VwGH 2013/11/0028

VwGH2013/11/002820.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des GG in B, vertreten durch Winkler - Heinzle - Nagel Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 10. Dezember 2012, Zl. VwSen-523088/23/Zo/Ai, betreffend Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §5 Abs5;
FSG-GV 1997 §2 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §5 Abs5;
FSG-GV 1997 §2 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft G. vom 2. Februar 2012 wurde dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrages die Lenkberechtigung für die Klasse B auf drei Jahre befristet, somit bis 1. Februar 2015, erteilt und als Auflage eine mindestens einmal jährliche Harnkontrolle auf Cannabis, gerechnet ab der Führerscheinwiedererteilung, vorgeschrieben.

Mit dem angefochtenen Berufungsbescheid wurde der Bescheid vom 2. Februar 2012 (mit der Maßgabe einer hier nicht wesentlichen Präzisierung des Zeitpunktes der Harnkontrolle, deren Ergebnis der Beschwerdeführer der Führerscheinbehörde bekannt zu geben habe) bestätigt (Spruchpunkt I.).

Weiters wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, dem Land Oberösterreich EUR 119,90 als Barauslagen für die Erörterung des fachärztlichen Gutachtens in der Berufungsverhandlung zu ersetzen (Spruchpunkt II.).

1.1. In der Begründung wies die belangte Behörde darauf hin, dass zwei im Jahre 2006 beim Beschwerdeführer durchgeführte Harnkontrollen auf Cannabis positiv gewesen seien. Einer von ihm vorgelegten verkehrspsychologischen Stellungnahme vom 3. September 2006 sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer den ersten Konsum von Cannabis im Alter von 15 Jahren gehabt habe, danach abgegebene Harnproben im Verlauf von sechs Monaten seien negativ gewesen. Aus einer fachärztlichen psychiatrischen Stellungnahme vom 30. November 2006 gehe die Diagnose eines schädlichen Gebrauchs von Cannabis hervor, eine Abhängigkeit habe aber nicht nachgewiesen werden können. Im anschließenden amtsärztlichen Gutachten sei der Beschwerdeführer befristet für ein Jahr zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet befunden worden, wobei er alle zwei Monate einen Drogenharnbefund vorzulegen gehabt habe. Im Akt befänden sich danach "mehrere negative Harnuntersuchungen".

1.2. Im September 2010 sei beim Beschwerdeführer ein Päckchen Cannabis entdeckt worden, eine daran anschließende Harnuntersuchung sei negativ verlaufen. Laut psychiatrischer Stellungnahme vom 6. Dezember 2010 habe der Beschwerdeführer zuletzt im Dezember 2009, danach aber keine Drogen mehr konsumiert. Diese Aussage des Beschwerdeführers könne aufgrund fehlender Harnuntersuchungen nicht widerlegt werden. Laut Gutachten habe sich aber "die Frage ergeben, weshalb der (Beschwerdeführer) im September 2010 erneut Cannabis gekauft habe". Es ergebe sich der "dringende Verdacht auf eine psychische Abhängigkeit". In der Folge sei die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers befristet auf ein Jahr erteilt worden. Die von ihm daraufhin vorgelegten Harnuntersuchungen seien negativ gewesen.

1.3. Im Jänner 2012 habe der Beschwerdeführer die Wiedererteilung der inzwischen abgelaufenen Lenkberechtigung beantragt. In der eingeholten fachärztlichen psychiatrischen Stellungnahme vom 23. Jänner 2012 werde im Wesentlichen auf die Stellungnahme aus dem Jahr 2010 verwiesen, in welcher der Beschwerdeführer u.a. als "gegenwärtig anamnetisch abstinent" bezeichnet worden sei. Ergänzend habe die Sachverständige darauf hingewiesen, dass die monatliche Bestimmung von Drogenmetaboliten im Harn "unauffällig" verlaufen sei, der Beschwerdeführer sei auch gut motiviert, in Zukunft drogenfrei zu bleiben.

1.4. Daraufhin sei der eingangs genannte erstinstanzliche Bescheid vom 2. Februar 2012 erlassen worden. Im Berufungsverfahren habe die belangte Behörde das Gutachten einer Amtsärztin eingeholt, die wegen eines positiven Harnbefundes vom September 2009 und des Umstandes, dass man beim Beschwerdeführer im Dezember 2010 Cannabis gefunden habe (sowie wegen einer verspäteten Vorlage eines Harnbefundes im Dezember 2011), einen "Rückfall als wahrscheinlich" angesehen habe. Auch die psychiatrische Fachärztin sei in ihrem Schreiben vom 24. Juni 2012 in Anbetracht dieser Fakten (Cannabiskonsum im Dezember 2009 und Kauf von Cannabis im Jahr 2010) zu dem Ergebnis gelangt, dass sich "im Zusammenschau der spärlichen bekannten Fakten ... der dringende Verdacht auf eine psychische Abhängigkeit" ergebe.

1.5. In der mündlichen Berufungsverhandlung habe die psychiatrische Sachverständige ihre fachärztliche Stellungnahme erörtert und habe den "erheblichen Verdacht auf eine psychische Abhängigkeit" des Beschwerdeführers von Cannabis damit begründet, dass dieser (erstens) im Jahr 2009 Cannabis konsumiert habe, (zweitens) im Jahr 2010 wiederum Cannabis gekauft habe und (drittens) den Umgang mit Cannabis "nie grundlegend in Frage gestellt und ... auch keinerlei Therapie in Anspruch genommen habe". Außerdem habe die Sachverständige das "Rückfallrisiko von 30 bis 50 %" angegeben, das "trotz der einjährigen Abstinenz" nach wie vor relativ hoch sei.

1.6. In der daran anschließenden rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde davon aus, dass dem Beschwerdeführer "tatsächlich nur vereinzelt der Konsum von Cannabis nachgewiesen" habe werden können und dass er für das Jahr 2011 durch Harnuntersuchungen im Abstand von einem Monat die von ihm behauptete Abstinenz habe belegen können.

Die Beurteilung, ob ein bloß gelegentlicher Konsum von Cannabis oder bereits ein gehäufter Missbrauch vorliege, habe aber nicht nach den stichprobenartigen Harnuntersuchungen zu erfolgen, sondern aufgrund des von der Fachärztin in ihrer Untersuchung gewonnenen Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers, sodass die Diagnose eines "langjährigen schädlichen Gebrauchs von Cannabis" seitens des Beschwerdeführers nachvollziehbar und schlüssig sei. Die Fachärztin habe auch nachvollziehbar und schlüssig erklären können, weshalb das "Rückfallrisiko" beim Beschwerdeführer noch immer als hoch anzusehen sei, sodass künftige Harnuntersuchungen spruchgemäß anzuordnen gewesen seien. Gemäß § 2 Abs. 1 letzter Satz FSG-GV sei zwingende Folge der angeordneten Kontrolluntersuchungen die Befristung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers.

Die Kostenvorschreibung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) beruhe auf § 76 Abs. 1 AVG, da der Beschwerdeführer die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt habe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich nach dem von ihm bezeichneten Beschwerdepunkt in seinem Recht auf eine uneingeschränkte Lenkberechtigung verletzt. Auch in den Beschwerdegründen wendet sich der Beschwerdeführer ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides. Der Spruchpunkt II. ist von der vorliegenden Beschwerde nicht erfasst.

2.2. Aus den im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Gutachten und Aussagen ergibt sich zusammengefasst, dass der Beschwerdeführer zuletzt im Jahr 2009 ( somit etwa drei Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides) Cannabis konsumiert hat. Die danach erfolgten Harnuntersuchungen (teilweise sogar im Abstand von einem Monat) waren negativ.

Ausgehend davon lagen nach der hg. Rechtsprechung - vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 20. November 2012, Zl. 2012/11/0132, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Voraussetzungen sowohl für die gegenständliche Befristung der Lenkberechtigung als auch für die hier vorgeschriebene Harnkontrolle nicht mehr vor.

2.3. Ergänzend sei festgehalten, dass der angefochtene Bescheid auch nicht auf die Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen betreffend den "erheblichen Verdacht auf eine psychische Abhängigkeit" von Cannabis gestützt werden kann. Auch die Sachverständige geht nämlich von einem letztmaligen Cannabiskonsum des Beschwerdeführers im Jahr 2009 aus und kann damit - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - eine bestehende Abhängigkeit nicht schlüssig erklären.

Gleiches gilt für das von der Sachverständigen angeführte "Rückfallrisiko von 30-50 %". Abgesehen davon, dass ein derartiges Risiko nicht die im zitierten Erkenntnis Zl. 2012/11/0132 wiedergegebenen Voraussetzungen für Nachuntersuchungen bzw. eine Befristung der Lenkberechtigung erfüllt (die hg. Judikatur verlangt, dass mit einer Verschlechterung der gesundheitlichen Eignung "gerechnet werden muss"; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus), beruht dieses Rückfallrisiko nach den Angaben der belangten Behörde (Bescheid S. 6) auf einer bloß einjährigen Abstinenz des Beschwerdeführers und weicht somit vom angenommenen Sachverhalt ab.

2.4. Der angefochtene Bescheid war daher im angefochtenen Spruchteil I. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. März 2013

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