VwGH 2013/22/0068

VwGH2013/22/006817.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des V, vormals vertreten durch Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. April 2009, Zl. E1/151.606/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
MRK Art3;
AsylG 2005;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
MRK Art3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein 1990 geborener armenischer Staatsangehöriger, reiste am 2. Jänner 2004 gemeinsam mit seiner Mutter illegal in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde im Jänner 2009 mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes rechtskräftig abgewiesen.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 17. April 2009 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte die belangte Behörde zunächst aus, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit der rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrages unrechtmäßig sei. Weiters verwies sie darauf, dass der Beschwerdeführer bei seiner Anhaltung am 4. März 2009 im Besitz eines (auf einen anderen Namen ausgestellten) "Schweizer Asylausweises" gewesen sei. Es habe sich herausgestellt, dass er zuvor in der Schweiz unter anderer Identität einen Asylantrag gestellt habe und in der Folge erneut illegal nach Österreich eingereist sei. Es könne somit kein Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer ledig sei und keine Sorgepflichten habe. Familiäre Bindungen bestünden zu seiner im Burgenland lebenden Mutter. Mit der Ausweisung sei zwar ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden, dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse habe der Beschwerdeführer (im Hinblick auf die dargestellten Umstände) mehrfach verstoßen. Hinsichtlich der Bindungen zu seiner Mutter hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer volljährig sei, mit seiner Mutter nicht im gemeinsamen Haushalt lebe und dass diese (nach rechtskräftiger Abweisung ihres Asylantrages) ebenfalls über kein Aufenthaltsrecht in Österreich mehr verfüge. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Schuljahr 2005/2006 die Hauptschule besucht habe, vermöge seiner Integration kein entscheidendes Gewicht zu verleihen. Gleiches gelte für den Besuch eines Kurses des "bfi" über G.

Zu der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Erkrankung führte die belangte Behörde Folgendes aus: Der Beschwerdeführer habe ein Schreiben eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom Juni 2007 vorgelegt, demzufolge er an einer - medikamentös zu behandelnden - Anpassungsstörung leide. Abgesehen davon, dass die Aktenlage nicht erkennen lasse, ob er aktuell noch an dieser Krankheit leide, habe er auch nicht glaubhaft gemacht, gegenwärtig an einer so schwerwiegenden Krankheit zu leiden, dass seine Ausreise unmöglich sei.

Insgesamt seien die privaten und familiären Lebensumstände des Beschwerdeführers nicht so gewichtig, dass die Ausweisung unzulässig iSd § 66 FPG sei. Mangels sonstiger, besonders zu seinen Gunsten sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keinen Grund, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des Ermessens Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am 20. April 2009 - um die Fassung BGBl. I Nr. 29/2009.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ beendet wurde. Er behauptet auch nicht, sonst über eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet zu verfügen. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei verwirklicht, trifft daher zu.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2010/21/0233, mwN).

Der Beschwerdeführer verweist diesbezüglich auf seinen ca. fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt, auf die Bindungen zu seiner Mutter, auf seinen hohen Integrationsgrad und auf seine ausgezeichneten Deutschkenntnisse.

Dazu ist zunächst anzumerken, dass die belangte Behörde - ausgehend vom mehrjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und von der familiären Bindung zu seiner Mutter - einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben anerkannt hat. Hinsichtlich der familiären Bindungen durfte die belangte Behörde aber in Anschlag bringen, dass der Beschwerdeführer bereits volljährig ist und dass seine Mutter nach rechtskräftiger Abweisung ihres Asylantrages ebenfalls über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügte. Vor diesem Hintergrund kann auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, er würde nur auf Grund der (zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch aufrechten) "polizeilichen Anhaltung" (in Schubhaft) nicht mit seiner Mutter zusammenleben, zu keiner für ihn günstigeren Beurteilung führen.

Der geltend gemachte "hohe Integrationsgrad" wird vom Beschwerdeführer - abgesehen vom Verweis auf seinen Schul- bzw. Kursbesuch - nicht näher substantiiert. Dass die belangte Behörde dem (für ein Schuljahr belegten) Schulbesuch des Beschwerdeführers sowie dem Besuch eines Kurses des "bfi" im Bereich G für sich genommen keine entscheidungswesentliche Bedeutung beigemessen hat, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden. Daran vermag auch der allgemeine Hinweis auf die besondere Bedeutung des Schulbesuchs "gerade in ländlichen Gebieten" für die "Integration in die Dorfgemeinschaft" nichts zu ändern. Entgegen der Beschwerdeauffassung war die belangte Behörde in Ermangelung eines konkreten Vorbringens des Beschwerdeführers auch nicht verpflichtet, diesbezüglich weitere Ermittlungen (wie etwa die Vernehmung des Schulleiters oder des Kursleiters) von Amts wegen vorzunehmen.

Der Beschwerdeführer bringt darüber hinaus noch vor, unter großer psychischer Belastung zu leiden. Dazu ist zunächst auf die - vom Verwaltungsgerichtshof übernommene - Rechtsprechung des EGMR zu verweisen, wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon ausgesprochen, dass es dem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könne. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. dazu das Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2010/21/0310, mwN).

Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, wonach er sehr nervös sei, nach wie vor Schlafstörungen habe und kurzzeitig medikamentös behandelt worden sei, entspricht diesen Erfordernissen in keiner Weise. Aus diesem Grund fehlt den ins Treffen geführten Verfahrensmängeln (nämlich der behaupteten aktenwidrigen Sachverhaltsannahme der belangten Behörde, dass nicht ersichtlich sei, ob der Beschwerdeführer aktuell noch an der im Juni 2007 diagnostizierten Anpassungsstörung leide, bzw. der Nichteinholung des von ihm beantragten psychiatrischen Sachverständigengutachtens) die Relevanz.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet hielt die belangte Behörde zu Recht das große öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens entgegen. Dieses Interesse hat der Beschwerdeführer nicht nur durch seine illegale Einreise im Jahr 2004, sondern insbesondere dadurch beeinträchtigt, dass er nach der rechtskräftigen Abweisung seines (letztendlich unberechtigten) Asylantrages und nach der daraufhin erfolgten Ausreise erneut illegal nach Österreich eingereist und hier unrechtmäßig verblieben ist. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang fehlende Ermittlungen der belangten Behörde zu den Gründen für seine Aus- bzw. Wiedereinreise im Frühjahr 2009 moniert, fehlt es auch diesem Vorbringen an der erforderlichen Relevanzdarstellung, zumal der Umstand der erneuten illegalen Einreise nicht bestritten wird.

Der Beschwerdeführer weist noch auf die bestehende Verfolgungsgefahr in Armenien (und die fehlenden behördlichen Feststellungen dazu) hin. Insofern ist ihm zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Abschiebung im Ausweisungsverfahren keine rechtliche Bedeutung zukommt. Ob eine Aufenthaltsbeendigung mit Art. 3 EMRK im Einklang steht, ist vielmehr Gegenstand anderer Verfahren. Eine allfällige, die Abschiebung unzulässig machende Gefährdungs- oder Bedrohungssituation im Heimatstaat ist vor allem im Verfahren über die Gewährung internationalen Schutzes nach dem Asylgesetz 2005 zu prüfen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 20. Dezember 2012, Zl. 2011/23/0480, mwN). Der Beschwerdeführer ist insoweit auch auf das negative Ergebnis seines Asylverfahrens zu verweisen.

Im Ergebnis ist es nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung seines unrechtmäßigen Inlandsaufenthaltes. Die belangte Behörde hätte aus den dargestellten Umständen nicht ableiten müssen, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers aus Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unverhältnismäßig sei. Daran können im vorliegenden Fall auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Deutschkenntnisse nichts ändern.

Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Umstände hätten die belangte Behörde auch nicht dazu veranlassen müssen, das Ermessen zu seinen Gunsten zu üben.

Schließlich zeigt auch der in der Beschwerde enthaltene Hinweis, dass mit dem angefochtenen Bescheid eine Ausweisung ohne Angabe eines Zielstaates verfügt worden sei, keine Rechtswidrigkeit auf, wird doch mit einer gemäß § 53 Abs. 1 FPG erlassenen Ausweisung nicht darüber abgesprochen, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2010, Zl. 2010/18/0029, mwN).

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 17. April 2013

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