen müssen, weshalb die Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers und die damit verbundene Trennung insbesondere von seinem österreichischen Sohn dringend geboten iSd § 66 Abs. 1 FPG ist. Im Übrigen berücksichtigte die belangte Behörde bei ihrer Verweisung des Beschwerdeführers auf die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seinen Angehörigen mittels Telefon nicht, dass eine Kommunikation mit einem (vierjährigen) Kleinkind solcherart erschwert wird und dem Vater eines Kindes grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2012, Zl. 2011/21/0277, mwN). Für die Annahme der belangten Behörde, der Kontakt könne auch durch gegenseitige Besuche aufrecht erhalten werden, fehlt es jedenfalls hinsichtlich der Möglichkeit des Sohnes des Beschwerdeführers, seinen Vater in Nigeria zu besuchen, an einem entsprechenden Tatsachensubstrat (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2009/21/0303).
In einer Konstellation wie der vorliegenden kann auch der Hinweis auf den unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers und die Betonung des großen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen nicht zu einer nachvollziehbaren Interessenabwägung führen (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, Zl. 2011/23/0449). Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (vgl. dazu Punkt 2.4.2. des Erkenntnisses vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, mwN). In diesem Sinn durfte die belangte Behörde nach § 66 Abs. 2 Z 8 FPG bei der Interessenabwägung darauf Bedacht nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren. Allerdings hat diese Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.4.2.). Diesbezüglich ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, inwieweit die belangte Behörde die von ihr grundsätzlich zugestandene soziale Integration des Beschwerdeführers überhaupt in Anschlag gebracht hat.
Die belangte Behörde durfte in diesem Zusammenhang zwar berücksichtigen, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers bereits im Mai 2002 in erster Instanz abgewiesen wurde. Allerdings wäre ebenso zu beachten gewesen, dass die Integration des Beschwerdeführers während seines einzigen Asylverfahrens in Österreich erfolgte, das knapp sieben Jahre dauerte (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. Juni 2012, U 713/11). Dass diese lange Dauer auf eine schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer zurückzuführen gewesen wäre, wurde nicht festgestellt.
Schließlich kann das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall auch nicht durch die von der belangten Behörde genannten strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers wesentlich erhöht werden. Der belangten Behörde ist diesbezüglich nämlich anzulasten, dass sie die zugrunde liegenden Tathandlungen nicht dargestellt hat. Darüber hinaus weist der Beschwerdeführer zu Recht darauf hin, dass jeweils nur geringfügige Strafen verhängt wurden und die letzte Verurteilung (zu einer einwöchigen bedingten Freiheitsstrafe) bereits knapp dreieinhalb Jahre zurücklag.
Angesichts der aufgezeigten Begründungsmängel, bei deren Vermeidung die belangte Behörde in Bezug auf die Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 17. April 2013
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