VwGH AW 2013/11/0013

VwGHAW 2013/11/001319.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des S, vertreten durch W - H Rechtsanwaltspartnerschaft, der gegen den Bescheid des Unabhängiges Verwaltungssenats des Landes Vorarlberg vom 14. Februar 2013, Zl. UVS-411-127/E12-2012, betreffend Entziehung einer Lenkberechtigung, erhobenen und zur hg. Zl. 2013/11/0068 protokollierten Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Normen

62005CJ0432 Unibet VORAB;
62009CJ0115 Bund Umwelt / Naturschutz Deutschland VORAB;
FSG 1997;
VwGG §30 Abs2;
62005CJ0432 Unibet VORAB;
62009CJ0115 Bund Umwelt / Naturschutz Deutschland VORAB;
FSG 1997;
VwGG §30 Abs2;

 

Spruch:

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die ihm am 4. September 2007 ausgestellte tschechische Lenkberechtigung bis zur Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit entzogen.

In der Begründung traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:

"Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 15.09.2003, Zl: BHBL-III-5401-2003/0425, wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klassen A und B für die Dauer von sieben Monaten entzogen, da er am 20.08.2003 ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (1,84 Promille) lenkte. Gleichzeitig wurde gemäß § 24 Abs 3 FSG angeordnet, dass er vor Ablauf des Entziehungszeitraumes ein amtsärztliches Gutachten über die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 FSG und eine verkehrspsychologische Stellungnahme beizubringen habe. Weiters wurde gemäß § 24 Abs 3 FSG angeordnet, dass er vor Ablauf des Entziehungszeitraumes eine Nachschulung für alkoholauffällige Lenker zu absolvieren habe. Gemäß § 24 Abs 3 FSG endete die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der bescheidmäßigen Anordnung.

Ein positives amtsärztliches Gutachten wurde am 19.11.2003 vorgelegt. Ein Nachweis hinsichtlich der Absolvierung einer Nachschulung für alkoholauffällige Lenker wurde bis dato bei der Bezirkshauptmannschaft X nicht vorgelegt.

Die Entziehungsdauer hätte am 20.03.2004 geendet. Der Beschwerdeführer wurde jedoch am 05.03.2004 dabei betreten, wie er ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (1,80 Promille) lenkte. Sodann wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 30.03.2004 die Lenkberechtigung für die Klassen A und B für die Dauer von 16 Monaten entzogen. Gleichzeitig wurde gemäß § 24 Abs 3 FSG angeordnet, dass der Beschwerdeführer vor Ablauf des Entziehungszeitraumes ein amtsärztliches Gutachten über die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 FSG und eine verkehrspsychologische Stellungnahme beizubringen habe.

Laut amtsärztlichem Gutachten vom 04.08.2005 ist der Beschwerdeführer gemäß § 8 FSG zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Klassen A und B derzeit nicht geeignet. Ein positives amtsärztliches Gutachten (inklusive verkehrspsychologischer Stellungnahme) sowie eine Bestätigung über die Absolvierung einer Nachschulung für alkoholauffällige Lenker wurden bei der Bezirkshauptmannschaft X bis dato nicht vorgelegt.

Am 02.10.2012 meldete die Landespolizeidirektion Vorarlberg, dass der Beschwerdeführer am 25.09.2012 bei einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle in Rankweil, Autobahnausfahrt, angehalten und kontrolliert wurde. Der Beschwerdeführer wies einen tschechischen Führerschein aus dem Jahr 2007 vor. Eine telefonische Rücksprache mit der Bezirkshauptmannschaft X ergab, dass der Genannte seit 2003 einen Führerscheinentzug in Österreich hat.

Laut dem zentralen Melderegister hat der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz seit 01.04.1997 ununterbrochen in Österreich. Eine Unterbrechung bzw Abmeldung des Wohnsitzes scheint im Zentralen Melderegister nicht auf."

Der Beschwerdeführer habe keinen Nachweis erbracht, der glaubhaft dargelegt hätte, dass er zum Zeitpunkt des Erwerbs der tschechischen Lenkberechtigung einen Wohnsitz in der Tschechischen Republik gehabt habe.

Die belangte Behörde gab auch das Vorbringen des Beschwerdeführers wieder, wonach der Umstand, dass der Beschwerdeführer am 15. Mai 2006 und am 1. August 2006 laut Aktenlage in Österreich ein Kraftfahrzeug ohne Lenkberechtigung gelenkt habe, seitens der österreichischen Behörden nicht zum Anlass genommen worden sei, ein (weiteres) Entziehungsverfahren einzuleiten.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes aus:

Gemäß § 30 Abs. 3 zweiter Satz FSG habe die Behörde die Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates anzuordnen, wenn eine Person mit Wohnsitz in Österreich eine solche Lenkberechtigung zu einem Zeitpunkt erlangt habe, in dem in Österreich bereits die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen war. Da der Beschwerdeführer entgegen dem mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 15. September 2003 erteilten Auftrag eine Nachschulung für alkoholauffällige Lenker nicht absolviert habe, habe sich die mit diesem Bescheid ausgesprochene Entziehungszeit gemäß § 24 Abs. 3 FSG verlängert. Im Zeitpunkt der Erlangung der tschechischen Lenkberechtigung habe der Beschwerdeführer keinen Wohnsitz in der Tschechischen Republik gehabt; zu diesem Zeitpunkt sei - wegen der Nichtbefolgung des Auftrags zur Nachschulung - die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers weiterhin wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen gewesen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers stehe die Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 idF der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (FS-Richtlinie) der ausgesprochenen Entziehung nicht entgegen, was näher ausgeführt wurde.

Diesen Bescheid bekämpft der Beschwerdeführer.

Er beantragt gleichzeitig, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Die Auffassung der belangten Behörde, die Führerscheinrichtlinie stehe der ausgesprochenen Entziehung nicht entgegen, sei - aus näher dargestellten Gründen - unzutreffend. Im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts könne sich eine Verpflichtung zur Gewährung aufschiebender Wirkung ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 VwGG ergeben. In Betracht kämen dabei Verfahren, in denen die Gültigkeit einer Norm des Gemeinschaftsrechts strittig sei oder die Unanwendbarkeit einer innerstaatlichen Vorschrift behauptet werde. Der EuGH sehe es in solchen Fällen als geboten an, vorläufigen Rechtsschutz, hier also aufschiebende Wirkung, unter Bedachtnahme auf die Effektivität und die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewähren.

Ungeachtet dessen stünden der Zuerkennung aufschiebender Wirkung keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegen und wäre mit der Ablehnung ein unverhältnismäßiger Nachteil für den Beschwerdeführer verbunden. Dieser habe sich seit 2004 keinerlei Verkehrsdelikte zu Schulden kommen lassen, die die Annahme stützen würden, seine Verkehrsunzuverlässigkeit dauere an. Dies werde durch Vorlage eines aktuellen Auszugs aus dem Verwaltungsstrafregister der Wohnsitzbezirkshauptmannschaft sowie einer eidesstättigen Erklärung bescheinigt. Der Beschwerdeführer lege jährlich ca. 20.000 km als PKW-Fahrer zurück. Daraus gehe hervor, dass insbesondere im Hinblick auf das lange Zurückliegen der Anlassdelikte und das seitherige Wohlverhalten zwingende öffentliche Interessen durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht gefährdet erschienen. Hingegen wäre für den Beschwerdeführer mit dem sofortigen Vollzug ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden. Abgesehen davon, dass ihm die Ausübung einer auf primärem (Freizügigkeit gemäß Art. 21 AEUV) und sekundärem Gemeinschaftsrecht (Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126 ) beruhenden Berechtigung untersagt würde, müsste er bei Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwangsläufig die Kosten und die Zeitversäumnis der geforderten Nachschulung auf sich nehmen und hätte das Verfahrensergebnis nur noch akademische Bedeutung für ihn. Es würden ihm bis dahin nicht unerhebliche Mehraufwendungen für die Erreichung seines Arbeitsplatzes entstehen.

Die belangte Behörde sprach sich in ihrer dazu erstatteten Äußerung gegen die Zuerkennung aufschiebender Wirkung aus: Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer weiterhin als verkehrsunzuverlässig anzusehen sei, was der Zuerkennung aufschiebender Wirkung im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG entgegenstehe. Sie brachte ergänzend vor, dass der Beschwerdeführer am 12. Mai 2006 dabei betreten worden sei, als er einen PKW ohne gültige Lenkberechtigung in alkoholisiertem Zustand gelenkt habe, und am 30. Juli 2006 wiederum einen PKW ohne gültige Lenkberechtigung gelenkt habe. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe sich seit 2004 keinerlei Verkehrsdelikte zu Schulden kommen lassen, sei daher unrichtig; bis dato habe der Beschwerdeführer kein positives amtsärztliches Gutachten, keine positive verkehrspsychologische Stellungnahme vorgelegt und die rechtskräftig angeordnete Nachschulung nicht absolviert.

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem zwingende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. den hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 25. Februar 1981, Slg. Nr. 10.381/A) erforderlich, dass der Beschwerdeführer schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt, es sei denn, dass sich nach Lage des Falles die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres erkennen lassen.

Im Sinne der Grundsätze dieses Beschlusses erfordert die Dartuung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils die nachvollziehbare Darlegung der konkreten wirtschaftlichen Folgen der behaupteten Einbußen auf dem Boden der gleichfalls konkret anzugebenden gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Erst die ausreichende Konkretisierung ermöglicht die vom Gesetz gebotene Interessenabwägung (vgl. den hg. Beschluss vom 29. November 2011, Zl. AW 2011/03/0040, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht zu prüfen. Auch vermag er - nach dem Antragsvorbringen im Zusammenhang mit den Ausführungen in der Beschwerde - die im angefochtenen Bescheid enthaltenen, bei der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde angestellten und zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts führenden Erwägungen in diesem Provisorialverfahren nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, stehen zwingende öffentliche Interessen der Zuerkennung aufschiebender Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG bei Entziehungsmaßnahme nach dem Führerscheingesetz regelmäßig - wegen der Notwendigkeit des Ausschlusses nicht verkehrszuverlässiger Lenker von der Teilnahme am Straßenverkehr - entgegen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 23. Juni 2005, Zl. AW 2005/11/0043).

Dass dies im Beschwerdefall anders zu beurteilen wäre, ist vor dem Hintergrund der Feststellungen der belangten Behörde (zu verweisen ist ergänzend darauf, dass das Vorbringen im Antrag, der Beschwerdeführer habe sich seit 2004 keinerlei Verkehrsdelikte zu Schulden kommen lassen, die die Annahme stützen würden, dass seine Verkehrsunzuverlässigkeit andauert, nicht einmal von der eigenen eidesstättigen Erklärung des Beschwerdeführers gedeckt ist) nicht zu sehen.

Auf der Grundlage des Antragsvorbringens kann auch nicht gesagt werden, dass die Absolvierung der vom Beschwerdeführer geforderten Nachschulung einen unverhältnismäßigen Nachteil nach sich zöge.

Da einer Zuerkennung aufschiebender Wirkung also jedenfalls zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen, war dem vorliegenden Antrag schon deshalb nicht stattzugeben.

Daran ändert der Hinweis der Beschwerdeführerin, dass das unionsrechtliche Gebot des effektiven Rechtsschutzes beachtet werden müsse, nichts.

Auch bei Anwendung der vom EuGH entwickelten Grundsätze für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. den hg. Beschluss vom 2. April 2010, AW 2010/17/0015, samt weiteren Hinweisen) ist nicht nur zu prüfen, ob die Notwendigkeit einstweiliger Maßnahmen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht wird, sondern auch, ob die beantragten Maßnahmen in dem Sinn dringlich sind, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gut zu machenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkung entfalten müssen.

Der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass die Verfahrensmodalitäten der Rechtsbehelfe, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (vgl. EuGH vom 12. Mai 2011, C-115/09 , Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen, sowie insbesondere auch das Urteil der Großen Kammer des EuGH vom 13. März 2007, C-432/05 , Unibet), nicht aber, dass einem Rechtsbehelf automatisch (unabhängig von sonstigen Gegebenheiten) aufschiebende Wirkung zukommt oder dass ihm jedenfalls - ohne Durchführung der in § 30 Abs. 2 VwGG vorgesehenen Abwägung - aufschiebende Wirkung zuzuerkennen wäre (vgl. die hg. Beschlüsse vom 19. Dezember 2011, AW 2011/03/0041, und AW 2012/03/0049, 0050).

Dem Antrag war daher nicht stattzugeben.

Wien, am 19. April 2013

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